Dauer des hiesigen Vereins eine heilsame Scheu einzuflößen hoffte."*) So wunderliche Blasen stiegen aus dem Sumpfe der deutschen Bundes- politik empor. Nicht nationale Gesinnung beseelte den Staatsmann, der so nachdrücklich die Nothwendigkeit einer starken Centralgewalt vertheidigte, sondern die Furcht vor der Revolution und die naive Selbstüberhebung des Partikularismus; er verwechselte, wie Bernstorff ihm vorwarf, be- ständig "die besonderen Verhältnisse Badens mit den höheren und allge- meineren der Gesammtheit". Der Ausgang der Wiener Verhandlungen erfüllte diese reaktionären Centralisten mit tiefem Unwillen. "Oesterreich, schrieb Blittersdorff zornig, sicherte durch seine Halbheit den neuen Ideen den Sieg; in dieser Beziehung kann die Wiener Schlußakte als die nach- theiligste Friedensurkunde betrachtet werden, die von Oesterreich seit langen Jahren unterzeichnet worden ist."**)
Noch leidenschaftlicher gebärdete sich Berstett's Freund, der Nassauer Marschall. Der hatte erwartet, daß in Wien sofort der Vernichtungs- krieg gegen die neuen Verfassungen entbrennen würde, und schon vor Eröffnung der Conferenzen eine Denkschrift entworfen, welche in glühenden Farben "das Gemeinschädliche und Rechtswidrige" des württembergischen Grundgesetzes schilderte. Weil diese Verfassung die Form eines Vertrages trug, so wurde sie, trotz ihres wahrlich sehr bescheidenen Inhalts, von den Doktrinären beider Parteien für das Meisterstück des Liberalismus angesehen. Der Nassauer meinte die Sturmglocken des Aufruhrs läuten zu hören, als die Stuttgarter Bürger in einer Adresse sagten: "das gebildete Europa von den Ufern des Tajo bis an den Niemen ist über den Grundsatz einig, daß ohne einen Unterwerfungsvertrag Regent und Volk nicht gedacht werden könne." Er betheuerte, schon durch ihren Ur- sprung sei diese Verfassung "eine Huldigung, dem in Deutschland gäh- renden demokratischen Princip dargebracht; an ihre öffentliche Mißbilli- gung knüpfe sich die Erhaltung und Befestigung der inneren Ruhe von Deutschland." Die ängstlich beschränkte Gemeindefreiheit der Schwaben erschien dem Oberhaupte der allmächtigen nassauischen Bureaukratie als ein Versuch "den Staat von unten auf zu republikanisiren"; und da er selber mit seinem Landtage wegen der Domänen haderte, so fand er es empörend, daß König Wilhelm, nach dem Vorgange seines Vaters, dem Staate das Eigenthumsrecht an den königlichen Kammergütern zu- gestanden hatte, und rief entrüstet: "ein deutscher Fürst hat sein Fa- miliengut für Volksgut erklärt!"***) Bald mußte er lernen, wie un- günstig die Wiener Luft jetzt solchen Plänen war. Als er sodann das vertrauliche Einvernehmen zwischen Bernstorff und Zentner bemerkte, da
*) Bernstorff's Bericht, 9. April; Bernstorff an Ancillon, 9. April 1820.
**) Blittersdorff, Bemerkungen über die gegenwärtige politische Krisis, 5. Nov. 1820.
***) Marschall, Bemerkungen über die württembergische Verfassung, Wien, 17. Nov. 1819, veröffentlicht von Aegidi in seiner Zeitschrift für deutsches Staatsrecht I. 149.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Dauer des hieſigen Vereins eine heilſame Scheu einzuflößen hoffte.“*) So wunderliche Blaſen ſtiegen aus dem Sumpfe der deutſchen Bundes- politik empor. Nicht nationale Geſinnung beſeelte den Staatsmann, der ſo nachdrücklich die Nothwendigkeit einer ſtarken Centralgewalt vertheidigte, ſondern die Furcht vor der Revolution und die naive Selbſtüberhebung des Partikularismus; er verwechſelte, wie Bernſtorff ihm vorwarf, be- ſtändig „die beſonderen Verhältniſſe Badens mit den höheren und allge- meineren der Geſammtheit“. Der Ausgang der Wiener Verhandlungen erfüllte dieſe reaktionären Centraliſten mit tiefem Unwillen. „Oeſterreich, ſchrieb Blittersdorff zornig, ſicherte durch ſeine Halbheit den neuen Ideen den Sieg; in dieſer Beziehung kann die Wiener Schlußakte als die nach- theiligſte Friedensurkunde betrachtet werden, die von Oeſterreich ſeit langen Jahren unterzeichnet worden iſt.“**)
Noch leidenſchaftlicher gebärdete ſich Berſtett’s Freund, der Naſſauer Marſchall. Der hatte erwartet, daß in Wien ſofort der Vernichtungs- krieg gegen die neuen Verfaſſungen entbrennen würde, und ſchon vor Eröffnung der Conferenzen eine Denkſchrift entworfen, welche in glühenden Farben „das Gemeinſchädliche und Rechtswidrige“ des württembergiſchen Grundgeſetzes ſchilderte. Weil dieſe Verfaſſung die Form eines Vertrages trug, ſo wurde ſie, trotz ihres wahrlich ſehr beſcheidenen Inhalts, von den Doktrinären beider Parteien für das Meiſterſtück des Liberalismus angeſehen. Der Naſſauer meinte die Sturmglocken des Aufruhrs läuten zu hören, als die Stuttgarter Bürger in einer Adreſſe ſagten: „das gebildete Europa von den Ufern des Tajo bis an den Niemen iſt über den Grundſatz einig, daß ohne einen Unterwerfungsvertrag Regent und Volk nicht gedacht werden könne.“ Er betheuerte, ſchon durch ihren Ur- ſprung ſei dieſe Verfaſſung „eine Huldigung, dem in Deutſchland gäh- renden demokratiſchen Princip dargebracht; an ihre öffentliche Mißbilli- gung knüpfe ſich die Erhaltung und Befeſtigung der inneren Ruhe von Deutſchland.“ Die ängſtlich beſchränkte Gemeindefreiheit der Schwaben erſchien dem Oberhaupte der allmächtigen naſſauiſchen Bureaukratie als ein Verſuch „den Staat von unten auf zu republikaniſiren“; und da er ſelber mit ſeinem Landtage wegen der Domänen haderte, ſo fand er es empörend, daß König Wilhelm, nach dem Vorgange ſeines Vaters, dem Staate das Eigenthumsrecht an den königlichen Kammergütern zu- geſtanden hatte, und rief entrüſtet: „ein deutſcher Fürſt hat ſein Fa- miliengut für Volksgut erklärt!“***) Bald mußte er lernen, wie un- günſtig die Wiener Luft jetzt ſolchen Plänen war. Als er ſodann das vertrauliche Einvernehmen zwiſchen Bernſtorff und Zentner bemerkte, da
*) Bernſtorff’s Bericht, 9. April; Bernſtorff an Ancillon, 9. April 1820.
