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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
denberg's Plänen stand und darum fortan den Verfassungsberathungen
fern gehalten wurde. Auf einer Reise durch die westlichen Provinzen, die er
im Laufe des Sommers im Gefolge des Monarchen unternahm, bemerkte
er zwar mit Freude, wie sein verstimmter königlicher Herr wieder aufzu-
thauen begann. Der Empfang am Rhein war überall sehr herzlich, die
getreuen Altpreußen in Crefeld und den niederrheinischen Landen schwelgten
in patriotischer Begeisterung, und selbst die hartgläubigen Münsterländer,
die soeben erst die strenge Hand der paritätischen Staatsgewalt hatten em-
pfinden müssen, bewahrten mindestens den äußeren Anstand. Auch war
Friedrich Wilhelm noch immer keineswegs gesonnen allen Ansprüchen der
Altständischen zu willfahren; als ihn Bodelschwingh und seine Markaner
unterwegs wieder einmal um die vorläufige Herstellung ihres alten Land-
tags baten, wies er sie nochmals freundlich aber ernst zurück.*) Gleichwohl
entging dem Generaladjutanten nicht, wie argwöhnisch sein königlicher Freund
jetzt Alles betrachtete was nur irgend des Liberalismus verdächtig schien.
Selbst auf seine alten Bedenken gegen die Landwehr, denen er vor zwei
Jahren schon entsagt hatte, kam der König wieder zurück, und nach einem
peinlichen Gespräche schrieb Witzleben traurig: "wie würden unsere äußeren
Feinde, wie würde Oesterreich triumphiren, wenn wir unser Landwehr-
system aufgäben!" In Ems ließ sich Stein bei dem Könige melden, und
Witzleben fühlte sich in tiefster Seele erquickt, als er aus den flammen-
den Worten des großen Mannes erkannte, wie vollständig sie Beide in
allen Staatsfragen übereinstimmten. Aber ein politisches Gespräch des
Freiherrn mit dem Monarchen hielt der General selber nicht für rathsam:
"Der König ist jetzt einmal von einer Idee ergriffen; eine bloße Unter-
redung kann keine Aenderung veranlassen, nur die Thatsachen können und
werden es leider."**) So begnügte sich Stein mit einem Anstandsbesuche,
der ihm indeß für die Monumenta Germaniae ein königliches Geschenk
einbrachte. --

Mittlerweile zeigte sich immer klarer, daß an jenem verhängnißvollen
11. Juni nicht eigentlich der Absolutismus über die liberale Idee, sondern
der Partikularismus über die Staatseinheit triumphirt hatte. Die Dok-
trinen der guten alten Zeit von 1805 stiegen wieder aus dem Grabe,
romantisch ausgeschmückt nach dem Sinne des Kronprinzen; dieser in
Kämpfen ohne Gleichen zusammengeschmiedete preußische Einheitsstaat hieß
wieder ein Föderativstaat, ein mehrere Staaten umfassendes Staatenreich.
Kamptz vornehmlich vertheidigte diese Theorie, die sich auf das erbauliche
Beispiel der österreichischen Kronlande berief, mit seiner gewohnten fana-
tischen Hartnäckigkeit, und trug sie noch ein Vierteljahrhundert später in

*) Eingabe von Bodelschwingh-Plettenberg und Deputirten der Grafschaft Mark,
4. Juli; Antwort des Königs, 13. Juli 1821.
**) Witzleben's Tagebuch, Juni--Juli 1821.

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
denberg’s Plänen ſtand und darum fortan den Verfaſſungsberathungen
fern gehalten wurde. Auf einer Reiſe durch die weſtlichen Provinzen, die er
im Laufe des Sommers im Gefolge des Monarchen unternahm, bemerkte
er zwar mit Freude, wie ſein verſtimmter königlicher Herr wieder aufzu-
thauen begann. Der Empfang am Rhein war überall ſehr herzlich, die
getreuen Altpreußen in Crefeld und den niederrheiniſchen Landen ſchwelgten
in patriotiſcher Begeiſterung, und ſelbſt die hartgläubigen Münſterländer,
die ſoeben erſt die ſtrenge Hand der paritätiſchen Staatsgewalt hatten em-
pfinden müſſen, bewahrten mindeſtens den äußeren Anſtand. Auch war
Friedrich Wilhelm noch immer keineswegs geſonnen allen Anſprüchen der
Altſtändiſchen zu willfahren; als ihn Bodelſchwingh und ſeine Markaner
unterwegs wieder einmal um die vorläufige Herſtellung ihres alten Land-
tags baten, wies er ſie nochmals freundlich aber ernſt zurück.*) Gleichwohl
entging dem Generaladjutanten nicht, wie argwöhniſch ſein königlicher Freund
jetzt Alles betrachtete was nur irgend des Liberalismus verdächtig ſchien.
Selbſt auf ſeine alten Bedenken gegen die Landwehr, denen er vor zwei
Jahren ſchon entſagt hatte, kam der König wieder zurück, und nach einem
peinlichen Geſpräche ſchrieb Witzleben traurig: „wie würden unſere äußeren
Feinde, wie würde Oeſterreich triumphiren, wenn wir unſer Landwehr-
ſyſtem aufgäben!“ In Ems ließ ſich Stein bei dem Könige melden, und
Witzleben fühlte ſich in tiefſter Seele erquickt, als er aus den flammen-
den Worten des großen Mannes erkannte, wie vollſtändig ſie Beide in
allen Staatsfragen übereinſtimmten. Aber ein politiſches Geſpräch des
Freiherrn mit dem Monarchen hielt der General ſelber nicht für rathſam:
„Der König iſt jetzt einmal von einer Idee ergriffen; eine bloße Unter-
redung kann keine Aenderung veranlaſſen, nur die Thatſachen können und
werden es leider.“**) So begnügte ſich Stein mit einem Anſtandsbeſuche,
der ihm indeß für die Monumenta Germaniae ein königliches Geſchenk
einbrachte. —

