Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

III. 3. Troppau und Laibach.
1820 erhoben sich die Sulioten in den Gebirgen Albaniens. Die Nach-
richt ward in Europa kaum bemerkt; man sah in dem Kampfe nur einen
jener zahllosen lokalen Aufstände, welche seit Langem den einzigen Inhalt
der inneren Geschichte des Türkenreichs bildeten, und Niemand ahnte, daß
dies wilde Bergvolk in die Pläne der hellenischen Verschwörer eingeweiht
war. Aber welche Bestürzung auf dem Congreß, als man erfuhr, daß
Ypsilanti am 7. März in Jassy die Freiheit der Hellenen ausgerufen und
den Aufständ ischen die Hilfe des Czaren verheißen hatte; wie sicher mußte
er auf diesen Beistand zählen, wenn er dort an der russischen Grenze,
unter den gleichgiltigen Rumäniern eine griechische Schilderhebung wagte!
Wenige Wochen darauf griffen auch die Stämme des Peloponnes zu den
Waffen, dann die Inselgriechen des ägeischen Meeres, und nun raste er
dahin, der gräuelvolle Agon der Hellenen, der wildeste Rassenkampf des
Jahrhunderts: unmenschliche Wuth, Verrath und Treubruch auf beiden
Seiten.

Metternich's Urtheil über diese fünfte Revolution war im ersten Augen-
blicke gefunden; denn unter allen seinen politischen Axiomen stand ihm
keines so fest wie die Unantastbarkeit der Türkei. Keinen Augenblick be-
schäftigten ihn die Fragen: ob die Herrschaft des Halbmonds im christ-
lichen Abendlande auf die Dauer bestehen könne? ob Oesterreich nicht
versuchen solle, in die Herrscherbahnen des Prinzen Eugen wieder einzu-
lenken und bei dem drohenden Zerfalle des türkischen Reichs sich selber
eine starke Stellung auf der Balkanhalbinsel, vielleicht sogar die Herrschaft
über die Mündungen seines Stromes zu gewinnen? Der Sultan war ihm
ein legitimer Fürst wie jeder andere auch; mit heiligem Eifer bewies Gentz im
Oesterreichischen Beobachter, daß die Herrschaft der Pforte auf dem überall
in der Welt anerkannten Rechtstitel der Eroberung ruhe. Und dieser
legitime Staat zeichnete sich aus durch eine Verfassung, welche den politi-
schen Idealen des österreichischen Staatsmannes vollkommen entsprach: hier
bestand noch unberührt von den zersetzenden Lehren der Revolution die viel-
gerühmte force des subdivisions, ein lockeres Nebeneinander zusammen-
geraubter Länder, die unter sich nichts gemein hatten als den schweigen-
den Gehorsam gegen den Großherrn. Befangen in dem dürren Prag-
matismus der Geschichtsphilosophie des alten Jahrhunderts, ohne Sinn
für die elementarische Kraft des nationalen Instinkts, die in solchen Krisen
des Völkerlebens allein entscheidet, suchte Metternich den Grund dieser Ent-
ladung uralten Rassenhasses allein in den schlechten Künsten einer Rotte
ehrgeiziger Bösewichter und legte auch die orientalische Frage unter die
Schablone seiner Stabilitätsdoktrin. Auch die hellenische Bewegung konnte
nur durch die im Dunkeln schleichende Partei bewirkt sein, und von vorn-
herein nahm er als erwiesen an, daß die Hetärie und die Carbonari der
nämlichen Sekte angehörten. Und diese unheimlichen griechischen Dema-
gogen erschienen ihm zugleich als Werkzeuge der gefürchteten russischen

III. 3. Troppau und Laibach.
1820 erhoben ſich die Sulioten in den Gebirgen Albaniens. Die Nach-
richt ward in Europa kaum bemerkt; man ſah in dem Kampfe nur einen
jener zahlloſen lokalen Aufſtände, welche ſeit Langem den einzigen Inhalt
der inneren Geſchichte des Türkenreichs bildeten, und Niemand ahnte, daß
dies wilde Bergvolk in die Pläne der helleniſchen Verſchwörer eingeweiht
war. Aber welche Beſtürzung auf dem Congreß, als man erfuhr, daß
Ypſilanti am 7. März in Jaſſy die Freiheit der Hellenen ausgerufen und
den Aufſtänd iſchen die Hilfe des Czaren verheißen hatte; wie ſicher mußte
er auf dieſen Beiſtand zählen, wenn er dort an der ruſſiſchen Grenze,
unter den gleichgiltigen Rumäniern eine griechiſche Schilderhebung wagte!
