bekannt; aber der Erfolg zeigte, daß der Oesterreicher richtig berechnete, wo diesmal der Hebel einzusetzen sei. Sein Plan war, die preußische Ver- fassung in weite Ferne hinauszuschieben, bis das so lange verschleppte Unternehmen zuletzt gänzlich einschlief. Und wie leicht, fast spielend, ließ sich dieser Zweck jetzt erreichen, da der König und sein Thronfolger Beide über die Communalordnungs-Entwürfe scharf aburtheilten; wie nahe lag der Gedanke, diesen verfehlten ersten Theil des Verfassungsplanes noch einmal ernstlich prüfen zu lassen. In solchem Sinne wird Metternich sich auf dem Congresse ausgesprochen haben; er brauchte nur den König zu bestärken in einem Entschlusse, der im Stillen wahrscheinlich schon ge- faßt war.
Am 19. December, bald nach seiner Heimkehr aus Troppau, befahl der König die Berufung einer neuen Commission zur Durchsicht jener Entwürfe.*) Unzweifelhaft bedurften die Entwürfe einer gründlichen Umge- staltung, aber die Zusammensetzung des neuen Ausschusses bewies, daß die Prüfung nicht im Sinne des Staatskanzlers erfolgen sollte. Es war be- reits die vierte Commission, die in diesem unglücklichen Verfassungskampfe gebildet wurde, ohne daß man die älteren auflöste. Den Vorsitz erhielt der Kronprinz, Mitglieder waren: Wittgenstein, Schuckmann, Ancillon, Oberpräsident Bülow, Cabinetsrath Albrecht, sammt und sonders altstän- dische oder absolutistische Gegner Hardenberg's. Unter der Führung des Thronfolgers hatten die beiden Parteien der conservativen Opposition ihren ersten Sieg über den Kanzler erfochten. Der König aber hielt nicht ein- mal für nöthig, dem alten Herrn, der noch in Troppau weilte, das Ge- schehene amtlich mitzutheilen; er hatte ihm sein Vertrauen gänzlich ent- zogen und duldete ihn nur noch im Amte, weil er den Hochverdienten nicht allzu bitter kränken wollte. Was weiter geschehen mußte, ließ sich errathen. Das Schicksal der Communalordnung war entschieden; lag diese erst in Trümmern, so war wieder eine lange Frist gewonnen, und dann konnten vielleicht dieselben Hände, welche den Unterbau der Harden- bergischen Verfassung zerstörten, nach neuem Plane ein altständisches Ge- bäude aufrichten. --
Wie anders als das vergangene begrüßte der greise Staatskanzler dies neue Jahr. Damals hatte er sich voll jugendlicher Zuversicht ver- messen, sein Lebenswerk mit der preußischen Verfassung abzuschließen; jetzt
*) Cabinetsordre vom 19. Dec. 1820. -- Für die obige Vermuthung spricht u. A. ein Brief Witzleben's an Hardenberg aus dem Jahre 1821, worin es heißt: "Nament- lich sind Sie in Troppau bei mir gewesen, gerade zu der Zeit, wo der Entwurf der Communalordnung eingerichtet war und sich die Idee einer besonderen Commission für das ständische Wesen vielleicht zuerst entwickelte." (Abgedruckt bei Dorow, Erlebtes III. 303).
Neue Gemeinde-Commiſſion in Berlin.
bekannt; aber der Erfolg zeigte, daß der Oeſterreicher richtig berechnete, wo diesmal der Hebel einzuſetzen ſei. Sein Plan war, die preußiſche Ver- faſſung in weite Ferne hinauszuſchieben, bis das ſo lange verſchleppte Unternehmen zuletzt gänzlich einſchlief. Und wie leicht, faſt ſpielend, ließ ſich dieſer Zweck jetzt erreichen, da der König und ſein Thronfolger Beide über die Communalordnungs-Entwürfe ſcharf aburtheilten; wie nahe lag der Gedanke, dieſen verfehlten erſten Theil des Verfaſſungsplanes noch einmal ernſtlich prüfen zu laſſen. In ſolchem Sinne wird Metternich ſich auf dem Congreſſe ausgeſprochen haben; er brauchte nur den König zu beſtärken in einem Entſchluſſe, der im Stillen wahrſcheinlich ſchon ge- faßt war.
