ein glänzendes Gewimmel althistorischer Landschaften unter den Flügeln des schwarzen Adlers vereinigt und gedachte diese Fülle geschichtlichen Lebens wieder herzustellen, in jeder Landschaft des Reiches die Gliederung der Stände neu zu beleben. Er ward nicht müde, überall in der Heimath die Stätten großer Erinnerungen oder die Spuren alten Volksbrauchs aufzusuchen. Bald besuchte er in den Marken die Gräber der Ascanier oder in Quedlinburg die Wiege der Sachsenkönige, bald nahm er fürlieb am Tische eines westphälischen Hofschulzen und freute sich der alten un- verstümmelten Cheruskersitte; mit besonderer Vorliebe verweilte er am Rhein und in Altpreußen, in den grandiosen Hallen der gothischen Dome und der Ordensburgen.
Neben solchen Bildern alter deutscher Herrlichkeit blieb in seinem Herzen nur wenig Raum für die lebendige preußische Staatsgesinnung. König Friedrich's thatenfroher Genius hatte sich den Werdegang der deut- schen Geschichte so zurechtgelegt, als ob die zwei letzten Jahrhunderte immer nur in vergeblichen Anläufen nach einem Ziele gestrebt hätten, das jetzt endlich, durch die schlesischen Kriege, erreicht werden sollte. Vor dem Künstlerauge dieses jungen Prinzen dagegen gestaltete sich das Bild der vaterländischen Vorzeit so wunderreich und prächtig, daß der Staat der Gegenwart und die stolzen Hoffnungen der preußischen Zukunft daneben fast verschwanden. Der Kronprinz war zuerst ein legitimer, christlicher Fürst, dann ein Deutscher und zuletzt ein Preuße. Wohl beglückte ihn der Gedanke, daß er dereinst als der Siebzehnte an die erlauchte Reihe von sechzehn Kurfürsten und Königen sich anschließen sollte. Aber außer den Befreiungskriegen hatten Preußens Annalen doch nur wenige Blätter aufzuweisen, die er mit ungemischter Freude betrachten konnte. Im Kampfe mit dem Erzhause Oesterreich und den verlogenen Formen der Reichsver- fassung, im Kampfe mit der Herrschsucht zeternder Theologen, im Kampfe mit dem Sondergeist der Landschaften und der Zuchtlosigkeit der ständi- schen Libertät war dies ganz moderne, weltliche Königthum emporgestiegen. Keiner seiner großen Ahnen stand dem Herzen dieses Enkels recht nahe. Die Rauheit Friedrich Wilhelm's I. stieß ihn ab, und wie aufrichtig er auch Friedrich's persönliche Größe verehrte, mit den Ideen des königlichen Freigeistes, der zuerst den deutschen Dualismus zu lösen gewagt, hatte der Nachkomme doch wenig gemein, der seiner Nation nichts Schöneres zu wünschen wußte, als die friedliche Zweiherrschaft.
Auch die beiden kräftigsten Stützen des preußischen Königthums ver- stand er nicht ganz zu würdigen. Das Beamtenthum mit seiner gleich- mäßigen Ordnung war ihm langweilig, den Verkehr mit den alten Ge- heimen Räthen liebte er wenig; er urtheilte über den Formalismus des grünen Tisches mit einer Schärfe, die er gegen die Sünden des Adels- hochmuths nicht anwendete, und von allen Wissenschaften war ihm wohl keine innerlich so fremd wie die Rechtswissenschaft, obwohl er den geist-
Hiſtoriſche Romantik des Kronprinzen.
ein glänzendes Gewimmel althiſtoriſcher Landſchaften unter den Flügeln des ſchwarzen Adlers vereinigt und gedachte dieſe Fülle geſchichtlichen Lebens wieder herzuſtellen, in jeder Landſchaft des Reiches die Gliederung der Stände neu zu beleben. Er ward nicht müde, überall in der Heimath die Stätten großer Erinnerungen oder die Spuren alten Volksbrauchs aufzuſuchen. Bald beſuchte er in den Marken die Gräber der Ascanier oder in Quedlinburg die Wiege der Sachſenkönige, bald nahm er fürlieb am Tiſche eines weſtphäliſchen Hofſchulzen und freute ſich der alten un- verſtümmelten Cheruskerſitte; mit beſonderer Vorliebe verweilte er am Rhein und in Altpreußen, in den grandioſen Hallen der gothiſchen Dome und der Ordensburgen.
Neben ſolchen Bildern alter deutſcher Herrlichkeit blieb in ſeinem Herzen nur wenig Raum für die lebendige preußiſche Staatsgeſinnung. König Friedrich’s thatenfroher Genius hatte ſich den Werdegang der deut- ſchen Geſchichte ſo zurechtgelegt, als ob die zwei letzten Jahrhunderte immer nur in vergeblichen Anläufen nach einem Ziele geſtrebt hätten, das jetzt endlich, durch die ſchleſiſchen Kriege, erreicht werden ſollte. Vor dem Künſtlerauge dieſes jungen Prinzen dagegen geſtaltete ſich das Bild der vaterländiſchen Vorzeit ſo wunderreich und prächtig, daß der Staat der Gegenwart und die ſtolzen Hoffnungen der preußiſchen Zukunft daneben faſt verſchwanden. Der Kronprinz war zuerſt ein legitimer, chriſtlicher Fürſt, dann ein Deutſcher und zuletzt ein Preuße. Wohl beglückte ihn der Gedanke, daß er dereinſt als der Siebzehnte an die erlauchte Reihe von ſechzehn Kurfürſten und Königen ſich anſchließen ſollte. Aber außer den Befreiungskriegen hatten Preußens Annalen doch nur wenige Blätter aufzuweiſen, die er mit ungemiſchter Freude betrachten konnte. Im Kampfe mit dem Erzhauſe Oeſterreich und den verlogenen Formen der Reichsver- faſſung, im Kampfe mit der Herrſchſucht zeternder Theologen, im Kampfe mit dem Sondergeiſt der Landſchaften und der Zuchtloſigkeit der ſtändi- ſchen Libertät war dies ganz moderne, weltliche Königthum emporgeſtiegen. Keiner ſeiner großen Ahnen ſtand dem Herzen dieſes Enkels recht nahe. Die Rauheit Friedrich Wilhelm’s I. ſtieß ihn ab, und wie aufrichtig er auch Friedrich’s perſönliche Größe verehrte, mit den Ideen des königlichen Freigeiſtes, der zuerſt den deutſchen Dualismus zu löſen gewagt, hatte der Nachkomme doch wenig gemein, der ſeiner Nation nichts Schöneres zu wünſchen wußte, als die friedliche Zweiherrſchaft.
