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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
seiner Jugend, darum waren sie mit seinem ganzen Wesen fest verwachsen.
Niemals vergaß er, wie seine Mutter, die unaussprechlich geliebte, einst
auf der Treppe des Schlosses von Schwedt den Söhnen die Schreckens-
nachricht aus Jena mitgetheilt und wie sie nachher ihnen ans Herz gelegt
hatte den preußischen Degen zu führen um ihre unglücklichen Brüder, die
Oesterreicher zu rächen. Alle die Demüthigungen, welche sein Vater von
dem übermüthigen Sieger erlitten, blieben dem Sohne unauslöschlich ins
Herz gegraben; ganz vergeblich hatte der Imperator auf der Dresdener
Zusammenkunft 1812 den gütigen Oheim gespielt und dem Prinzen gesagt,
wie ähnlich er Friedrich dem Großen sehe. Napoleon galt dem Erben der
preußischen Krone als der Held der Revolution, als der Vertreter jenes
"Lügengeistes", der, Glauben und Recht verneinend, die alte glückliche
Ordnung Europas in einem Meere von Blut und Thränen ertränkt hatte,
und es bedurfte kaum der Lehren Ancillon's um den Prinzen in diesem
Urtheil zu bestärken. In solcher Gesinnung nahm er theil an dem Be-
freiungskriege und bemerkte nicht, daß die erwachenden Nationen in Bona-
parte den Despoten haßten, daß sie von dem Siege nicht die Wiederkehr
der alten Zustände, sondern das unbestimmte Glück der Völkerfreiheit er-
warteten. Nun stand es wieder aufrecht, das alte Königthum von Gottes
Gnaden, und der Drache der Revolution lag gebändigt vor dem blanken
Schilde der christlichen, legitimen Monarchie. Nimmer wieder durfte ein
Usurpator den Thron des heiligen Ludwig besteigen, und noch auf lange
hinaus mußte der Bund der vier Mächte aufrecht bleiben, unter der weisen
Führung Metternich's, dem der Kronprinz eine unbegrenzte Verehrung
widmete. So konnte vielleicht nach dem großen Schiffbruch der letzten
Jahre doch etwas wiederhergestellt werden von den alten Formen der
christlich-germanischen Welt.

Von dem alten heiligen Reiche hatte sich der Prinz ein Bild ent-
worfen, das ebenso geistvoll und farbenprächtig, aber auch ebenso willkür-
lich war wie jene bezaubernde Schilderung des romantischen Schwärmers
Novalis von den "schönen, glänzenden Zeiten, wo Europa ein christliches
Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil be-
wohnte". Er dachte sich einen Kaiser aus dem alten Erzhause, frei ge-
wählt durch die durchlauchtigen Genossen, und begriff nicht, warum der
Kurfürst-Kämmerer von Brandenburg nicht auch jetzt noch, trotz seines
königlichen Titels, Kaiserlicher Majestät das silberne Becken reichen sollte.
Unter dem Kaiser sodann "freie Fürsten über freien Völkern"; überall ein
mächtiger Adel, der seine Bauern väterlich regierte und auf den Tagen
der getreuen Landstände den Ausschlag gab; die Bürgerschaft endlich in
Innungen gegliedert und ihres alten Zunftbrauchs froh. An solchen
Träumen hing sein Herz. Er lebte in Zeiten, die gewesen. Er sah den
Lausitzer Stier und den Löwen von Jülich, das clevische Kleerad und alle
die weißen, rothen und grünen Greifen der pommerschen Herzogthümer,

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
ſeiner Jugend, darum waren ſie mit ſeinem ganzen Weſen feſt verwachſen.
Niemals vergaß er, wie ſeine Mutter, die unausſprechlich geliebte, einſt
auf der Treppe des Schloſſes von Schwedt den Söhnen die Schreckens-
nachricht aus Jena mitgetheilt und wie ſie nachher ihnen ans Herz gelegt
hatte den preußiſchen Degen zu führen um ihre unglücklichen Brüder, die
Oeſterreicher zu rächen. Alle die Demüthigungen, welche ſein Vater von
dem übermüthigen Sieger erlitten, blieben dem Sohne unauslöſchlich ins
Herz gegraben; ganz vergeblich hatte der Imperator auf der Dresdener
Zuſammenkunft 1812 den gütigen Oheim geſpielt und dem Prinzen geſagt,
wie ähnlich er Friedrich dem Großen ſehe. Napoleon galt dem Erben der
preußiſchen Krone als der Held der Revolution, als der Vertreter jenes
„Lügengeiſtes“, der, Glauben und Recht verneinend, die alte glückliche
Ordnung Europas in einem Meere von Blut und Thränen ertränkt hatte,
und es bedurfte kaum der Lehren Ancillon’s um den Prinzen in dieſem
Urtheil zu beſtärken. In ſolcher Geſinnung nahm er theil an dem Be-
freiungskriege und bemerkte nicht, daß die erwachenden Nationen in Bona-
parte den Despoten haßten, daß ſie von dem Siege nicht die Wiederkehr
der alten Zuſtände, ſondern das unbeſtimmte Glück der Völkerfreiheit er-
warteten. Nun ſtand es wieder aufrecht, das alte Königthum von Gottes
Gnaden, und der Drache der Revolution lag gebändigt vor dem blanken
Schilde der chriſtlichen, legitimen Monarchie. Nimmer wieder durfte ein
Uſurpator den Thron des heiligen Ludwig beſteigen, und noch auf lange
hinaus mußte der Bund der vier Mächte aufrecht bleiben, unter der weiſen
Führung Metternich’s, dem der Kronprinz eine unbegrenzte Verehrung
widmete. So konnte vielleicht nach dem großen Schiffbruch der letzten
Jahre doch etwas wiederhergeſtellt werden von den alten Formen der
chriſtlich-germaniſchen Welt.

