Freiheitskämpfer umschwebte, fiel ein heller Abglanz zurück auf das Ge- burtsland der Menschenrechte. Durch die Erhebung der Völker des Nor- dens war das napoleonische Weltreich zertrümmert worden; seit den Re- volutionen von 1820 machten die politischen Gedanken der romanisch- katholischen Völker abermals die Runde durch die Welt.
Unterdrückung und Verfolgung hatten unsere Presse heimgesucht, als sie zum ersten male das heimische Staatsleben zu beurtheilen gewagt; nun wendete sie sich ganz dem Auslande zu und füllte fast alle ihre Spalten mit Berichten aus Spanien und Italien, die sie den reicheren Zeitungen der Engländer und Franzosen entlehnte. So gewöhnten sich die Leser mit ihren Gedanken unstet in die Ferne zu schweifen und über un- verstandene Dinge abzuurtheilen. Mit dem Namen Revolution ward wieder ein Cultus getrieben, wie vor Zeiten als Klopstock die Morgen- röthe der gallischen Freiheit besang. Nur ein plötzliches Erwachen der freien Volkskraft schien dem deutschen Elend ein Ziel setzen zu können, und schon schalt mancher radikale Heißsporn zornig: alle Völker haben ihre Revolution gehabt, nur nicht die langsamen Deutschen! Daß die kühnste und fruchtbarste aller modernen Revolutionen aus dem Vater- lande Martin Luther's hervorgegangen war, kam den Bewunderern der neufranzösischen Freiheit nicht zum Bewußtsein; und noch weniger hätten sie eingesehen, daß die revolutionären Erhebungen des Südens nicht der überlegenen Heldenkraft seiner Völker entsprangen, sondern den Freveln eines gewaltthätigen Despotismus, der auf den Massen ungleich härter lastete als die Nichtigkeit des Deutschen Bundes. Dergestalt begannen die Revolutionslehren der Besiegten in das Land der Sieger wieder einzu- dringen, und nach und nach ward ein Zündstoff angesammelt, der in den Erschütterungen von 1830 und 1848 sich entladen sollte. Noch war die Mißstimmung schwach und ungefährlich, sie beschränkte sich auf einige Kreise der gebildeten Klassen, denen die revolutionäre Willenskraft völlig abging; doch sie mußte mit den Jahren wachsen, da der Nation jede gesetzliche Mitwirkung bei der Bundespolitik verboten war und der Groll über die Mißgriffe der Regierungen durch das beschämende Bewußtsein der deut- schen Zersplitterung beständig verschärft wurde. --
Mehr denn zweihundert Jahre lang war das bunte Rassengemisch des spanischen Amerikas den Europäern eine unbekannte Welt geblieben, argwöhnisch abgesperrt durch ein schläfriges kirchlich-politisches Regiment, das die Kolonien nicht eigentlich drückte, aber sie im Zustande ewiger Kindheit zu erhalten suchte. Erst seit der Abfall Nordamerikas dem jungen Welttheil den Anbruch eines neuen Tages verkündet und zugleich die Reformen König Karl's III. dem Mutterlande wie den Kolonien einige Erleichterung des Handels, einige Freiheit des geistigen Lebens gewährt hatten, begann sich in diesen werdenden Völkern ein amerikanisches Selbst- gefühl zu regen. Als darauf die Spanier wider die französischen Er-
Erhebung Südamerikas.
Freiheitskämpfer umſchwebte, fiel ein heller Abglanz zurück auf das Ge- burtsland der Menſchenrechte. Durch die Erhebung der Völker des Nor- dens war das napoleoniſche Weltreich zertrümmert worden; ſeit den Re- volutionen von 1820 machten die politiſchen Gedanken der romaniſch- katholiſchen Völker abermals die Runde durch die Welt.
Unterdrückung und Verfolgung hatten unſere Preſſe heimgeſucht, als ſie zum erſten male das heimiſche Staatsleben zu beurtheilen gewagt; nun wendete ſie ſich ganz dem Auslande zu und füllte faſt alle ihre Spalten mit Berichten aus Spanien und Italien, die ſie den reicheren Zeitungen der Engländer und Franzoſen entlehnte. So gewöhnten ſich die Leſer mit ihren Gedanken unſtet in die Ferne zu ſchweifen und über un- verſtandene Dinge abzuurtheilen. Mit dem Namen Revolution ward wieder ein Cultus getrieben, wie vor Zeiten als Klopſtock die Morgen- röthe der galliſchen Freiheit beſang. Nur ein plötzliches Erwachen der freien Volkskraft ſchien dem deutſchen Elend ein Ziel ſetzen zu können, und ſchon ſchalt mancher radikale Heißſporn zornig: alle Völker haben ihre Revolution gehabt, nur nicht die langſamen Deutſchen! Daß die kühnſte und fruchtbarſte aller modernen Revolutionen aus dem Vater- lande Martin Luther’s hervorgegangen war, kam den Bewunderern der neufranzöſiſchen Freiheit nicht zum Bewußtſein; und noch weniger hätten ſie eingeſehen, daß die revolutionären Erhebungen des Südens nicht der überlegenen Heldenkraft ſeiner Völker entſprangen, ſondern den Freveln eines gewaltthätigen Despotismus, der auf den Maſſen ungleich härter