Wenige Wochen darauf griffen auch die Stämme des Peloponnes zu den
Waffen, dann die Inſelgriechen des ägeiſchen Meeres, und nun raſte er
dahin, der gräuelvolle Agon der Hellenen, der wildeſte Raſſenkampf des
Jahrhunderts: unmenſchliche Wuth, Verrath und Treubruch auf beiden
Seiten.

Metternich’s Urtheil über dieſe fünfte Revolution war im erſten Augen-
blicke gefunden; denn unter allen ſeinen politiſchen Axiomen ſtand ihm
keines ſo feſt wie die Unantaſtbarkeit der Türkei. Keinen Augenblick be-
ſchäftigten ihn die Fragen: ob die Herrſchaft des Halbmonds im chriſt-
lichen Abendlande auf die Dauer beſtehen könne? ob Oeſterreich nicht
verſuchen ſolle, in die Herrſcherbahnen des Prinzen Eugen wieder einzu-
lenken und bei dem drohenden Zerfalle des türkiſchen Reichs ſich ſelber
eine ſtarke Stellung auf der Balkanhalbinſel, vielleicht ſogar die Herrſchaft
über die Mündungen ſeines Stromes zu gewinnen? Der Sultan war ihm
ein legitimer Fürſt wie jeder andere auch; mit heiligem Eifer bewies Gentz im
Oeſterreichiſchen Beobachter, daß die Herrſchaft der Pforte auf dem überall
in der Welt anerkannten Rechtstitel der Eroberung ruhe. Und dieſer
legitime Staat zeichnete ſich aus durch eine Verfaſſung, welche den politi-
ſchen Idealen des öſterreichiſchen Staatsmannes vollkommen entſprach: hier
beſtand noch unberührt von den zerſetzenden Lehren der Revolution die viel-
gerühmte force des subdivisions, ein lockeres Nebeneinander zuſammen-
geraubter Länder, die unter ſich nichts gemein hatten als den ſchweigen-
den Gehorſam gegen den Großherrn. Befangen in dem dürren Prag-
matismus der Geſchichtsphiloſophie des alten Jahrhunderts, ohne Sinn
für die elementariſche Kraft des nationalen Inſtinkts, die in ſolchen Kriſen
des Völkerlebens allein entſcheidet, ſuchte Metternich den Grund dieſer Ent-
ladung uralten Raſſenhaſſes allein in den ſchlechten Künſten einer Rotte
ehrgeiziger Böſewichter und legte auch die orientaliſche Frage unter die
Schablone ſeiner Stabilitätsdoktrin. Auch die helleniſche Bewegung konnte
nur durch die im Dunkeln ſchleichende Partei bewirkt ſein, und von vorn-
herein nahm er als erwieſen an, daß die Hetärie und die Carbonari der
nämlichen Sekte angehörten. Und dieſe unheimlichen griechiſchen Dema-
gogen erſchienen ihm zugleich als Werkzeuge der gefürchteten ruſſiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="188"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 3. Troppau und Laibach.</fw><lb/>
1820 erhoben &#x017F;ich die Sulioten in den Gebirgen Albaniens. Die Nach-<lb/>
richt ward in Europa kaum bemerkt; man &#x017F;ah in dem Kampfe nur einen<lb/>
jener zahllo&#x017F;en lokalen Auf&#x017F;tände, welche &#x017F;eit Langem den einzigen Inhalt<lb/>
der inneren Ge&#x017F;chichte des Türkenreichs bildeten, und Niemand ahnte, daß<lb/>
dies wilde Bergvolk in die Pläne der helleni&#x017F;chen Ver&#x017F;chwörer eingeweiht<lb/>
war. Aber welche Be&#x017F;türzung auf dem Congreß, als man erfuhr, daß<lb/>
Yp&#x017F;ilanti am 7. März in Ja&#x017F;&#x017F;y die Freiheit der Hellenen ausgerufen und<lb/>
den Auf&#x017F;tänd i&#x017F;chen die Hilfe des Czaren verheißen hatte; wie &#x017F;icher mußte<lb/>
er auf die&#x017F;en Bei&#x017F;tand zählen, wenn er dort an der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Grenze,<lb/>
