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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die deutschen Ultras.
fühlte er sich von Neuem bestärkt in seiner alten Meinung, daß von dieser
tödtlich gehaßten norddeutschen Großmacht "der politische Gährungsstoff
ausgehe", und polterte mit maßloser Heftigkeit wider den preußischen
Minister.

Die Vertreter der welfischen Häuser, Münster und Hardenberg,
standen, wie von der Gefolgschaft der Hochtorys zu erwarten war, den
Ansichten dieser beiden reaktionären Heißsporne sehr nahe, doch sie trugen
Bedenken sich mit den Großmächten zu überwerfen. Wie anders als in
Karlsbad war jetzt Metternich's Lage. Wohl erschien er noch immer vor
der Welt als der bewunderte Führer der deutschen Staatsmänner, und
dem Meister zu Ehren ward das mühselige Werk, das nach sechsmo-
natlichen Verhandlungen endlich zu Stande kam, vom 15. Mai, dem
Geburtstage Metternich's datirt. Aber während er in Karlsbad den Herrn
gespielt hatte, vereinbarte er in Wien fast jeden wichtigen Schritt zuvor
mit Bernstorff, der hier zuerst eine ganz selbständige Haltung zeigte
und seinerseits wieder insgeheim mit Zentner Rücksprache nahm. Der
Oesterreicher ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und erzählte
in seinen Briefen mit gewohnter Ruhmredigkeit von den ungetrübten
Triumphen seines neuen diplomatischen Feldzugs. In Wahrheit entsprach
die Politik der Compromisse, welche auf diesen Conferenzen eingehalten
wurde, wohl der gemäßigten Gesinnung des Berliner Cabinets, aber
keineswegs den Herzenswünschen der Hofburg; wußte doch Jedermann,
daß die beiden Ultras Berstett und Marschall neben dem Mecklenburger
Plessen die erklärten Lieblinge Metternich's waren.

Unterstützt von dem zweiten Bevollmächtigten Küster, der die Sinnes-
weise der kleinen Höfe noch von den Regensburger Zeiten her gründ-
lich kannte, errang sich Bernstorff durch kluge Nachgiebigkeit und unge-
heucheltes Wohlwollen rasch eine sehr günstige Stellung, so daß ihn Zentner
die Seele der Conferenzen nannte.*) Er vermied es in den Plenarver-
sammlungen allzuhäufig zu reden, da Preußen in acht von den zehn
Ausschüssen, welche die Geschäfte der Conferenzen vorbereiteten, den Vorsitz
führte und in allen zehn vertreten war. Der Gewinn aus den langwierigen
Berathungen konnte nur dürftig sein; ihr Verlauf bewies für alle Zu-
kunft, daß ein Bund, der seinen Gliederstaaten die Souveränität zuge-
steht, auf jede gesunde bündische Entwicklung verzichten muß. Immerhin
einigte man sich doch über die Auslegung mehrerer gar zu kümmerlichen
Artikel der Bundesakte sowie über einige gemeinsame Grundsätze für das
Verfassungsleben der Einzelstaaten; die Ergänzung des Bundesrechts,
welche hier zu Stande kam, war mindestens etwas brauchbarer als die
Bundesakte selbst, und was das Beste blieb, man unterließ jeden Schritt
der Willkür, der die erbitterte Nation von Neuem aufregen konnte.

*) Zastrow's Bericht, München 5. Juli 1820.

Die deutſchen Ultras.
fühlte er ſich von Neuem beſtärkt in ſeiner alten Meinung, daß von dieſer
tödtlich gehaßten norddeutſchen Großmacht „der politiſche Gährungsſtoff
ausgehe“, und polterte mit maßloſer Heftigkeit wider den preußiſchen
Miniſter.

Die Vertreter der welfiſchen Häuſer, Münſter und Hardenberg,
ſtanden, wie von der Gefolgſchaft der Hochtorys zu erwarten war, den
Anſichten dieſer beiden reaktionären Heißſporne ſehr nahe, doch ſie trugen
Bedenken ſich mit den Großmächten zu überwerfen. Wie anders als in
Karlsbad war jetzt Metternich’s Lage. Wohl erſchien er noch immer vor
der Welt als der bewunderte Führer der deutſchen Staatsmänner, und
dem Meiſter zu Ehren ward das mühſelige Werk, das nach ſechsmo-
natlichen Verhandlungen endlich zu Stande kam, vom 15. Mai, dem
Geburtstage Metternich’s datirt. Aber während er in Karlsbad den Herrn
geſpielt hatte, vereinbarte er in Wien faſt jeden wichtigen Schritt zuvor
mit Bernſtorff, der hier zuerſt eine ganz ſelbſtändige Haltung zeigte
und ſeinerſeits wieder insgeheim mit Zentner Rückſprache nahm. Der
Oeſterreicher ließ ſich ſeine Enttäuſchung nicht anmerken und erzählte
in ſeinen Briefen mit gewohnter Ruhmredigkeit von den ungetrübten
Triumphen ſeines neuen diplomatiſchen Feldzugs. In Wahrheit entſprach
die Politik der Compromiſſe, welche auf dieſen Conferenzen eingehalten
wurde, wohl der gemäßigten Geſinnung des Berliner Cabinets, aber
keineswegs den Herzenswünſchen der Hofburg; wußte doch Jedermann,
daß die beiden Ultras Berſtett und Marſchall neben dem Mecklenburger
Pleſſen die erklärten Lieblinge Metternich’s waren.

