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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Altständische Hoffnungen.
seinen Staatsrechtlichen Abhandlungen vor. Marwitz empfahl eine radi-
kale Verwaltungsreform, welche die Macht der heimathlosen Bureaukraten
und Geldoligarchen, dieser gefährlichsten Demagogen, brechen und die neue
demagogische Erfindung der Reichsstände für immer beseitigen sollte. Ein
Staatsrath, gebildet aus den Chefs der Verwaltung und angesehenen Ein-
gesessenen, an der Spitze des Staats; unter ihm Provinzialminister mit
Provinzialständen; endlich Landräthe, beschränkt durch die Kreisstände und
auf drei bis sechs Jahre von ihnen gewählt -- so die Grundzüge dieser
feudalen Verwaltungsordnung, die geradeswegs darauf ausging den ge-
einten deutschen Norden wieder in ein Chaos ständischer Kleinstaaten zu
zersprengen.

Wie hätte der bewährte Schmalz in diesem tobenden Chore der Re-
aktion fehlen sollen! Er schrieb (1822) unter dem Namen eines Freundes
der Verfassung (E. F. d. V.) eine "Ansicht der ständischen Verfassung der
preußischen Monarchie." Die Schrift ging aus von dem zufälligen Um-
stande, daß der preußische Staat seinen Gesammtnamen einem einzelnen
Landestheile entlehnt hatte, und stützte darauf den wunderbaren Schluß:
der Schlesier oder Märker sei kein Preuße im eigentlichen -- das will
sagen: im ethnographischen -- Sinne, während der Gascogner, der Be-
wohner von Yorkshire sich mit Recht einen Franzosen, einen Engländer
nenne, und folglich sei Preußen auch staatsrechtlich kein Einheitsstaat wie
England oder Frankreich, sondern ein zusammengesetzter Staat, ähnlich
der Union von Nordamerika. Das Ganze klang wie ein schlechter Witz,
indeß mochte Schmalz's harter Kopf wohl selber daran glauben, wenn er
dann alles Ernstes weiter folgerte, der König sei König nur in Ostpreußen,
in Magdeburg nur Herzog, in Mörs nur Graf und mithin verpflichtet,
jedem dieser Staaten einen besonderen Landtag zu gewähren.

Also stellten die Altständischen mit ihren "heillosen" Doctrinen, wie
Witzleben sie nannte, Alles wieder in Frage, was die Hohenzollern in
zwei schweren Jahrhunderten gebaut hatten, und behaupteten gleichwohl den
Thron gegen die Revolution zu vertheidigen. Und seltsam genug, diesen
staatsfeindlichen Bestrebungen arbeitete eine Partei des hohen Beamten-
thums, die von durchaus anderen Ansichten ausging, arglos in die Hände.
Die neue Verwaltungsordnung hatte sich trotz ihrer tüchtigen Leistungen
noch keineswegs ein unerschütterliches Ansehen errungen. Alle Welt klagte
über Vielregiererei; das unerfahrene Volk vermochte nicht zu begreifen,
daß der Staat, der jetzt so viel mehr für das gemeine Wohl leistete, auch
mehr Diener brauchte. Am Rhein glaubte Jedermann, freilich auf Grund
sehr zweifelhafter Berechnungen, die Verwaltung der napoleonischen Prä-
fekten sei zwei- bis dreimal wohlfeiler gewesen. Der König selbst forderte
dringend Ersparnisse in der Civilverwaltung, um das Deficit endlich zu
beseitigen. Die Provinzialbehörden aber, zumal die Oberpräsidenten em-
pfanden schwer die ungeheure Macht der neuen Fachminister, die jetzt auch

Altſtändiſche Hoffnungen.
ſeinen Staatsrechtlichen Abhandlungen vor. Marwitz empfahl eine radi-
kale Verwaltungsreform, welche die Macht der heimathloſen Bureaukraten
und Geldoligarchen, dieſer gefährlichſten Demagogen, brechen und die neue
demagogiſche Erfindung der Reichsſtände für immer beſeitigen ſollte. Ein
Staatsrath, gebildet aus den Chefs der Verwaltung und angeſehenen Ein-
geſeſſenen, an der Spitze des Staats; unter ihm Provinzialminiſter mit
Provinzialſtänden; endlich Landräthe, beſchränkt durch die Kreisſtände und
auf drei bis ſechs Jahre von ihnen gewählt — ſo die Grundzüge dieſer
feudalen Verwaltungsordnung, die geradeswegs darauf ausging den ge-
einten deutſchen Norden wieder in ein Chaos ſtändiſcher Kleinſtaaten zu
zerſprengen.

Wie hätte der bewährte Schmalz in dieſem tobenden Chore der Re-
aktion fehlen ſollen! Er ſchrieb (1822) unter dem Namen eines Freundes
der Verfaſſung (E. F. d. V.) eine „Anſicht der ſtändiſchen Verfaſſung der
preußiſchen Monarchie.“ Die Schrift ging aus von dem zufälligen Um-
ſtande, daß der preußiſche Staat ſeinen Geſammtnamen einem einzelnen
Landestheile entlehnt hatte, und ſtützte darauf den wunderbaren Schluß:
der Schleſier oder Märker ſei kein Preuße im eigentlichen — das will
ſagen: im ethnographiſchen — Sinne, während der Gascogner, der Be-
wohner von Yorkſhire ſich mit Recht einen Franzoſen, einen Engländer
nenne, und folglich ſei Preußen auch ſtaatsrechtlich kein Einheitsſtaat wie
England oder Frankreich, ſondern ein zuſammengeſetzter Staat, ähnlich
der Union von Nordamerika. Das Ganze klang wie ein ſchlechter Witz,
indeß mochte Schmalz’s harter Kopf wohl ſelber daran glauben, wenn er
dann alles Ernſtes weiter folgerte, der König ſei König nur in Oſtpreußen,
in Magdeburg nur Herzog, in Mörs nur Graf und mithin verpflichtet,
jedem dieſer Staaten einen beſonderen Landtag zu gewähren.

