Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Revolution in Spanien. sprach. Obgleich beide Mächte ihre Neutralität noch nicht förmlich auf-gaben, so genügte doch ihre wohlwollende Haltung um den Plan einer euro- päischen Einmischung, der in Petersburg mehrmals auftauchte, zu vereiteln. Zahlreiche englische Freiwillige traten in die Heere der Rebellen ein, getrieben von jenem sicheren nationalen Instinkt, der die Briten überall auszeichnet; auch der tapfere Hannoveraner Uslar und manche andere Offiziere der Deutschen Legion, die daheim mit ihrem guten Degen nichts mehr anzufangen wußten, erwarben sich hier neuen Kriegsruhm im Kampfe wider dieselben Spanier, mit denen sie einst Schulter an Schulter gefochten hatten. Und nun, im Jahre 1819 kam die wunderbare Kunde von Bo- livar's verwegenem Zuge über das Hochgebirge der Cordilleren und von der Gründung der Republik Columbia; wetteifernd verherrlichte die Presse beider Welttheile den Befreier Bolivar, den anderen Washington, den Hannibal der Anden. Von der Seelenruhe und der staatsmännischen Klarheit des großen Virginiers lag freilich gar nichts in dem widerspruchs- vollen Charakter dieses creolischen Helden, der zwischen Tollkühnheit und Kleinmuth, zwischen patriotischer Hingebung und schauspielernder Eitelkeit, zwischen radikalen Meinungen und despotischen Gelüsten unstet schwankte. Jedoch das kriegerische Ungestüm dieser unfertigen Völker, ihre zähe Ausdauer in Roth und Entbehrung übertraf bei Weitem Alles was die Nordamerikaner einst für die Unabhängigkeit ihres Landes geleistet hatten, sie verdienten sich die Freiheit durch schwere Opfer; und wie wüst auch die Zustände in den neuen Republiken vorerst noch erschienen, wer über den nächsten Tag hinausblickte durfte doch nicht mehr verkennen, daß die Weltgeschichte dort eines ihrer großen Gerichte hielt und wieder ein- mal den grausamen Wahrspruch fällte: Sic vos non vobis! Das Werk der Conquistadoren, die Entdeckung der neuen Welt konnte sich erst voll- enden, als ihr Kolonialreich in Trümmer fiel, denn jetzt erst begann die europäische Gesittung in vollerem Strome über den jungen Welttheil hereinzufluthen. -- Eine seltsame Gunst des Schicksals fügte es nun, daß dieselben Revolution in Spanien. ſprach. Obgleich beide Mächte ihre Neutralität noch nicht förmlich auf-gaben, ſo genügte doch ihre wohlwollende Haltung um den Plan einer euro- päiſchen Einmiſchung, der in Petersburg mehrmals auftauchte, zu vereiteln. Zahlreiche engliſche Freiwillige traten in die Heere der Rebellen ein, getrieben von jenem ſicheren nationalen Inſtinkt, der die Briten überall auszeichnet; auch der tapfere Hannoveraner Uslar und manche andere Offiziere der Deutſchen Legion, die daheim mit ihrem guten Degen nichts mehr anzufangen wußten, erwarben ſich hier neuen Kriegsruhm im Kampfe wider dieſelben Spanier, mit denen ſie einſt Schulter an Schulter gefochten hatten. Und nun, im Jahre 1819 kam die wunderbare Kunde von Bo- livar’s verwegenem Zuge über das Hochgebirge der Cordilleren und von der Gründung der Republik Columbia; wetteifernd verherrlichte die Preſſe beider Welttheile den Befreier Bolivar, den anderen Waſhington, den Hannibal der Anden. Von der Seelenruhe und der ſtaatsmänniſchen Klarheit des großen Virginiers lag freilich gar nichts in dem widerſpruchs- vollen Charakter dieſes creoliſchen Helden, der zwiſchen Tollkühnheit und Kleinmuth, zwiſchen patriotiſcher Hingebung und ſchauſpielernder Eitelkeit, zwiſchen radikalen Meinungen und despotiſchen Gelüſten unſtet ſchwankte. Jedoch das kriegeriſche Ungeſtüm dieſer unfertigen Völker, ihre zähe Ausdauer in Roth und Entbehrung übertraf bei Weitem Alles was die Nordamerikaner einſt für die Unabhängigkeit ihres Landes geleiſtet hatten, ſie verdienten ſich die Freiheit durch ſchwere Opfer; und wie wüſt auch die Zuſtände in den neuen Republiken vorerſt noch erſchienen, wer über den nächſten Tag hinausblickte durfte doch nicht mehr verkennen, daß die Weltgeſchichte dort eines ihrer großen Gerichte hielt und wieder ein- mal den grauſamen Wahrſpruch fällte: Sic vos non vobis! Das Werk der Conquiſtadoren, die Entdeckung der neuen Welt konnte ſich erſt voll- enden, als ihr Kolonialreich in Trümmer fiel, denn jetzt erſt begann die europäiſche Geſittung in vollerem Strome über den jungen Welttheil hereinzufluthen. — Eine ſeltſame Gunſt des Schickſals fügte es nun, daß dieſelben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0151" n="135"/><fw place="top" type="header">Revolution in Spanien.</fw><lb/> ſprach. 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Revolution in Spanien.
