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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Kronprinz und Hardenberg.
tadelnden Sinne genialisch heißen konnte. Auf Hardenberg's Rath wurde
der Kronprinz schon gleich nach dem Kriege in das Staatsministerium
eingeführt*), und da er es dort wie nachher im Staatsrathe nicht an
feinen Bemerkungen fehlen ließ, so glaubte der bescheidene König bald
in "seinem Fritz" ein überlegenes staatmännisches Talent zu entdecken,
während er in Wahrheit selber einen ungleich schärferen politischen Blick
besaß als der Thronfolger. Mit dem geistreichen alten Staatskanzler
unterhielt sich der Kronprinz gern, wie er denn im geselligen Verkehr das
schöne Vorrecht der königlichen Unparteilichkeit immer ausübte und mit
Staatsmännern jeder Richtung, mit W. Humboldt, Schön, Niebuhr --
wenn sie nur Geist hatten -- freundschaftlich umging. Während des
Kampfes um die Steuerreform schrieb er dem Staatskanzler einmal:
"Und das Eine müssen Sie mir glauben, daß die Worte: Freundschaft,
Vertrauen, Verehrung keine leeren Laute in meinem Munde sind
-- und wahrlich weiß ich keine anderen zu gebrauchen, wenn ich von
meinem Verhältniß zu Ihnen rede." Im Augenblicke des Niederschreibens
mochte er, leicht erregbar wie er war, solche Gefühle auch wirklich hegen.
Ein festes, dauerndes Zutrauen zu dem alten Herrn, der so ganz ein
Kind des achtzehnten Jahrhunderts war, vermochte er doch nie zu fassen.
Der bureaukratisch-liberale Zug der Hardenbergischen Politik blieb ihm
verdächtig, und über das anstößige häusliche Leben des Kanzlers äußerte
er sich sehr bitter.

Die Zusage der landständischen Verfassung erfüllte den Kronprinzen
mit frohen Hoffnungen, da er den gestrengen alten Absolutismus immer
nur als einen Nothbehelf betrachtet hatte. Aber -- daran war ihm
kein Zweifel -- auf den wiedererweckten, ständisch gegliederten alten
Landtagen mußte der Adel eine mächtige Stellung behaupten, ein Stand,
dessen Zukunft den Prinzen überhaupt lebhaft beschäftigte. In einer der
wenigen Denkschriften, die sich von ihm aus diesen Jahren vorfinden, er-
örtert er sehr ausführlich die Frage, ob den Häuptern der reichsunmittel-
baren Geschlechter der Titel "regierender Fürst" gebühre -- was er be-
jahr -- und verwirft für diese Häuser den unhistorischen Namen der
Standesherren, der nur für die privilegirten Baronate Schlesiens und der
Lausitz gelten könne: "jetzt vorzüglich, da das ständische Wesen im Werke
ist, darf keine Verwirrung in dem Charakter der großen Familien des
Landes erzeugt werden."**) Nicht minder fest stand ihm die Meinung,
daß die neuen Provinzialstände sich an die althistorischen Territorien an-
schließen müßten; darum hieß er die altständische Bewegung der jülich-
cleve-märkischen Edelleute willkommen und dankte ihnen, daß sie "ihr
Augenmerk dahin richteten dem Neuen ein bewährtes Fundament unter-

*) Hardenberg's Tagebuch, 28. Dec. 1815.
**) Separatvotum des Kronprinzen, 11. Mai 1822.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 9

Der Kronprinz und Hardenberg.
tadelnden Sinne genialiſch heißen konnte. Auf Hardenberg’s Rath wurde
der Kronprinz ſchon gleich nach dem Kriege in das Staatsminiſterium
eingeführt*), und da er es dort wie nachher im Staatsrathe nicht an
feinen Bemerkungen fehlen ließ, ſo glaubte der beſcheidene König bald
in „ſeinem Fritz“ ein überlegenes ſtaatmänniſches Talent zu entdecken,
während er in Wahrheit ſelber einen ungleich ſchärferen politiſchen Blick
beſaß als der Thronfolger. Mit dem geiſtreichen alten Staatskanzler
unterhielt ſich der Kronprinz gern, wie er denn im geſelligen Verkehr das
ſchöne Vorrecht der königlichen Unparteilichkeit immer ausübte und mit
Staatsmännern jeder Richtung, mit W. Humboldt, Schön, Niebuhr —
wenn ſie nur Geiſt hatten — freundſchaftlich umging. Während des
Kampfes um die Steuerreform ſchrieb er dem Staatskanzler einmal:
„Und das Eine müſſen Sie mir glauben, daß die Worte: Freundſchaft,
Vertrauen, Verehrung keine leeren Laute in meinem Munde ſind
— und wahrlich weiß ich keine anderen zu gebrauchen, wenn ich von
meinem Verhältniß zu Ihnen rede.“ Im Augenblicke des Niederſchreibens
mochte er, leicht erregbar wie er war, ſolche Gefühle auch wirklich hegen.
Ein feſtes, dauerndes Zutrauen zu dem alten Herrn, der ſo ganz ein
Kind des achtzehnten Jahrhunderts war, vermochte er doch nie zu faſſen.
Der bureaukratiſch-liberale Zug der Hardenbergiſchen Politik blieb ihm
verdächtig, und über das anſtößige häusliche Leben des Kanzlers äußerte
er ſich ſehr bitter.

