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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verwerfung der Communal-Ordnung.
werden. Das bedeutete also: Vertagung des Reichsverfassungsplanes auf
unbestimmte Zeit, vielleicht auf immer, und Mitwirkung der Stände bei
der Reform des Communalwesens, die doch nur durch das Niederhalten
der ständischen Selbstsucht gelingen konnte. Die Gegner der Verfassung
hatten ihr letztes Wort gesprochen; der Krieg gegen den Staatskanzler
war erklärt. Diesen Bericht fand der alte Herr bei seiner Heimkehr vor
und zugleich erlebte er die Kränkung, daß ihn der König jetzt erst nach-
träglich von dem Dasein und den Arbeiten der hinter Hardenberg's Rücken
einberufenen Commission benachrichtigte.*)

Der Staatskanzler nahm alsbald den Handschuh auf. In der länd-
lichen Stille seines Schlosses Neu-Hardenberg entwarf er einen langen
Bericht, der am 24. Mai dem Monarchen eingereicht wurde. Noch ein-
mal wiederholte er hier die Hauptgedanken seiner Troppauer Denkschrift
und mahnte drängend: kein Zeitpunkt könne günstiger sein "um eine Ver-
fassung aus freiem Willen zu geben." In Italien liege die Revolution
am Boden, aber in anderen Ländern währe die Gährung fort, und ob-
gleich Preußen dem Anschein nach von der Ansteckung noch frei geblieben,
so scheine es doch sehr räthlich, jetzt durch Bewilligung billiger, freiwil-
liger Bedingungen dem Uebel zuvorzukommen. Auf das Bestimmteste
sprach er aus, daß die Verordnung vom 22. Mai 1815 "als eine öffent-
lich ausgesprochene königliche Zusage aufrecht erhalten werden müsse";
daraus folge nothwendig die Verkündigung der verheißenen Verfassungs-
urkunde und die Einberufung der allgemeinen Stände. "Dadurch allein,
daß diese Urkunde das Ganze der königlichen Gnade ausspreche, wird der
in dem Berichte der Commission angegebene Zweck: die Beruhigung der
Gemüther, die Zufriedenheit der Besten, die Zurechtweisung der Schlechten
-- erreicht werden; nicht wenn man einen wesentlichen Theil der Ver-
fassung in der Ungewißheit lassen wollte." Dann erinnerte er noch an
die vielleicht nothwendige Aufnahme neuer Schulden, die ohne die Zu-
stimmung der Reichsstände nicht mehr möglich sei, und erwähnte rühmend,
wie sehr sich der Credit in Baiern seit dem Bestande der Verfassung ge-
hoben habe. In allem Uebrigen zeigte er sich sehr nachgiebig. Er er-
kannte die Mängel der Communalgesetze an und schlug sogar vor, einen
neuen Verfassungsausschuß zu bilden, der unter dem Vorsitze des Kron-
prinzen die Communalgesetze endgiltig festsetzen und sodann unter Mit-
wirkung von Notabeln aus den altständischen Territorien die Provinzial-
und die Reichsverfassung zum Abschluß bringen solle. "Dies Comite träte
an die Stelle des bisher unter meinem Vorsitz bestehenden. Dieses gebe
ich gern und willig auf, da mir nur daran gelegen ist, daß geschehe was
das Beste des Staates erheischt, gleichviel von wem."**)

*) Commissionsbericht, 19. März; Cabinetsordre an Hardenberg, 3. Mai 1821.
**) Hardenberg's Bericht an den König, 2. Mai 1821 (beendigt 24. Mai).

Verwerfung der Communal-Ordnung.
werden. Das bedeutete alſo: Vertagung des Reichsverfaſſungsplanes auf
unbeſtimmte Zeit, vielleicht auf immer, und Mitwirkung der Stände bei
der Reform des Communalweſens, die doch nur durch das Niederhalten
der ſtändiſchen Selbſtſucht gelingen konnte. Die Gegner der Verfaſſung
hatten ihr letztes Wort geſprochen; der Krieg gegen den Staatskanzler
war erklärt. Dieſen Bericht fand der alte Herr bei ſeiner Heimkehr vor
und zugleich erlebte er die Kränkung, daß ihn der König jetzt erſt nach-
träglich von dem Daſein und den Arbeiten der hinter Hardenberg’s Rücken
einberufenen Commiſſion benachrichtigte.*)

