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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Drohungen der Ostmächte in Madrid.
schen Cabinet, und wenn diese unbeachtet blieben Abberufung der Gesandten.
Die beiden anderen Ostmächte nahmen den Vorschlag an, Wellington aber
erhob am 1. Nov. förmlichen Einspruch und hielt sich fortan den Be-
rathungen über Spanien absichtlich fern. Noch immer gaben Metternich
und Bernstorff ihre friedlichen Hoffnungen nicht auf; sie wähnten, die
diplomatische Verwendung in Madrid würde "die Gutgesinnten" in Spa-
nien ermuthigen.*) Unfähig die Macht der nationalen Leidenschaften zu
verstehen, ahnten sie nicht, wie eine so ganz unberechtigte Drohung auf
den Stolz dieses Volkes, das einem Napoleon getrotzt hatte, wirken würde.

Schritt für Schritt wurden sie nunmehr durch den Czaren abwärts,
dem Kriege zu gedrängt. Am 18. Nov. verpflichteten sich die Mächte durch
ein förmliches Protokoll, dem französischen Hofe in drei Fällen den ver-
heißenen Beistand zu leisten: wenn Spanien einen bewaffneten Angriff
auf Frankreich oder einen Versuch revolutionärer Propaganda wage, wenn
König Ferdinand abgesetzt oder sein und der Seinigen Leben bedroht,
endlich wenn die legitime Thronfolge in Spanien geändert würde. Auch
noch in anderen Fällen sollte die Hilfe eintreten, sobald die drei Mächte
durch ihre Gesandten in Paris darüber einig würden. Dieser Zusatz
klang freilich schärfer als er gemeint war; die deutschen Mächte hatten
ihn wieder nur ungern, auf Alexanders Verlangen, angenommen und
wieder nicht bedacht, wie stark der Thatendrang der Kriegspartei in den
Tuilerien durch diese unbestimmten Verheißungen erregt werden mußte.**)
Inzwischen wurden auch die nach Madrid abzusendenden Depeschen, aber-
mals unter beständigem Drängen des Czaren, vereinbart. Die preußische
(vom 22. Nov.) lautete besonders schroff, da der König den Eidbruch des
spanischen Heeres tief verabscheute; sie entwarf ein furchtbares Bild von
der spanischen Revolution und fragte sodann, ob die Madrider Regierung
so offenbaren Uebeln steuern wolle und könne, ob sie namentlich dem
König Ferdinand seine Freiheit zurückzugeben denke.***) Trotz ihrer Schärfe
sagten die drei Depeschen der Ostmächte doch nirgends mit Bestimmtheit,
was man eigentlich von dem Madrider Cabinet verlangte. Sie waren offen-
bar darauf berechnet, die sofortige Abberufung der drei Gesandten vorzu-
bereiten und konnten von der Cortesregierung nur mit einer stolzen Ab-
weisung beantwortet werden; denn mit der nämlichen Forderung "Befreiung
des Königs" hatte Oesterreich einst von Troppau aus den Feldzug gegen
Neapel eingeleitet.

Mit diesen Nachrichten ging Montmorency am 21. Nov. nach Paris
um die Genehmigung seines Königs zu erlangen, und hierauf übernahm
der Eitelste der Eiteln, Chateaubriand die Führung der französischen Ge-

*) So äußerte sich Ancillon noch in einem Ministerialschreiben vom 10. Dec. 1822.
**) Bernstorff's Bericht an den König, 22. Nov. 1822.
***) Bernstorff's Bericht, 17. Nov. Weisung an den Geschäftsträger v. Schepeler in
Madrid, 22. Nov. 1822.
18*

Drohungen der Oſtmächte in Madrid.
ſchen Cabinet, und wenn dieſe unbeachtet blieben Abberufung der Geſandten.
Die beiden anderen Oſtmächte nahmen den Vorſchlag an, Wellington aber
erhob am 1. Nov. förmlichen Einſpruch und hielt ſich fortan den Be-
rathungen über Spanien abſichtlich fern. Noch immer gaben Metternich
und Bernſtorff ihre friedlichen Hoffnungen nicht auf; ſie wähnten, die
diplomatiſche Verwendung in Madrid würde „die Gutgeſinnten“ in Spa-
nien ermuthigen.*) Unfähig die Macht der nationalen Leidenſchaften zu
verſtehen, ahnten ſie nicht, wie eine ſo ganz unberechtigte Drohung auf
den Stolz dieſes Volkes, das einem Napoleon getrotzt hatte, wirken würde.

