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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
sandtschaft. Die Mächte trauten dem schöngeistigen Diplomaten nicht;
er hatte sich in den räthselhaften Wandlungen seines vielgeschäftigen po-
litischen Lebens bald als Ultra, bald als Freund der Charte gebärdet
und vor Kurzem erst als Gesandter in Berlin, bis auf ein paar Unter-
haltungen mit der galanten Herzogin von Cumberland, schlechterdings
nichts geleistet. Wie strahlte der verwachsene kleine Mann in befriedigtem
Selbstgefühl, da er jetzt als erster Bevollmächtigter Frankreichs in den
engeren Rath Europas eintrat. Zur allgemeinen Ueberraschung zeigte er
sich noch kriegslustiger als Montmorency selber. Er schwärmte für die
Befreiung des bourbonischen Stammesvettern, er bekannte dankbar, welche
treffliche Schule er hier, unter den Bannerträgern der Legitimität, durch-
gemacht habe, und scheute sich nicht seinen Hof kurzweg zu belügen, in-
dem er ihm die kriegerischen Absichten der drei Ostmächte versicherte. So
trieb man denn steuerlos hinein in einen Kampf, welchen mindestens Oester-
reich und Preußen nie gewollt hatten, und traurig bekannte Bernstorff
seinem Ancillon: die Ergebnisse dieses Congresses sind nicht nach unseren
Wünschen. Hatte Czar Alexander in Troppau, in Laibach, in den griechi-
schen Händeln überall zuletzt der Ueberredungskunst Metternich's nachge-
geben, hier in Verona blieb er der Sieger. Er erreichte zwar nicht eine
feierliche Kriegserklärung der Allianz gegen die spanische Revolution; doch
er bewirkte, daß ein Krieg Frankreichs gegen Spanien sich vorbereitete,
der, wie man noch allgemein annahm, auch die anderen Mächte in seine
Wirbel hineinzureißen drohte.

Und wie theuer mußte dieser Erfolg Rußlands bezahlt werden! Am
19. und 20. Nov. erklärte Wellington in zwei Denkschriften, daß England
an den letzten Schritten der Mächte sich nicht betheiligen könne und über-
haupt nur dann in die inneren Zustände anderer Staaten sich einmische,
wenn seine eigenen Interessen bedroht seien. Das war Canning's Ab-
sage an die große Allianz. Am 24. Nov. zog Wellington schon das scharfe
Schwert, das England bereit hielt, halb aus der Scheide, indem er die
Unabhängigkeit Südamerikas zur Sprache brachte. Mit drängendem Eifer
hatte ihm sein Minister geschrieben: die amerikanischen Fragen sind jetzt
für uns weit wichtiger als die europäischen; "wenn wir sie nicht ergreifen
und zu unserem Vortheil wenden, so laufen wir Gefahr eine Gelegenheit
zu verlieren, welche niemals, niemals wieder gewonnen werden kann."
Von der Freiheit der neuen Welt, von dem Erwachen werdender Völker
verlautete in diesen nüchternen handelspolitischen Erörterungen keine Silbe;
die großen Worte behielt sich Canning für seine Parlamentsreden vor.
In der That befand sich die britische Flagge in den amerikanischen Meeren
in peinlicher Bedrängniß; sie konnte sich der Seeräuber kaum erwehren,
so lange sie nicht auf den Schutz der neuen Staatsgewalten in den
Küstenstaaten rechnen durfte. Schon im vergangenen März hatte Präsi-
dent Monroe im Namen der nordamerikanischen Union mehrere der neuen

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
ſandtſchaft. Die Mächte trauten dem ſchöngeiſtigen Diplomaten nicht;
er hatte ſich in den räthſelhaften Wandlungen ſeines vielgeſchäftigen po-
litiſchen Lebens bald als Ultra, bald als Freund der Charte gebärdet
und vor Kurzem erſt als Geſandter in Berlin, bis auf ein paar Unter-
haltungen mit der galanten Herzogin von Cumberland, ſchlechterdings
nichts geleiſtet. Wie ſtrahlte der verwachſene kleine Mann in befriedigtem
Selbſtgefühl, da er jetzt als erſter Bevollmächtigter Frankreichs in den
engeren Rath Europas eintrat. Zur allgemeinen Ueberraſchung zeigte er
ſich noch kriegsluſtiger als Montmorency ſelber. Er ſchwärmte für die
Befreiung des bourboniſchen Stammesvettern, er bekannte dankbar, welche
treffliche Schule er hier, unter den Bannerträgern der Legitimität, durch-
gemacht habe, und ſcheute ſich nicht ſeinen Hof kurzweg zu belügen, in-
dem er ihm die kriegeriſchen Abſichten der drei Oſtmächte verſicherte. So
trieb man denn ſteuerlos hinein in einen Kampf, welchen mindeſtens Oeſter-
reich und Preußen nie gewollt hatten, und traurig bekannte Bernſtorff
ſeinem Ancillon: die Ergebniſſe dieſes Congreſſes ſind nicht nach unſeren
Wünſchen. Hatte Czar Alexander in Troppau, in Laibach, in den griechi-
ſchen Händeln überall zuletzt der Ueberredungskunſt Metternich’s nachge-
geben, hier in Verona blieb er der Sieger. Er erreichte zwar nicht eine
feierliche Kriegserklärung der Allianz gegen die ſpaniſche Revolution; doch
er bewirkte, daß ein Krieg Frankreichs gegen Spanien ſich vorbereitete,
der, wie man noch allgemein annahm, auch die anderen Mächte in ſeine
Wirbel hineinzureißen drohte.

