Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Oesterreichs Intervention in Neapel. die Vertreter der kleinen italienischen Staaten mitgewirkt, ganz nachMetternich's Sinne. Als strenger Legitimist zeigte sich namentlich der Mi- nister des Herzogs Franz von Modena, des bösen kleinen Despoten, der für das Haupt der italienischen Reaktionspartei galt und durchaus nur als Erzherzog auftrat. Sogar der piemontesische Bevollmächtigte, Graf St. Marsan -- derselbe, der sich einst als Gesandter Napoleon's in Berlin so ehrenhaft betragen hatte -- hielt den Kampf wider die Carbonari für nothwendig. Die Angst vor der Revolution war stärker als das alte Mißtrauen der Piemontesen gegen die österreichischen Nachbarn; und in der That hegte die Hofburg augenblicklich keine Eroberungsgedanken, sie vermied auch weislich, ihre italienischen Bundes-Pläne, die den Turiner Hof schon so oft beunruhigt hatten, wieder zur Sprache zu bringen. Nur der päpstliche Legat, Cardinal Spina, begnügte sich mit einigen verlegenen, unverfänglichen Erklärungen; denn der Papst wollte seine kaum erst wieder- gewonnene Souveränität gegen Jedermann behaupten, und wie er alle Rathschläge der Großmächte für die Verwaltung des Kirchenstaates zu- rückwies, so wünschte er auch, seinem Lande, das den Angriffen des Revo- lutionsheeres zunächst ausgesetzt war, die Neutralität zu bewahren. Es war die alte päpstliche Politik, die noch niemals einer Macht die Allein- herrschaft auf der Halbinsel gegönnt hatte; freilich durfte die Curie auch nicht wagen, den Oesterreichern ihre einzige Straße nach Neapel zu sperren.*) Sodann beriethen sich die Großmächte mit den italienischen Gesandten über die Grundzüge der künftigen neapolitanischen Verfassung. Die Vorschläge lauteten verständig: eine Consulta mit bescheidenen Befugnissen sollte in Neapel wie in Palermo der königlichen Gewalt an die Seite treten. Doch leider konnte Bernstorff nicht durchsetzen, daß dem Könige genau vorge- schrieben wurde, was er nach seiner Rückkehr zu thun habe; und so blieb denn das Schicksal Unteritaliens allein dem Kriegsglück und den unbe- rechenbaren Launen des dreifach meineidigen Bourbonen preisgegeben.**) Der nächste Zweck des Congresses war erreicht, die förmlichen Be- *) Hardenberg's und Bernstorff's Bericht, 30. Jan. Journaux de la conference, 20., 21. Febr. Bernstorff an Gf. Goltz in Paris, 28. Febr. 1821. **) Preußische Erklärung, 22. Februar; Bernstorff's Berichte, 20., 24. Februar, 5. März 1821. ***) Rother an Hardenberg, 31. Jan. 1821. 12*
Oeſterreichs Intervention in Neapel. die Vertreter der kleinen italieniſchen Staaten mitgewirkt, ganz nachMetternich’s Sinne. Als ſtrenger Legitimiſt zeigte ſich namentlich der Mi- niſter des Herzogs Franz von Modena, des böſen kleinen Despoten, der für das Haupt der italieniſchen Reaktionspartei galt und durchaus nur als Erzherzog auftrat. Sogar der piemonteſiſche Bevollmächtigte, Graf St. Marſan — derſelbe, der ſich einſt als Geſandter Napoleon’s in Berlin ſo ehrenhaft betragen hatte — hielt den Kampf wider die Carbonari für nothwendig. Die Angſt vor der Revolution war ſtärker als das alte Mißtrauen der Piemonteſen gegen die öſterreichiſchen Nachbarn; und in der That hegte die Hofburg augenblicklich keine Eroberungsgedanken, ſie vermied auch weislich, ihre italieniſchen Bundes-Pläne, die den Turiner Hof ſchon ſo oft beunruhigt hatten, wieder zur Sprache zu bringen. Nur der päpſtliche Legat, Cardinal Spina, begnügte ſich mit einigen verlegenen, unverfänglichen Erklärungen; denn der Papſt wollte ſeine kaum erſt wieder- gewonnene Souveränität gegen Jedermann behaupten, und wie er alle Rathſchläge der Großmächte für die Verwaltung des Kirchenſtaates zu- rückwies, ſo wünſchte er auch, ſeinem Lande, das den Angriffen des Revo- lutionsheeres zunächſt ausgeſetzt war, die Neutralität zu bewahren. Es war die alte päpſtliche Politik, die noch niemals einer Macht die Allein- herrſchaft auf der Halbinſel gegönnt hatte; freilich durfte die Curie auch nicht wagen, den Oeſterreichern ihre einzige Straße nach Neapel zu ſperren.*) Sodann beriethen ſich die Großmächte mit den italieniſchen Geſandten über die Grundzüge der künftigen neapolitaniſchen Verfaſſung. Die Vorſchläge lauteten verſtändig: eine Conſulta mit beſcheidenen Befugniſſen ſollte in Neapel wie in Palermo der königlichen Gewalt an die Seite treten. Doch leider konnte Bernſtorff nicht durchſetzen, daß dem Könige genau vorge- ſchrieben wurde, was er nach ſeiner Rückkehr zu thun habe; und ſo blieb denn das Schickſal Unteritaliens allein dem Kriegsglück und den unbe- rechenbaren Launen des dreifach meineidigen Bourbonen preisgegeben.**) Der nächſte Zweck des Congreſſes war erreicht, die förmlichen Be- *) Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 30. Jan. Journaux de la conférence, 20., 21. Febr. Bernſtorff an Gf. Goltz in Paris, 28. Febr. 1821. **) Preußiſche Erklärung, 22. Februar; Bernſtorff’s Berichte, 20., 24. Februar, 5. März 1821. ***) Rother an Hardenberg, 31. Jan. 1821. 12*
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Oeſterreichs Intervention in Neapel.