Mittlerweile zeigte ſich immer klarer, daß an jenem verhängnißvollen
11. Juni nicht eigentlich der Abſolutismus über die liberale Idee, ſondern
der Partikularismus über die Staatseinheit triumphirt hatte. Die Dok-
trinen der guten alten Zeit von 1805 ſtiegen wieder aus dem Grabe,
romantiſch ausgeſchmückt nach dem Sinne des Kronprinzen; dieſer in
Kämpfen ohne Gleichen zuſammengeſchmiedete preußiſche Einheitsſtaat hieß
wieder ein Föderativſtaat, ein mehrere Staaten umfaſſendes Staatenreich.
Kamptz vornehmlich vertheidigte dieſe Theorie, die ſich auf das erbauliche
Beiſpiel der öſterreichiſchen Kronlande berief, mit ſeiner gewohnten fana-
tiſchen Hartnäckigkeit, und trug ſie noch ein Vierteljahrhundert ſpäter in

*) Eingabe von Bodelſchwingh-Plettenberg und Deputirten der Grafſchaft Mark,
4. Juli; Antwort des Königs, 13. Juli 1821.
**) Witzleben’s Tagebuch, Juni—Juli 1821.
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[232/0248] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. denberg’s Plänen ſtand und darum fortan den Verfaſſungsberathungen fern gehalten wurde. Auf einer Reiſe durch die weſtlichen Provinzen, die er im Laufe des Sommers im Gefolge des Monarchen unternahm, bemerkte er zwar mit Freude, wie ſein verſtimmter königlicher Herr wieder aufzu- thauen begann. Der Empfang am Rhein war überall ſehr herzlich, die getreuen Altpreußen in Crefeld und den niederrheiniſchen Landen ſchwelgten in patriotiſcher Begeiſterung, und ſelbſt die hartgläubigen Münſterländer, die ſoeben erſt die ſtrenge Hand der paritätiſchen Staatsgewalt hatten em- pfinden müſſen, bewahrten mindeſtens den äußeren Anſtand. Auch war Friedrich Wilhelm noch immer keineswegs geſonnen allen Anſprüchen der Altſtändiſchen zu willfahren; als ihn Bodelſchwingh und ſeine Markaner unterwegs wieder einmal um die vorläufige Herſtellung ihres alten Land- tags baten, wies er ſie nochmals freundlich aber ernſt zurück. *) Gleichwohl entging dem Generaladjutanten nicht, wie argwöhniſch ſein königlicher Freund jetzt Alles betrachtete was nur irgend des Liberalismus verdächtig ſchien. Selbſt auf ſeine alten Bedenken gegen die Landwehr, denen er vor zwei Jahren ſchon entſagt hatte, kam der König wieder zurück, und nach einem peinlichen Geſpräche ſchrieb Witzleben traurig: „wie würden unſere äußeren Feinde, wie würde Oeſterreich triumphiren, wenn wir unſer Landwehr- ſyſtem aufgäben!“ In Ems ließ ſich Stein bei dem Könige melden, und Witzleben fühlte ſich in tiefſter Seele erquickt, als er aus den flammen- den Worten des großen Mannes erkannte, wie vollſtändig ſie Beide in allen Staatsfragen übereinſtimmten. Aber ein politiſches Geſpräch des Freiherrn mit dem Monarchen hielt der General ſelber nicht für rathſam: „Der König iſt jetzt einmal von einer Idee ergriffen; eine bloße Unter- redung kann keine Aenderung veranlaſſen, nur die Thatſachen können und werden es leider.“ **) So begnügte ſich Stein mit einem Anſtandsbeſuche, der ihm indeß für die Monumenta Germaniae ein königliches Geſchenk einbrachte. — Mittlerweile zeigte ſich immer klarer, daß an jenem verhängnißvollen 11. Juni nicht eigentlich der Abſolutismus über die liberale Idee, ſondern der Partikularismus über die Staatseinheit triumphirt hatte. Die Dok- trinen der guten alten Zeit von 1805 ſtiegen wieder aus dem Grabe, romantiſch ausgeſchmückt nach dem Sinne des Kronprinzen; dieſer in Kämpfen ohne Gleichen zuſammengeſchmiedete preußiſche Einheitsſtaat hieß wieder ein Föderativſtaat, ein mehrere Staaten umfaſſendes Staatenreich. Kamptz vornehmlich vertheidigte dieſe Theorie, die ſich auf das erbauliche Beiſpiel der öſterreichiſchen Kronlande berief, mit ſeiner gewohnten fana- tiſchen Hartnäckigkeit, und trug ſie noch ein Vierteljahrhundert ſpäter in *) Eingabe von Bodelſchwingh-Plettenberg und Deputirten der Grafſchaft Mark, 4. Juli; Antwort des Königs, 13. Juli 1821. **) Witzleben’s Tagebuch, Juni—Juli 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/248>, abgerufen am 24.11.2024.