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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
vollen rechtshistorischen Forschungen seines Freundes Savigny mit Theil-
nahme folgte. Von der Armee aber ward er durch seine unmilitärischen
Neigungen getrennt. Wohl sprach er mit Stolz von diesem Heere, "dem
ersten der Welt", und versicherte oft: ich fühle mich ganz als preußischer
Offizier. Auch auf dem Schlachtfelde hatte er sich unerschrocken gezeigt
und einmal im Kugelregen den Offizieren, die ihn zur Vorsicht mahnten,
gleichmüthig erwidert: "Was wär' es denn weiter? Dann würde mein
Bruder Wilhelm Kronprinz." Nach dem Kriege führte er den Oberbe-
fehl über das pommersche Armeecorps und lernte viel von seinem geist-
reichen militärischen Begleiter, Oberst Schack, dem allzu früh verstorbenen
Liebling York's. Gleichwohl bemerkte man bald, daß die Pünktlichkeit und
das Einerlei des Dienstes dem Prinzen lästig waren. Offenherzige Ge-
nerale gestanden, er verstehe mit alten Soldaten nicht recht umzugehen,
und die ihn näher kannten, wußten wohl, daß er den Krieg verabscheute,
daß die Friedensliebe der Hohenzollern diesen Sohn des Hauses nur allzu
stark beherrschte. Mit den Offizieren, die er bevorzugte, mit C. v. Röder,
Gröben, Willisen, L. v. Gerlach verband ihn mehr die gemeinsame kirch-
lich-politische Gesinnung als die militärische Kameradschaft.

Der Kronprinz verachtete den bureaukratischen Zwang, und da er
über die Aengste der Polizei, über die Mißgriffe der Verwaltung sich sehr
freimüthig äußerte, so gerieth er bei Halbkundigen leicht in den Ruf des
Liberalismus; sein Oheim, der starre Hochtory Ernst August von Cum-
berland beschuldigte ihn gar jakobinischer Neigungen. Er selber war auch
keineswegs gemeint, den Strom der Zeit einfach abzudämmen; vielmehr
glaubte er sich berufen, zwischen den beiden extremen Parteien, welche die
Welt erschütterten, weise zu vermitteln und bezeichnete seine Stellung gern
mit dem Ausspruch de Maistre's: wir wollen weder die Revolution, noch
die Gegenrevolution, sondern das Gegentheil der Revolution. Gneisenau
aber schrieb dem Staatskanzler: "der Kronprinz möchte lieber die Gewässer
wieder gegen ihre Quellen leiten als ihren Lauf in die Ebene regeln."*)
Und sein Feldherrnblick sah schärfer als die Selbsterkenntniß Friedrich
Wilhelm's. Die politischen Ideen Niebuhr's und Savigny's wurden von
dem Prinzen gelehrig aufgenommen, aber durch die historische Sehnsucht
seines erregten Gemüths so lange umgebildet, bis er schließlich der libe-
ralen Welt weit ferner stand, als sein schlichter Vater. Der König hatte
sich nicht gescheut, jene "Revolution im guten Sinne" zu wagen, jene
sociale Umwälzung, die mit den verrufenen "Ideen von 89" doch Vieles
gemein hatte, und auch jetzt hielt er die Grundgedanken moderner Staats-
einheit und Rechtsgleichheit fest, wenngleich ihn manche Erscheinungen der
Zeit mit Besorgniß erfüllten. Der Thronfolger dagegen haßte die Revo-
lution schlechthin, er sah in ihr eine Macht der Finsterniß, die aus der

*) Gneisenau an Hardenberg, 6. Febr. 1821.

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
vollen rechtshiſtoriſchen Forſchungen ſeines Freundes Savigny mit Theil-
nahme folgte. Von der Armee aber ward er durch ſeine unmilitäriſchen
Neigungen getrennt. Wohl ſprach er mit Stolz von dieſem Heere, „dem
erſten der Welt“, und verſicherte oft: ich fühle mich ganz als preußiſcher
Offizier. Auch auf dem Schlachtfelde hatte er ſich unerſchrocken gezeigt
und einmal im Kugelregen den Offizieren, die ihn zur Vorſicht mahnten,
gleichmüthig erwidert: „Was wär’ es denn weiter? Dann würde mein
Bruder Wilhelm Kronprinz.“ Nach dem Kriege führte er den Oberbe-
fehl über das pommerſche Armeecorps und lernte viel von ſeinem geiſt-
reichen militäriſchen Begleiter, Oberſt Schack, dem allzu früh verſtorbenen
Liebling York’s. Gleichwohl bemerkte man bald, daß die Pünktlichkeit und
das Einerlei des Dienſtes dem Prinzen läſtig waren. Offenherzige Ge-
nerale geſtanden, er verſtehe mit alten Soldaten nicht recht umzugehen,
und die ihn näher kannten, wußten wohl, daß er den Krieg verabſcheute,
daß die Friedensliebe der Hohenzollern dieſen Sohn des Hauſes nur allzu
ſtark beherrſchte. Mit den Offizieren, die er bevorzugte, mit C. v. Röder,
Gröben, Williſen, L. v. Gerlach verband ihn mehr die gemeinſame kirch-
lich-politiſche Geſinnung als die militäriſche Kameradſchaft.

