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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
sich keine Regierung des Festlandes erlauben durfte, zur Schau zu
tragen, und längst betrachtete es die Welt als ein politisches Naturgesetz,
daß alle Bundesgenossen des treulosen Albion unfehlbar betrogen wurden.
Schließlich kam doch selbst für diese unangreifbare Insel der Tag, da sie
erfahren mußte, daß auch im Völkerverkehr sittliche Mächte wirken und
jeder Staat durch das Uebermaß der Untreue sein eigenes Ansehen zer-
stört. In Spanien, in Portugal, in Sicilien, in Preußen, überall hatte
England seine treuen Waffengefährten preisgegeben oder übervortheilt.
Der englische Name, der in den napoleonischen Tagen weithin durch die
Welt geleuchtet hatte, war jetzt allgemein verhaßt; Lord Castlereagh galt
auf dem Continente nur noch für den dienstwilligen Schleppträger Met-
ternich's, und nicht mit Unrecht schleuderte Brougham den unfähigen
Ministern den Vorwurf zu: unter ihrer Leitung sei Großbritannien nur
eine Macht zweiten Ranges.

In diesem Augenblicke allgemeiner Unzufriedenheit, im Januar 1820
starb der geisteskranke greise König. Der letzte und nichtigste der nichtigen
vier George bestieg den Thron und bewährte sofort, daß er wirklich, wie Lord
Byron schon dem Prinzregenten zugerufen hatte, aus dem blutigen Staube
des kopflosen Karl I. und des herzlosen Heinrich VIII. geformt war. Sein
Dichten und Trachten ging auf die Vernichtung der unglücklichen Königin
Karoline. Der Treulose, dessen ganzes häusliches Leben nur ein fortge-
setzter Ehebruch gewesen, hatte die Stirn, seine Gemahlin öffentlich der
Untreue anzuklagen. Auch die gefährliche Verschwörung des Radikalen
Thistlewood gegen das Leben der Minister, die im Februar entdeckt wurde,
brachte den König nicht auf ernstere politische Gedanken. Seine eigenen
Minister und alle befreundeten Höfe sahen mit Schrecken einen europäischen
Skandal voraus und riethen dringend ab; man erwog bereits, ob nicht
Metternich selbst nach London gehen sollte, um den ärgerlichen Handel
beizulegen.*) Sobald sich aber zeigte, daß Georg IV. von seinem längst
gehegten Entschlusse nicht abzubringen war, lieh der österreichische Staats-
mann dem alten Bundesgenossen unbedenklich seinen Beistand. Seit Jah-
ren waren die Diplomaten des Prinzregenten der verfolgten Fürstin auf
ihren Reisen nachgegangen, erlauchte Namen aus dem englischen und han-
noverschen Adel hatten sich nicht gescheut die Bettmädchen in den Gasthöfen
auszuhorchen. Jetzt legte sich auch die bewährte k. k. Polizei ins Zeug und
trieb in Mailand ein ganzes Gelichter von Lakaien, Kurieren und Zofen
zusammen, das in London wider die Königin aussagen sollte, und der
Kurfürst von Hessen sendete dienstbeflissen seinen Hofbereiter als Zeugen
hinüber.**)

*) Bernstorff an Ancillon, 20. Mai 1820.
**) Piquot's Bericht, Wien 17. April, Hänlein's Bericht, Kassel 28. August 1820
u. s. w. u. s. w.

III. 3. Troppau und Laibach.
ſich keine Regierung des Feſtlandes erlauben durfte, zur Schau zu
tragen, und längſt betrachtete es die Welt als ein politiſches Naturgeſetz,
daß alle Bundesgenoſſen des treuloſen Albion unfehlbar betrogen wurden.
Schließlich kam doch ſelbſt für dieſe unangreifbare Inſel der Tag, da ſie
erfahren mußte, daß auch im Völkerverkehr ſittliche Mächte wirken und
jeder Staat durch das Uebermaß der Untreue ſein eigenes Anſehen zer-
ſtört. In Spanien, in Portugal, in Sicilien, in Preußen, überall hatte
England ſeine treuen Waffengefährten preisgegeben oder übervortheilt.
Der engliſche Name, der in den napoleoniſchen Tagen weithin durch die
Welt geleuchtet hatte, war jetzt allgemein verhaßt; Lord Caſtlereagh galt
auf dem Continente nur noch für den dienſtwilligen Schleppträger Met-
ternich’s, und nicht mit Unrecht ſchleuderte Brougham den unfähigen
Miniſtern den Vorwurf zu: unter ihrer Leitung ſei Großbritannien nur
eine Macht zweiten Ranges.