Am 19. December, bald nach ſeiner Heimkehr aus Troppau, befahl der König die Berufung einer neuen Commiſſion zur Durchſicht jener Entwürfe.*) Unzweifelhaft bedurften die Entwürfe einer gründlichen Umge- ſtaltung, aber die Zuſammenſetzung des neuen Ausſchuſſes bewies, daß die Prüfung nicht im Sinne des Staatskanzlers erfolgen ſollte. Es war be- reits die vierte Commiſſion, die in dieſem unglücklichen Verfaſſungskampfe gebildet wurde, ohne daß man die älteren auflöſte. Den Vorſitz erhielt der Kronprinz, Mitglieder waren: Wittgenſtein, Schuckmann, Ancillon, Oberpräſident Bülow, Cabinetsrath Albrecht, ſammt und ſonders altſtän- diſche oder abſolutiſtiſche Gegner Hardenberg’s. Unter der Führung des Thronfolgers hatten die beiden Parteien der conſervativen Oppoſition ihren erſten Sieg über den Kanzler erfochten. Der König aber hielt nicht ein- mal für nöthig, dem alten Herrn, der noch in Troppau weilte, das Ge- ſchehene amtlich mitzutheilen; er hatte ihm ſein Vertrauen gänzlich ent- zogen und duldete ihn nur noch im Amte, weil er den Hochverdienten nicht allzu bitter kränken wollte. Was weiter geſchehen mußte, ließ ſich errathen. Das Schickſal der Communalordnung war entſchieden; lag dieſe erſt in Trümmern, ſo war wieder eine lange Friſt gewonnen, und dann konnten vielleicht dieſelben Hände, welche den Unterbau der Harden- bergiſchen Verfaſſung zerſtörten, nach neuem Plane ein altſtändiſches Ge- bäude aufrichten. —
Wie anders als das vergangene begrüßte der greiſe Staatskanzler dies neue Jahr. Damals hatte er ſich voll jugendlicher Zuverſicht ver- meſſen, ſein Lebenswerk mit der preußiſchen Verfaſſung abzuſchließen; jetzt
*) Cabinetsordre vom 19. Dec. 1820. — Für die obige Vermuthung ſpricht u. A. ein Brief Witzleben’s an Hardenberg aus dem Jahre 1821, worin es heißt: „Nament- lich ſind Sie in Troppau bei mir geweſen, gerade zu der Zeit, wo der Entwurf der Communalordnung eingerichtet war und ſich die Idee einer beſonderen Commiſſion für das ſtändiſche Weſen vielleicht zuerſt entwickelte.“ (Abgedruckt bei Dorow, Erlebtes III. 303).
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Neue Gemeinde-Commiſſion in Berlin.
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diesmal der Hebel einzuſetzen ſei. Sein Plan war, die preußiſche Ver-
faſſung in weite Ferne hinauszuſchieben, bis das ſo lange verſchleppte
Unternehmen zuletzt gänzlich einſchlief. Und wie leicht, faſt ſpielend, ließ
ſich dieſer Zweck jetzt erreichen, da der König und ſein Thronfolger Beide
über die Communalordnungs-Entwürfe ſcharf aburtheilten; wie nahe lag
der Gedanke, dieſen verfehlten erſten Theil des Verfaſſungsplanes noch
einmal ernſtlich prüfen zu laſſen. In ſolchem Sinne wird Metternich
ſich auf dem Congreſſe ausgeſprochen haben; er brauchte nur den König
zu beſtärken in einem Entſchluſſe, der im Stillen wahrſcheinlich ſchon ge-
faßt war.
Am 19. December, bald nach ſeiner Heimkehr aus Troppau, befahl
der König die Berufung einer neuen Commiſſion zur Durchſicht jener
Entwürfe. *) Unzweifelhaft bedurften die Entwürfe einer gründlichen Umge-
ſtaltung, aber die Zuſammenſetzung des neuen Ausſchuſſes bewies, daß die
Prüfung nicht im Sinne des Staatskanzlers erfolgen ſollte. Es war be-
reits die vierte Commiſſion, die in dieſem unglücklichen Verfaſſungskampfe
gebildet wurde, ohne daß man die älteren auflöſte. Den Vorſitz erhielt
der Kronprinz, Mitglieder waren: Wittgenſtein, Schuckmann, Ancillon,
Oberpräſident Bülow, Cabinetsrath Albrecht, ſammt und ſonders altſtän-
diſche oder abſolutiſtiſche Gegner Hardenberg’s. Unter der Führung des
Thronfolgers hatten die beiden Parteien der conſervativen Oppoſition ihren
erſten Sieg über den Kanzler erfochten. Der König aber hielt nicht ein-
mal für nöthig, dem alten Herrn, der noch in Troppau weilte, das Ge-
ſchehene amtlich mitzutheilen; er hatte ihm ſein Vertrauen gänzlich ent-
zogen und duldete ihn nur noch im Amte, weil er den Hochverdienten
nicht allzu bitter kränken wollte. Was weiter geſchehen mußte, ließ ſich
errathen. Das Schickſal der Communalordnung war entſchieden; lag
dieſe erſt in Trümmern, ſo war wieder eine lange Friſt gewonnen, und
dann konnten vielleicht dieſelben Hände, welche den Unterbau der Harden-
bergiſchen Verfaſſung zerſtörten, nach neuem Plane ein altſtändiſches Ge-
bäude aufrichten. —
Wie anders als das vergangene begrüßte der greiſe Staatskanzler
dies neue Jahr. Damals hatte er ſich voll jugendlicher Zuverſicht ver-
meſſen, ſein Lebenswerk mit der preußiſchen Verfaſſung abzuſchließen; jetzt
*) Cabinetsordre vom 19. Dec. 1820. — Für die obige Vermuthung ſpricht u. A.
ein Brief Witzleben’s an Hardenberg aus dem Jahre 1821, worin es heißt: „Nament-
lich ſind Sie in Troppau bei mir geweſen, gerade zu der Zeit, wo der Entwurf der
Communalordnung eingerichtet war und ſich die Idee einer beſonderen Commiſſion für das
ſtändiſche Weſen vielleicht zuerſt entwickelte.“ (Abgedruckt bei Dorow, Erlebtes III. 303).
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/189>, abgerufen am 22.07.2024.
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