unter den gleichgiltigen Rumäniern eine griechi&#x017F;che Schilderhebung wagte!<lb/>
Wenige Wochen darauf griffen auch die Stämme des Peloponnes zu den<lb/>
Waffen, dann die In&#x017F;elgriechen des ägei&#x017F;chen Meeres, und nun ra&#x017F;te er<lb/>
dahin, der gräuelvolle Agon der Hellenen, der wilde&#x017F;te Ra&#x017F;&#x017F;enkampf des<lb/>
Jahrhunderts: unmen&#x017F;chliche Wuth, Verrath und Treubruch auf beiden<lb/>
Seiten.</p><lb/>
          <p>Metternich&#x2019;s Urtheil über die&#x017F;e fünfte Revolution war im er&#x017F;ten Augen-<lb/>
blicke gefunden; denn unter allen &#x017F;einen politi&#x017F;chen Axiomen &#x017F;tand ihm<lb/>
keines &#x017F;o fe&#x017F;t wie die Unanta&#x017F;tbarkeit der Türkei. Keinen Augenblick be-<lb/>
&#x017F;chäftigten ihn die Fragen: ob die Herr&#x017F;chaft des Halbmonds im chri&#x017F;t-<lb/>
lichen Abendlande auf die Dauer be&#x017F;tehen könne? ob Oe&#x017F;terreich nicht<lb/>
ver&#x017F;uchen &#x017F;olle, in die Herr&#x017F;cherbahnen des Prinzen Eugen wieder einzu-<lb/>
lenken und bei dem drohenden Zerfalle des türki&#x017F;chen Reichs &#x017F;ich &#x017F;elber<lb/>
eine &#x017F;tarke Stellung auf der Balkanhalbin&#x017F;el, vielleicht &#x017F;ogar die Herr&#x017F;chaft<lb/>
über die Mündungen &#x017F;eines Stromes zu gewinnen? Der Sultan war ihm<lb/>
ein legitimer Für&#x017F;t wie jeder andere auch; mit heiligem Eifer bewies Gentz im<lb/>
Oe&#x017F;terreichi&#x017F;chen Beobachter, daß die Herr&#x017F;chaft der Pforte auf dem überall<lb/>
in der Welt anerkannten Rechtstitel der Eroberung ruhe. Und die&#x017F;er<lb/>
legitime Staat zeichnete &#x017F;ich aus durch eine Verfa&#x017F;&#x017F;ung, welche den politi-<lb/>
&#x017F;chen Idealen des ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Staatsmannes vollkommen ent&#x017F;prach: hier<lb/>
be&#x017F;tand noch unberührt von den zer&#x017F;etzenden Lehren der Revolution die viel-<lb/>
gerühmte <hi rendition="#aq">force des subdivisions,</hi> ein lockeres Nebeneinander zu&#x017F;ammen-<lb/>
geraubter Länder, die unter &#x017F;ich nichts gemein hatten als den &#x017F;chweigen-<lb/>
den Gehor&#x017F;am gegen den Großherrn. Befangen in dem dürren Prag-<lb/>
matismus der Ge&#x017F;chichtsphilo&#x017F;ophie des alten Jahrhunderts, ohne Sinn<lb/>
für die elementari&#x017F;che Kraft des nationalen In&#x017F;tinkts, die in &#x017F;olchen Kri&#x017F;en<lb/>
des Völkerlebens allein ent&#x017F;cheidet, &#x017F;uchte Metternich den Grund die&#x017F;er Ent-<lb/>
ladung uralten Ra&#x017F;&#x017F;enha&#x017F;&#x017F;es allein in den &#x017F;chlechten Kün&#x017F;ten einer Rotte<lb/>
ehrgeiziger Bö&#x017F;ewichter und legte auch die orientali&#x017F;che Frage unter die<lb/>
Schablone &#x017F;einer Stabilitätsdoktrin. Auch die helleni&#x017F;che Bewegung konnte<lb/>
nur durch die im Dunkeln &#x017F;chleichende Partei bewirkt &#x017F;ein, und von vorn-<lb/>
herein nahm er als erwie&#x017F;en an, daß die Hetärie und die Carbonari der<lb/>
nämlichen Sekte angehörten. Und die&#x017F;e unheimlichen griechi&#x017F;chen Dema-<lb/>
