III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
übertrieben. Hardenberg prangt als ein Bannerträger des Parlamenta- rismus, der Ideen der Revolution; Wilhelm von Württemberg, der Feind der Ostmächte empfängt warmes Lob. Mit Stolz wird die Thatsache ver- zeichnet, daß nunmehr auch Preußen sich bekenne zu dem obersten Grund- satze constitutioneller Freiheit: "der König hat nicht zu handeln, er hat nur die Männer zu wählen, welche handeln sollen." Zum Schluß die jubelnde Versicherung: "die große Revolution ist vollendet, die Entmuthi- gung wäre heute nicht mehr blos Schwäche, sondern Thorheit. Die ge- sittete Welt erträgt nur noch freie Völker und constitutionelle Monarchen."
Es war ein tolles Mißverständniß; schlagender konnte der französische Doktrinär nicht beweisen, wie wenig er den preußischen Staat kannte und wie unberufen er ihm Rathschläge ertheilte. In Laibach aber zeigten sich die beiden Kaiser höchlich entrüstet. Metternich schrieb sogleich nach Berlin um die exemplarische Bestrafung "eines so ausgezeichneten Frevels" zu beantragen, und Gentz donnerte im Oesterreichischen Beobachter wider "die betrügerischen Kunstgriffe, die schmutzige politisch-literarische Gaunerei der revolutionären Faktion." Was half es, daß der Staatskanzler sogleich in den französischen Blättern eine Verwahrung erscheinen ließ? Eine gerichtliche Verfolgung gegen Constant war aussichtslos, weil sich bald herausstellte, daß er zwar sehr leichtsinnig, aber in gutem Glauben ge- handelt hatte.*) So blieb er unbelästigt, und das Gezisch der bösen Zun- gen verstummte nicht. Da man im Volke von Hardenberg's ständischem Verfassungsplane nichts ahnte, so wiederholten Freund und Feind jahr- zehntelang das Märchen, daß der Staatskanzler eine Charte nach fran- zösischem Muster geplant und bei den Schriften Benzenberg-Constant's insgeheim mitgeholfen habe.
Doch was wollten solche Mückenstiche bedeuten neben dem wuchtigen Schlage, welchen der Kronprinz und Wittgenstein mittlerweile gegen die Grundlagen des Hardenbergischen Verfassungsplanes geführt hatten? Die zur Prüfung der Communalordnungs-Entwürfe eingesetzte Commission war am 19. März mit ihrem Berichte zu Stande gekommen; sie beantragte, wie sich voraussehen ließ, die Verwerfung der sämmtlichen Entwürfe und fügte den Vorschlag hinzu: der König möge vorläufig von der Verkündi- gung einer Gesammtstaatsverfassung absehen und zunächst nur eine neue Commission berufen, welche mit Eingesessenen aus den Provinzen das Gesetz über die Provinzialstände zu berathen hätte. Stein's Städteordnung sollte aufrecht bleiben und in den neuen Landestheilen mit einigen Aen- derungen eingeführt, die Kreis- und Landgemeindeordnung dagegen für jede Provinz besonders mit dem Beirath der Provinzialstände festgestellt
*) Metternich an Zichy, 25. April; Krusemark an Bernstorff, 27. April; Bernstorff an Hardenberg, 4. Mai; Hardenberg an Koreff, 6. Mai; Koreff's Antwort, 10. Mai; Schöll an Benzenberg, 6. Mai, an Hardenberg, 8. Mai; Benzenberg's Antwort, 7. Mai 1821.
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
übertrieben. Hardenberg prangt als ein Bannerträger des Parlamenta- rismus, der Ideen der Revolution; Wilhelm von Württemberg, der Feind der Oſtmächte empfängt warmes Lob. Mit Stolz wird die Thatſache ver- zeichnet, daß nunmehr auch Preußen ſich bekenne zu dem oberſten Grund- ſatze conſtitutioneller Freiheit: „der König hat nicht zu handeln, er hat nur die Männer zu wählen, welche handeln ſollen.“ Zum Schluß die jubelnde Verſicherung: „die große Revolution iſt vollendet, die Entmuthi- gung wäre heute nicht mehr blos Schwäche, ſondern Thorheit. Die ge- ſittete Welt erträgt nur noch freie Völker und conſtitutionelle Monarchen.“
Es war ein tolles Mißverſtändniß; ſchlagender konnte der franzöſiſche Doktrinär nicht beweiſen, wie wenig er den preußiſchen Staat kannte und wie unberufen er ihm Rathſchläge ertheilte. In Laibach aber zeigten ſich die beiden Kaiſer höchlich entrüſtet. Metternich ſchrieb ſogleich nach Berlin um die exemplariſche Beſtrafung „eines ſo ausgezeichneten Frevels“ zu beantragen, und Gentz donnerte im Oeſterreichiſchen Beobachter wider „die betrügeriſchen Kunſtgriffe, die ſchmutzige politiſch-literariſche Gaunerei der revolutionären Faktion.“ Was half es, daß der Staatskanzler ſogleich in den franzöſiſchen Blättern eine Verwahrung erſcheinen ließ? Eine gerichtliche Verfolgung gegen Conſtant war ausſichtslos, weil ſich bald herausſtellte, daß er zwar ſehr leichtſinnig, aber in gutem Glauben ge- handelt hatte.*) So blieb er unbeläſtigt, und das Geziſch der böſen Zun- gen verſtummte nicht. Da man im Volke von Hardenberg’s ſtändiſchem Verfaſſungsplane nichts ahnte, ſo wiederholten Freund und Feind jahr- zehntelang das Märchen, daß der Staatskanzler eine Charte nach fran- zöſiſchem Muſter geplant und bei den Schriften Benzenberg-Conſtant’s insgeheim mitgeholfen habe.
