So begann denn im August der Prozeß der Königin vor dem Ober- hause, und fast ebenso erregt wie die Engländer folgten die Deutschen den beispiellosen Auftritten dieser "königlichen Bordellkomödie". Denn es war ein Fürst des Deutschen Bundes, der also jede Scham verleug- nete, und eine deutsche Fürstentochter, der solche Schmach bereitet wurde. Was war dieser braunschweigischen Prinzessin nicht Alles geboten worden, seit sie zuerst den Fuß an den Strand der ungastlichen Insel gesetzt hatte, ein unerzogenes junges Geschöpf, vorlaut, taktlos, launisch, und bei Alledem doch ein ehrliches deutsches Naturkind, aufrecht und tapfer, unter Menschen menschlicher Liebe fähig, zu wahrhaftig für die Schein- heiligkeit dieses Hofes. Von dem Gatten gleich im ersten Augenblicke roh beleidigt, dann gleichmüthig verlassen, verrathen, mißhandelt; gewalt- sam getrennt von ihrer Tochter Charlotte, die doch immer mit dem siche- ren Gefühle des edlen Weibes nach der Mutter zurückverlangte; gemieden, verleumdet, mit Koth beworfen von der vornehmen Gesellschaft -- so mußte sie leben viele Jahre lang. Als sie dann endlich den Staub dieses Landes von den Schuhen schüttelte, mit ähnlichen Empfindungen wie Lord Byron, da fand sie wie er eine boshafte Freude daran, den Abscheu der englischen Splitterrichter trotzig herauszufordern. Ungeduldig heischte sie vom Schicksal Ersatz für alle die vertrauerten Jahre und leerte auf ihren abenteuerlichen Wanderfahrten den Becher der Lust mit lechzenden Lippen bis zu seiner eklen Hefe. Zuweilen brach die unverwüstliche gute Natur wieder hervor, im Oriente spendete sie den Pestkranken uner- schrocken Trost und Pflege; zuletzt verwilderte sie doch in dem wüsten Treiben. Nach der Thronbesteigung ihres Gemahls kehrte sie heim um ihr königliches Recht zu wahren; und nun stand sie vor den Unterthanen, die sie richten sollten, gewiß ein schuldiges Weib, nicht mehr würdig einer Krone, aber was wogen alle ihre Sünden gegen die Frevel dessen, der ihr Leben vergiftet?
Es war doch nicht blos der Haß gegen den verächtlichen Fürsten, sondern ein ehrenwerthes menschliches Gefühl, was die Massen der Hauptstadt so günstig für die Königin stimmte. Selbst der Wittwer der Prinzessin Charlotte, der kluge Prinz Leopold von Koburg hielt es für Ritterpflicht seine Schwiegermutter zu besuchen, wofür er denn freilich in Gentz's Briefen den Ehrentitel einer Haupt-Canaille erhielt. Tag für Tag zog das Volk in dichten Schaaren den Hyde-Park entlang, um der Königin zu huldigen und vor den Thoren des Oberhauses den Lord Castlereagh zu bedrohen, der gemächlich mit unbewegtem Gesicht mitten durch die Tobenden seines Weges schritt. Wüthende Libelle überschütteten den König mit Verwünschungen; ein Zerrbild zeigte ihn, wie er im Karren zum Schindanger hinausgefahren wurde, darunter die Inschrift: Katzenfressen. Drei Monate hindurch wurde aller Schmutz des Hofes vor den Augen Europas mit der umständlichen Gründlichkeit des englischen
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Prozeß der Königin Karoline.
So begann denn im Auguſt der Prozeß der Königin vor dem Ober- hauſe, und faſt ebenſo erregt wie die Engländer folgten die Deutſchen den beiſpielloſen Auftritten dieſer „königlichen Bordellkomödie“. Denn es war ein Fürſt des Deutſchen Bundes, der alſo jede Scham verleug- nete, und eine deutſche Fürſtentochter, der ſolche Schmach bereitet wurde. Was war dieſer braunſchweigiſchen Prinzeſſin nicht Alles geboten worden, ſeit ſie zuerſt den Fuß an den Strand der ungaſtlichen Inſel geſetzt hatte, ein unerzogenes junges Geſchöpf, vorlaut, taktlos, launiſch, und bei Alledem doch ein ehrliches deutſches Naturkind, aufrecht und tapfer, unter Menſchen menſchlicher Liebe fähig, zu wahrhaftig für die Schein- heiligkeit dieſes Hofes. Von dem Gatten gleich im erſten Augenblicke roh beleidigt, dann gleichmüthig verlaſſen, verrathen, mißhandelt; gewalt- ſam getrennt von ihrer Tochter Charlotte, die doch immer mit dem ſiche- ren Gefühle des edlen Weibes nach der Mutter zurückverlangte; gemieden, verleumdet, mit Koth beworfen von der vornehmen Geſellſchaft — ſo mußte ſie leben viele Jahre lang. Als ſie dann endlich den Staub dieſes Landes von den Schuhen ſchüttelte, mit ähnlichen Empfindungen wie Lord Byron, da fand ſie wie er eine boshafte Freude daran, den Abſcheu der engliſchen Splitterrichter trotzig herauszufordern. Ungeduldig heiſchte ſie vom Schickſal Erſatz für alle die vertrauerten Jahre und leerte auf ihren abenteuerlichen Wanderfahrten den Becher der Luſt mit lechzenden Lippen bis zu ſeiner eklen Hefe. Zuweilen brach die unverwüſtliche gute Natur wieder hervor, im Oriente ſpendete ſie den Peſtkranken uner- ſchrocken Troſt und Pflege; zuletzt verwilderte ſie doch in dem wüſten Treiben. Nach der Thronbeſteigung ihres Gemahls kehrte ſie heim um ihr königliches Recht zu wahren; und nun ſtand ſie vor den Unterthanen, die ſie richten ſollten, gewiß ein ſchuldiges Weib, nicht mehr würdig einer Krone, aber was wogen alle ihre Sünden gegen die Frevel deſſen, der ihr Leben vergiftet?