Und wie theuer mußte dieſer Erfolg Rußlands bezahlt werden! Am
19. und 20. Nov. erklärte Wellington in zwei Denkſchriften, daß England
an den letzten Schritten der Mächte ſich nicht betheiligen könne und über-
haupt nur dann in die inneren Zuſtände anderer Staaten ſich einmiſche,
wenn ſeine eigenen Intereſſen bedroht ſeien. Das war Canning’s Ab-
ſage an die große Allianz. Am 24. Nov. zog Wellington ſchon das ſcharfe
Schwert, das England bereit hielt, halb aus der Scheide, indem er die
Unabhängigkeit Südamerikas zur Sprache brachte. Mit drängendem Eifer
hatte ihm ſein Miniſter geſchrieben: die amerikaniſchen Fragen ſind jetzt
für uns weit wichtiger als die europäiſchen; „wenn wir ſie nicht ergreifen
und zu unſerem Vortheil wenden, ſo laufen wir Gefahr eine Gelegenheit
zu verlieren, welche niemals, niemals wieder gewonnen werden kann.“
Von der Freiheit der neuen Welt, von dem Erwachen werdender Völker
verlautete in dieſen nüchternen handelspolitiſchen Erörterungen keine Silbe;
die großen Worte behielt ſich Canning für ſeine Parlamentsreden vor.
In der That befand ſich die britiſche Flagge in den amerikaniſchen Meeren
in peinlicher Bedrängniß; ſie konnte ſich der Seeräuber kaum erwehren,
ſo lange ſie nicht auf den Schutz der neuen Staatsgewalten in den
Küſtenſtaaten rechnen durfte. Schon im vergangenen März hatte Präſi-
dent Monroe im Namen der nordamerikaniſchen Union mehrere der neuen

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[276/0292] III. 5. Die Großmächte und die Trias. ſandtſchaft. Die Mächte trauten dem ſchöngeiſtigen Diplomaten nicht; er hatte ſich in den räthſelhaften Wandlungen ſeines vielgeſchäftigen po- litiſchen Lebens bald als Ultra, bald als Freund der Charte gebärdet und vor Kurzem erſt als Geſandter in Berlin, bis auf ein paar Unter- haltungen mit der galanten Herzogin von Cumberland, ſchlechterdings nichts geleiſtet. Wie ſtrahlte der verwachſene kleine Mann in befriedigtem Selbſtgefühl, da er jetzt als erſter Bevollmächtigter Frankreichs in den engeren Rath Europas eintrat. Zur allgemeinen Ueberraſchung zeigte er ſich noch kriegsluſtiger als Montmorency ſelber. Er ſchwärmte für die Befreiung des bourboniſchen Stammesvettern, er bekannte dankbar, welche treffliche Schule er hier, unter den Bannerträgern der Legitimität, durch- gemacht habe, und ſcheute ſich nicht ſeinen Hof kurzweg zu belügen, in- dem er ihm die kriegeriſchen Abſichten der drei Oſtmächte verſicherte. So trieb man denn ſteuerlos hinein in einen Kampf, welchen mindeſtens Oeſter- reich und Preußen nie gewollt hatten, und traurig bekannte Bernſtorff ſeinem Ancillon: die Ergebniſſe dieſes Congreſſes ſind nicht nach unſeren Wünſchen. Hatte Czar Alexander in Troppau, in Laibach, in den griechi- ſchen Händeln überall zuletzt der Ueberredungskunſt Metternich’s nachge- geben, hier in Verona blieb er der Sieger. Er erreichte zwar nicht eine feierliche Kriegserklärung der Allianz gegen die ſpaniſche Revolution; doch er bewirkte, daß ein Krieg Frankreichs gegen Spanien ſich vorbereitete, der, wie man noch allgemein annahm, auch die anderen Mächte in ſeine Wirbel hineinzureißen drohte. Und wie theuer mußte dieſer Erfolg Rußlands bezahlt werden! Am 19. und 20. Nov. erklärte Wellington in zwei Denkſchriften, daß England an den letzten Schritten der Mächte ſich nicht betheiligen könne und über- haupt nur dann in die inneren Zuſtände anderer Staaten ſich einmiſche, wenn ſeine eigenen Intereſſen bedroht ſeien. Das war Canning’s Ab- ſage an die große Allianz. Am 24. Nov. zog Wellington ſchon das ſcharfe Schwert, das England bereit hielt, halb aus der Scheide, indem er die Unabhängigkeit Südamerikas zur Sprache brachte. Mit drängendem Eifer hatte ihm ſein Miniſter geſchrieben: die amerikaniſchen Fragen ſind jetzt für uns weit wichtiger als die europäiſchen; „wenn wir ſie nicht ergreifen und zu unſerem Vortheil wenden, ſo laufen wir Gefahr eine Gelegenheit zu verlieren, welche niemals, niemals wieder gewonnen werden kann.“ Von der Freiheit der neuen Welt, von dem Erwachen werdender Völker verlautete in dieſen nüchternen handelspolitiſchen Erörterungen keine Silbe; die großen Worte behielt ſich Canning für ſeine Parlamentsreden vor. In der That befand ſich die britiſche Flagge in den amerikaniſchen Meeren in peinlicher Bedrängniß; ſie konnte ſich der Seeräuber kaum erwehren, ſo lange ſie nicht auf den Schutz der neuen Staatsgewalten in den Küſtenſtaaten rechnen durfte. Schon im vergangenen März hatte Präſi- dent Monroe im Namen der nordamerikaniſchen Union mehrere der neuen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/292>, abgerufen am 22.11.2024.