ſprach. Obgleich beide Mächte ihre Neutralität noch nicht förmlich auf-
gaben, ſo genügte doch ihre wohlwollende Haltung um den Plan einer euro-
päiſchen Einmiſchung, der in Petersburg mehrmals auftauchte, zu vereiteln.
Zahlreiche engliſche Freiwillige traten in die Heere der Rebellen ein,
getrieben von jenem ſicheren nationalen Inſtinkt, der die Briten überall
auszeichnet; auch der tapfere Hannoveraner Uslar und manche andere
Offiziere der Deutſchen Legion, die daheim mit ihrem guten Degen nichts
mehr anzufangen wußten, erwarben ſich hier neuen Kriegsruhm im Kampfe
wider dieſelben Spanier, mit denen ſie einſt Schulter an Schulter gefochten
hatten. Und nun, im Jahre 1819 kam die wunderbare Kunde von Bo-
livar’s verwegenem Zuge über das Hochgebirge der Cordilleren und von
der Gründung der Republik Columbia; wetteifernd verherrlichte die Preſſe
beider Welttheile den Befreier Bolivar, den anderen Waſhington, den
Hannibal der Anden. Von der Seelenruhe und der ſtaatsmänniſchen
Klarheit des großen Virginiers lag freilich gar nichts in dem widerſpruchs-
vollen Charakter dieſes creoliſchen Helden, der zwiſchen Tollkühnheit und
Kleinmuth, zwiſchen patriotiſcher Hingebung und ſchauſpielernder Eitelkeit,
zwiſchen radikalen Meinungen und despotiſchen Gelüſten unſtet ſchwankte.
Jedoch das kriegeriſche Ungeſtüm dieſer unfertigen Völker, ihre zähe
Ausdauer in Roth und Entbehrung übertraf bei Weitem Alles was die
Nordamerikaner einſt für die Unabhängigkeit ihres Landes geleiſtet hatten,
ſie verdienten ſich die Freiheit durch ſchwere Opfer; und wie wüſt auch die
Zuſtände in den neuen Republiken vorerſt noch erſchienen, wer über
den nächſten Tag hinausblickte durfte doch nicht mehr verkennen, daß
die Weltgeſchichte dort eines ihrer großen Gerichte hielt und wieder ein-
mal den grauſamen Wahrſpruch fällte: Sic vos non vobis! Das Werk
der Conquiſtadoren, die Entdeckung der neuen Welt konnte ſich erſt voll-
enden, als ihr Kolonialreich in Trümmer fiel, denn jetzt erſt begann
die europäiſche Geſittung in vollerem Strome über den jungen Welttheil
hereinzufluthen. —
Eine ſeltſame Gunſt des Schickſals fügte es nun, daß dieſelben
revolutionären Ideen, welche den Führern der aufſtändiſchen Creolen den
Muth entflammten, die Widerſtandskraft des Mutterlandes lähmten.
Von Kaiſer Alexander unterſtützt, hatte König Ferdinand eine Flotte ge-
bildet und um Cadix ein Heer verſammelt, das den Aufruhr der Ame-
rikaner bändigen ſollte. Als dies Heer am Neujahrstag 1820 zu meu-
tern begann, da war entſchieden, daß Spanien nicht mehr die Macht
beſaß ſeine Kolonien zur Unterwerfung zu zwingen. In dem Soldaten-
aufſtande entlud ſich nur der Unmuth einer arg verwahrloſten Truppe;
als der Urheber der Bewegung, Oberſt Riego, die Cortesverfaſſung von
1812 ausrief, fand er anfangs im Heere ſelbſt nur getheilte Zuſtimmung.
Erſt durch die rathloſe Schwäche König Ferdinand’s, der wie vom böſen
Gewiſſen geſchüttelt die Gegner gewähren ließ, errang die ſchwächliche
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