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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Streit wegen der kleinen Contingente.
verwendete Baiern in den Jahren 1816--30 nur 1 Mill. Gulden, für
Germersheim, das ebenfalls Bundesfestung werden sollte, gar nur 167,000
Gulden, also noch nicht einmal die Zinsen der ihm ausgezahlten fran-
zösischen Gelder. Die Preußen, die in diesem Hexensabbath partikularisti-
scher Nichtswürdigkeit allein noch an das Vaterland dachten, hatten ihres
Ekels kein Hehl, wie Blittersdorff selbst seinem Hofe gestehen mußte, und
Goltz schrieb verzweifelnd nach Berlin: er widerspreche nicht mehr, sonst
komme gar nichts zu Stande.*)

Als nun endlich die Grundzüge der Kriegsverfassung doch vereinbart
waren, begann sofort ein neuer Zwist. Da das Gesetz alle Truppen-
gattungen nach der Bevölkerungszahl gleichmäßig auf alle Souveräne ver-
theilte, so ergab sich bald, daß ein großer Theil der deutschen Fürsten
nicht im Stande war ein Reiterregiment oder eine Batterie zu stellen,
sondern sich mit Truppentheilen begnügen mußte, welche die höfliche Amts-
sprache des Bundestags mit den wohllautenden Namen "Cavallerie- oder
Artilleriekörper" bezeichnete. Der Cavalleriekörper des Fürsten von Liechten-
stein bestand aus acht Pferden. Solche Heersäulen schienen doch selbst den
Strategen des Bundestags bedenklich. Er gestattete daher den allerkleinsten
Staaten -- denn jeder Zwang gegen die Souveräne wurde grundsätzlich
vermieden -- durch freie Uebereinkunft mit den mächtigeren Genossen ihres
Armeecorps für die Stellung dieser Specialwaffen zu sorgen. Da erhob
jedoch der Herzog von Oldenburg geharnischten Widerspruch. In einer
langen Denkschrift führte er aus: für große Staaten sei die Erhaltung
einer starken Heeresmacht eine "Selbstbefriedigung", ein Mittel, ihr eigenes
politisches Ansehen zu sichern, für kleine nur eine passive Pflicht; auch
werde Niemand leugnen, daß ein kleines Contingent im Kriege "das Opfer
eines Augenblicks" werden könne, was sich von dem preußischen Heere nicht
behaupten lasse; da mithin das Vergnügen für die Kleinen geringer, die
Gefahr größer sei, so verlangte er als sein gutes Recht, daß ihm seine
Last erleichtert und die Stellung eines ungemischten Infanteriecorps ge-
stattet würde. Der Landgraf von Homburg war der entgegengesetzten
Ansicht. Er sollte 29 Reiter, 2 Pioniere, 3 reitende und 11 Fuß-Artille-
risten zum Bundesheere stellen und bestand darauf diese Truppenmacht
in unverfälschter Homburgischer Ursprünglichkeit zu liefern, weil eine Ver-
tretung durch einen fremden Souverän kostspieliger sein und überdies das
Homburgische Geld "in das Ausland" locken würde. Nassau dagegen be-
anspruchte das Vorrecht, nur Fußvolk und Artillerie zu stellen, und da
Metternich diesen Wunsch seines Freundes Marschall unter der Hand
unterstützte, so hielt sich Wangenheim verpflichtet, leidenschaftlich zu wider-
sprechen: wolle man etwa, so fragte er, die Bundesstaaten der anderen
Armeecorps, Nassau zu Liebe, nöthigen, das neunte Corps durch Reiterei

*) Berichte von Blittersdorff, 18. Nov., von Goltz 13. März 1821 u. s. w.

Streit wegen der kleinen Contingente.
verwendete Baiern in den Jahren 1816—30 nur 1 Mill. Gulden, für
Germersheim, das ebenfalls Bundesfeſtung werden ſollte, gar nur 167,000
Gulden, alſo noch nicht einmal die Zinſen der ihm ausgezahlten fran-
zöſiſchen Gelder. Die Preußen, die in dieſem Hexenſabbath partikulariſti-
ſcher Nichtswürdigkeit allein noch an das Vaterland dachten, hatten ihres
Ekels kein Hehl, wie Blittersdorff ſelbſt ſeinem Hofe geſtehen mußte, und
Goltz ſchrieb verzweifelnd nach Berlin: er widerſpreche nicht mehr, ſonſt
komme gar nichts zu Stande.*)

