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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
Gerichtsverfahrens zusammengekehrt, und sein Brodem stank zum Himmel.
In Brougham's beredtem Munde gestaltete sich die Vertheidigung der
Königin zu einer erdrückenden Anklage wider ihren Gemahl, der in der
Einsamkeit des Parks von Windsor seinen Grimm und seine Schande
verbergen mußte. Im November fiel endlich die Entscheidung; nur mit
neun Stimmen Mehrheit sprachen sich die Lords für die Trennung der
königlichen Ehe aus. Der König gab sein Spiel verloren, er ließ die
Bill zurückziehen, weil sie nunmehr im Hause der Gemeinen unmöglich
durchgehen konnte.

Einen monarchischen Staat hätte eine solche Entehrung der Krone
bis in seine Grundfesten zerrüttet. Der gewaltige Bau dieser parla-
mentarischen Aristokratie blieb unerschüttert, denn sein Schwerpunkt lag
nicht mehr bei der Krone. Der Prozeß der Königin Karoline setzte
nur das Siegel unter die längst vollzogene Vernichtung der alten unab-
hängigen monarchischen Gewalt und bekundete vor aller Welt, daß der
König von England kaum noch die Macht eines venetianischen Dogen
besaß. Für die Herrschaft der Torys aber ward diese Niederlage ver-
hängnißvoll. Sie hatten einst die Nation mit hartnäckigem Muthe zum
Kampfe gegen das napoleonische Weltreich geführt; doch seitdem war die
Zeit über sie hinweggeschritten, alle ihre früheren Verdienste verschwanden
neben der völlig unfruchtbaren, gedankenlosen Politik der letzten fünf
Jahre. Der allgemeine Unwille über das System der Erstarrung stei-
gerte sich jetzt bis zur Verachtung; die verhaßte Regierung hielt sich nur
noch aufrecht, weil vorderhand Niemand bereit war ihre traurige Erb-
schaft anzutreten. Die seit Langem entmuthigten und zerstreuten Whigs
begannen wieder zu erstarken und sammelten sich in der Stille um das
Programm der Parlamentsreform. In solcher Lage durfte Castlereagh
nicht mehr wagen seinen reaktionären Herzensneigungen die Zügel schießen
zu lassen und der europäischen Politik seines Freundes Metternich ohne
Vorbehalt zu folgen. Erschüttert durch innere Kämpfe sahen die beiden con-
stitutionellen Westmächte den Revolutionen des Südens gleich rathlos zu. --

Die moderne Wissenschaft sucht die Größe der Monarchie nicht mehr,
wie die politische Doctrin des Alterthums, in der persönlichen Ueberlegen-
heit eines gottgesendeten Herrschergeschlechts, sondern in der Selbstän-
digkeit einer auf eigenem Rechte ruhenden und darum unparteiischen,
der socialen Begehrlichkeit entrückten Staatsgewalt. Für das Gefühl der
Völker aber gewinnen die politischen Institutionen nur durch die han-
delnden Menschen Sinn und Leben. Eine so schmachvolle Selbstent-
würdigung des Königthums, wie sie dies Geschlecht gleichzeitig in Spanien,
Italien und England erlebte, mußte in weiten Kreisen die monarchische
Gesinnung untergraben. Solchen Fürsten gegenüber erschienen die Lehren
der Legitimität wie ein grausamer Spott; und da die Völker stets über
den Leiden der Gegenwart die schwereren Nöthe der Vergangenheit zu

III. 3. Troppau und Laibach.
Gerichtsverfahrens zuſammengekehrt, und ſein Brodem ſtank zum Himmel.
In Brougham’s beredtem Munde geſtaltete ſich die Vertheidigung der
Königin zu einer erdrückenden Anklage wider ihren Gemahl, der in der
Einſamkeit des Parks von Windſor ſeinen Grimm und ſeine Schande
verbergen mußte. Im November fiel endlich die Entſcheidung; nur mit
neun Stimmen Mehrheit ſprachen ſich die Lords für die Trennung der
königlichen Ehe aus. Der König gab ſein Spiel verloren, er ließ die
Bill zurückziehen, weil ſie nunmehr im Hauſe der Gemeinen unmöglich
durchgehen konnte.

Einen monarchiſchen Staat hätte eine ſolche Entehrung der Krone
bis in ſeine Grundfeſten zerrüttet. Der gewaltige Bau dieſer parla-
mentariſchen Ariſtokratie blieb unerſchüttert, denn ſein Schwerpunkt lag
nicht mehr bei der Krone. Der Prozeß der Königin Karoline ſetzte
nur das Siegel unter die längſt vollzogene Vernichtung der alten unab-
hängigen monarchiſchen Gewalt und bekundete vor aller Welt, daß der
König von England kaum noch die Macht eines venetianiſchen Dogen
beſaß. Für die Herrſchaft der Torys aber ward dieſe Niederlage ver-
hängnißvoll. Sie hatten einſt die Nation mit hartnäckigem Muthe zum
Kampfe gegen das napoleoniſche Weltreich geführt; doch ſeitdem war die
Zeit über ſie hinweggeſchritten, alle ihre früheren Verdienſte verſchwanden
neben der völlig unfruchtbaren, gedankenloſen Politik der letzten fünf
Jahre. Der allgemeine Unwille über das Syſtem der Erſtarrung ſtei-
gerte ſich jetzt bis zur Verachtung; die verhaßte Regierung hielt ſich nur
noch aufrecht, weil vorderhand Niemand bereit war ihre traurige Erb-
ſchaft anzutreten. Die ſeit Langem entmuthigten und zerſtreuten Whigs
begannen wieder zu erſtarken und ſammelten ſich in der Stille um das
Programm der Parlamentsreform. In ſolcher Lage durfte Caſtlereagh
nicht mehr wagen ſeinen reaktionären Herzensneigungen die Zügel ſchießen
zu laſſen und der europäiſchen Politik ſeines Freundes Metternich ohne
Vorbehalt zu folgen. Erſchüttert durch innere Kämpfe ſahen die beiden con-
ſtitutionellen Weſtmächte den Revolutionen des Südens gleich rathlos zu. —