Der Staatskanzler nahm alsbald den Handſchuh auf. In der länd-
lichen Stille ſeines Schloſſes Neu-Hardenberg entwarf er einen langen
Bericht, der am 24. Mai dem Monarchen eingereicht wurde. Noch ein-
mal wiederholte er hier die Hauptgedanken ſeiner Troppauer Denkſchrift
und mahnte drängend: kein Zeitpunkt könne günſtiger ſein „um eine Ver-
faſſung aus freiem Willen zu geben.“ In Italien liege die Revolution
am Boden, aber in anderen Ländern währe die Gährung fort, und ob-
gleich Preußen dem Anſchein nach von der Anſteckung noch frei geblieben,
ſo ſcheine es doch ſehr räthlich, jetzt durch Bewilligung billiger, freiwil-
liger Bedingungen dem Uebel zuvorzukommen. Auf das Beſtimmteſte
ſprach er aus, daß die Verordnung vom 22. Mai 1815 „als eine öffent-
lich ausgeſprochene königliche Zuſage aufrecht erhalten werden müſſe“;
daraus folge nothwendig die Verkündigung der verheißenen Verfaſſungs-
urkunde und die Einberufung der allgemeinen Stände. „Dadurch allein,
daß dieſe Urkunde das Ganze der königlichen Gnade ausſpreche, wird der
in dem Berichte der Commiſſion angegebene Zweck: die Beruhigung der
Gemüther, die Zufriedenheit der Beſten, die Zurechtweiſung der Schlechten
— erreicht werden; nicht wenn man einen weſentlichen Theil der Ver-
faſſung in der Ungewißheit laſſen wollte.“ Dann erinnerte er noch an
die vielleicht nothwendige Aufnahme neuer Schulden, die ohne die Zu-
ſtimmung der Reichsſtände nicht mehr möglich ſei, und erwähnte rühmend,
wie ſehr ſich der Credit in Baiern ſeit dem Beſtande der Verfaſſung ge-
hoben habe. In allem Uebrigen zeigte er ſich ſehr nachgiebig. Er er-
kannte die Mängel der Communalgeſetze an und ſchlug ſogar vor, einen
neuen Verfaſſungsausſchuß zu bilden, der unter dem Vorſitze des Kron-
prinzen die Communalgeſetze endgiltig feſtſetzen und ſodann unter Mit-
wirkung von Notabeln aus den altſtändiſchen Territorien die Provinzial-
und die Reichsverfaſſung zum Abſchluß bringen ſolle. „Dies Comité träte
an die Stelle des bisher unter meinem Vorſitz beſtehenden. Dieſes gebe
ich gern und willig auf, da mir nur daran gelegen iſt, daß geſchehe was
das Beſte des Staates erheiſcht, gleichviel von wem.“**)

*) Commiſſionsbericht, 19. März; Cabinetsordre an Hardenberg, 3. Mai 1821.
**) Hardenberg’s Bericht an den König, 2. Mai 1821 (beendigt 24. Mai).
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[229/0245] Verwerfung der Communal-Ordnung. werden. Das bedeutete alſo: Vertagung des Reichsverfaſſungsplanes auf unbeſtimmte Zeit, vielleicht auf immer, und Mitwirkung der Stände bei der Reform des Communalweſens, die doch nur durch das Niederhalten der ſtändiſchen Selbſtſucht gelingen konnte. Die Gegner der Verfaſſung hatten ihr letztes Wort geſprochen; der Krieg gegen den Staatskanzler war erklärt. Dieſen Bericht fand der alte Herr bei ſeiner Heimkehr vor und zugleich erlebte er die Kränkung, daß ihn der König jetzt erſt nach- träglich von dem Daſein und den Arbeiten der hinter Hardenberg’s Rücken einberufenen Commiſſion benachrichtigte. *) Der Staatskanzler nahm alsbald den Handſchuh auf. In der länd- lichen Stille ſeines Schloſſes Neu-Hardenberg entwarf er einen langen Bericht, der am 24. Mai dem Monarchen eingereicht wurde. Noch ein- mal wiederholte er hier die Hauptgedanken ſeiner Troppauer Denkſchrift und mahnte drängend: kein Zeitpunkt könne günſtiger ſein „um eine Ver- faſſung aus freiem Willen zu geben.“ In Italien liege die Revolution am Boden, aber in anderen Ländern währe die Gährung fort, und ob- gleich Preußen dem Anſchein nach von der Anſteckung noch frei geblieben, ſo ſcheine es doch ſehr räthlich, jetzt durch Bewilligung billiger, freiwil- liger Bedingungen dem Uebel zuvorzukommen. Auf das Beſtimmteſte ſprach er aus, daß die Verordnung vom 22. Mai 1815 „als eine öffent- lich ausgeſprochene königliche Zuſage aufrecht erhalten werden müſſe“; daraus folge nothwendig die Verkündigung der verheißenen Verfaſſungs- urkunde und die Einberufung der allgemeinen Stände. „Dadurch allein, daß dieſe Urkunde das Ganze der königlichen Gnade ausſpreche, wird der in dem Berichte der Commiſſion angegebene Zweck: die Beruhigung der Gemüther, die Zufriedenheit der Beſten, die Zurechtweiſung der Schlechten — erreicht werden; nicht wenn man einen weſentlichen Theil der Ver- faſſung in der Ungewißheit laſſen wollte.“ Dann erinnerte er noch an die vielleicht nothwendige Aufnahme neuer Schulden, die ohne die Zu- ſtimmung der Reichsſtände nicht mehr möglich ſei, und erwähnte rühmend, wie ſehr ſich der Credit in Baiern ſeit dem Beſtande der Verfaſſung ge- hoben habe. In allem Uebrigen zeigte er ſich ſehr nachgiebig. Er er- kannte die Mängel der Communalgeſetze an und ſchlug ſogar vor, einen neuen Verfaſſungsausſchuß zu bilden, der unter dem Vorſitze des Kron- prinzen die Communalgeſetze endgiltig feſtſetzen und ſodann unter Mit- wirkung von Notabeln aus den altſtändiſchen Territorien die Provinzial- und die Reichsverfaſſung zum Abſchluß bringen ſolle. „Dies Comité träte an die Stelle des bisher unter meinem Vorſitz beſtehenden. Dieſes gebe ich gern und willig auf, da mir nur daran gelegen iſt, daß geſchehe was das Beſte des Staates erheiſcht, gleichviel von wem.“ **) *) Commiſſionsbericht, 19. März; Cabinetsordre an Hardenberg, 3. Mai 1821. **) Hardenberg’s Bericht an den König, 2. Mai 1821 (beendigt 24. Mai).

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/245>, abgerufen am 25.11.2024.