Politik. Er sah wohl ein, daß er die Pforte nicht offen unterstützen durfte, wenn er die Aufständischen nicht geradeswegs dem Petersburger Hofe in die Arme treiben wollte; in seiner Angst vor jeder Neuerung konnte er sich aber auch nicht entschließen, durch eine gemeinsame Intervention der großen Mächte den Rajah-Völkern ein halbwegs menschenwürdiges Dasein und damit dem türkischen Reiche vielleicht noch eine Lebensfrist zu sichern. In solcher Bedrängniß erblickte er nur einen Weg der Rettung: wenn die großen Mächte ihren Abscheu vor der griechischen Erhebung nachdrücklich aussprachen und dann die orientalischen Wirren sich selber überließen, so mußte die gewaltige Uebermacht der Pforte den Aufstand bald bemeistern und der Krummsäbel der Osmanen, wie Metternich zuversichtlich hoffte, die alte Ordnung im Reiche des Sultans einfach wiederherstellen.
In dieser starr conservativen Gesinnung begegnete sich der österrei- chische Staatsmann mit den Ansichten des englischen Hofes, der durch den Aufstand der Hellenen seine gewohnten Handelswege zu verlieren fürchtete und den geheimen Plänen Rußlands noch ängstlicher als die Hofburg selbst mißtraute. Der Gedanke, daß die erste Seemacht der Welt durch die Entfesselung der gebundenen wirthschaftlichen Kräfte der Bal- kanhalbinsel nur gewinnen konnte, lag gänzlich außerhalb des Gesichts- kreises dieser Hochtorys. Auch die preußischen Staatsmänner schlossen sich der Meinung Oesterreichs an, obgleich Bernstorff die Hoffnungen Metter- nich's nicht theilte und den Aufstand der Hellenen keineswegs für aus- sichtslos hielt.*)
Doch wie sollte es gelingen, den Czaren selbst für eine Ansicht zu gewinnen, welche allen Ueberlieferungen der Petersburger Politik und den mächtigsten nationalen Leidenschaften des russischen Volkes widersprach? Noch saß Kapodistrias im Rathe Alexander's, und dieser Grieche mußte, wie Bernstorff sagte, "seine natürlichsten und mindest zweifelhaften Em- pfindungen verleugnen", wenn er der Befreiung der Hellenen entgegen- trat. Aber die Gunst des Glückes, die dem österreichischen Hofe in diesen Laibacher Zeiten unwandelbar zur Seite stand, blieb ihm auch jetzt treu. Das Schreiben Ypsilanti's, das dem Czaren den Beginn des Aufstandes offen mittheilte, gelangte nach Laibach in den nämlichen Tagen, da Alex- ander durch die Turiner Nachrichten tief erschüttert war; leidenschaftlich erregt erblickte er überall in der Welt nur das Schreckgespenst des großen demagogischen Geheimbundes, und weil er von den Umtrieben der russischen Agenten wenig oder nichts wußte, so sah er auch in seinem fanariotischen Freunde nur einen Verblendeten, der sich in den Netzen der Carbonari habe fangen lassen. In solcher Stimmung traf ihn Metternich, und es hielt nicht allzu schwer, diesmal mit Hilfe der Feuersbrunst, die Nerven des Czaren noch mehr zu erregen: die griechische Rebellion, so versicherte der
*) Bernstorff's Bericht, 20. März 1821.
Die Großmächte und die Griechen.
Politik. Er ſah wohl ein, daß er die Pforte nicht offen unterſtützen durfte, wenn er die Aufſtändiſchen nicht geradeswegs dem Petersburger Hofe in die Arme treiben wollte; in ſeiner Angſt vor jeder Neuerung konnte er ſich aber auch nicht entſchließen, durch eine gemeinſame Intervention der großen Mächte den Rajah-Völkern ein halbwegs menſchenwürdiges Daſein und damit dem türkiſchen Reiche vielleicht noch eine Lebensfriſt zu ſichern. In ſolcher Bedrängniß erblickte er nur einen Weg der Rettung: wenn die großen Mächte ihren Abſcheu vor der griechiſchen Erhebung nachdrücklich ausſprachen und dann die orientaliſchen Wirren ſich ſelber überließen, ſo mußte die gewaltige Uebermacht der Pforte den Aufſtand bald bemeiſtern und der Krummſäbel der Osmanen, wie Metternich zuverſichtlich hoffte, die alte Ordnung im Reiche des Sultans einfach wiederherſtellen.