In dieſem Augenblicke allgemeiner Unzufriedenheit, im Januar 1820
ſtarb der geiſteskranke greiſe König. Der letzte und nichtigſte der nichtigen
vier George beſtieg den Thron und bewährte ſofort, daß er wirklich, wie Lord
Byron ſchon dem Prinzregenten zugerufen hatte, aus dem blutigen Staube
des kopfloſen Karl I. und des herzloſen Heinrich VIII. geformt war. Sein
Dichten und Trachten ging auf die Vernichtung der unglücklichen Königin
Karoline. Der Treuloſe, deſſen ganzes häusliches Leben nur ein fortge-
ſetzter Ehebruch geweſen, hatte die Stirn, ſeine Gemahlin öffentlich der
Untreue anzuklagen. Auch die gefährliche Verſchwörung des Radikalen
Thiſtlewood gegen das Leben der Miniſter, die im Februar entdeckt wurde,
brachte den König nicht auf ernſtere politiſche Gedanken. Seine eigenen
Miniſter und alle befreundeten Höfe ſahen mit Schrecken einen europäiſchen
Skandal voraus und riethen dringend ab; man erwog bereits, ob nicht
Metternich ſelbſt nach London gehen ſollte, um den ärgerlichen Handel
beizulegen.*) Sobald ſich aber zeigte, daß Georg IV. von ſeinem längſt
gehegten Entſchluſſe nicht abzubringen war, lieh der öſterreichiſche Staats-
mann dem alten Bundesgenoſſen unbedenklich ſeinen Beiſtand. Seit Jah-
ren waren die Diplomaten des Prinzregenten der verfolgten Fürſtin auf
ihren Reiſen nachgegangen, erlauchte Namen aus dem engliſchen und han-
noverſchen Adel hatten ſich nicht geſcheut die Bettmädchen in den Gaſthöfen
auszuhorchen. Jetzt legte ſich auch die bewährte k. k. Polizei ins Zeug und
trieb in Mailand ein ganzes Gelichter von Lakaien, Kurieren und Zofen
zuſammen, das in London wider die Königin ausſagen ſollte, und der
Kurfürſt von Heſſen ſendete dienſtbefliſſen ſeinen Hofbereiter als Zeugen
hinüber.**)

*) Bernſtorff an Ancillon, 20. Mai 1820.
**) Piquot’s Bericht, Wien 17. April, Hänlein’s Bericht, Kaſſel 28. Auguſt 1820
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[146/0162] III. 3. Troppau und Laibach. ſich keine Regierung des Feſtlandes erlauben durfte, zur Schau zu tragen, und längſt betrachtete es die Welt als ein politiſches Naturgeſetz, daß alle Bundesgenoſſen des treuloſen Albion unfehlbar betrogen wurden. Schließlich kam doch ſelbſt für dieſe unangreifbare Inſel der Tag, da ſie erfahren mußte, daß auch im Völkerverkehr ſittliche Mächte wirken und jeder Staat durch das Uebermaß der Untreue ſein eigenes Anſehen zer- ſtört. In Spanien, in Portugal, in Sicilien, in Preußen, überall hatte England ſeine treuen Waffengefährten preisgegeben oder übervortheilt. Der engliſche Name, der in den napoleoniſchen Tagen weithin durch die Welt geleuchtet hatte, war jetzt allgemein verhaßt; Lord Caſtlereagh galt auf dem Continente nur noch für den dienſtwilligen Schleppträger Met- ternich’s, und nicht mit Unrecht ſchleuderte Brougham den unfähigen Miniſtern den Vorwurf zu: unter ihrer Leitung ſei Großbritannien nur eine Macht zweiten Ranges. In dieſem Augenblicke allgemeiner Unzufriedenheit, im Januar 1820 ſtarb der geiſteskranke greiſe König. Der letzte und nichtigſte der nichtigen vier George beſtieg den Thron und bewährte ſofort, daß er wirklich, wie Lord Byron ſchon dem Prinzregenten zugerufen hatte, aus dem blutigen Staube des kopfloſen Karl I. und des herzloſen Heinrich VIII. geformt war. Sein Dichten und Trachten ging auf die Vernichtung der unglücklichen Königin Karoline. Der Treuloſe, deſſen ganzes häusliches Leben nur ein fortge- ſetzter Ehebruch geweſen, hatte die Stirn, ſeine Gemahlin öffentlich der Untreue anzuklagen. Auch die gefährliche Verſchwörung des Radikalen Thiſtlewood gegen das Leben der Miniſter, die im Februar entdeckt wurde, brachte den König nicht auf ernſtere politiſche Gedanken. Seine eigenen Miniſter und alle befreundeten Höfe ſahen mit Schrecken einen europäiſchen Skandal voraus und riethen dringend ab; man erwog bereits, ob nicht Metternich ſelbſt nach London gehen ſollte, um den ärgerlichen Handel beizulegen. *) Sobald ſich aber zeigte, daß Georg IV. von ſeinem längſt gehegten Entſchluſſe nicht abzubringen war, lieh der öſterreichiſche Staats- mann dem alten Bundesgenoſſen unbedenklich ſeinen Beiſtand. Seit Jah- ren waren die Diplomaten des Prinzregenten der verfolgten Fürſtin auf ihren Reiſen nachgegangen, erlauchte Namen aus dem engliſchen und han- noverſchen Adel hatten ſich nicht geſcheut die Bettmädchen in den Gaſthöfen auszuhorchen. Jetzt legte ſich auch die bewährte k. k. Polizei ins Zeug und trieb in Mailand ein ganzes Gelichter von Lakaien, Kurieren und Zofen zuſammen, das in London wider die Königin ausſagen ſollte, und der Kurfürſt von Heſſen ſendete dienſtbefliſſen ſeinen Hofbereiter als Zeugen hinüber. **) *) Bernſtorff an Ancillon, 20. Mai 1820. **) Piquot’s Bericht, Wien 17. April, Hänlein’s Bericht, Kaſſel 28. Auguſt 1820 u. ſ. w. u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/162>, abgerufen am 26.11.2024.