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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
fühlte er schon, wie die tragische Vergeltung ihn ereilte. Humboldt, Boyen
und Beyme, die einzigen aufrichtigen Freunde seines Verfassungsplanes,
waren aus dem Ministerium ausgeschieden, und nun wuchs die reaktio-
näre Partei, die ihm diese Männer zu stürzen geholfen, bereits ihm selber
über den Kopf. Zu Neujahr erhielt er in Wien durch Wittgenstein den
Befehl, mit Bernstorff nach Laibach zu gehen; der König, dem der be-
schäftigte Müßiggang des Congreßlebens je länger je mehr widerstand,
wollte Berlin nicht verlassen. Die Absicht dieser Weisung konnte dem Staats-
kanzler nicht verborgen bleiben, um so weniger, da er durch Bernstorff
erfuhr, daß Ancillon den Entschluß des Monarchen veranlaßt hatte: die
Partei des Kronprinzen wünschte offenbar, den Urheber der Verfassungs-
pläne von dem Monarchen und von der Hauptstadt fern zu halten, so
lange die entscheidende Berathung über die Gemeindeordnung noch schwebte.
Sichtlich gekränkt erwiderte Hardenberg am 5. Januar: das Ausbleiben
des Monarchen werde allerdings Mißdeutungen hervorrufen; doch wenn
der König nicht selbst erscheinen wolle, dann sei die Anwesenheit des Kanz-
lers "wirklich unnütz, sowohl für die Opinion, als für die Sache selbst";
der inzwischen wiedergenesene Graf Bernstorff könne die Geschäfte des Con-
gresses, welche das preußische Interesse doch nur mittelbar berührten, sehr
wohl erledigen. Mit warmen Worten erbat er sodann die Erlaubniß zur
Rückkehr nach Berlin "um Ew. K. Maj. die geringen Dienste zu widmen,
die ich Ihnen nach meinen Kräften noch zu leisten vermögend bin." Dort
harrten seiner die Verfassung, die Communalordnung und viele andere
wichtige Entwürfe, "deren Ausführung ich zwar wohl erwogen, aber nicht
mehreren Händen außer meiner Direktion anvertraut zu sehen wünschte,
so lange Ew. K. Maj. mich Ihres höchsten Vertrauens würdigen."*)

Trotzdem unterwarf er sich dem Befehle des Monarchen, und wagte
nicht, nach einem solchen Zeichen königlicher Ungnade den Abschied zu
fordern. Statt sein Amt einzusetzen für seine Verfassungspläne, ließ er sich
zur Seite schieben in eine Winkelstellung, die einem leitenden Staatsmanne
übel anstand, und tröstete sich mit der Hoffnung, seine Gegner durch zähes
Hinhalten zu ermüden. Das letzte fröhliche Aufflackern alter Rüstigkeit
im vergangenen Frühjahr hatte seine Willenskraft erschöpft. Die Alters-
schwäche kam über ihn, aber von dem Amte, das mit seinem Leben ver-
wachsen war, von dem Scheine der Macht vermochte er sich nicht zu
trennen. Gehorsam reiste er nach Laibach und fand dort für die preu-
ßische Politik so wenig zu thun, daß er nach vier Wochen heimschreiben
konnte, auch die Anwesenheit des Königs sei nunmehr gänzlich überflüssig.**)

*) Hardenberg an den König, Wien 5. Januar. Hardenberg's Tagebuch, 1., 3.,
4. Jan. 1821.
**) Der König an Hardenberg, 31. Jan.; Witzleben an Hardenberg, 31. Jan.;
Hardenberg an den König, 6., 8. Febr. 1821.

III. 3. Troppau und Laibach.
fühlte er ſchon, wie die tragiſche Vergeltung ihn ereilte. Humboldt, Boyen
und Beyme, die einzigen aufrichtigen Freunde ſeines Verfaſſungsplanes,
waren aus dem Miniſterium ausgeſchieden, und nun wuchs die reaktio-
näre Partei, die ihm dieſe Männer zu ſtürzen geholfen, bereits ihm ſelber
über den Kopf. Zu Neujahr erhielt er in Wien durch Wittgenſtein den
Befehl, mit Bernſtorff nach Laibach zu gehen; der König, dem der be-
ſchäftigte Müßiggang des Congreßlebens je länger je mehr widerſtand,
wollte Berlin nicht verlaſſen. Die Abſicht dieſer Weiſung konnte dem Staats-
kanzler nicht verborgen bleiben, um ſo weniger, da er durch Bernſtorff
erfuhr, daß Ancillon den Entſchluß des Monarchen veranlaßt hatte: die
Partei des Kronprinzen wünſchte offenbar, den Urheber der Verfaſſungs-
pläne von dem Monarchen und von der Hauptſtadt fern zu halten, ſo
lange die entſcheidende Berathung über die Gemeindeordnung noch ſchwebte.
Sichtlich gekränkt erwiderte Hardenberg am 5. Januar: das Ausbleiben
des Monarchen werde allerdings Mißdeutungen hervorrufen; doch wenn
der König nicht ſelbſt erſcheinen wolle, dann ſei die Anweſenheit des Kanz-
lers „wirklich unnütz, ſowohl für die Opinion, als für die Sache ſelbſt“;
der inzwiſchen wiedergeneſene Graf Bernſtorff könne die Geſchäfte des Con-
greſſes, welche das preußiſche Intereſſe doch nur mittelbar berührten, ſehr
wohl erledigen. Mit warmen Worten erbat er ſodann die Erlaubniß zur
Rückkehr nach Berlin „um Ew. K. Maj. die geringen Dienſte zu widmen,
die ich Ihnen nach meinen Kräften noch zu leiſten vermögend bin.“ Dort
harrten ſeiner die Verfaſſung, die Communalordnung und viele andere
wichtige Entwürfe, „deren Ausführung ich zwar wohl erwogen, aber nicht
mehreren Händen außer meiner Direktion anvertraut zu ſehen wünſchte,
ſo lange Ew. K. Maj. mich Ihres höchſten Vertrauens würdigen.“*)