gogen er&#x017F;chienen ihm zugleich als Werkzeuge der gefürchteten ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0204] III. 3. Troppau und Laibach. 1820 erhoben ſich die Sulioten in den Gebirgen Albaniens. Die Nach- richt ward in Europa kaum bemerkt; man ſah in dem Kampfe nur einen jener zahlloſen lokalen Aufſtände, welche ſeit Langem den einzigen Inhalt der inneren Geſchichte des Türkenreichs bildeten, und Niemand ahnte, daß dies wilde Bergvolk in die Pläne der helleniſchen Verſchwörer eingeweiht war. Aber welche Beſtürzung auf dem Congreß, als man erfuhr, daß Ypſilanti am 7. März in Jaſſy die Freiheit der Hellenen ausgerufen und den Aufſtänd iſchen die Hilfe des Czaren verheißen hatte; wie ſicher mußte er auf dieſen Beiſtand zählen, wenn er dort an der ruſſiſchen Grenze, unter den gleichgiltigen Rumäniern eine griechiſche Schilderhebung wagte! Wenige Wochen darauf griffen auch die Stämme des Peloponnes zu den Waffen, dann die Inſelgriechen des ägeiſchen Meeres, und nun raſte er dahin, der gräuelvolle Agon der Hellenen, der wildeſte Raſſenkampf des Jahrhunderts: unmenſchliche Wuth, Verrath und Treubruch auf beiden Seiten. Metternich’s Urtheil über dieſe fünfte Revolution war im erſten Augen- blicke gefunden; denn unter allen ſeinen politiſchen Axiomen ſtand ihm keines ſo feſt wie die Unantaſtbarkeit der Türkei. Keinen Augenblick be- ſchäftigten ihn die Fragen: ob die Herrſchaft des Halbmonds im chriſt- lichen Abendlande auf die Dauer beſtehen könne? ob Oeſterreich nicht verſuchen ſolle, in die Herrſcherbahnen des Prinzen Eugen wieder einzu- lenken und bei dem drohenden Zerfalle des türkiſchen Reichs ſich ſelber eine ſtarke Stellung auf der Balkanhalbinſel, vielleicht ſogar die Herrſchaft über die Mündungen ſeines Stromes zu gewinnen? Der Sultan war ihm ein legitimer Fürſt wie jeder andere auch; mit heiligem Eifer bewies Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter, daß die Herrſchaft der Pforte auf dem überall in der Welt anerkannten Rechtstitel der Eroberung ruhe. Und dieſer legitime Staat zeichnete ſich aus durch eine Verfaſſung, welche den politi- ſchen Idealen des öſterreichiſchen Staatsmannes vollkommen entſprach: hier beſtand noch unberührt von den zerſetzenden Lehren der Revolution die viel- gerühmte force des subdivisions, ein lockeres Nebeneinander zuſammen- geraubter Länder, die unter ſich nichts gemein hatten als den ſchweigen- den Gehorſam gegen den Großherrn. Befangen in dem dürren Prag- matismus der Geſchichtsphiloſophie des alten Jahrhunderts, ohne Sinn für die elementariſche Kraft des nationalen Inſtinkts, die in ſolchen Kriſen des Völkerlebens allein entſcheidet, ſuchte Metternich den Grund dieſer Ent- ladung uralten Raſſenhaſſes allein in den ſchlechten Künſten einer Rotte ehrgeiziger Böſewichter und legte auch die orientaliſche Frage unter die Schablone ſeiner Stabilitätsdoktrin. Auch die helleniſche Bewegung konnte nur durch die im Dunkeln ſchleichende Partei bewirkt ſein, und von vorn- herein nahm er als erwieſen an, daß die Hetärie und die Carbonari der nämlichen Sekte angehörten. Und dieſe unheimlichen griechiſchen Dema- gogen erſchienen ihm zugleich als Werkzeuge der gefürchteten ruſſiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/204
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/204>, abgerufen am 05.05.2024.