Die moderne Wiſſenſchaft ſucht die Größe der Monarchie nicht mehr,
wie die politiſche Doctrin des Alterthums, in der perſönlichen Ueberlegen-
heit eines gottgeſendeten Herrſchergeſchlechts, ſondern in der Selbſtän-
digkeit einer auf eigenem Rechte ruhenden und darum unparteiiſchen,
der ſocialen Begehrlichkeit entrückten Staatsgewalt. Für das Gefühl der
Völker aber gewinnen die politiſchen Inſtitutionen nur durch die han-
delnden Menſchen Sinn und Leben. Eine ſo ſchmachvolle Selbſtent-
würdigung des Königthums, wie ſie dies Geſchlecht gleichzeitig in Spanien,
Italien und England erlebte, mußte in weiten Kreiſen die monarchiſche
Geſinnung untergraben. Solchen Fürſten gegenüber erſchienen die Lehren
der Legitimität wie ein grauſamer Spott; und da die Völker ſtets über
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[148/0164] III. 3. Troppau und Laibach. Gerichtsverfahrens zuſammengekehrt, und ſein Brodem ſtank zum Himmel. In Brougham’s beredtem Munde geſtaltete ſich die Vertheidigung der Königin zu einer erdrückenden Anklage wider ihren Gemahl, der in der Einſamkeit des Parks von Windſor ſeinen Grimm und ſeine Schande verbergen mußte. Im November fiel endlich die Entſcheidung; nur mit neun Stimmen Mehrheit ſprachen ſich die Lords für die Trennung der königlichen Ehe aus. Der König gab ſein Spiel verloren, er ließ die Bill zurückziehen, weil ſie nunmehr im Hauſe der Gemeinen unmöglich durchgehen konnte. Einen monarchiſchen Staat hätte eine ſolche Entehrung der Krone bis in ſeine Grundfeſten zerrüttet. Der gewaltige Bau dieſer parla- mentariſchen Ariſtokratie blieb unerſchüttert, denn ſein Schwerpunkt lag nicht mehr bei der Krone. Der Prozeß der Königin Karoline ſetzte nur das Siegel unter die längſt vollzogene Vernichtung der alten unab- hängigen monarchiſchen Gewalt und bekundete vor aller Welt, daß der König von England kaum noch die Macht eines venetianiſchen Dogen beſaß. Für die Herrſchaft der Torys aber ward dieſe Niederlage ver- hängnißvoll. Sie hatten einſt die Nation mit hartnäckigem Muthe zum Kampfe gegen das napoleoniſche Weltreich geführt; doch ſeitdem war die Zeit über ſie hinweggeſchritten, alle ihre früheren Verdienſte verſchwanden neben der völlig unfruchtbaren, gedankenloſen Politik der letzten fünf Jahre. Der allgemeine Unwille über das Syſtem der Erſtarrung ſtei- gerte ſich jetzt bis zur Verachtung; die verhaßte Regierung hielt ſich nur noch aufrecht, weil vorderhand Niemand bereit war ihre traurige Erb- ſchaft anzutreten. Die ſeit Langem entmuthigten und zerſtreuten Whigs begannen wieder zu erſtarken und ſammelten ſich in der Stille um das Programm der Parlamentsreform. In ſolcher Lage durfte Caſtlereagh nicht mehr wagen ſeinen reaktionären Herzensneigungen die Zügel ſchießen zu laſſen und der europäiſchen Politik ſeines Freundes Metternich ohne Vorbehalt zu folgen. Erſchüttert durch innere Kämpfe ſahen die beiden con- ſtitutionellen Weſtmächte den Revolutionen des Südens gleich rathlos zu. — Die moderne Wiſſenſchaft ſucht die Größe der Monarchie nicht mehr, wie die politiſche Doctrin des Alterthums, in der perſönlichen Ueberlegen- heit eines gottgeſendeten Herrſchergeſchlechts, ſondern in der Selbſtän- digkeit einer auf eigenem Rechte ruhenden und darum unparteiiſchen, der ſocialen Begehrlichkeit entrückten Staatsgewalt. Für das Gefühl der Völker aber gewinnen die politiſchen Inſtitutionen nur durch die han- delnden Menſchen Sinn und Leben. Eine ſo ſchmachvolle Selbſtent- würdigung des Königthums, wie ſie dies Geſchlecht gleichzeitig in Spanien, Italien und England erlebte, mußte in weiten Kreiſen die monarchiſche Geſinnung untergraben. Solchen Fürſten gegenüber erſchienen die Lehren der Legitimität wie ein grauſamer Spott; und da die Völker ſtets über den Leiden der Gegenwart die ſchwereren Nöthe der Vergangenheit zu

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/164>, abgerufen am 04.05.2024.