In ihrem Eifer für die föderalistische Gleichheit hatten Wangenheim und seine Freunde alle Vorbedingungen militärischer Ordnung und Schlag- fertigkeit absichtlich zerstört. Die beiden Hauptsätze dieser Kriegsverfassung, die Artikel 5 und 8, lauteten: kein Bundesstaat, der ein eigenes Armee- corps stelle, dürfe andere Truppen mit den seinigen verbinden, und selbst der Schein der Suprematie eines Bundesstaates über den andern solle vermieden werden. Damit war jede Möglichkeit verloren, die haltlosen Contingente der kleinsten Staaten zu einigermaßen brauchbaren Heertheilen auszubilden. Die Stärke des Bundesheeres, eins vom Hundert der Be- völkerung, reichte gegenüber den Streitkräften Rußlands und Frankreichs schlechterdings nicht aus und mußte im Verlaufe eines langen Krieges völlig ungenügend werden, weil die Ersatztruppen nicht mehr als 1/6 , im äußersten Falle 1/2 Procent der Bevölkerung betragen durften; das ganze System beruhte auf der Erwartung, daß Preußen freiwillig dreimal mehr als seine Bundesgenossen leisten würde. Der im Kriegsfalle vom Bun- destage -- das will sagen: durch die Mittelstaaten -- gewählte Bundes- feldherr entbehrte jeder Selbständigkeit, da ihm Vertreter der verschiedenen Kriegsherren zur Wahrung der Interessen ihrer Contingente beigegeben wurden; um ihn vollends zu lähmen, beantragten Württemberg und Baiern sogar, diesmal doch vergeblich, daß er seinen Kriegsplan vorher der Bun- desversammlung vorlegen müsse. Dann stritt man, ob außer dem Feld- herrn auch sein Generalleutnant und sein Generalquartiermeister dem Bunde vereidigt werden sollten. Wenn der Stoff des Gezänks auszu- gehen drohte, so warf Wangenheim die beliebte Frage auf, ob im vor- liegenden Falle Einstimmigkeit oder einfache Mehrheit erforderlich sei? -- oder die noch fruchtbarere: wer eigentlich an der Verschleppung des Ge- schäfts schuld sei? Wurde diese Saite angeschlagen, dann waren die Strei- tenden immer einig, dann versicherten alle mit der gleichen Entrüstung: "der Diesseite kann die Verzögerung auf keine Weise zur Last kommen."
Dazwischen hinein spielte noch der Streit um die Bundesfestungen. Obgleich die Besatzungsverhältnisse von Mainz und Luxemburg längst durch europäische Verträge bestimmt waren, so erhob Wangenheim doch das Be- denken: der Bund habe an jenen Verträgen keinen Theil genommen und brauche mithin die beiden Bundesfestungen auch nicht zu übernehmen; mindestens müsse die Ernennung des Gouverneurs in Friedenszeiten dem Landesherrn der Festungsstadt überlassen werden, da ein "fremder Ober- befehl" für einen deutschen Souverän allzu lästig sei. So währte denn in Mainz und Luxemburg der bisherige provisorische Zustand noch immer fort, und die Festungswerke verfielen zusehends. Im Jahre 1822 wurde die Bodenaufnahme für die Bundesfestung Rastatt vollendet, zwei Jahre darauf der vollständige Festungsplan an die Militärcommission eingereicht; doch Alles blieb liegen, weil man noch immer nicht wußte, ob Rastatt oder Ulm oder beide Festungen zugleich befestigt werden sollten. Für Landau
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
In ihrem Eifer für die föderaliſtiſche Gleichheit hatten Wangenheim und ſeine Freunde alle Vorbedingungen militäriſcher Ordnung und Schlag- fertigkeit abſichtlich zerſtört. Die beiden Hauptſätze dieſer Kriegsverfaſſung, die Artikel 5 und 8, lauteten: kein Bundesſtaat, der ein eigenes Armee- corps ſtelle, dürfe andere Truppen mit den ſeinigen verbinden, und ſelbſt der Schein der Suprematie eines Bundesſtaates über den andern ſolle vermieden werden. Damit war jede Möglichkeit verloren, die haltloſen Contingente der kleinſten Staaten zu einigermaßen brauchbaren Heertheilen auszubilden. Die Stärke des Bundesheeres, eins vom Hundert der Be- völkerung, reichte gegenüber den Streitkräften Rußlands und Frankreichs ſchlechterdings nicht aus und mußte im Verlaufe eines langen Krieges völlig ungenügend werden, weil die Erſatztruppen nicht mehr als ⅙, im äußerſten Falle ½ Procent der Bevölkerung betragen durften; das ganze Syſtem beruhte auf der Erwartung, daß Preußen freiwillig dreimal mehr als ſeine Bundesgenoſſen leiſten würde. Der im Kriegsfalle vom Bun- destage — das will ſagen: durch die Mittelſtaaten — gewählte Bundes- feldherr entbehrte jeder Selbſtändigkeit, da ihm Vertreter der verſchiedenen Kriegsherren zur Wahrung der Intereſſen ihrer Contingente beigegeben wurden; um ihn vollends zu lähmen, beantragten Württemberg und Baiern ſogar, diesmal doch vergeblich, daß er ſeinen Kriegsplan vorher der Bun- desverſammlung vorlegen müſſe. Dann ſtritt man, ob außer dem Feld- herrn auch ſein Generalleutnant und ſein Generalquartiermeiſter dem Bunde vereidigt werden ſollten. Wenn der Stoff des Gezänks auszu- gehen drohte, ſo warf Wangenheim die beliebte Frage auf, ob im vor- liegenden Falle Einſtimmigkeit oder einfache Mehrheit erforderlich ſei? — oder die noch fruchtbarere: wer eigentlich an der Verſchleppung des Ge- ſchäfts ſchuld ſei? Wurde dieſe Saite angeſchlagen, dann waren die Strei- tenden immer einig, dann verſicherten alle mit der gleichen Entrüſtung: „der Dieſſeite kann die Verzögerung auf keine Weiſe zur Laſt kommen.“