die Vertreter der kleinen italieniſchen Staaten mitgewirkt, ganz nach
Metternich’s Sinne. Als ſtrenger Legitimiſt zeigte ſich namentlich der Mi-
niſter des Herzogs Franz von Modena, des böſen kleinen Despoten, der
für das Haupt der italieniſchen Reaktionspartei galt und durchaus nur
als Erzherzog auftrat. Sogar der piemonteſiſche Bevollmächtigte, Graf
St. Marſan — derſelbe, der ſich einſt als Geſandter Napoleon’s in Berlin
ſo ehrenhaft betragen hatte — hielt den Kampf wider die Carbonari für
nothwendig. Die Angſt vor der Revolution war ſtärker als das alte
Mißtrauen der Piemonteſen gegen die öſterreichiſchen Nachbarn; und in
der That hegte die Hofburg augenblicklich keine Eroberungsgedanken, ſie
vermied auch weislich, ihre italieniſchen Bundes-Pläne, die den Turiner
Hof ſchon ſo oft beunruhigt hatten, wieder zur Sprache zu bringen. Nur
der päpſtliche Legat, Cardinal Spina, begnügte ſich mit einigen verlegenen,
unverfänglichen Erklärungen; denn der Papſt wollte ſeine kaum erſt wieder-
gewonnene Souveränität gegen Jedermann behaupten, und wie er alle
Rathſchläge der Großmächte für die Verwaltung des Kirchenſtaates zu-
rückwies, ſo wünſchte er auch, ſeinem Lande, das den Angriffen des Revo-
lutionsheeres zunächſt ausgeſetzt war, die Neutralität zu bewahren. Es
war die alte päpſtliche Politik, die noch niemals einer Macht die Allein-
herrſchaft auf der Halbinſel gegönnt hatte; freilich durfte die Curie auch
nicht wagen, den Oeſterreichern ihre einzige Straße nach Neapel zu ſperren. *)
Sodann beriethen ſich die Großmächte mit den italieniſchen Geſandten über
die Grundzüge der künftigen neapolitaniſchen Verfaſſung. Die Vorſchläge
lauteten verſtändig: eine Conſulta mit beſcheidenen Befugniſſen ſollte in
Neapel wie in Palermo der königlichen Gewalt an die Seite treten. Doch
leider konnte Bernſtorff nicht durchſetzen, daß dem Könige genau vorge-
ſchrieben wurde, was er nach ſeiner Rückkehr zu thun habe; und ſo blieb
denn das Schickſal Unteritaliens allein dem Kriegsglück und den unbe-
rechenbaren Launen des dreifach meineidigen Bourbonen preisgegeben. **)
Der nächſte Zweck des Congreſſes war erreicht, die förmlichen Be-
rathungen wurden bereits am 26. Febr. geſchloſſen. Schon einige Tage
vorher hatte Hardenberg die Congreßſtadt verlaſſen. Er ging nicht nach
Berlin zurück, obgleich er wußte, welche dringenden Geſchäfte ihn dort
erwarteten, obgleich ſein getreuer Rother ihm ſoeben erſt geſchrieben
hatte, wie Alles ins Stocken gerathe, wenn der Kanzler nicht mit dem
Könige zuſammen arbeite. ***) Mit unbegreiflichem Leichtſinn entſchlug er
ſich dieſer Sorgen und unternahm eine Erholungsreiſe nach Italien;
nebenbei wollte er auch in Rom die nahezu fertige Vereinbarung mit dem
*) Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 30. Jan. Journaux de la conférence,
20., 21. Febr. Bernſtorff an Gf. Goltz in Paris, 28. Febr. 1821.
**) Preußiſche Erklärung, 22. Februar; Bernſtorff’s Berichte, 20., 24. Februar,
5. März 1821.
***) Rother an Hardenberg, 31. Jan. 1821.
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