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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
Bewegung ungeahnte Erfolge. Ihr Sieg war gesichert, sobald sie im
Norden, unter den zähen Galicianern festen Fuß gefaßt hatte. Am 9.
März beschwor der König vor dem revolutionären Stadtrath der Mad-
rider Commune die Verfassung von 1812. Dies Grundgesetz, das der-
selbe Fürst sechs Jahre zuvor unter dem Jubelgeschrei der Massen be-
seitigt hatte, galt dem trunkenen Volke mit einem male als die Offen-
barung der Freiheit. Der heilige Codex ward durch die Straßen ge-
tragen und mit Kniebeugungen verehrt wie sonst das Allerheiligste; die
Kinder in den Volksschulen lernten den Katechismus des göttlichen Ge-
setzbuchs. In den neu berufenen Cortes entfaltete sich die ganze Pracht
der melodischen spanischen Beredsamkeit; stürmischer noch erklangen die
großen Worte in dem radikalen Klub des Cafe Lorencini, der bald in
der Hauptstadt ebenso mächtig schaltete, wie einst der Jakobinerklub in
Paris. Massenhaft wurden die Werke Voltaire's, Diderot's, Rousseau's
über die befreite Grenze eingeführt um das Volk mit den Heilslehren
der Revolution zu tränken. Einige Monate hindurch badete sich das
Land in einem Meere der Glückseligkeit. Was andere Völker in jahre-
langen Kämpfen nicht erreichen konnten -- so triumphirte die Madrider
Presse -- das hat Spanien errungen durch sechs Jahre der Geduld,
einen Tag der Erfüllung und zwei Tage der Freude; bald werden die
Fremden zu uns kommen um wahre Freiheit und Menschenwürde kennen
zu lernen; Nationen, bewundert Spanien! Heere, ahmet unserer Tapfer-
keit nach!

Es klang wie ein Märchen aus der verkehrten Welt, daß diese selbst-
genügsame Nation, die sich von den anderen Völkern stets am sprödesten
abgeschlossen hatte und darum unter allen am wenigsten die Kraft der
Propaganda besaß, jetzt den Anspruch erhob den Europäern das Gesetz
der Freiheit zu geben. Und doch wurde dies unbekannteste Land Europas
eine Zeit lang wirklich von der Presse aller Völker als die Heimstätte der
politischen Weisheit gepriesen. Lichter Ruhm umstrahlte den spanischen
Namen noch von den napoleonischen Zeiten her; wie dies Heldenvolk sich
einst zuerst gegen den Imperator erhoben hatte, so schien es jetzt wieder
der schlummernden Welt das Zeichen zu geben zum Kampfe um die
constitutionelle Freiheit. Der vollständige und fast überall unblutige
Erfolg täuschte auch Besonnene über die Kraftlosigkeit dieser Revolu-
tion, alle ihre Sünden erschienen unschuldig neben der grausamen Miß-
regierung der letzten Jahre. Selbst das entsetzliche Schauspiel der Mili-
tärverschwörungen erregte wenig Aergerniß, denn die liberale Welt war
beherrscht von Widerwillen gegen die stehenden Heere und sah in eid-
brüchigen Soldaten nur Unglückliche, die ihr Menschenrecht zurückforderten.

Der Führer des aufständischen Heeres, ein nichtiger, prahlerischer
Demagog, wurde zum Helden des Tages; in Paris und London, in
Wien und Berlin trug man Cravatten a la Riego. Und wie der spa-

III. 3. Troppau und Laibach.
Bewegung ungeahnte Erfolge. Ihr Sieg war geſichert, ſobald ſie im
Norden, unter den zähen Galicianern feſten Fuß gefaßt hatte. Am 9.
März beſchwor der König vor dem revolutionären Stadtrath der Mad-
rider Commune die Verfaſſung von 1812. Dies Grundgeſetz, das der-
ſelbe Fürſt ſechs Jahre zuvor unter dem Jubelgeſchrei der Maſſen be-
ſeitigt hatte, galt dem trunkenen Volke mit einem male als die Offen-
barung der Freiheit. Der heilige Codex ward durch die Straßen ge-
tragen und mit Kniebeugungen verehrt wie ſonſt das Allerheiligſte; die
Kinder in den Volksſchulen lernten den Katechismus des göttlichen Ge-
ſetzbuchs. In den neu berufenen Cortes entfaltete ſich die ganze Pracht
der melodiſchen ſpaniſchen Beredſamkeit; ſtürmiſcher noch erklangen die
großen Worte in dem radikalen Klub des Cafe Lorencini, der bald in
der Hauptſtadt ebenſo mächtig ſchaltete, wie einſt der Jakobinerklub in
Paris. Maſſenhaft wurden die Werke Voltaire’s, Diderot’s, Rouſſeau’s
über die befreite Grenze eingeführt um das Volk mit den Heilslehren
der Revolution zu tränken. Einige Monate hindurch badete ſich das
Land in einem Meere der Glückſeligkeit. Was andere Völker in jahre-
langen Kämpfen nicht erreichen konnten — ſo triumphirte die Madrider
Preſſe — das hat Spanien errungen durch ſechs Jahre der Geduld,
einen Tag der Erfüllung und zwei Tage der Freude; bald werden die
Fremden zu uns kommen um wahre Freiheit und Menſchenwürde kennen
zu lernen; Nationen, bewundert Spanien! Heere, ahmet unſerer Tapfer-
keit nach!

