zulegen". Die schwierige Frage, wie sich diese alten Territorialstände mit der neuen Provinzialeintheilung vertragen sollten, erregte ihm wenig Bedenken. Im Uebrigen wollte er den Unterthanen durchaus kein vor- lautes Dreinreden in die Verfassungsfrage gestatten, wie er auch in seinen späteren Jahren der Krone gern die Stelle der Vorsehung vorbehielt; das Volk hatte schweigend abzuwarten, was der König über die Landstände verfügen würde. Darum wies er jene allerdings ungestüme Schrift von Görres, der doch auch gut altständisch gesinnt war, so schroff zurück. Die Einberufung der Reichsstände wünschte der Kronprinz damals noch auf- richtig; nur sollten sie sich, gemäß der Verordnung von 1815, "organisch" aus den Provinzialständen herausbilden. Als grundsätzlicher Gegner des Kanzlers war der Thronfolger bisher noch niemals aufgetreten; denn der Streit über die Steuerreform bewegte sich doch nur um die thatsäch- liche Frage, ob wirklich ein Bedürfniß für die neuen Abgaben vor- handen sei.
Da ward der Kronprinz mit einem male durch die Entwürfe der Communalordnungs-Commission aus seiner zuwartenden Haltung hinaus- gedrängt. Wie hätten diese Entwürfe ihm nicht ganz unannehmbar er- scheinen sollen, die so scharf mit dem bureaukratischen Besen über die Sonderart der Landschaften dahinfegten, die den Landadel in den Grund- festen seiner alten Machtstellung bedrohten, ohne doch eine kräftige Selbst- verwaltung für die Kreise zu begründen? Er konnte fortan dem Kanzler nicht mehr folgen, und es lag in der Natur der Dinge, daß er nunmehr mit der altständischen Partei, die ohnehin seinen Neigungen nahe stand, sich zu verständigen suchte. Sein Lehrer Ancillon, Wittgenstein, Schuck- mann sprachen im gleichen Sinne, und hatte der Communal-Ausschuß durch den Versuch übermäßiger Centralisation schwer gefehlt, so tauchte jetzt im gegnerischen Lager der ebenso bedenkliche Vorschlag auf: ob man nicht lieber die Gemeinde- und Kreisordnung der einzelnen Provinzen ganz in die Hände der künftigen Provinzialstände legen solle? Dergestalt schaarte sich aus alten und neuen Gegnern eine mächtige Opposition wider den Kanzler zusammen. Der Wind war ihr günstig, und leicht konnte sie bewirken, daß diese letzten, so erfolgreich begonnenen Reformen des greisen Staatsmannes ein Stückwerk blieben.
So bedenklich standen die preußischen Dinge, als Hardenberg sich ge- nöthigt sah, seine Thätigkeit wieder den europäischen Fragen zuzuwenden.
III. 2 Die letzten Reformen Hardenbergs.
zulegen“. Die ſchwierige Frage, wie ſich dieſe alten Territorialſtände mit der neuen Provinzialeintheilung vertragen ſollten, erregte ihm wenig Bedenken. Im Uebrigen wollte er den Unterthanen durchaus kein vor- lautes Dreinreden in die Verfaſſungsfrage geſtatten, wie er auch in ſeinen ſpäteren Jahren der Krone gern die Stelle der Vorſehung vorbehielt; das Volk hatte ſchweigend abzuwarten, was der König über die Landſtände verfügen würde. Darum wies er jene allerdings ungeſtüme Schrift von Görres, der doch auch gut altſtändiſch geſinnt war, ſo ſchroff zurück. Die Einberufung der Reichsſtände wünſchte der Kronprinz damals noch auf- richtig; nur ſollten ſie ſich, gemäß der Verordnung von 1815, „organiſch“ aus den Provinzialſtänden herausbilden. Als grundſätzlicher Gegner des Kanzlers war der Thronfolger bisher noch niemals aufgetreten; denn der Streit über die Steuerreform bewegte ſich doch nur um die thatſäch- liche Frage, ob wirklich ein Bedürfniß für die neuen Abgaben vor- handen ſei.
