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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
oberer kämpften, erhoben auch die Kolonien das Banner des Aufstandes,
sie verjagten die Statthalter Joseph Napoleon's und bildeten Junten
nach spanischem Muster. Aber aus dem gemeinsamen Kampfe um natio-
nale Selbständigkeit entwickelte sich nach und nach der Widerstand gegen
Spanien selber, da das vom Kriege zerrüttete Mutterland die Kolonien
sich selber überlassen mußte und die Cortes von Cadiz sich gleichwohl be-
rechtigt glaubten "den Spaniern beider Hemisphären" Gesetze zu geben.
Schon im Jahre 1810 ertönte aus Mexico der Grito de dolores, eine
gräßliche Empörung brachte die spanische Herrschaft in Mittelamerika dem
Untergange nahe. Ein Jahr darauf verwahrte sich die "Erstgeborene der
amerikanischen Freiheit" Venezuela, fast mit den Worten der nordameri-
kanischen Unabhängigkeitserklärung, das natürliche Recht der Völker, jeden
Bund aufzulösen, der dem ursprünglichen Zwecke des Staatsvertrages
nicht entspreche.

Jener "Schmerzensschrei" der Mexicaner, der späterhin in das Wör-
terbuch der revolutionären Propaganda aufgenommen wurde, fand, als
er zuerst erklang, in Europa wenig Beachtung; so lange die Spanier
selbst den Verzweiflungskampf wider Napoleon führten, konnte ein Aufruhr
wider dies bewunderte Volk in der alten Welt nur wenig Theilnahme
erwecken. Als König Ferdinand nach Madrid zurückkehrte, lag es in
seiner Hand, die offenbar verfrühte Bewegung durch einige kluge Zuge-
ständnisse zu unterdrücken. Der verblendete Hochmuth des Bourbonen
fachte das schon erlöschende Feuer wieder zu hellen Flammen an. Im
Jahre 1817 standen die Chilenen auf, das thatkräftigste Volk des süd-
lichen Continents. Seitdem schritt die Revolution gewaltig vor und sie
bekannte jetzt offen ihr letztes Ziel, die Trennung vom Mutterlande.
Die völkerbildende Macht des Krieges gab dem Leben dieser jungen Völker
zuerst einen großen Inhalt, sie erweckte ihnen gemeinsamen Haß und
Stolz, gemeinsame ernste Erinnerungen und damit das Bewußtsein ihrer
Eigenart. Das glänzende Vorbild der benachbarten Vereinigten Staaten
wirkte unwiderstehlich auf ein geschichtsloses Geschlecht, das noch nie selbst-
thätig für den Staat gelebt und soeben erst die Gleichheitslehren der Fran-
zosen wie eine neue Offenbarung empfangen hatte; und schon ließ sich
voraussehen, daß aus dem Mordbrand des gräuelvollen Krieges ein ganzes
Bündel von Republiken hervorgehen und die Republik in Amerika auf
lange hinaus die Staatsform der Regel bleiben würde, wie die Mon-
archie in Europa, die Theokratie im Orient.

Die Bürger Nordamerikas harrten ungeduldig des Tages, da ihr
junger Welttheil der Vormundschaft Europas endlich ganz entwachsen
sollte. Die englische Handelspolitik hatte ihren spanischen Bundesge-
nossen, nachdem er gegen Napoleon seine Dienste gethan, gleichgiltig
fallen lassen und betrachtete mit offenbarem Wohlgefallen den Fortgang
einer Bewegung, die ihr ein unendliches Marktgebiet zu erschließen ver-

III. 3. Troppau und Laibach.
oberer kämpften, erhoben auch die Kolonien das Banner des Aufſtandes,
ſie verjagten die Statthalter Joſeph Napoleon’s und bildeten Junten
nach ſpaniſchem Muſter. Aber aus dem gemeinſamen Kampfe um natio-
nale Selbſtändigkeit entwickelte ſich nach und nach der Widerſtand gegen
Spanien ſelber, da das vom Kriege zerrüttete Mutterland die Kolonien
ſich ſelber überlaſſen mußte und die Cortes von Cadiz ſich gleichwohl be-
rechtigt glaubten „den Spaniern beider Hemiſphären“ Geſetze zu geben.
Schon im Jahre 1810 ertönte aus Mexico der Grito de dolores, eine
gräßliche Empörung brachte die ſpaniſche Herrſchaft in Mittelamerika dem
Untergange nahe. Ein Jahr darauf verwahrte ſich die „Erſtgeborene der
amerikaniſchen Freiheit“ Venezuela, faſt mit den Worten der nordameri-
kaniſchen Unabhängigkeitserklärung, das natürliche Recht der Völker, jeden
Bund aufzulöſen, der dem urſprünglichen Zwecke des Staatsvertrages
nicht entſpreche.

