Ergüsse der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich den gemeinsamen Krieg der Großmächte wider die höllische Sekte, die von jeher in Frankreich ihr Nest gehabt; einen solchen Krieg beginnen heiße nicht ein Volk knechten, sondern ein geknechtetes Volk dem Joche entreißen. Was sei die Charte denn andres als die Verfassung von Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären Gespensterseher heraufbeschworen und mit grellen Farben geschildert, wie der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden stets die Bour- bonen als das älteste aller Fürstenhäuser am bittersten gehaßt, und schon Cagliostro auf seinem Maurer-Taschenbuche die Buchstaben L. P. C. -- Lilia pedibus calca -- geführt habe.*)
So fanatischen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Par- teien ihr Blut nicht mehr bändigen. Die gesammte Presse der Opposi- tion hallte wider von schadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot eben jetzt in zwei geistreichen Schriften zu erweisen versuchten, daß die französische Nation seit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete Stämme, den fränkischen Adel und den gallo-römischen Tiers-etat zer- spalten sei -- eine geistreiche Halbwahrheit, welche allerdings der historischen Forschung einen neuen Gedankenkreis erschloß, aber in den Parteikämpfen des Tages fast wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der instinktive Haß der bürgerlichen Klassen gegen die Restauration, die ihnen als Herrschaft des Auslands galt, sah sich wissenschaftlich gerechtfertigt seit also das Köst- lichste was Frankreich besaß, seine unzerstörbare nationale Einheit in Frage gestellt wurde. Den tiefsten Grund der Unwahrheit des französischen Par- lamentarismus erkannten die beiden geistvollen Historiker ebenso wenig wie die anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartis- mus noch in allen Anschauungen der Franzosen fortwirkte, und Thierry sprach sogar mit warmen Woxten von der Gemeindefreiheit, aber er ge- langte nicht zu der Einsicht, daß die bureaukratische Verwaltungsordnung Napoleons, die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensge- wohnheiten des Volkes immer fester verwuchs, sich mit constitutionellen Verfassungsformen niemals ehrlich vertragen konnte.
In diesen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erstaunliche Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept. einen Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal aus dem alten Bourbonenstamme ein frisches Reis ausgeschlagen. Die Ultras sahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denselben über- schwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier schrieb: "das erste Lächeln, das seine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine
*) Bergasse, Denkschrift für Kaiser Alexander, Paris 1. Sept. 1820.
III. 3. Troppau und Laibach.
Ergüſſe der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich den gemeinſamen Krieg der Großmächte wider die hölliſche Sekte, die von jeher in Frankreich ihr Neſt gehabt; einen ſolchen Krieg beginnen heiße nicht ein Volk knechten, ſondern ein geknechtetes Volk dem Joche entreißen. Was ſei die Charte denn andres als die Verfaſſung von Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären Geſpenſterſeher heraufbeſchworen und mit grellen Farben geſchildert, wie der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden ſtets die Bour- bonen als das älteſte aller Fürſtenhäuſer am bitterſten gehaßt, und ſchon Caglioſtro auf ſeinem Maurer-Taſchenbuche die Buchſtaben L. P. C. — Lilia pedibus calca — geführt habe.*)
So fanatiſchen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Par- teien ihr Blut nicht mehr bändigen. Die geſammte Preſſe der Oppoſi- tion hallte wider von ſchadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot eben jetzt in zwei geiſtreichen Schriften zu erweiſen verſuchten, daß die franzöſiſche Nation ſeit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete Stämme, den fränkiſchen Adel und den gallo-römiſchen Tiers-état zer- ſpalten ſei — eine geiſtreiche Halbwahrheit, welche allerdings der hiſtoriſchen Forſchung einen neuen Gedankenkreis erſchloß, aber in den Parteikämpfen des Tages faſt wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der inſtinktive Haß der bürgerlichen Klaſſen gegen die Reſtauration, die ihnen als Herrſchaft des Auslands galt, ſah ſich wiſſenſchaftlich gerechtfertigt ſeit alſo das Köſt- lichſte was Frankreich beſaß, ſeine unzerſtörbare nationale Einheit in Frage geſtellt wurde. Den tiefſten Grund der Unwahrheit des franzöſiſchen Par- lamentarismus erkannten die beiden geiſtvollen Hiſtoriker ebenſo wenig wie die anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartis- mus noch in allen Anſchauungen der Franzoſen fortwirkte, und Thierry ſprach ſogar mit warmen Woxten von der Gemeindefreiheit, aber er ge- langte nicht zu der Einſicht, daß die bureaukratiſche Verwaltungsordnung Napoleons, die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensge- wohnheiten des Volkes immer feſter verwuchs, ſich mit conſtitutionellen Verfaſſungsformen niemals ehrlich vertragen konnte.