Die Zuſage der landſtändiſchen Verfaſſung erfüllte den Kronprinzen
mit frohen Hoffnungen, da er den geſtrengen alten Abſolutismus immer
nur als einen Nothbehelf betrachtet hatte. Aber — daran war ihm
kein Zweifel — auf den wiedererweckten, ſtändiſch gegliederten alten
Landtagen mußte der Adel eine mächtige Stellung behaupten, ein Stand,
deſſen Zukunft den Prinzen überhaupt lebhaft beſchäftigte. In einer der
wenigen Denkſchriften, die ſich von ihm aus dieſen Jahren vorfinden, er-
örtert er ſehr ausführlich die Frage, ob den Häuptern der reichsunmittel-
baren Geſchlechter der Titel „regierender Fürſt“ gebühre — was er be-
jahr — und verwirft für dieſe Häuſer den unhiſtoriſchen Namen der
Standesherren, der nur für die privilegirten Baronate Schleſiens und der
Lauſitz gelten könne: „jetzt vorzüglich, da das ſtändiſche Weſen im Werke
iſt, darf keine Verwirrung in dem Charakter der großen Familien des
Landes erzeugt werden.“**) Nicht minder feſt ſtand ihm die Meinung,
daß die neuen Provinzialſtände ſich an die althiſtoriſchen Territorien an-
ſchließen müßten; darum hieß er die altſtändiſche Bewegung der jülich-
cleve-märkiſchen Edelleute willkommen und dankte ihnen, daß ſie „ihr
Augenmerk dahin richteten dem Neuen ein bewährtes Fundament unter-

*) Hardenberg’s Tagebuch, 28. Dec. 1815.
**) Separatvotum des Kronprinzen, 11. Mai 1822.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 9
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[129/0145] Der Kronprinz und Hardenberg. tadelnden Sinne genialiſch heißen konnte. Auf Hardenberg’s Rath wurde der Kronprinz ſchon gleich nach dem Kriege in das Staatsminiſterium eingeführt *), und da er es dort wie nachher im Staatsrathe nicht an feinen Bemerkungen fehlen ließ, ſo glaubte der beſcheidene König bald in „ſeinem Fritz“ ein überlegenes ſtaatmänniſches Talent zu entdecken, während er in Wahrheit ſelber einen ungleich ſchärferen politiſchen Blick beſaß als der Thronfolger. Mit dem geiſtreichen alten Staatskanzler unterhielt ſich der Kronprinz gern, wie er denn im geſelligen Verkehr das ſchöne Vorrecht der königlichen Unparteilichkeit immer ausübte und mit Staatsmännern jeder Richtung, mit W. Humboldt, Schön, Niebuhr — wenn ſie nur Geiſt hatten — freundſchaftlich umging. Während des Kampfes um die Steuerreform ſchrieb er dem Staatskanzler einmal: „Und das Eine müſſen Sie mir glauben, daß die Worte: Freundſchaft, Vertrauen, Verehrung keine leeren Laute in meinem Munde ſind — und wahrlich weiß ich keine anderen zu gebrauchen, wenn ich von meinem Verhältniß zu Ihnen rede.“ Im Augenblicke des Niederſchreibens mochte er, leicht erregbar wie er war, ſolche Gefühle auch wirklich hegen. Ein feſtes, dauerndes Zutrauen zu dem alten Herrn, der ſo ganz ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts war, vermochte er doch nie zu faſſen. Der bureaukratiſch-liberale Zug der Hardenbergiſchen Politik blieb ihm verdächtig, und über das anſtößige häusliche Leben des Kanzlers äußerte er ſich ſehr bitter. Die Zuſage der landſtändiſchen Verfaſſung erfüllte den Kronprinzen mit frohen Hoffnungen, da er den geſtrengen alten Abſolutismus immer nur als einen Nothbehelf betrachtet hatte. Aber — daran war ihm kein Zweifel — auf den wiedererweckten, ſtändiſch gegliederten alten Landtagen mußte der Adel eine mächtige Stellung behaupten, ein Stand, deſſen Zukunft den Prinzen überhaupt lebhaft beſchäftigte. In einer der wenigen Denkſchriften, die ſich von ihm aus dieſen Jahren vorfinden, er- örtert er ſehr ausführlich die Frage, ob den Häuptern der reichsunmittel- baren Geſchlechter der Titel „regierender Fürſt“ gebühre — was er be- jahr — und verwirft für dieſe Häuſer den unhiſtoriſchen Namen der Standesherren, der nur für die privilegirten Baronate Schleſiens und der Lauſitz gelten könne: „jetzt vorzüglich, da das ſtändiſche Weſen im Werke iſt, darf keine Verwirrung in dem Charakter der großen Familien des Landes erzeugt werden.“ **) Nicht minder feſt ſtand ihm die Meinung, daß die neuen Provinzialſtände ſich an die althiſtoriſchen Territorien an- ſchließen müßten; darum hieß er die altſtändiſche Bewegung der jülich- cleve-märkiſchen Edelleute willkommen und dankte ihnen, daß ſie „ihr Augenmerk dahin richteten dem Neuen ein bewährtes Fundament unter- *) Hardenberg’s Tagebuch, 28. Dec. 1815. **) Separatvotum des Kronprinzen, 11. Mai 1822. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 9

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/145>, abgerufen am 28.04.2024.