Da ward der Kronprinz mit einem male durch die Entwürfe der Communalordnungs-Commiſſion aus ſeiner zuwartenden Haltung hinaus- gedrängt. Wie hätten dieſe Entwürfe ihm nicht ganz unannehmbar er- ſcheinen ſollen, die ſo ſcharf mit dem bureaukratiſchen Beſen über die Sonderart der Landſchaften dahinfegten, die den Landadel in den Grund- feſten ſeiner alten Machtſtellung bedrohten, ohne doch eine kräftige Selbſt- verwaltung für die Kreiſe zu begründen? Er konnte fortan dem Kanzler nicht mehr folgen, und es lag in der Natur der Dinge, daß er nunmehr mit der altſtändiſchen Partei, die ohnehin ſeinen Neigungen nahe ſtand, ſich zu verſtändigen ſuchte. Sein Lehrer Ancillon, Wittgenſtein, Schuck- mann ſprachen im gleichen Sinne, und hatte der Communal-Ausſchuß durch den Verſuch übermäßiger Centraliſation ſchwer gefehlt, ſo tauchte jetzt im gegneriſchen Lager der ebenſo bedenkliche Vorſchlag auf: ob man nicht lieber die Gemeinde- und Kreisordnung der einzelnen Provinzen ganz in die Hände der künftigen Provinzialſtände legen ſolle? Dergeſtalt ſchaarte ſich aus alten und neuen Gegnern eine mächtige Oppoſition wider den Kanzler zuſammen. Der Wind war ihr günſtig, und leicht konnte ſie bewirken, daß dieſe letzten, ſo erfolgreich begonnenen Reformen des greiſen Staatsmannes ein Stückwerk blieben.
So bedenklich ſtanden die preußiſchen Dinge, als Hardenberg ſich ge- nöthigt ſah, ſeine Thätigkeit wieder den europäiſchen Fragen zuzuwenden.
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III. 2 Die letzten Reformen Hardenbergs.
zulegen“. Die ſchwierige Frage, wie ſich dieſe alten Territorialſtände
mit der neuen Provinzialeintheilung vertragen ſollten, erregte ihm wenig
Bedenken. Im Uebrigen wollte er den Unterthanen durchaus kein vor-
lautes Dreinreden in die Verfaſſungsfrage geſtatten, wie er auch in ſeinen
ſpäteren Jahren der Krone gern die Stelle der Vorſehung vorbehielt; das
Volk hatte ſchweigend abzuwarten, was der König über die Landſtände
verfügen würde. Darum wies er jene allerdings ungeſtüme Schrift von
Görres, der doch auch gut altſtändiſch geſinnt war, ſo ſchroff zurück. Die
Einberufung der Reichsſtände wünſchte der Kronprinz damals noch auf-
richtig; nur ſollten ſie ſich, gemäß der Verordnung von 1815, „organiſch“
aus den Provinzialſtänden herausbilden. Als grundſätzlicher Gegner des
Kanzlers war der Thronfolger bisher noch niemals aufgetreten; denn der
Streit über die Steuerreform bewegte ſich doch nur um die thatſäch-
liche Frage, ob wirklich ein Bedürfniß für die neuen Abgaben vor-
handen ſei.
Da ward der Kronprinz mit einem male durch die Entwürfe der
Communalordnungs-Commiſſion aus ſeiner zuwartenden Haltung hinaus-
gedrängt. Wie hätten dieſe Entwürfe ihm nicht ganz unannehmbar er-
ſcheinen ſollen, die ſo ſcharf mit dem bureaukratiſchen Beſen über die
Sonderart der Landſchaften dahinfegten, die den Landadel in den Grund-
feſten ſeiner alten Machtſtellung bedrohten, ohne doch eine kräftige Selbſt-
verwaltung für die Kreiſe zu begründen? Er konnte fortan dem Kanzler
nicht mehr folgen, und es lag in der Natur der Dinge, daß er nunmehr
mit der altſtändiſchen Partei, die ohnehin ſeinen Neigungen nahe ſtand,
ſich zu verſtändigen ſuchte. Sein Lehrer Ancillon, Wittgenſtein, Schuck-
mann ſprachen im gleichen Sinne, und hatte der Communal-Ausſchuß
durch den Verſuch übermäßiger Centraliſation ſchwer gefehlt, ſo tauchte
jetzt im gegneriſchen Lager der ebenſo bedenkliche Vorſchlag auf: ob man
nicht lieber die Gemeinde- und Kreisordnung der einzelnen Provinzen ganz
in die Hände der künftigen Provinzialſtände legen ſolle? Dergeſtalt
ſchaarte ſich aus alten und neuen Gegnern eine mächtige Oppoſition wider
den Kanzler zuſammen. Der Wind war ihr günſtig, und leicht konnte
ſie bewirken, daß dieſe letzten, ſo erfolgreich begonnenen Reformen des
greiſen Staatsmannes ein Stückwerk blieben.
So bedenklich ſtanden die preußiſchen Dinge, als Hardenberg ſich ge-
nöthigt ſah, ſeine Thätigkeit wieder den europäiſchen Fragen zuzuwenden.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/146>, abgerufen am 28.11.2024.
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