Es war doch nicht blos der Haß gegen den verächtlichen Fürſten, ſondern ein ehrenwerthes menſchliches Gefühl, was die Maſſen der Hauptſtadt ſo günſtig für die Königin ſtimmte. Selbſt der Wittwer der Prinzeſſin Charlotte, der kluge Prinz Leopold von Koburg hielt es für Ritterpflicht ſeine Schwiegermutter zu beſuchen, wofür er denn freilich in Gentz’s Briefen den Ehrentitel einer Haupt-Canaille erhielt. Tag für Tag zog das Volk in dichten Schaaren den Hyde-Park entlang, um der Königin zu huldigen und vor den Thoren des Oberhauſes den Lord Caſtlereagh zu bedrohen, der gemächlich mit unbewegtem Geſicht mitten durch die Tobenden ſeines Weges ſchritt. Wüthende Libelle überſchütteten den König mit Verwünſchungen; ein Zerrbild zeigte ihn, wie er im Karren zum Schindanger hinausgefahren wurde, darunter die Inſchrift: Katzenfreſſen. Drei Monate hindurch wurde aller Schmutz des Hofes vor den Augen Europas mit der umſtändlichen Gründlichkeit des engliſchen
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Prozeß der Königin Karoline.
So begann denn im Auguſt der Prozeß der Königin vor dem Ober-
hauſe, und faſt ebenſo erregt wie die Engländer folgten die Deutſchen
den beiſpielloſen Auftritten dieſer „königlichen Bordellkomödie“. Denn
es war ein Fürſt des Deutſchen Bundes, der alſo jede Scham verleug-
nete, und eine deutſche Fürſtentochter, der ſolche Schmach bereitet wurde.
Was war dieſer braunſchweigiſchen Prinzeſſin nicht Alles geboten worden,
ſeit ſie zuerſt den Fuß an den Strand der ungaſtlichen Inſel geſetzt
hatte, ein unerzogenes junges Geſchöpf, vorlaut, taktlos, launiſch, und
bei Alledem doch ein ehrliches deutſches Naturkind, aufrecht und tapfer,
unter Menſchen menſchlicher Liebe fähig, zu wahrhaftig für die Schein-
heiligkeit dieſes Hofes. Von dem Gatten gleich im erſten Augenblicke
roh beleidigt, dann gleichmüthig verlaſſen, verrathen, mißhandelt; gewalt-
ſam getrennt von ihrer Tochter Charlotte, die doch immer mit dem ſiche-
ren Gefühle des edlen Weibes nach der Mutter zurückverlangte; gemieden,
verleumdet, mit Koth beworfen von der vornehmen Geſellſchaft — ſo
mußte ſie leben viele Jahre lang. Als ſie dann endlich den Staub dieſes
Landes von den Schuhen ſchüttelte, mit ähnlichen Empfindungen wie
Lord Byron, da fand ſie wie er eine boshafte Freude daran, den Abſcheu
der engliſchen Splitterrichter trotzig herauszufordern. Ungeduldig heiſchte
ſie vom Schickſal Erſatz für alle die vertrauerten Jahre und leerte auf
ihren abenteuerlichen Wanderfahrten den Becher der Luſt mit lechzenden
Lippen bis zu ſeiner eklen Hefe. Zuweilen brach die unverwüſtliche gute
Natur wieder hervor, im Oriente ſpendete ſie den Peſtkranken uner-
ſchrocken Troſt und Pflege; zuletzt verwilderte ſie doch in dem wüſten
Treiben. Nach der Thronbeſteigung ihres Gemahls kehrte ſie heim um
ihr königliches Recht zu wahren; und nun ſtand ſie vor den Unterthanen,
die ſie richten ſollten, gewiß ein ſchuldiges Weib, nicht mehr würdig einer
Krone, aber was wogen alle ihre Sünden gegen die Frevel deſſen, der
ihr Leben vergiftet?
Es war doch nicht blos der Haß gegen den verächtlichen Fürſten,
ſondern ein ehrenwerthes menſchliches Gefühl, was die Maſſen der
Hauptſtadt ſo günſtig für die Königin ſtimmte. Selbſt der Wittwer der
Prinzeſſin Charlotte, der kluge Prinz Leopold von Koburg hielt es für
Ritterpflicht ſeine Schwiegermutter zu beſuchen, wofür er denn freilich
in Gentz’s Briefen den Ehrentitel einer Haupt-Canaille erhielt. Tag für
Tag zog das Volk in dichten Schaaren den Hyde-Park entlang, um der
Königin zu huldigen und vor den Thoren des Oberhauſes den Lord
Caſtlereagh zu bedrohen, der gemächlich mit unbewegtem Geſicht mitten
durch die Tobenden ſeines Weges ſchritt. Wüthende Libelle überſchütteten
den König mit Verwünſchungen; ein Zerrbild zeigte ihn, wie er im
Karren zum Schindanger hinausgefahren wurde, darunter die Inſchrift:
Katzenfreſſen. Drei Monate hindurch wurde aller Schmutz des Hofes vor
den Augen Europas mit der umſtändlichen Gründlichkeit des engliſchen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/163>, abgerufen am 26.11.2024.
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