Doch was wollten ſolche Mückenſtiche bedeuten neben dem wuchtigen Schlage, welchen der Kronprinz und Wittgenſtein mittlerweile gegen die Grundlagen des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes geführt hatten? Die zur Prüfung der Communalordnungs-Entwürfe eingeſetzte Commiſſion war am 19. März mit ihrem Berichte zu Stande gekommen; ſie beantragte, wie ſich vorausſehen ließ, die Verwerfung der ſämmtlichen Entwürfe und fügte den Vorſchlag hinzu: der König möge vorläufig von der Verkündi- gung einer Geſammtſtaatsverfaſſung abſehen und zunächſt nur eine neue Commiſſion berufen, welche mit Eingeſeſſenen aus den Provinzen das Geſetz über die Provinzialſtände zu berathen hätte. Stein’s Städteordnung ſollte aufrecht bleiben und in den neuen Landestheilen mit einigen Aen- derungen eingeführt, die Kreis- und Landgemeindeordnung dagegen für jede Provinz beſonders mit dem Beirath der Provinzialſtände feſtgeſtellt
*) Metternich an Zichy, 25. April; Kruſemark an Bernſtorff, 27. April; Bernſtorff an Hardenberg, 4. Mai; Hardenberg an Koreff, 6. Mai; Koreff’s Antwort, 10. Mai; Schöll an Benzenberg, 6. Mai, an Hardenberg, 8. Mai; Benzenberg’s Antwort, 7. Mai 1821.
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III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
übertrieben. Hardenberg prangt als ein Bannerträger des Parlamenta-
rismus, der Ideen der Revolution; Wilhelm von Württemberg, der Feind
der Oſtmächte empfängt warmes Lob. Mit Stolz wird die Thatſache ver-
zeichnet, daß nunmehr auch Preußen ſich bekenne zu dem oberſten Grund-
ſatze conſtitutioneller Freiheit: „der König hat nicht zu handeln, er hat
nur die Männer zu wählen, welche handeln ſollen.“ Zum Schluß die
jubelnde Verſicherung: „die große Revolution iſt vollendet, die Entmuthi-
gung wäre heute nicht mehr blos Schwäche, ſondern Thorheit. Die ge-
ſittete Welt erträgt nur noch freie Völker und conſtitutionelle Monarchen.“
Es war ein tolles Mißverſtändniß; ſchlagender konnte der franzöſiſche
Doktrinär nicht beweiſen, wie wenig er den preußiſchen Staat kannte und
wie unberufen er ihm Rathſchläge ertheilte. In Laibach aber zeigten ſich
die beiden Kaiſer höchlich entrüſtet. Metternich ſchrieb ſogleich nach Berlin
um die exemplariſche Beſtrafung „eines ſo ausgezeichneten Frevels“ zu
beantragen, und Gentz donnerte im Oeſterreichiſchen Beobachter wider „die
betrügeriſchen Kunſtgriffe, die ſchmutzige politiſch-literariſche Gaunerei der
revolutionären Faktion.“ Was half es, daß der Staatskanzler ſogleich
in den franzöſiſchen Blättern eine Verwahrung erſcheinen ließ? Eine
gerichtliche Verfolgung gegen Conſtant war ausſichtslos, weil ſich bald
herausſtellte, daß er zwar ſehr leichtſinnig, aber in gutem Glauben ge-
handelt hatte. *) So blieb er unbeläſtigt, und das Geziſch der böſen Zun-
gen verſtummte nicht. Da man im Volke von Hardenberg’s ſtändiſchem
Verfaſſungsplane nichts ahnte, ſo wiederholten Freund und Feind jahr-
zehntelang das Märchen, daß der Staatskanzler eine Charte nach fran-
zöſiſchem Muſter geplant und bei den Schriften Benzenberg-Conſtant’s
insgeheim mitgeholfen habe.
Doch was wollten ſolche Mückenſtiche bedeuten neben dem wuchtigen
Schlage, welchen der Kronprinz und Wittgenſtein mittlerweile gegen die
Grundlagen des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes geführt hatten? Die
zur Prüfung der Communalordnungs-Entwürfe eingeſetzte Commiſſion war
am 19. März mit ihrem Berichte zu Stande gekommen; ſie beantragte,
wie ſich vorausſehen ließ, die Verwerfung der ſämmtlichen Entwürfe und
fügte den Vorſchlag hinzu: der König möge vorläufig von der Verkündi-
gung einer Geſammtſtaatsverfaſſung abſehen und zunächſt nur eine neue
Commiſſion berufen, welche mit Eingeſeſſenen aus den Provinzen das
Geſetz über die Provinzialſtände zu berathen hätte. Stein’s Städteordnung
ſollte aufrecht bleiben und in den neuen Landestheilen mit einigen Aen-
derungen eingeführt, die Kreis- und Landgemeindeordnung dagegen für
jede Provinz beſonders mit dem Beirath der Provinzialſtände feſtgeſtellt
*) Metternich an Zichy, 25. April; Kruſemark an Bernſtorff, 27. April; Bernſtorff
an Hardenberg, 4. Mai; Hardenberg an Koreff, 6. Mai; Koreff’s Antwort, 10. Mai;
Schöll an Benzenberg, 6. Mai, an Hardenberg, 8. Mai; Benzenberg’s Antwort, 7. Mai 1821.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/244>, abgerufen am 25.11.2024.
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