Von dem alten heiligen Reiche hatte ſich der Prinz ein Bild ent-
worfen, das ebenſo geiſtvoll und farbenprächtig, aber auch ebenſo willkür-
lich war wie jene bezaubernde Schilderung des romantiſchen Schwärmers
Novalis von den „ſchönen, glänzenden Zeiten, wo Europa ein chriſtliches
Land war, wo eine Chriſtenheit dieſen menſchlich geſtalteten Welttheil be-
wohnte“. Er dachte ſich einen Kaiſer aus dem alten Erzhauſe, frei ge-
wählt durch die durchlauchtigen Genoſſen, und begriff nicht, warum der
Kurfürſt-Kämmerer von Brandenburg nicht auch jetzt noch, trotz ſeines
königlichen Titels, Kaiſerlicher Majeſtät das ſilberne Becken reichen ſollte.
Unter dem Kaiſer ſodann „freie Fürſten über freien Völkern“; überall ein
mächtiger Adel, der ſeine Bauern väterlich regierte und auf den Tagen
der getreuen Landſtände den Ausſchlag gab; die Bürgerſchaft endlich in
Innungen gegliedert und ihres alten Zunftbrauchs froh. An ſolchen
Träumen hing ſein Herz. Er lebte in Zeiten, die geweſen. Er ſah den
Lauſitzer Stier und den Löwen von Jülich, das cleviſche Kleerad und alle
die weißen, rothen und grünen Greifen der pommerſchen Herzogthümer,

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[122/0138] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. ſeiner Jugend, darum waren ſie mit ſeinem ganzen Weſen feſt verwachſen. Niemals vergaß er, wie ſeine Mutter, die unausſprechlich geliebte, einſt auf der Treppe des Schloſſes von Schwedt den Söhnen die Schreckens- nachricht aus Jena mitgetheilt und wie ſie nachher ihnen ans Herz gelegt hatte den preußiſchen Degen zu führen um ihre unglücklichen Brüder, die Oeſterreicher zu rächen. Alle die Demüthigungen, welche ſein Vater von dem übermüthigen Sieger erlitten, blieben dem Sohne unauslöſchlich ins Herz gegraben; ganz vergeblich hatte der Imperator auf der Dresdener Zuſammenkunft 1812 den gütigen Oheim geſpielt und dem Prinzen geſagt, wie ähnlich er Friedrich dem Großen ſehe. Napoleon galt dem Erben der preußiſchen Krone als der Held der Revolution, als der Vertreter jenes „Lügengeiſtes“, der, Glauben und Recht verneinend, die alte glückliche Ordnung Europas in einem Meere von Blut und Thränen ertränkt hatte, und es bedurfte kaum der Lehren Ancillon’s um den Prinzen in dieſem Urtheil zu beſtärken. In ſolcher Geſinnung nahm er theil an dem Be- freiungskriege und bemerkte nicht, daß die erwachenden Nationen in Bona- parte den Despoten haßten, daß ſie von dem Siege nicht die Wiederkehr der alten Zuſtände, ſondern das unbeſtimmte Glück der Völkerfreiheit er- warteten. Nun ſtand es wieder aufrecht, das alte Königthum von Gottes Gnaden, und der Drache der Revolution lag gebändigt vor dem blanken Schilde der chriſtlichen, legitimen Monarchie. Nimmer wieder durfte ein Uſurpator den Thron des heiligen Ludwig beſteigen, und noch auf lange hinaus mußte der Bund der vier Mächte aufrecht bleiben, unter der weiſen Führung Metternich’s, dem der Kronprinz eine unbegrenzte Verehrung widmete. So konnte vielleicht nach dem großen Schiffbruch der letzten Jahre doch etwas wiederhergeſtellt werden von den alten Formen der chriſtlich-germaniſchen Welt. Von dem alten heiligen Reiche hatte ſich der Prinz ein Bild ent- worfen, das ebenſo geiſtvoll und farbenprächtig, aber auch ebenſo willkür- lich war wie jene bezaubernde Schilderung des romantiſchen Schwärmers Novalis von den „ſchönen, glänzenden Zeiten, wo Europa ein chriſtliches Land war, wo eine Chriſtenheit dieſen menſchlich geſtalteten Welttheil be- wohnte“. Er dachte ſich einen Kaiſer aus dem alten Erzhauſe, frei ge- wählt durch die durchlauchtigen Genoſſen, und begriff nicht, warum der Kurfürſt-Kämmerer von Brandenburg nicht auch jetzt noch, trotz ſeines königlichen Titels, Kaiſerlicher Majeſtät das ſilberne Becken reichen ſollte. Unter dem Kaiſer ſodann „freie Fürſten über freien Völkern“; überall ein mächtiger Adel, der ſeine Bauern väterlich regierte und auf den Tagen der getreuen Landſtände den Ausſchlag gab; die Bürgerſchaft endlich in Innungen gegliedert und ihres alten Zunftbrauchs froh. An ſolchen Träumen hing ſein Herz. Er lebte in Zeiten, die geweſen. Er ſah den Lauſitzer Stier und den Löwen von Jülich, das cleviſche Kleerad und alle die weißen, rothen und grünen Greifen der pommerſchen Herzogthümer,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/138>, abgerufen am 27.04.2024.