In dieſen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erſtaunliche Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept. einen Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal aus dem alten Bourbonenſtamme ein friſches Reis ausgeſchlagen. Die Ultras ſahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denſelben über- ſchwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier ſchrieb: „das erſte Lächeln, das ſeine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine
*) Bergaſſe, Denkſchrift für Kaiſer Alexander, Paris 1. Sept. 1820.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0160"n="144"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 3. Troppau und Laibach.</fw><lb/>
Ergüſſe der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich<lb/>
den gemeinſamen Krieg der Großmächte wider die hölliſche Sekte, die<lb/>
von jeher in Frankreich ihr Neſt gehabt; einen ſolchen Krieg beginnen<lb/>
heiße nicht ein Volk knechten, ſondern ein geknechtetes Volk dem Joche<lb/>
entreißen. Was ſei die Charte denn andres als die Verfaſſung von<lb/>
Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären<lb/>
Geſpenſterſeher heraufbeſchworen und mit grellen Farben geſchildert, wie<lb/>
der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden ſtets die Bour-<lb/>
bonen als das älteſte aller Fürſtenhäuſer am bitterſten gehaßt, und ſchon<lb/>
Caglioſtro auf ſeinem Maurer-Taſchenbuche die Buchſtaben <hirendition="#aq">L. P. C. —<lb/>
Lilia pedibus calca</hi>— geführt habe.<noteplace="foot"n="*)">Bergaſſe, Denkſchrift für Kaiſer Alexander, Paris 1. Sept. 1820.</note></p><lb/><p>So fanatiſchen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Par-<lb/>
teien ihr Blut nicht mehr bändigen. Die geſammte Preſſe der Oppoſi-<lb/>
tion hallte wider von ſchadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot<lb/>
eben jetzt in zwei geiſtreichen Schriften zu erweiſen verſuchten, daß die<lb/>
franzöſiſche Nation ſeit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete<lb/>
Stämme, den fränkiſchen Adel und den gallo-römiſchen <hirendition="#aq">Tiers-état</hi> zer-<lb/>ſpalten ſei — eine geiſtreiche Halbwahrheit, welche allerdings der hiſtoriſchen<lb/>
Forſchung einen neuen Gedankenkreis erſchloß, aber in den Parteikämpfen<lb/>
des Tages faſt wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der inſtinktive<lb/>
Haß der bürgerlichen Klaſſen gegen die Reſtauration, die ihnen als Herrſchaft<lb/>
des Auslands galt, ſah ſich wiſſenſchaftlich gerechtfertigt ſeit alſo das Köſt-<lb/>
lichſte was Frankreich beſaß, ſeine unzerſtörbare nationale Einheit in Frage<lb/>
geſtellt wurde. Den tiefſten Grund der Unwahrheit des franzöſiſchen Par-<lb/>
lamentarismus erkannten die beiden geiſtvollen Hiſtoriker ebenſo wenig wie<lb/>
die anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartis-<lb/>
mus noch in allen Anſchauungen der Franzoſen fortwirkte, und Thierry<lb/>ſprach ſogar mit warmen Woxten von der Gemeindefreiheit, aber er ge-<lb/>
langte nicht zu der Einſicht, daß die bureaukratiſche Verwaltungsordnung<lb/>
Napoleons, die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensge-<lb/>
wohnheiten des Volkes immer feſter verwuchs, ſich mit conſtitutionellen<lb/>
Verfaſſungsformen niemals ehrlich vertragen konnte.</p><lb/><p>In dieſen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erſtaunliche<lb/>
Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept. einen<lb/>
Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal<lb/>
aus dem alten Bourbonenſtamme ein friſches Reis ausgeſchlagen. Die<lb/>
Ultras ſahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und<lb/>
begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denſelben über-<lb/>ſchwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege<lb/>
des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier ſchrieb: „das<lb/>
erſte Lächeln, das ſeine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[144/0160]
III. 3. Troppau und Laibach.
Ergüſſe der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich
den gemeinſamen Krieg der Großmächte wider die hölliſche Sekte, die
von jeher in Frankreich ihr Neſt gehabt; einen ſolchen Krieg beginnen
heiße nicht ein Volk knechten, ſondern ein geknechtetes Volk dem Joche
entreißen. Was ſei die Charte denn andres als die Verfaſſung von
Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären
Geſpenſterſeher heraufbeſchworen und mit grellen Farben geſchildert, wie
der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden ſtets die Bour-
bonen als das älteſte aller Fürſtenhäuſer am bitterſten gehaßt, und ſchon
Caglioſtro auf ſeinem Maurer-Taſchenbuche die Buchſtaben L. P. C. —
Lilia pedibus calca — geführt habe. *)
So fanatiſchen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Par-
teien ihr Blut nicht mehr bändigen. Die geſammte Preſſe der Oppoſi-
tion hallte wider von ſchadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot
eben jetzt in zwei geiſtreichen Schriften zu erweiſen verſuchten, daß die
franzöſiſche Nation ſeit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete
Stämme, den fränkiſchen Adel und den gallo-römiſchen Tiers-état zer-
ſpalten ſei — eine geiſtreiche Halbwahrheit, welche allerdings der hiſtoriſchen
Forſchung einen neuen Gedankenkreis erſchloß, aber in den Parteikämpfen
des Tages faſt wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der inſtinktive
Haß der bürgerlichen Klaſſen gegen die Reſtauration, die ihnen als Herrſchaft
des Auslands galt, ſah ſich wiſſenſchaftlich gerechtfertigt ſeit alſo das Köſt-
lichſte was Frankreich beſaß, ſeine unzerſtörbare nationale Einheit in Frage
geſtellt wurde. Den tiefſten Grund der Unwahrheit des franzöſiſchen Par-
lamentarismus erkannten die beiden geiſtvollen Hiſtoriker ebenſo wenig wie
die anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartis-
mus noch in allen Anſchauungen der Franzoſen fortwirkte, und Thierry
ſprach ſogar mit warmen Woxten von der Gemeindefreiheit, aber er ge-
langte nicht zu der Einſicht, daß die bureaukratiſche Verwaltungsordnung
Napoleons, die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensge-
wohnheiten des Volkes immer feſter verwuchs, ſich mit conſtitutionellen
Verfaſſungsformen niemals ehrlich vertragen konnte.
In dieſen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erſtaunliche
Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept. einen
Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal
aus dem alten Bourbonenſtamme ein friſches Reis ausgeſchlagen. Die
Ultras ſahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und
begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denſelben über-
ſchwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege
des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier ſchrieb: „das
erſte Lächeln, das ſeine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine
*) Bergaſſe, Denkſchrift für Kaiſer Alexander, Paris 1. Sept. 1820.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/160>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.