**) Blittersdorff, Bemerkungen über die gegenwärtige politiſche Kriſis, 5. Nov. 1820.
***) Marſchall, Bemerkungen über die württembergiſche Verfaſſung, Wien, 17. Nov. 1819, veröffentlicht von Aegidi in ſeiner Zeitſchrift für deutſches Staatsrecht I. 149.
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politik empor. Nicht nationale Geſinnung beſeelte den Staatsmann, der
ſo nachdrücklich die Nothwendigkeit einer ſtarken Centralgewalt vertheidigte,
ſondern die Furcht vor der Revolution und die naive Selbſtüberhebung
des Partikularismus; er verwechſelte, wie Bernſtorff ihm vorwarf, be-
ſtändig „die beſonderen Verhältniſſe Badens mit den höheren und allge-
meineren der Geſammtheit“. Der Ausgang der Wiener Verhandlungen
erfüllte dieſe reaktionären Centraliſten mit tiefem Unwillen. „Oeſterreich,
ſchrieb Blittersdorff zornig, ſicherte durch ſeine Halbheit den neuen Ideen
den Sieg; in dieſer Beziehung kann die Wiener Schlußakte als die nach-
theiligſte Friedensurkunde betrachtet werden, die von Oeſterreich ſeit langen
Jahren unterzeichnet worden iſt.“ **)
Noch leidenſchaftlicher gebärdete ſich Berſtett’s Freund, der Naſſauer
Marſchall. Der hatte erwartet, daß in Wien ſofort der Vernichtungs-
krieg gegen die neuen Verfaſſungen entbrennen würde, und ſchon vor
Eröffnung der Conferenzen eine Denkſchrift entworfen, welche in glühenden
Farben „das Gemeinſchädliche und Rechtswidrige“ des württembergiſchen
Grundgeſetzes ſchilderte. Weil dieſe Verfaſſung die Form eines Vertrages
trug, ſo wurde ſie, trotz ihres wahrlich ſehr beſcheidenen Inhalts, von
den Doktrinären beider Parteien für das Meiſterſtück des Liberalismus
angeſehen. Der Naſſauer meinte die Sturmglocken des Aufruhrs läuten
zu hören, als die Stuttgarter Bürger in einer Adreſſe ſagten: „das
gebildete Europa von den Ufern des Tajo bis an den Niemen iſt über
den Grundſatz einig, daß ohne einen Unterwerfungsvertrag Regent und
Volk nicht gedacht werden könne.“ Er betheuerte, ſchon durch ihren Ur-
ſprung ſei dieſe Verfaſſung „eine Huldigung, dem in Deutſchland gäh-
renden demokratiſchen Princip dargebracht; an ihre öffentliche Mißbilli-
gung knüpfe ſich die Erhaltung und Befeſtigung der inneren Ruhe von
Deutſchland.“ Die ängſtlich beſchränkte Gemeindefreiheit der Schwaben
erſchien dem Oberhaupte der allmächtigen naſſauiſchen Bureaukratie als
ein Verſuch „den Staat von unten auf zu republikaniſiren“; und da
er ſelber mit ſeinem Landtage wegen der Domänen haderte, ſo fand er
es empörend, daß König Wilhelm, nach dem Vorgange ſeines Vaters,
dem Staate das Eigenthumsrecht an den königlichen Kammergütern zu-
geſtanden hatte, und rief entrüſtet: „ein deutſcher Fürſt hat ſein Fa-
miliengut für Volksgut erklärt!“ ***) Bald mußte er lernen, wie un-
günſtig die Wiener Luft jetzt ſolchen Plänen war. Als er ſodann das
vertrauliche Einvernehmen zwiſchen Bernſtorff und Zentner bemerkte, da
*) Bernſtorff’s Bericht, 9. April; Bernſtorff an Ancillon, 9. April 1820.
**) Blittersdorff, Bemerkungen über die gegenwärtige politiſche Kriſis, 5. Nov. 1820.
***) Marſchall, Bemerkungen über die württembergiſche Verfaſſung, Wien, 17. Nov.
1819, veröffentlicht von Aegidi in ſeiner Zeitſchrift für deutſches Staatsrecht I. 149.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/26>, abgerufen am 16.02.2025.
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