Auch die beiden kräftigſten Stützen des preußiſchen Königthums ver- ſtand er nicht ganz zu würdigen. Das Beamtenthum mit ſeiner gleich- mäßigen Ordnung war ihm langweilig, den Verkehr mit den alten Ge- heimen Räthen liebte er wenig; er urtheilte über den Formalismus des grünen Tiſches mit einer Schärfe, die er gegen die Sünden des Adels- hochmuths nicht anwendete, und von allen Wiſſenſchaften war ihm wohl keine innerlich ſo fremd wie die Rechtswiſſenſchaft, obwohl er den geiſt-
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Hiſtoriſche Romantik des Kronprinzen.
ein glänzendes Gewimmel althiſtoriſcher Landſchaften unter den Flügeln
des ſchwarzen Adlers vereinigt und gedachte dieſe Fülle geſchichtlichen
Lebens wieder herzuſtellen, in jeder Landſchaft des Reiches die Gliederung
der Stände neu zu beleben. Er ward nicht müde, überall in der Heimath
die Stätten großer Erinnerungen oder die Spuren alten Volksbrauchs
aufzuſuchen. Bald beſuchte er in den Marken die Gräber der Ascanier
oder in Quedlinburg die Wiege der Sachſenkönige, bald nahm er fürlieb
am Tiſche eines weſtphäliſchen Hofſchulzen und freute ſich der alten un-
verſtümmelten Cheruskerſitte; mit beſonderer Vorliebe verweilte er am
Rhein und in Altpreußen, in den grandioſen Hallen der gothiſchen Dome
und der Ordensburgen.
Neben ſolchen Bildern alter deutſcher Herrlichkeit blieb in ſeinem
Herzen nur wenig Raum für die lebendige preußiſche Staatsgeſinnung.
König Friedrich’s thatenfroher Genius hatte ſich den Werdegang der deut-
ſchen Geſchichte ſo zurechtgelegt, als ob die zwei letzten Jahrhunderte immer
nur in vergeblichen Anläufen nach einem Ziele geſtrebt hätten, das jetzt
endlich, durch die ſchleſiſchen Kriege, erreicht werden ſollte. Vor dem
Künſtlerauge dieſes jungen Prinzen dagegen geſtaltete ſich das Bild der
vaterländiſchen Vorzeit ſo wunderreich und prächtig, daß der Staat der
Gegenwart und die ſtolzen Hoffnungen der preußiſchen Zukunft daneben
faſt verſchwanden. Der Kronprinz war zuerſt ein legitimer, chriſtlicher
Fürſt, dann ein Deutſcher und zuletzt ein Preuße. Wohl beglückte ihn
der Gedanke, daß er dereinſt als der Siebzehnte an die erlauchte Reihe
von ſechzehn Kurfürſten und Königen ſich anſchließen ſollte. Aber außer
den Befreiungskriegen hatten Preußens Annalen doch nur wenige Blätter
aufzuweiſen, die er mit ungemiſchter Freude betrachten konnte. Im Kampfe
mit dem Erzhauſe Oeſterreich und den verlogenen Formen der Reichsver-
faſſung, im Kampfe mit der Herrſchſucht zeternder Theologen, im Kampfe
mit dem Sondergeiſt der Landſchaften und der Zuchtloſigkeit der ſtändi-
ſchen Libertät war dies ganz moderne, weltliche Königthum emporgeſtiegen.
Keiner ſeiner großen Ahnen ſtand dem Herzen dieſes Enkels recht nahe.
Die Rauheit Friedrich Wilhelm’s I. ſtieß ihn ab, und wie aufrichtig er
auch Friedrich’s perſönliche Größe verehrte, mit den Ideen des königlichen
Freigeiſtes, der zuerſt den deutſchen Dualismus zu löſen gewagt, hatte
der Nachkomme doch wenig gemein, der ſeiner Nation nichts Schöneres
zu wünſchen wußte, als die friedliche Zweiherrſchaft.
Auch die beiden kräftigſten Stützen des preußiſchen Königthums ver-
ſtand er nicht ganz zu würdigen. Das Beamtenthum mit ſeiner gleich-
mäßigen Ordnung war ihm langweilig, den Verkehr mit den alten Ge-
heimen Räthen liebte er wenig; er urtheilte über den Formalismus des
grünen Tiſches mit einer Schärfe, die er gegen die Sünden des Adels-
hochmuths nicht anwendete, und von allen Wiſſenſchaften war ihm wohl
keine innerlich ſo fremd wie die Rechtswiſſenſchaft, obwohl er den geiſt-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/139>, abgerufen am 28.11.2024.
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