Der Kronprinz verachtete den bureaukratiſchen Zwang, und da er
über die Aengſte der Polizei, über die Mißgriffe der Verwaltung ſich ſehr
freimüthig äußerte, ſo gerieth er bei Halbkundigen leicht in den Ruf des
Liberalismus; ſein Oheim, der ſtarre Hochtory Ernſt Auguſt von Cum-
berland beſchuldigte ihn gar jakobiniſcher Neigungen. Er ſelber war auch
keineswegs gemeint, den Strom der Zeit einfach abzudämmen; vielmehr
glaubte er ſich berufen, zwiſchen den beiden extremen Parteien, welche die
Welt erſchütterten, weiſe zu vermitteln und bezeichnete ſeine Stellung gern
mit dem Ausſpruch de Maiſtre’s: wir wollen weder die Revolution, noch
die Gegenrevolution, ſondern das Gegentheil der Revolution. Gneiſenau
aber ſchrieb dem Staatskanzler: „der Kronprinz möchte lieber die Gewäſſer
wieder gegen ihre Quellen leiten als ihren Lauf in die Ebene regeln.“*)
Und ſein Feldherrnblick ſah ſchärfer als die Selbſterkenntniß Friedrich
Wilhelm’s. Die politiſchen Ideen Niebuhr’s und Savigny’s wurden von
dem Prinzen gelehrig aufgenommen, aber durch die hiſtoriſche Sehnſucht
ſeines erregten Gemüths ſo lange umgebildet, bis er ſchließlich der libe-
ralen Welt weit ferner ſtand, als ſein ſchlichter Vater. Der König hatte
ſich nicht geſcheut, jene „Revolution im guten Sinne“ zu wagen, jene
ſociale Umwälzung, die mit den verrufenen „Ideen von 89“ doch Vieles
gemein hatte, und auch jetzt hielt er die Grundgedanken moderner Staats-
einheit und Rechtsgleichheit feſt, wenngleich ihn manche Erſcheinungen der
Zeit mit Beſorgniß erfüllten. Der Thronfolger dagegen haßte die Revo-
lution ſchlechthin, er ſah in ihr eine Macht der Finſterniß, die aus der

*) Gneiſenau an Hardenberg, 6. Febr. 1821.
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[124/0140] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. vollen rechtshiſtoriſchen Forſchungen ſeines Freundes Savigny mit Theil- nahme folgte. Von der Armee aber ward er durch ſeine unmilitäriſchen Neigungen getrennt. Wohl ſprach er mit Stolz von dieſem Heere, „dem erſten der Welt“, und verſicherte oft: ich fühle mich ganz als preußiſcher Offizier. Auch auf dem Schlachtfelde hatte er ſich unerſchrocken gezeigt und einmal im Kugelregen den Offizieren, die ihn zur Vorſicht mahnten, gleichmüthig erwidert: „Was wär’ es denn weiter? Dann würde mein Bruder Wilhelm Kronprinz.“ Nach dem Kriege führte er den Oberbe- fehl über das pommerſche Armeecorps und lernte viel von ſeinem geiſt- reichen militäriſchen Begleiter, Oberſt Schack, dem allzu früh verſtorbenen Liebling York’s. Gleichwohl bemerkte man bald, daß die Pünktlichkeit und das Einerlei des Dienſtes dem Prinzen läſtig waren. Offenherzige Ge- nerale geſtanden, er verſtehe mit alten Soldaten nicht recht umzugehen, und die ihn näher kannten, wußten wohl, daß er den Krieg verabſcheute, daß die Friedensliebe der Hohenzollern dieſen Sohn des Hauſes nur allzu ſtark beherrſchte. Mit den Offizieren, die er bevorzugte, mit C. v. Röder, Gröben, Williſen, L. v. Gerlach verband ihn mehr die gemeinſame kirch- lich-politiſche Geſinnung als die militäriſche Kameradſchaft. Der Kronprinz verachtete den bureaukratiſchen Zwang, und da er über die Aengſte der Polizei, über die Mißgriffe der Verwaltung ſich ſehr freimüthig äußerte, ſo gerieth er bei Halbkundigen leicht in den Ruf des Liberalismus; ſein Oheim, der ſtarre Hochtory Ernſt Auguſt von Cum- berland beſchuldigte ihn gar jakobiniſcher Neigungen. Er ſelber war auch keineswegs gemeint, den Strom der Zeit einfach abzudämmen; vielmehr glaubte er ſich berufen, zwiſchen den beiden extremen Parteien, welche die Welt erſchütterten, weiſe zu vermitteln und bezeichnete ſeine Stellung gern mit dem Ausſpruch de Maiſtre’s: wir wollen weder die Revolution, noch die Gegenrevolution, ſondern das Gegentheil der Revolution. Gneiſenau aber ſchrieb dem Staatskanzler: „der Kronprinz möchte lieber die Gewäſſer wieder gegen ihre Quellen leiten als ihren Lauf in die Ebene regeln.“ *) Und ſein Feldherrnblick ſah ſchärfer als die Selbſterkenntniß Friedrich Wilhelm’s. Die politiſchen Ideen Niebuhr’s und Savigny’s wurden von dem Prinzen gelehrig aufgenommen, aber durch die hiſtoriſche Sehnſucht ſeines erregten Gemüths ſo lange umgebildet, bis er ſchließlich der libe- ralen Welt weit ferner ſtand, als ſein ſchlichter Vater. Der König hatte ſich nicht geſcheut, jene „Revolution im guten Sinne“ zu wagen, jene ſociale Umwälzung, die mit den verrufenen „Ideen von 89“ doch Vieles gemein hatte, und auch jetzt hielt er die Grundgedanken moderner Staats- einheit und Rechtsgleichheit feſt, wenngleich ihn manche Erſcheinungen der Zeit mit Beſorgniß erfüllten. Der Thronfolger dagegen haßte die Revo- lution ſchlechthin, er ſah in ihr eine Macht der Finſterniß, die aus der *) Gneiſenau an Hardenberg, 6. Febr. 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/140>, abgerufen am 28.04.2024.