Trotzdem unterwarf er ſich dem Befehle des Monarchen, und wagte
nicht, nach einem ſolchen Zeichen königlicher Ungnade den Abſchied zu
fordern. Statt ſein Amt einzuſetzen für ſeine Verfaſſungspläne, ließ er ſich
zur Seite ſchieben in eine Winkelſtellung, die einem leitenden Staatsmanne
übel anſtand, und tröſtete ſich mit der Hoffnung, ſeine Gegner durch zähes
Hinhalten zu ermüden. Das letzte fröhliche Aufflackern alter Rüſtigkeit
im vergangenen Frühjahr hatte ſeine Willenskraft erſchöpft. Die Alters-
ſchwäche kam über ihn, aber von dem Amte, das mit ſeinem Leben ver-
wachſen war, von dem Scheine der Macht vermochte er ſich nicht zu
trennen. Gehorſam reiſte er nach Laibach und fand dort für die preu-
ßiſche Politik ſo wenig zu thun, daß er nach vier Wochen heimſchreiben
konnte, auch die Anweſenheit des Königs ſei nunmehr gänzlich überflüſſig.**)

*) Hardenberg an den König, Wien 5. Januar. Hardenberg’s Tagebuch, 1., 3.,
4. Jan. 1821.
**) Der König an Hardenberg, 31. Jan.; Witzleben an Hardenberg, 31. Jan.;
Hardenberg an den König, 6., 8. Febr. 1821.
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[174/0190] III. 3. Troppau und Laibach. fühlte er ſchon, wie die tragiſche Vergeltung ihn ereilte. Humboldt, Boyen und Beyme, die einzigen aufrichtigen Freunde ſeines Verfaſſungsplanes, waren aus dem Miniſterium ausgeſchieden, und nun wuchs die reaktio- näre Partei, die ihm dieſe Männer zu ſtürzen geholfen, bereits ihm ſelber über den Kopf. Zu Neujahr erhielt er in Wien durch Wittgenſtein den Befehl, mit Bernſtorff nach Laibach zu gehen; der König, dem der be- ſchäftigte Müßiggang des Congreßlebens je länger je mehr widerſtand, wollte Berlin nicht verlaſſen. Die Abſicht dieſer Weiſung konnte dem Staats- kanzler nicht verborgen bleiben, um ſo weniger, da er durch Bernſtorff erfuhr, daß Ancillon den Entſchluß des Monarchen veranlaßt hatte: die Partei des Kronprinzen wünſchte offenbar, den Urheber der Verfaſſungs- pläne von dem Monarchen und von der Hauptſtadt fern zu halten, ſo lange die entſcheidende Berathung über die Gemeindeordnung noch ſchwebte. Sichtlich gekränkt erwiderte Hardenberg am 5. Januar: das Ausbleiben des Monarchen werde allerdings Mißdeutungen hervorrufen; doch wenn der König nicht ſelbſt erſcheinen wolle, dann ſei die Anweſenheit des Kanz- lers „wirklich unnütz, ſowohl für die Opinion, als für die Sache ſelbſt“; der inzwiſchen wiedergeneſene Graf Bernſtorff könne die Geſchäfte des Con- greſſes, welche das preußiſche Intereſſe doch nur mittelbar berührten, ſehr wohl erledigen. Mit warmen Worten erbat er ſodann die Erlaubniß zur Rückkehr nach Berlin „um Ew. K. Maj. die geringen Dienſte zu widmen, die ich Ihnen nach meinen Kräften noch zu leiſten vermögend bin.“ Dort harrten ſeiner die Verfaſſung, die Communalordnung und viele andere wichtige Entwürfe, „deren Ausführung ich zwar wohl erwogen, aber nicht mehreren Händen außer meiner Direktion anvertraut zu ſehen wünſchte, ſo lange Ew. K. Maj. mich Ihres höchſten Vertrauens würdigen.“ *) Trotzdem unterwarf er ſich dem Befehle des Monarchen, und wagte nicht, nach einem ſolchen Zeichen königlicher Ungnade den Abſchied zu fordern. Statt ſein Amt einzuſetzen für ſeine Verfaſſungspläne, ließ er ſich zur Seite ſchieben in eine Winkelſtellung, die einem leitenden Staatsmanne übel anſtand, und tröſtete ſich mit der Hoffnung, ſeine Gegner durch zähes Hinhalten zu ermüden. Das letzte fröhliche Aufflackern alter Rüſtigkeit im vergangenen Frühjahr hatte ſeine Willenskraft erſchöpft. Die Alters- ſchwäche kam über ihn, aber von dem Amte, das mit ſeinem Leben ver- wachſen war, von dem Scheine der Macht vermochte er ſich nicht zu trennen. Gehorſam reiſte er nach Laibach und fand dort für die preu- ßiſche Politik ſo wenig zu thun, daß er nach vier Wochen heimſchreiben konnte, auch die Anweſenheit des Königs ſei nunmehr gänzlich überflüſſig. **) *) Hardenberg an den König, Wien 5. Januar. Hardenberg’s Tagebuch, 1., 3., 4. Jan. 1821. **) Der König an Hardenberg, 31. Jan.; Witzleben an Hardenberg, 31. Jan.; Hardenberg an den König, 6., 8. Febr. 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/190>, abgerufen am 27.11.2024.