In dieſer ſtarr conſervativen Geſinnung begegnete ſich der öſterrei- chiſche Staatsmann mit den Anſichten des engliſchen Hofes, der durch den Aufſtand der Hellenen ſeine gewohnten Handelswege zu verlieren fürchtete und den geheimen Plänen Rußlands noch ängſtlicher als die Hofburg ſelbſt mißtraute. Der Gedanke, daß die erſte Seemacht der Welt durch die Entfeſſelung der gebundenen wirthſchaftlichen Kräfte der Bal- kanhalbinſel nur gewinnen konnte, lag gänzlich außerhalb des Geſichts- kreiſes dieſer Hochtorys. Auch die preußiſchen Staatsmänner ſchloſſen ſich der Meinung Oeſterreichs an, obgleich Bernſtorff die Hoffnungen Metter- nich’s nicht theilte und den Aufſtand der Hellenen keineswegs für aus- ſichtslos hielt.*)
Doch wie ſollte es gelingen, den Czaren ſelbſt für eine Anſicht zu gewinnen, welche allen Ueberlieferungen der Petersburger Politik und den mächtigſten nationalen Leidenſchaften des ruſſiſchen Volkes widerſprach? Noch ſaß Kapodiſtrias im Rathe Alexander’s, und dieſer Grieche mußte, wie Bernſtorff ſagte, „ſeine natürlichſten und mindeſt zweifelhaften Em- pfindungen verleugnen“, wenn er der Befreiung der Hellenen entgegen- trat. Aber die Gunſt des Glückes, die dem öſterreichiſchen Hofe in dieſen Laibacher Zeiten unwandelbar zur Seite ſtand, blieb ihm auch jetzt treu. Das Schreiben Ypſilanti’s, das dem Czaren den Beginn des Aufſtandes offen mittheilte, gelangte nach Laibach in den nämlichen Tagen, da Alex- ander durch die Turiner Nachrichten tief erſchüttert war; leidenſchaftlich erregt erblickte er überall in der Welt nur das Schreckgeſpenſt des großen demagogiſchen Geheimbundes, und weil er von den Umtrieben der ruſſiſchen Agenten wenig oder nichts wußte, ſo ſah er auch in ſeinem fanariotiſchen Freunde nur einen Verblendeten, der ſich in den Netzen der Carbonari habe fangen laſſen. In ſolcher Stimmung traf ihn Metternich, und es hielt nicht allzu ſchwer, diesmal mit Hilfe der Feuersbrunſt, die Nerven des Czaren noch mehr zu erregen: die griechiſche Rebellion, ſo verſicherte der
*) Bernſtorff’s Bericht, 20. März 1821.
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Die Großmächte und die Griechen.
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wenn er die Aufſtändiſchen nicht geradeswegs dem Petersburger Hofe in
die Arme treiben wollte; in ſeiner Angſt vor jeder Neuerung konnte er
ſich aber auch nicht entſchließen, durch eine gemeinſame Intervention der
großen Mächte den Rajah-Völkern ein halbwegs menſchenwürdiges Daſein
und damit dem türkiſchen Reiche vielleicht noch eine Lebensfriſt zu ſichern.
In ſolcher Bedrängniß erblickte er nur einen Weg der Rettung: wenn die
großen Mächte ihren Abſcheu vor der griechiſchen Erhebung nachdrücklich
ausſprachen und dann die orientaliſchen Wirren ſich ſelber überließen,
ſo mußte die gewaltige Uebermacht der Pforte den Aufſtand bald bemeiſtern
und der Krummſäbel der Osmanen, wie Metternich zuverſichtlich hoffte,
die alte Ordnung im Reiche des Sultans einfach wiederherſtellen.
In dieſer ſtarr conſervativen Geſinnung begegnete ſich der öſterrei-
chiſche Staatsmann mit den Anſichten des engliſchen Hofes, der durch
den Aufſtand der Hellenen ſeine gewohnten Handelswege zu verlieren
fürchtete und den geheimen Plänen Rußlands noch ängſtlicher als die
Hofburg ſelbſt mißtraute. Der Gedanke, daß die erſte Seemacht der Welt
durch die Entfeſſelung der gebundenen wirthſchaftlichen Kräfte der Bal-
kanhalbinſel nur gewinnen konnte, lag gänzlich außerhalb des Geſichts-
kreiſes dieſer Hochtorys. Auch die preußiſchen Staatsmänner ſchloſſen ſich
der Meinung Oeſterreichs an, obgleich Bernſtorff die Hoffnungen Metter-
nich’s nicht theilte und den Aufſtand der Hellenen keineswegs für aus-
ſichtslos hielt. *)
Doch wie ſollte es gelingen, den Czaren ſelbſt für eine Anſicht zu
gewinnen, welche allen Ueberlieferungen der Petersburger Politik und den
mächtigſten nationalen Leidenſchaften des ruſſiſchen Volkes widerſprach?
Noch ſaß Kapodiſtrias im Rathe Alexander’s, und dieſer Grieche mußte,
wie Bernſtorff ſagte, „ſeine natürlichſten und mindeſt zweifelhaften Em-
pfindungen verleugnen“, wenn er der Befreiung der Hellenen entgegen-
trat. Aber die Gunſt des Glückes, die dem öſterreichiſchen Hofe in dieſen
Laibacher Zeiten unwandelbar zur Seite ſtand, blieb ihm auch jetzt treu.
Das Schreiben Ypſilanti’s, das dem Czaren den Beginn des Aufſtandes
offen mittheilte, gelangte nach Laibach in den nämlichen Tagen, da Alex-
ander durch die Turiner Nachrichten tief erſchüttert war; leidenſchaftlich
erregt erblickte er überall in der Welt nur das Schreckgeſpenſt des großen
demagogiſchen Geheimbundes, und weil er von den Umtrieben der ruſſiſchen
Agenten wenig oder nichts wußte, ſo ſah er auch in ſeinem fanariotiſchen
Freunde nur einen Verblendeten, der ſich in den Netzen der Carbonari
habe fangen laſſen. In ſolcher Stimmung traf ihn Metternich, und es
hielt nicht allzu ſchwer, diesmal mit Hilfe der Feuersbrunſt, die Nerven des
Czaren noch mehr zu erregen: die griechiſche Rebellion, ſo verſicherte der
*) Bernſtorff’s Bericht, 20. März 1821.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/205>, abgerufen am 25.11.2024.
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