laſtete als die Nichtigkeit des Deutſchen Bundes. Dergeſtalt begannen die Revolutionslehren der Beſiegten in das Land der Sieger wieder einzu- dringen, und nach und nach ward ein Zündſtoff angeſammelt, der in den Erſchütterungen von 1830 und 1848 ſich entladen ſollte. Noch war die Mißſtimmung ſchwach und ungefährlich, ſie beſchränkte ſich auf einige Kreiſe der gebildeten Klaſſen, denen die revolutionäre Willenskraft völlig abging; doch ſie mußte mit den Jahren wachſen, da der Nation jede geſetzliche Mitwirkung bei der Bundespolitik verboten war und der Groll über die Mißgriffe der Regierungen durch das beſchämende Bewußtſein der deut- ſchen Zerſplitterung beſtändig verſchärft wurde. —
Mehr denn zweihundert Jahre lang war das bunte Raſſengemiſch des ſpaniſchen Amerikas den Europäern eine unbekannte Welt geblieben, argwöhniſch abgeſperrt durch ein ſchläfriges kirchlich-politiſches Regiment, das die Kolonien nicht eigentlich drückte, aber ſie im Zuſtande ewiger Kindheit zu erhalten ſuchte. Erſt ſeit der Abfall Nordamerikas dem jungen Welttheil den Anbruch eines neuen Tages verkündet und zugleich die Reformen König Karl’s III. dem Mutterlande wie den Kolonien einige Erleichterung des Handels, einige Freiheit des geiſtigen Lebens gewährt hatten, begann ſich in dieſen werdenden Völkern ein amerikaniſches Selbſt- gefühl zu regen. Als darauf die Spanier wider die franzöſiſchen Er-
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Erhebung Südamerikas.
Freiheitskämpfer umſchwebte, fiel ein heller Abglanz zurück auf das Ge-
burtsland der Menſchenrechte. Durch die Erhebung der Völker des Nor-
dens war das napoleoniſche Weltreich zertrümmert worden; ſeit den Re-
volutionen von 1820 machten die politiſchen Gedanken der romaniſch-
katholiſchen Völker abermals die Runde durch die Welt.
Unterdrückung und Verfolgung hatten unſere Preſſe heimgeſucht, als
ſie zum erſten male das heimiſche Staatsleben zu beurtheilen gewagt; nun
wendete ſie ſich ganz dem Auslande zu und füllte faſt alle ihre Spalten
mit Berichten aus Spanien und Italien, die ſie den reicheren Zeitungen
der Engländer und Franzoſen entlehnte. So gewöhnten ſich die Leſer
mit ihren Gedanken unſtet in die Ferne zu ſchweifen und über un-
verſtandene Dinge abzuurtheilen. Mit dem Namen Revolution ward
wieder ein Cultus getrieben, wie vor Zeiten als Klopſtock die Morgen-
röthe der galliſchen Freiheit beſang. Nur ein plötzliches Erwachen der
freien Volkskraft ſchien dem deutſchen Elend ein Ziel ſetzen zu können,
und ſchon ſchalt mancher radikale Heißſporn zornig: alle Völker haben
ihre Revolution gehabt, nur nicht die langſamen Deutſchen! Daß die
kühnſte und fruchtbarſte aller modernen Revolutionen aus dem Vater-
lande Martin Luther’s hervorgegangen war, kam den Bewunderern der
neufranzöſiſchen Freiheit nicht zum Bewußtſein; und noch weniger hätten
ſie eingeſehen, daß die revolutionären Erhebungen des Südens nicht der
überlegenen Heldenkraft ſeiner Völker entſprangen, ſondern den Freveln
eines gewaltthätigen Despotismus, der auf den Maſſen ungleich härter
laſtete als die Nichtigkeit des Deutſchen Bundes. Dergeſtalt begannen die
Revolutionslehren der Beſiegten in das Land der Sieger wieder einzu-
dringen, und nach und nach ward ein Zündſtoff angeſammelt, der in den
Erſchütterungen von 1830 und 1848 ſich entladen ſollte. Noch war die
Mißſtimmung ſchwach und ungefährlich, ſie beſchränkte ſich auf einige Kreiſe
der gebildeten Klaſſen, denen die revolutionäre Willenskraft völlig abging;
doch ſie mußte mit den Jahren wachſen, da der Nation jede geſetzliche
Mitwirkung bei der Bundespolitik verboten war und der Groll über die
Mißgriffe der Regierungen durch das beſchämende Bewußtſein der deut-
ſchen Zerſplitterung beſtändig verſchärft wurde. —
Mehr denn zweihundert Jahre lang war das bunte Raſſengemiſch
des ſpaniſchen Amerikas den Europäern eine unbekannte Welt geblieben,
argwöhniſch abgeſperrt durch ein ſchläfriges kirchlich-politiſches Regiment,
das die Kolonien nicht eigentlich drückte, aber ſie im Zuſtande ewiger
Kindheit zu erhalten ſuchte. Erſt ſeit der Abfall Nordamerikas dem
jungen Welttheil den Anbruch eines neuen Tages verkündet und zugleich
die Reformen König Karl’s III. dem Mutterlande wie den Kolonien einige
Erleichterung des Handels, einige Freiheit des geiſtigen Lebens gewährt
hatten, begann ſich in dieſen werdenden Völkern ein amerikaniſches Selbſt-
gefühl zu regen. Als darauf die Spanier wider die franzöſiſchen Er-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/149>, abgerufen am 27.11.2024.
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