Unterſtützt von dem zweiten Bevollmächtigten Küſter, der die Sinnes-
weiſe der kleinen Höfe noch von den Regensburger Zeiten her gründ-
lich kannte, errang ſich Bernſtorff durch kluge Nachgiebigkeit und unge-
heucheltes Wohlwollen raſch eine ſehr günſtige Stellung, ſo daß ihn Zentner
die Seele der Conferenzen nannte.*) Er vermied es in den Plenarver-
ſammlungen allzuhäufig zu reden, da Preußen in acht von den zehn
Ausſchüſſen, welche die Geſchäfte der Conferenzen vorbereiteten, den Vorſitz
führte und in allen zehn vertreten war. Der Gewinn aus den langwierigen
Berathungen konnte nur dürftig ſein; ihr Verlauf bewies für alle Zu-
kunft, daß ein Bund, der ſeinen Gliederſtaaten die Souveränität zuge-
ſteht, auf jede geſunde bündiſche Entwicklung verzichten muß. Immerhin
einigte man ſich doch über die Auslegung mehrerer gar zu kümmerlichen
Artikel der Bundesakte ſowie über einige gemeinſame Grundſätze für das
Verfaſſungsleben der Einzelſtaaten; die Ergänzung des Bundesrechts,
welche hier zu Stande kam, war mindeſtens etwas brauchbarer als die
Bundesakte ſelbſt, und was das Beſte blieb, man unterließ jeden Schritt
der Willkür, der die erbitterte Nation von Neuem aufregen konnte.

*) Zaſtrow’s Bericht, München 5. Juli 1820.
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[11/0027] Die deutſchen Ultras. fühlte er ſich von Neuem beſtärkt in ſeiner alten Meinung, daß von dieſer tödtlich gehaßten norddeutſchen Großmacht „der politiſche Gährungsſtoff ausgehe“, und polterte mit maßloſer Heftigkeit wider den preußiſchen Miniſter. Die Vertreter der welfiſchen Häuſer, Münſter und Hardenberg, ſtanden, wie von der Gefolgſchaft der Hochtorys zu erwarten war, den Anſichten dieſer beiden reaktionären Heißſporne ſehr nahe, doch ſie trugen Bedenken ſich mit den Großmächten zu überwerfen. Wie anders als in Karlsbad war jetzt Metternich’s Lage. Wohl erſchien er noch immer vor der Welt als der bewunderte Führer der deutſchen Staatsmänner, und dem Meiſter zu Ehren ward das mühſelige Werk, das nach ſechsmo- natlichen Verhandlungen endlich zu Stande kam, vom 15. Mai, dem Geburtstage Metternich’s datirt. Aber während er in Karlsbad den Herrn geſpielt hatte, vereinbarte er in Wien faſt jeden wichtigen Schritt zuvor mit Bernſtorff, der hier zuerſt eine ganz ſelbſtändige Haltung zeigte und ſeinerſeits wieder insgeheim mit Zentner Rückſprache nahm. Der Oeſterreicher ließ ſich ſeine Enttäuſchung nicht anmerken und erzählte in ſeinen Briefen mit gewohnter Ruhmredigkeit von den ungetrübten Triumphen ſeines neuen diplomatiſchen Feldzugs. In Wahrheit entſprach die Politik der Compromiſſe, welche auf dieſen Conferenzen eingehalten wurde, wohl der gemäßigten Geſinnung des Berliner Cabinets, aber keineswegs den Herzenswünſchen der Hofburg; wußte doch Jedermann, daß die beiden Ultras Berſtett und Marſchall neben dem Mecklenburger Pleſſen die erklärten Lieblinge Metternich’s waren. Unterſtützt von dem zweiten Bevollmächtigten Küſter, der die Sinnes- weiſe der kleinen Höfe noch von den Regensburger Zeiten her gründ- lich kannte, errang ſich Bernſtorff durch kluge Nachgiebigkeit und unge- heucheltes Wohlwollen raſch eine ſehr günſtige Stellung, ſo daß ihn Zentner die Seele der Conferenzen nannte. *) Er vermied es in den Plenarver- ſammlungen allzuhäufig zu reden, da Preußen in acht von den zehn Ausſchüſſen, welche die Geſchäfte der Conferenzen vorbereiteten, den Vorſitz führte und in allen zehn vertreten war. Der Gewinn aus den langwierigen Berathungen konnte nur dürftig ſein; ihr Verlauf bewies für alle Zu- kunft, daß ein Bund, der ſeinen Gliederſtaaten die Souveränität zuge- ſteht, auf jede geſunde bündiſche Entwicklung verzichten muß. Immerhin einigte man ſich doch über die Auslegung mehrerer gar zu kümmerlichen Artikel der Bundesakte ſowie über einige gemeinſame Grundſätze für das Verfaſſungsleben der Einzelſtaaten; die Ergänzung des Bundesrechts, welche hier zu Stande kam, war mindeſtens etwas brauchbarer als die Bundesakte ſelbſt, und was das Beſte blieb, man unterließ jeden Schritt der Willkür, der die erbitterte Nation von Neuem aufregen konnte. *) Zaſtrow’s Bericht, München 5. Juli 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/27>, abgerufen am 28.03.2024.