geflüstert hatte. Unter Anstett wirkten seine allbekannten geheimen Agenten Faber und Strinkewitsch; sie trieben es mit dem Horchen so arg, daß man nach Kapodistrias' Abgang doch für gerathen hielt sie aus der Bun- desstadt abzurufen. Minder bemerkbar, doch im Stillen sehr mächtig war der Einfluß des französischen Gesandten Reinhard, der auch mit den Unzufriedenen des linken Rheinufers wahrscheinlich noch geheime Ver- bindungen unterhielt. Als geborener Schwabe, als geistvoller Gelehrter, als gemäßigter Liberaler und natürlicher Gönner der troisieme Alle- magne stand er dem württembergischen Gesandten besonders nahe, und obwohl Wangenheim's ehrlicher Patriotismus allen Rheinbundsgedanken völlig unzugänglich blieb, so konnte es doch kaum fehlen, daß der unge- stüme, phantastische Deutsche zuweilen unbewußt von dem klugen Halb- franzosen gegängelt wurde. Wie ging ihm das Herz auf, als sein Freund Reinhard ein glänzendes Fest gab um Goethe's Genesung von schwerer Krankheit und zugleich die Geburt des württembergischen Kronprinzen zu feiern.*) --
Unter solchen Umständen konnten die Verhandlungen über das Bun- desheerwesen nur ein ekelhaftes Bild deutscher Zerrissenheit bieten, das den häßlichsten Erinnerungen des Regensburger Reichstags keineswegs nachstand. Am 9. April 1821 einigte sich der Bundestag endlich über die "Allgemeinen Grundrisse der Deutschen Kriegsverfassung" und am 11. Juli 1822 über die "Näheren Bestimmungen" dazu, so daß fast sechs Jahre nach der Eröffnung der Bundesversammlung die Grundlagen des Heerwesens auf dem Papiere fertig standen. Das Ergebniß war, da Oesterreich seinen Einfluß nicht gebrauchen wollte, eine gründliche Nieder- lage für Preußen, ein vollständiger Sieg der kleinen Königreiche. Das Bundesheer sollte etwa 300,000 Mann stark sein; davon stellte Oester- reich drei Armeecorps, 95,000 Mann. Preußen, das mit drei Vierteln seiner Bevölkerung dem Bunde angehörte, durfte nur ein Drittel seines Heeres, drei Corps mit 80,000 Mann, stellen; so blieb den Kleinen die Genugthuung, daß sie selber mehr Bundestruppen als jede der beiden Großmächte -- vier Corps mit reichlich 120,000 Mann -- in den Tabellen aufweisen konnten. Das siebente Corps war bairisch, das achte umfaßte die übrigen süddeutschen Staaten, das zehnte Hannover und die Kleinstaaten Niederdeutschlands; diese Truppenkörper mochte man auf der Landkarte zur Noth für eine Einheit halten. Damit aber der König von Sachsen sich ebenfalls den Besitz eines Corps-Generals gönnen konnte, wurde noch ein wundersames neuntes Armeecorps ausgeklügelt, das die Truppen von Sachsen, Thüringen, Nassau und Luxemburg umfassen sollte -- eine Kriegsmacht, welche sich natürlich niemals auch nur zu einem Manöver zusammenfand.
*) Wangenheim an Hartmann, 14. März 1823.
19*
Die Bundes-Kriegsverfaſſung.
geflüſtert hatte. Unter Anſtett wirkten ſeine allbekannten geheimen Agenten Faber und Strinkewitſch; ſie trieben es mit dem Horchen ſo arg, daß man nach Kapodiſtrias’ Abgang doch für gerathen hielt ſie aus der Bun- desſtadt abzurufen. Minder bemerkbar, doch im Stillen ſehr mächtig war der Einfluß des franzöſiſchen Geſandten Reinhard, der auch mit den Unzufriedenen des linken Rheinufers wahrſcheinlich noch geheime Ver- bindungen unterhielt. Als geborener Schwabe, als geiſtvoller Gelehrter, als gemäßigter Liberaler und natürlicher Gönner der troisième Alle- magne ſtand er dem württembergiſchen Geſandten beſonders nahe, und obwohl Wangenheim’s ehrlicher Patriotismus allen Rheinbundsgedanken völlig unzugänglich blieb, ſo konnte es doch kaum fehlen, daß der unge- ſtüme, phantaſtiſche Deutſche zuweilen unbewußt von dem klugen Halb- franzoſen gegängelt wurde. Wie ging ihm das Herz auf, als ſein Freund Reinhard ein glänzendes Feſt gab um Goethe’s Geneſung von ſchwerer Krankheit und zugleich die Geburt des württembergiſchen Kronprinzen zu feiern.*) —
Unter ſolchen Umſtänden konnten die Verhandlungen über das Bun- desheerweſen nur ein ekelhaftes Bild deutſcher Zerriſſenheit bieten, das den häßlichſten Erinnerungen des Regensburger Reichstags keineswegs nachſtand. Am 9. April 1821 einigte ſich der Bundestag endlich über die „Allgemeinen Grundriſſe der Deutſchen Kriegsverfaſſung“ und am 11. Juli 1822 über die „Näheren Beſtimmungen“ dazu, ſo daß faſt ſechs Jahre nach der Eröffnung der Bundesverſammlung die Grundlagen des Heerweſens auf dem Papiere fertig ſtanden. Das Ergebniß war, da Oeſterreich ſeinen Einfluß nicht gebrauchen wollte, eine gründliche Nieder- lage für Preußen, ein vollſtändiger Sieg der kleinen Königreiche. Das Bundesheer ſollte etwa 300,000 Mann ſtark ſein; davon ſtellte Oeſter- reich drei Armeecorps, 95,000 Mann. Preußen, das mit drei Vierteln ſeiner Bevölkerung dem Bunde angehörte, durfte nur ein Drittel ſeines Heeres, drei Corps mit 80,000 Mann, ſtellen; ſo blieb den Kleinen die Genugthuung, daß ſie ſelber mehr Bundestruppen als jede der beiden Großmächte — vier Corps mit reichlich 120,000 Mann — in den Tabellen aufweiſen konnten. Das ſiebente Corps war bairiſch, das achte umfaßte die übrigen ſüddeutſchen Staaten, das zehnte Hannover und die Kleinſtaaten Niederdeutſchlands; dieſe Truppenkörper mochte man auf der Landkarte zur Noth für eine Einheit halten. Damit aber der König von Sachſen ſich ebenfalls den Beſitz eines Corps-Generals gönnen konnte, wurde noch ein wunderſames neuntes Armeecorps ausgeklügelt, das die Truppen von Sachſen, Thüringen, Naſſau und Luxemburg umfaſſen ſollte — eine Kriegsmacht, welche ſich natürlich niemals auch nur zu einem Manöver zuſammenfand.