Jener „Schmerzensſchrei“ der Mexicaner, der ſpäterhin in das Wör-
terbuch der revolutionären Propaganda aufgenommen wurde, fand, als
er zuerſt erklang, in Europa wenig Beachtung; ſo lange die Spanier
ſelbſt den Verzweiflungskampf wider Napoleon führten, konnte ein Aufruhr
wider dies bewunderte Volk in der alten Welt nur wenig Theilnahme
erwecken. Als König Ferdinand nach Madrid zurückkehrte, lag es in
ſeiner Hand, die offenbar verfrühte Bewegung durch einige kluge Zuge-
ſtändniſſe zu unterdrücken. Der verblendete Hochmuth des Bourbonen
fachte das ſchon erlöſchende Feuer wieder zu hellen Flammen an. Im
Jahre 1817 ſtanden die Chilenen auf, das thatkräftigſte Volk des ſüd-
lichen Continents. Seitdem ſchritt die Revolution gewaltig vor und ſie
bekannte jetzt offen ihr letztes Ziel, die Trennung vom Mutterlande.
Die völkerbildende Macht des Krieges gab dem Leben dieſer jungen Völker
zuerſt einen großen Inhalt, ſie erweckte ihnen gemeinſamen Haß und
Stolz, gemeinſame ernſte Erinnerungen und damit das Bewußtſein ihrer
Eigenart. Das glänzende Vorbild der benachbarten Vereinigten Staaten
wirkte unwiderſtehlich auf ein geſchichtsloſes Geſchlecht, das noch nie ſelbſt-
thätig für den Staat gelebt und ſoeben erſt die Gleichheitslehren der Fran-
zoſen wie eine neue Offenbarung empfangen hatte; und ſchon ließ ſich
vorausſehen, daß aus dem Mordbrand des gräuelvollen Krieges ein ganzes
Bündel von Republiken hervorgehen und die Republik in Amerika auf
lange hinaus die Staatsform der Regel bleiben würde, wie die Mon-
archie in Europa, die Theokratie im Orient.

Die Bürger Nordamerikas harrten ungeduldig des Tages, da ihr
junger Welttheil der Vormundſchaft Europas endlich ganz entwachſen
ſollte. Die engliſche Handelspolitik hatte ihren ſpaniſchen Bundesge-
noſſen, nachdem er gegen Napoleon ſeine Dienſte gethan, gleichgiltig
fallen laſſen und betrachtete mit offenbarem Wohlgefallen den Fortgang
einer Bewegung, die ihr ein unendliches Marktgebiet zu erſchließen ver-

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[134/0150] III. 3. Troppau und Laibach. oberer kämpften, erhoben auch die Kolonien das Banner des Aufſtandes, ſie verjagten die Statthalter Joſeph Napoleon’s und bildeten Junten nach ſpaniſchem Muſter. Aber aus dem gemeinſamen Kampfe um natio- nale Selbſtändigkeit entwickelte ſich nach und nach der Widerſtand gegen Spanien ſelber, da das vom Kriege zerrüttete Mutterland die Kolonien ſich ſelber überlaſſen mußte und die Cortes von Cadiz ſich gleichwohl be- rechtigt glaubten „den Spaniern beider Hemiſphären“ Geſetze zu geben. Schon im Jahre 1810 ertönte aus Mexico der Grito de dolores, eine gräßliche Empörung brachte die ſpaniſche Herrſchaft in Mittelamerika dem Untergange nahe. Ein Jahr darauf verwahrte ſich die „Erſtgeborene der amerikaniſchen Freiheit“ Venezuela, faſt mit den Worten der nordameri- kaniſchen Unabhängigkeitserklärung, das natürliche Recht der Völker, jeden Bund aufzulöſen, der dem urſprünglichen Zwecke des Staatsvertrages nicht entſpreche. Jener „Schmerzensſchrei“ der Mexicaner, der ſpäterhin in das Wör- terbuch der revolutionären Propaganda aufgenommen wurde, fand, als er zuerſt erklang, in Europa wenig Beachtung; ſo lange die Spanier ſelbſt den Verzweiflungskampf wider Napoleon führten, konnte ein Aufruhr wider dies bewunderte Volk in der alten Welt nur wenig Theilnahme erwecken. Als König Ferdinand nach Madrid zurückkehrte, lag es in ſeiner Hand, die offenbar verfrühte Bewegung durch einige kluge Zuge- ſtändniſſe zu unterdrücken. Der verblendete Hochmuth des Bourbonen fachte das ſchon erlöſchende Feuer wieder zu hellen Flammen an. Im Jahre 1817 ſtanden die Chilenen auf, das thatkräftigſte Volk des ſüd- lichen Continents. Seitdem ſchritt die Revolution gewaltig vor und ſie bekannte jetzt offen ihr letztes Ziel, die Trennung vom Mutterlande. Die völkerbildende Macht des Krieges gab dem Leben dieſer jungen Völker zuerſt einen großen Inhalt, ſie erweckte ihnen gemeinſamen Haß und Stolz, gemeinſame ernſte Erinnerungen und damit das Bewußtſein ihrer Eigenart. Das glänzende Vorbild der benachbarten Vereinigten Staaten wirkte unwiderſtehlich auf ein geſchichtsloſes Geſchlecht, das noch nie ſelbſt- thätig für den Staat gelebt und ſoeben erſt die Gleichheitslehren der Fran- zoſen wie eine neue Offenbarung empfangen hatte; und ſchon ließ ſich vorausſehen, daß aus dem Mordbrand des gräuelvollen Krieges ein ganzes Bündel von Republiken hervorgehen und die Republik in Amerika auf lange hinaus die Staatsform der Regel bleiben würde, wie die Mon- archie in Europa, die Theokratie im Orient. Die Bürger Nordamerikas harrten ungeduldig des Tages, da ihr junger Welttheil der Vormundſchaft Europas endlich ganz entwachſen ſollte. Die engliſche Handelspolitik hatte ihren ſpaniſchen Bundesge- noſſen, nachdem er gegen Napoleon ſeine Dienſte gethan, gleichgiltig fallen laſſen und betrachtete mit offenbarem Wohlgefallen den Fortgang einer Bewegung, die ihr ein unendliches Marktgebiet zu erſchließen ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/150>, abgerufen am 27.11.2024.