Alſo ſtellten die Altſtändiſchen mit ihren „heilloſen“ Doctrinen, wie
Witzleben ſie nannte, Alles wieder in Frage, was die Hohenzollern in
zwei ſchweren Jahrhunderten gebaut hatten, und behaupteten gleichwohl den
Thron gegen die Revolution zu vertheidigen. Und ſeltſam genug, dieſen
ſtaatsfeindlichen Beſtrebungen arbeitete eine Partei des hohen Beamten-
thums, die von durchaus anderen Anſichten ausging, arglos in die Hände.
Die neue Verwaltungsordnung hatte ſich trotz ihrer tüchtigen Leiſtungen
noch keineswegs ein unerſchütterliches Anſehen errungen. Alle Welt klagte
über Vielregiererei; das unerfahrene Volk vermochte nicht zu begreifen,
daß der Staat, der jetzt ſo viel mehr für das gemeine Wohl leiſtete, auch
mehr Diener brauchte. Am Rhein glaubte Jedermann, freilich auf Grund
ſehr zweifelhafter Berechnungen, die Verwaltung der napoleoniſchen Prä-
fekten ſei zwei- bis dreimal wohlfeiler geweſen. Der König ſelbſt forderte
dringend Erſparniſſe in der Civilverwaltung, um das Deficit endlich zu
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pfanden ſchwer die ungeheure Macht der neuen Fachminiſter, die jetzt auch

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[233/0249] Altſtändiſche Hoffnungen. ſeinen Staatsrechtlichen Abhandlungen vor. Marwitz empfahl eine radi- kale Verwaltungsreform, welche die Macht der heimathloſen Bureaukraten und Geldoligarchen, dieſer gefährlichſten Demagogen, brechen und die neue demagogiſche Erfindung der Reichsſtände für immer beſeitigen ſollte. Ein Staatsrath, gebildet aus den Chefs der Verwaltung und angeſehenen Ein- geſeſſenen, an der Spitze des Staats; unter ihm Provinzialminiſter mit Provinzialſtänden; endlich Landräthe, beſchränkt durch die Kreisſtände und auf drei bis ſechs Jahre von ihnen gewählt — ſo die Grundzüge dieſer feudalen Verwaltungsordnung, die geradeswegs darauf ausging den ge- einten deutſchen Norden wieder in ein Chaos ſtändiſcher Kleinſtaaten zu zerſprengen. Wie hätte der bewährte Schmalz in dieſem tobenden Chore der Re- aktion fehlen ſollen! Er ſchrieb (1822) unter dem Namen eines Freundes der Verfaſſung (E. F. d. V.) eine „Anſicht der ſtändiſchen Verfaſſung der preußiſchen Monarchie.“ Die Schrift ging aus von dem zufälligen Um- ſtande, daß der preußiſche Staat ſeinen Geſammtnamen einem einzelnen Landestheile entlehnt hatte, und ſtützte darauf den wunderbaren Schluß: der Schleſier oder Märker ſei kein Preuße im eigentlichen — das will ſagen: im ethnographiſchen — Sinne, während der Gascogner, der Be- wohner von Yorkſhire ſich mit Recht einen Franzoſen, einen Engländer nenne, und folglich ſei Preußen auch ſtaatsrechtlich kein Einheitsſtaat wie England oder Frankreich, ſondern ein zuſammengeſetzter Staat, ähnlich der Union von Nordamerika. Das Ganze klang wie ein ſchlechter Witz, indeß mochte Schmalz’s harter Kopf wohl ſelber daran glauben, wenn er dann alles Ernſtes weiter folgerte, der König ſei König nur in Oſtpreußen, in Magdeburg nur Herzog, in Mörs nur Graf und mithin verpflichtet, jedem dieſer Staaten einen beſonderen Landtag zu gewähren. Alſo ſtellten die Altſtändiſchen mit ihren „heilloſen“ Doctrinen, wie Witzleben ſie nannte, Alles wieder in Frage, was die Hohenzollern in zwei ſchweren Jahrhunderten gebaut hatten, und behaupteten gleichwohl den Thron gegen die Revolution zu vertheidigen. Und ſeltſam genug, dieſen ſtaatsfeindlichen Beſtrebungen arbeitete eine Partei des hohen Beamten- thums, die von durchaus anderen Anſichten ausging, arglos in die Hände. Die neue Verwaltungsordnung hatte ſich trotz ihrer tüchtigen Leiſtungen noch keineswegs ein unerſchütterliches Anſehen errungen. Alle Welt klagte über Vielregiererei; das unerfahrene Volk vermochte nicht zu begreifen, daß der Staat, der jetzt ſo viel mehr für das gemeine Wohl leiſtete, auch mehr Diener brauchte. Am Rhein glaubte Jedermann, freilich auf Grund ſehr zweifelhafter Berechnungen, die Verwaltung der napoleoniſchen Prä- fekten ſei zwei- bis dreimal wohlfeiler geweſen. Der König ſelbſt forderte dringend Erſparniſſe in der Civilverwaltung, um das Deficit endlich zu beſeitigen. Die Provinzialbehörden aber, zumal die Oberpräſidenten em- pfanden ſchwer die ungeheure Macht der neuen Fachminiſter, die jetzt auch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/249>, abgerufen am 04.05.2024.