Dazwiſchen hinein ſpielte noch der Streit um die Bundesfeſtungen. Obgleich die Beſatzungsverhältniſſe von Mainz und Luxemburg längſt durch europäiſche Verträge beſtimmt waren, ſo erhob Wangenheim doch das Be- denken: der Bund habe an jenen Verträgen keinen Theil genommen und brauche mithin die beiden Bundesfeſtungen auch nicht zu übernehmen; mindeſtens müſſe die Ernennung des Gouverneurs in Friedenszeiten dem Landesherrn der Feſtungsſtadt überlaſſen werden, da ein „fremder Ober- befehl“ für einen deutſchen Souverän allzu läſtig ſei. So währte denn in Mainz und Luxemburg der bisherige proviſoriſche Zuſtand noch immer fort, und die Feſtungswerke verfielen zuſehends. Im Jahre 1822 wurde die Bodenaufnahme für die Bundesfeſtung Raſtatt vollendet, zwei Jahre darauf der vollſtändige Feſtungsplan an die Militärcommiſſion eingereicht; doch Alles blieb liegen, weil man noch immer nicht wußte, ob Raſtatt oder Ulm oder beide Feſtungen zugleich befeſtigt werden ſollten. Für Landau
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und ſeine Freunde alle Vorbedingungen militäriſcher Ordnung und Schlag-
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die Artikel 5 und 8, lauteten: kein Bundesſtaat, der ein eigenes Armee-
corps ſtelle, dürfe andere Truppen mit den ſeinigen verbinden, und ſelbſt
der Schein der Suprematie eines Bundesſtaates über den andern ſolle
vermieden werden. Damit war jede Möglichkeit verloren, die haltloſen
Contingente der kleinſten Staaten zu einigermaßen brauchbaren Heertheilen
auszubilden. Die Stärke des Bundesheeres, eins vom Hundert der Be-
völkerung, reichte gegenüber den Streitkräften Rußlands und Frankreichs
ſchlechterdings nicht aus und mußte im Verlaufe eines langen Krieges
völlig ungenügend werden, weil die Erſatztruppen nicht mehr als ⅙, im
äußerſten Falle ½ Procent der Bevölkerung betragen durften; das ganze
Syſtem beruhte auf der Erwartung, daß Preußen freiwillig dreimal mehr
als ſeine Bundesgenoſſen leiſten würde. Der im Kriegsfalle vom Bun-
destage — das will ſagen: durch die Mittelſtaaten — gewählte Bundes-
feldherr entbehrte jeder Selbſtändigkeit, da ihm Vertreter der verſchiedenen
Kriegsherren zur Wahrung der Intereſſen ihrer Contingente beigegeben
wurden; um ihn vollends zu lähmen, beantragten Württemberg und Baiern
ſogar, diesmal doch vergeblich, daß er ſeinen Kriegsplan vorher der Bun-
desverſammlung vorlegen müſſe. Dann ſtritt man, ob außer dem Feld-
herrn auch ſein Generalleutnant und ſein Generalquartiermeiſter dem
Bunde vereidigt werden ſollten. Wenn der Stoff des Gezänks auszu-
gehen drohte, ſo warf Wangenheim die beliebte Frage auf, ob im vor-
liegenden Falle Einſtimmigkeit oder einfache Mehrheit erforderlich ſei? —
oder die noch fruchtbarere: wer eigentlich an der Verſchleppung des Ge-
ſchäfts ſchuld ſei? Wurde dieſe Saite angeſchlagen, dann waren die Strei-
tenden immer einig, dann verſicherten alle mit der gleichen Entrüſtung:
„der Dieſſeite kann die Verzögerung auf keine Weiſe zur Laſt kommen.“
Dazwiſchen hinein ſpielte noch der Streit um die Bundesfeſtungen.
Obgleich die Beſatzungsverhältniſſe von Mainz und Luxemburg längſt durch
europäiſche Verträge beſtimmt waren, ſo erhob Wangenheim doch das Be-
denken: der Bund habe an jenen Verträgen keinen Theil genommen und
brauche mithin die beiden Bundesfeſtungen auch nicht zu übernehmen;
mindeſtens müſſe die Ernennung des Gouverneurs in Friedenszeiten dem
Landesherrn der Feſtungsſtadt überlaſſen werden, da ein „fremder Ober-
befehl“ für einen deutſchen Souverän allzu läſtig ſei. So währte denn
in Mainz und Luxemburg der bisherige proviſoriſche Zuſtand noch immer
fort, und die Feſtungswerke verfielen zuſehends. Im Jahre 1822 wurde
die Bodenaufnahme für die Bundesfeſtung Raſtatt vollendet, zwei Jahre
darauf der vollſtändige Feſtungsplan an die Militärcommiſſion eingereicht;
doch Alles blieb liegen, weil man noch immer nicht wußte, ob Raſtatt oder
Ulm oder beide Feſtungen zugleich befeſtigt werden ſollten. Für Landau
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/308>, abgerufen am 25.11.2024.
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