Es klang wie ein Märchen aus der verkehrten Welt, daß dieſe ſelbſt-
genügſame Nation, die ſich von den anderen Völkern ſtets am ſprödeſten
abgeſchloſſen hatte und darum unter allen am wenigſten die Kraft der
Propaganda beſaß, jetzt den Anſpruch erhob den Europäern das Geſetz
der Freiheit zu geben. Und doch wurde dies unbekannteſte Land Europas
eine Zeit lang wirklich von der Preſſe aller Völker als die Heimſtätte der
politiſchen Weisheit geprieſen. Lichter Ruhm umſtrahlte den ſpaniſchen
Namen noch von den napoleoniſchen Zeiten her; wie dies Heldenvolk ſich
einſt zuerſt gegen den Imperator erhoben hatte, ſo ſchien es jetzt wieder
der ſchlummernden Welt das Zeichen zu geben zum Kampfe um die
conſtitutionelle Freiheit. Der vollſtändige und faſt überall unblutige
Erfolg täuſchte auch Beſonnene über die Kraftloſigkeit dieſer Revolu-
tion, alle ihre Sünden erſchienen unſchuldig neben der grauſamen Miß-
regierung der letzten Jahre. Selbſt das entſetzliche Schauſpiel der Mili-
tärverſchwörungen erregte wenig Aergerniß, denn die liberale Welt war
beherrſcht von Widerwillen gegen die ſtehenden Heere und ſah in eid-
brüchigen Soldaten nur Unglückliche, die ihr Menſchenrecht zurückforderten.

Der Führer des aufſtändiſchen Heeres, ein nichtiger, prahleriſcher
Demagog, wurde zum Helden des Tages; in Paris und London, in
Wien und Berlin trug man Cravatten à la Riego. Und wie der ſpa-

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[136/0152] III. 3. Troppau und Laibach. Bewegung ungeahnte Erfolge. Ihr Sieg war geſichert, ſobald ſie im Norden, unter den zähen Galicianern feſten Fuß gefaßt hatte. Am 9. März beſchwor der König vor dem revolutionären Stadtrath der Mad- rider Commune die Verfaſſung von 1812. Dies Grundgeſetz, das der- ſelbe Fürſt ſechs Jahre zuvor unter dem Jubelgeſchrei der Maſſen be- ſeitigt hatte, galt dem trunkenen Volke mit einem male als die Offen- barung der Freiheit. Der heilige Codex ward durch die Straßen ge- tragen und mit Kniebeugungen verehrt wie ſonſt das Allerheiligſte; die Kinder in den Volksſchulen lernten den Katechismus des göttlichen Ge- ſetzbuchs. In den neu berufenen Cortes entfaltete ſich die ganze Pracht der melodiſchen ſpaniſchen Beredſamkeit; ſtürmiſcher noch erklangen die großen Worte in dem radikalen Klub des Cafe Lorencini, der bald in der Hauptſtadt ebenſo mächtig ſchaltete, wie einſt der Jakobinerklub in Paris. Maſſenhaft wurden die Werke Voltaire’s, Diderot’s, Rouſſeau’s über die befreite Grenze eingeführt um das Volk mit den Heilslehren der Revolution zu tränken. Einige Monate hindurch badete ſich das Land in einem Meere der Glückſeligkeit. Was andere Völker in jahre- langen Kämpfen nicht erreichen konnten — ſo triumphirte die Madrider Preſſe — das hat Spanien errungen durch ſechs Jahre der Geduld, einen Tag der Erfüllung und zwei Tage der Freude; bald werden die Fremden zu uns kommen um wahre Freiheit und Menſchenwürde kennen zu lernen; Nationen, bewundert Spanien! Heere, ahmet unſerer Tapfer- keit nach! Es klang wie ein Märchen aus der verkehrten Welt, daß dieſe ſelbſt- genügſame Nation, die ſich von den anderen Völkern ſtets am ſprödeſten abgeſchloſſen hatte und darum unter allen am wenigſten die Kraft der Propaganda beſaß, jetzt den Anſpruch erhob den Europäern das Geſetz der Freiheit zu geben. Und doch wurde dies unbekannteſte Land Europas eine Zeit lang wirklich von der Preſſe aller Völker als die Heimſtätte der politiſchen Weisheit geprieſen. Lichter Ruhm umſtrahlte den ſpaniſchen Namen noch von den napoleoniſchen Zeiten her; wie dies Heldenvolk ſich einſt zuerſt gegen den Imperator erhoben hatte, ſo ſchien es jetzt wieder der ſchlummernden Welt das Zeichen zu geben zum Kampfe um die conſtitutionelle Freiheit. Der vollſtändige und faſt überall unblutige Erfolg täuſchte auch Beſonnene über die Kraftloſigkeit dieſer Revolu- tion, alle ihre Sünden erſchienen unſchuldig neben der grauſamen Miß- regierung der letzten Jahre. Selbſt das entſetzliche Schauſpiel der Mili- tärverſchwörungen erregte wenig Aergerniß, denn die liberale Welt war beherrſcht von Widerwillen gegen die ſtehenden Heere und ſah in eid- brüchigen Soldaten nur Unglückliche, die ihr Menſchenrecht zurückforderten. Der Führer des aufſtändiſchen Heeres, ein nichtiger, prahleriſcher Demagog, wurde zum Helden des Tages; in Paris und London, in Wien und Berlin trug man Cravatten à la Riego. Und wie der ſpa-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/152>, abgerufen am 27.11.2024.