Als nun endlich die Grundzüge der Kriegsverfaſſung doch vereinbart
waren, begann ſofort ein neuer Zwiſt. Da das Geſetz alle Truppen-
gattungen nach der Bevölkerungszahl gleichmäßig auf alle Souveräne ver-
theilte, ſo ergab ſich bald, daß ein großer Theil der deutſchen Fürſten
nicht im Stande war ein Reiterregiment oder eine Batterie zu ſtellen,
ſondern ſich mit Truppentheilen begnügen mußte, welche die höfliche Amts-
ſprache des Bundestags mit den wohllautenden Namen „Cavallerie- oder
Artilleriekörper“ bezeichnete. Der Cavalleriekörper des Fürſten von Liechten-
ſtein beſtand aus acht Pferden. Solche Heerſäulen ſchienen doch ſelbſt den
Strategen des Bundestags bedenklich. Er geſtattete daher den allerkleinſten
Staaten — denn jeder Zwang gegen die Souveräne wurde grundſätzlich
vermieden — durch freie Uebereinkunft mit den mächtigeren Genoſſen ihres
Armeecorps für die Stellung dieſer Specialwaffen zu ſorgen. Da erhob
jedoch der Herzog von Oldenburg geharniſchten Widerſpruch. In einer
langen Denkſchrift führte er aus: für große Staaten ſei die Erhaltung
einer ſtarken Heeresmacht eine „Selbſtbefriedigung“, ein Mittel, ihr eigenes
politiſches Anſehen zu ſichern, für kleine nur eine paſſive Pflicht; auch
werde Niemand leugnen, daß ein kleines Contingent im Kriege „das Opfer
eines Augenblicks“ werden könne, was ſich von dem preußiſchen Heere nicht
behaupten laſſe; da mithin das Vergnügen für die Kleinen geringer, die
Gefahr größer ſei, ſo verlangte er als ſein gutes Recht, daß ihm ſeine
Laſt erleichtert und die Stellung eines ungemiſchten Infanteriecorps ge-
ſtattet würde. Der Landgraf von Homburg war der entgegengeſetzten
Anſicht. Er ſollte 29 Reiter, 2 Pioniere, 3 reitende und 11 Fuß-Artille-
riſten zum Bundesheere ſtellen und beſtand darauf dieſe Truppenmacht
in unverfälſchter Homburgiſcher Urſprünglichkeit zu liefern, weil eine Ver-
tretung durch einen fremden Souverän koſtſpieliger ſein und überdies das
Homburgiſche Geld „in das Ausland“ locken würde. Naſſau dagegen be-
anſpruchte das Vorrecht, nur Fußvolk und Artillerie zu ſtellen, und da
Metternich dieſen Wunſch ſeines Freundes Marſchall unter der Hand
unterſtützte, ſo hielt ſich Wangenheim verpflichtet, leidenſchaftlich zu wider-
ſprechen: wolle man etwa, ſo fragte er, die Bundesſtaaten der anderen
Armeecorps, Naſſau zu Liebe, nöthigen, das neunte Corps durch Reiterei

*) Berichte von Blittersdorff, 18. Nov., von Goltz 13. März 1821 u. ſ. w.
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[293/0309] Streit wegen der kleinen Contingente. verwendete Baiern in den Jahren 1816—30 nur 1 Mill. Gulden, für Germersheim, das ebenfalls Bundesfeſtung werden ſollte, gar nur 167,000 Gulden, alſo noch nicht einmal die Zinſen der ihm ausgezahlten fran- zöſiſchen Gelder. Die Preußen, die in dieſem Hexenſabbath partikulariſti- ſcher Nichtswürdigkeit allein noch an das Vaterland dachten, hatten ihres Ekels kein Hehl, wie Blittersdorff ſelbſt ſeinem Hofe geſtehen mußte, und Goltz ſchrieb verzweifelnd nach Berlin: er widerſpreche nicht mehr, ſonſt komme gar nichts zu Stande. *) Als nun endlich die Grundzüge der Kriegsverfaſſung doch vereinbart waren, begann ſofort ein neuer Zwiſt. Da das Geſetz alle Truppen- gattungen nach der Bevölkerungszahl gleichmäßig auf alle Souveräne ver- theilte, ſo ergab ſich bald, daß ein großer Theil der deutſchen Fürſten nicht im Stande war ein Reiterregiment oder eine Batterie zu ſtellen, ſondern ſich mit Truppentheilen begnügen mußte, welche die höfliche Amts- ſprache des Bundestags mit den wohllautenden Namen „Cavallerie- oder Artilleriekörper“ bezeichnete. Der Cavalleriekörper des Fürſten von Liechten- ſtein beſtand aus acht Pferden. Solche Heerſäulen ſchienen doch ſelbſt den Strategen des Bundestags bedenklich. Er geſtattete daher den allerkleinſten Staaten — denn jeder Zwang gegen die Souveräne wurde grundſätzlich vermieden — durch freie Uebereinkunft mit den mächtigeren Genoſſen ihres Armeecorps für die Stellung dieſer Specialwaffen zu ſorgen. Da erhob jedoch der Herzog von Oldenburg geharniſchten Widerſpruch. In einer langen Denkſchrift führte er aus: für große Staaten ſei die Erhaltung einer ſtarken Heeresmacht eine „Selbſtbefriedigung“, ein Mittel, ihr eigenes politiſches Anſehen zu ſichern, für kleine nur eine paſſive Pflicht; auch werde Niemand leugnen, daß ein kleines Contingent im Kriege „das Opfer eines Augenblicks“ werden könne, was ſich von dem preußiſchen Heere nicht behaupten laſſe; da mithin das Vergnügen für die Kleinen geringer, die Gefahr größer ſei, ſo verlangte er als ſein gutes Recht, daß ihm ſeine Laſt erleichtert und die Stellung eines ungemiſchten Infanteriecorps ge- ſtattet würde. Der Landgraf von Homburg war der entgegengeſetzten Anſicht. Er ſollte 29 Reiter, 2 Pioniere, 3 reitende und 11 Fuß-Artille- riſten zum Bundesheere ſtellen und beſtand darauf dieſe Truppenmacht in unverfälſchter Homburgiſcher Urſprünglichkeit zu liefern, weil eine Ver- tretung durch einen fremden Souverän koſtſpieliger ſein und überdies das Homburgiſche Geld „in das Ausland“ locken würde. Naſſau dagegen be- anſpruchte das Vorrecht, nur Fußvolk und Artillerie zu ſtellen, und da Metternich dieſen Wunſch ſeines Freundes Marſchall unter der Hand unterſtützte, ſo hielt ſich Wangenheim verpflichtet, leidenſchaftlich zu wider- ſprechen: wolle man etwa, ſo fragte er, die Bundesſtaaten der anderen Armeecorps, Naſſau zu Liebe, nöthigen, das neunte Corps durch Reiterei *) Berichte von Blittersdorff, 18. Nov., von Goltz 13. März 1821 u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/309>, abgerufen am 25.11.2024.