Schritt für Schritt wurden ſie nunmehr durch den Czaren abwärts,
dem Kriege zu gedrängt. Am 18. Nov. verpflichteten ſich die Mächte durch
ein förmliches Protokoll, dem franzöſiſchen Hofe in drei Fällen den ver-
heißenen Beiſtand zu leiſten: wenn Spanien einen bewaffneten Angriff
auf Frankreich oder einen Verſuch revolutionärer Propaganda wage, wenn
König Ferdinand abgeſetzt oder ſein und der Seinigen Leben bedroht,
endlich wenn die legitime Thronfolge in Spanien geändert würde. Auch
noch in anderen Fällen ſollte die Hilfe eintreten, ſobald die drei Mächte
durch ihre Geſandten in Paris darüber einig würden. Dieſer Zuſatz
klang freilich ſchärfer als er gemeint war; die deutſchen Mächte hatten
ihn wieder nur ungern, auf Alexanders Verlangen, angenommen und
wieder nicht bedacht, wie ſtark der Thatendrang der Kriegspartei in den
Tuilerien durch dieſe unbeſtimmten Verheißungen erregt werden mußte.**)
Inzwiſchen wurden auch die nach Madrid abzuſendenden Depeſchen, aber-
mals unter beſtändigem Drängen des Czaren, vereinbart. Die preußiſche
(vom 22. Nov.) lautete beſonders ſchroff, da der König den Eidbruch des
ſpaniſchen Heeres tief verabſcheute; ſie entwarf ein furchtbares Bild von
der ſpaniſchen Revolution und fragte ſodann, ob die Madrider Regierung
ſo offenbaren Uebeln ſteuern wolle und könne, ob ſie namentlich dem
König Ferdinand ſeine Freiheit zurückzugeben denke.***) Trotz ihrer Schärfe
ſagten die drei Depeſchen der Oſtmächte doch nirgends mit Beſtimmtheit,
was man eigentlich von dem Madrider Cabinet verlangte. Sie waren offen-
bar darauf berechnet, die ſofortige Abberufung der drei Geſandten vorzu-
bereiten und konnten von der Cortesregierung nur mit einer ſtolzen Ab-
weiſung beantwortet werden; denn mit der nämlichen Forderung „Befreiung
des Königs“ hatte Oeſterreich einſt von Troppau aus den Feldzug gegen
Neapel eingeleitet.

Mit dieſen Nachrichten ging Montmorency am 21. Nov. nach Paris
um die Genehmigung ſeines Königs zu erlangen, und hierauf übernahm
der Eitelſte der Eiteln, Chateaubriand die Führung der franzöſiſchen Ge-

*) So äußerte ſich Ancillon noch in einem Miniſterialſchreiben vom 10. Dec. 1822.
**) Bernſtorff’s Bericht an den König, 22. Nov. 1822.
***) Bernſtorff’s Bericht, 17. Nov. Weiſung an den Geſchäftsträger v. Schepeler in
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[275/0291] Drohungen der Oſtmächte in Madrid. ſchen Cabinet, und wenn dieſe unbeachtet blieben Abberufung der Geſandten. Die beiden anderen Oſtmächte nahmen den Vorſchlag an, Wellington aber erhob am 1. Nov. förmlichen Einſpruch und hielt ſich fortan den Be- rathungen über Spanien abſichtlich fern. Noch immer gaben Metternich und Bernſtorff ihre friedlichen Hoffnungen nicht auf; ſie wähnten, die diplomatiſche Verwendung in Madrid würde „die Gutgeſinnten“ in Spa- nien ermuthigen. *) Unfähig die Macht der nationalen Leidenſchaften zu verſtehen, ahnten ſie nicht, wie eine ſo ganz unberechtigte Drohung auf den Stolz dieſes Volkes, das einem Napoleon getrotzt hatte, wirken würde. Schritt für Schritt wurden ſie nunmehr durch den Czaren abwärts, dem Kriege zu gedrängt. Am 18. Nov. verpflichteten ſich die Mächte durch ein förmliches Protokoll, dem franzöſiſchen Hofe in drei Fällen den ver- heißenen Beiſtand zu leiſten: wenn Spanien einen bewaffneten Angriff auf Frankreich oder einen Verſuch revolutionärer Propaganda wage, wenn König Ferdinand abgeſetzt oder ſein und der Seinigen Leben bedroht, endlich wenn die legitime Thronfolge in Spanien geändert würde. Auch noch in anderen Fällen ſollte die Hilfe eintreten, ſobald die drei Mächte durch ihre Geſandten in Paris darüber einig würden. Dieſer Zuſatz klang freilich ſchärfer als er gemeint war; die deutſchen Mächte hatten ihn wieder nur ungern, auf Alexanders Verlangen, angenommen und wieder nicht bedacht, wie ſtark der Thatendrang der Kriegspartei in den Tuilerien durch dieſe unbeſtimmten Verheißungen erregt werden mußte. **) Inzwiſchen wurden auch die nach Madrid abzuſendenden Depeſchen, aber- mals unter beſtändigem Drängen des Czaren, vereinbart. Die preußiſche (vom 22. Nov.) lautete beſonders ſchroff, da der König den Eidbruch des ſpaniſchen Heeres tief verabſcheute; ſie entwarf ein furchtbares Bild von der ſpaniſchen Revolution und fragte ſodann, ob die Madrider Regierung ſo offenbaren Uebeln ſteuern wolle und könne, ob ſie namentlich dem König Ferdinand ſeine Freiheit zurückzugeben denke. ***) Trotz ihrer Schärfe ſagten die drei Depeſchen der Oſtmächte doch nirgends mit Beſtimmtheit, was man eigentlich von dem Madrider Cabinet verlangte. Sie waren offen- bar darauf berechnet, die ſofortige Abberufung der drei Geſandten vorzu- bereiten und konnten von der Cortesregierung nur mit einer ſtolzen Ab- weiſung beantwortet werden; denn mit der nämlichen Forderung „Befreiung des Königs“ hatte Oeſterreich einſt von Troppau aus den Feldzug gegen Neapel eingeleitet. Mit dieſen Nachrichten ging Montmorency am 21. Nov. nach Paris um die Genehmigung ſeines Königs zu erlangen, und hierauf übernahm der Eitelſte der Eiteln, Chateaubriand die Führung der franzöſiſchen Ge- *) So äußerte ſich Ancillon noch in einem Miniſterialſchreiben vom 10. Dec. 1822. **) Bernſtorff’s Bericht an den König, 22. Nov. 1822. ***) Bernſtorff’s Bericht, 17. Nov. Weiſung an den Geſchäftsträger v. Schepeler in Madrid, 22. Nov. 1822. 18*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/291>, abgerufen am 22.11.2024.