*) Wangenheim an Hartmann, 14. März 1823.
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Die Bundes-Kriegsverfaſſung.
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Faber und Strinkewitſch; ſie trieben es mit dem Horchen ſo arg, daß
man nach Kapodiſtrias’ Abgang doch für gerathen hielt ſie aus der Bun-
desſtadt abzurufen. Minder bemerkbar, doch im Stillen ſehr mächtig war
der Einfluß des franzöſiſchen Geſandten Reinhard, der auch mit den
Unzufriedenen des linken Rheinufers wahrſcheinlich noch geheime Ver-
bindungen unterhielt. Als geborener Schwabe, als geiſtvoller Gelehrter,
als gemäßigter Liberaler und natürlicher Gönner der troisième Alle-
magne ſtand er dem württembergiſchen Geſandten beſonders nahe, und
obwohl Wangenheim’s ehrlicher Patriotismus allen Rheinbundsgedanken
völlig unzugänglich blieb, ſo konnte es doch kaum fehlen, daß der unge-
ſtüme, phantaſtiſche Deutſche zuweilen unbewußt von dem klugen Halb-
franzoſen gegängelt wurde. Wie ging ihm das Herz auf, als ſein Freund
Reinhard ein glänzendes Feſt gab um Goethe’s Geneſung von ſchwerer
Krankheit und zugleich die Geburt des württembergiſchen Kronprinzen zu
feiern. *) —
Unter ſolchen Umſtänden konnten die Verhandlungen über das Bun-
desheerweſen nur ein ekelhaftes Bild deutſcher Zerriſſenheit bieten, das
den häßlichſten Erinnerungen des Regensburger Reichstags keineswegs
nachſtand. Am 9. April 1821 einigte ſich der Bundestag endlich über
die „Allgemeinen Grundriſſe der Deutſchen Kriegsverfaſſung“ und am
11. Juli 1822 über die „Näheren Beſtimmungen“ dazu, ſo daß faſt ſechs
Jahre nach der Eröffnung der Bundesverſammlung die Grundlagen des
Heerweſens auf dem Papiere fertig ſtanden. Das Ergebniß war, da
Oeſterreich ſeinen Einfluß nicht gebrauchen wollte, eine gründliche Nieder-
lage für Preußen, ein vollſtändiger Sieg der kleinen Königreiche. Das
Bundesheer ſollte etwa 300,000 Mann ſtark ſein; davon ſtellte Oeſter-
reich drei Armeecorps, 95,000 Mann. Preußen, das mit drei Vierteln
ſeiner Bevölkerung dem Bunde angehörte, durfte nur ein Drittel ſeines
Heeres, drei Corps mit 80,000 Mann, ſtellen; ſo blieb den Kleinen die
Genugthuung, daß ſie ſelber mehr Bundestruppen als jede der beiden
Großmächte — vier Corps mit reichlich 120,000 Mann — in den Tabellen
aufweiſen konnten. Das ſiebente Corps war bairiſch, das achte umfaßte
die übrigen ſüddeutſchen Staaten, das zehnte Hannover und die Kleinſtaaten
Niederdeutſchlands; dieſe Truppenkörper mochte man auf der Landkarte
zur Noth für eine Einheit halten. Damit aber der König von Sachſen
ſich ebenfalls den Beſitz eines Corps-Generals gönnen konnte, wurde noch
ein wunderſames neuntes Armeecorps ausgeklügelt, das die Truppen von
Sachſen, Thüringen, Naſſau und Luxemburg umfaſſen ſollte — eine
Kriegsmacht, welche ſich natürlich niemals auch nur zu einem Manöver
zuſammenfand.
*) Wangenheim an Hartmann, 14. März 1823.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/307>, abgerufen am 25.11.2024.
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