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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Kronprinz Friedrich Wilhelm.
pfänglich Alles in sich aufnahm was nur die Erde an Schönem und
Gutem trug; kein Gebiet des Wissens war ihm fremd, alle Höhen und
Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geistvoll, immer
eigenthümlich. Wenn er in öffentlicher Versammlung sprach, dann be-
zauberte er Alles, ein geborener Redner, durch den Wohllaut seiner hellen
Stimme, durch den Schwung seiner Gedanken und den Adel einer form-
vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte sich im bitteren Sarkasmus
ebenso frei wie im harmlosen Spaße, und schon damals pflegten die Ber-
liner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen zu-
zuschreiben. Bei den Sommerfesten auf der Pfaueninsel konnte er noch
ganz so unbändig, in kindlichem Frohsinn mit den Geschwistern tollen und
toben wie einst da er sich in dem kleinen Garten zu Memel mit dem
jungen Argelander gerauft hatte. Vor Fremden zeigte er ein starkes per-
sönliches Selbstgefühl, ein lebendiges Bewußtsein seiner königlichen Würde,
weiche Naturen wie Steffens fühlten sich ganz bewältigt von der kühnen
Sicherheit seines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgestimmten Seele
sein Herz erschloß, dann rauschten ihm die Bekenntnisse von den Lippen,
ein mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Begeisterung. Wie
jubelte Bunsen über den Reichthum dieses "königlichen und kindlichen Ge-
müths", da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein durch Italien
gereist war. Als Graf Gröben, der neu ernannte Generalstabschef des
Kronprinzen, seinen Dienst antrat, setzte sich der Prinz mit ihm an einem
schönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen, und als man
früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das Gespräch noch
nicht einen Augenblick gestockt, und der neue Begleiter war seinem jungen
Herrn für das ganze Leben gewonnen.*)

Und doch mangelte diesem glänzenden Geiste, der so viele bedeutende
Männer dämonisch anzog, das ursprüngliche schöpferische Vermögen und
damit das Geheimniß aller Menschengröße, die innere Einheit. In der
reichen Fülle seiner Gaben war keine von wahrhaft genialer Mächtigkeit,
keine welche die anderen alle beherrscht und dem ganzen Leben eine gerade
Bahn gewiesen hätte. Nicht wie ein Erzbild, aus vielen Metallen in
eines verschmolzen, erscheint sein Charakter in dem Spiegel der Geschichte,
sondern wie ein kunstvoll zusammengefügtes Mosaikgemälde. Darin lag
die Herrschergröße der Hohenzollern seit dem großen Kurfürsten, daß sie
alle, die großen wie die kleinen, einfache Menschen waren, die in dem
Wirrwarr der deutschen Dinge ein klar erkanntes Ziel mit zäher Aus-
dauer verfolgten: -- denn auch in Friedrichs des Großen zwiegetheiltem
Geiste war doch der deutsche Staatsmann unvergleichlich stärker als der
französische Schöngeist. Jetzt zum ersten male erschien auch in diesem
Fürstenhause ein widerspruchsvoller problematischer Charakter, dem das

*) Nach Graf Gröben's Aufzeichnungen (1824).

Kronprinz Friedrich Wilhelm.
pfänglich Alles in ſich aufnahm was nur die Erde an Schönem und
Gutem trug; kein Gebiet des Wiſſens war ihm fremd, alle Höhen und
Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geiſtvoll, immer
eigenthümlich. Wenn er in öffentlicher Verſammlung ſprach, dann be-
zauberte er Alles, ein geborener Redner, durch den Wohllaut ſeiner hellen
Stimme, durch den Schwung ſeiner Gedanken und den Adel einer form-
vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte ſich im bitteren Sarkasmus
ebenſo frei wie im harmloſen Spaße, und ſchon damals pflegten die Ber-
liner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen zu-
zuſchreiben. Bei den Sommerfeſten auf der Pfaueninſel konnte er noch
ganz ſo unbändig, in kindlichem Frohſinn mit den Geſchwiſtern tollen und
toben wie einſt da er ſich in dem kleinen Garten zu Memel mit dem
jungen Argelander gerauft hatte. Vor Fremden zeigte er ein ſtarkes per-
ſönliches Selbſtgefühl, ein lebendiges Bewußtſein ſeiner königlichen Würde,
weiche Naturen wie Steffens fühlten ſich ganz bewältigt von der kühnen
Sicherheit ſeines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgeſtimmten Seele
ſein Herz erſchloß, dann rauſchten ihm die Bekenntniſſe von den Lippen,
ein mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Begeiſterung. Wie
jubelte Bunſen über den Reichthum dieſes „königlichen und kindlichen Ge-
müths“, da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein durch Italien
gereiſt war. Als Graf Gröben, der neu ernannte Generalſtabschef des
Kronprinzen, ſeinen Dienſt antrat, ſetzte ſich der Prinz mit ihm an einem
ſchönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen, und als man
früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das Geſpräch noch
nicht einen Augenblick geſtockt, und der neue Begleiter war ſeinem jungen
Herrn für das ganze Leben gewonnen.*)

Und doch mangelte dieſem glänzenden Geiſte, der ſo viele bedeutende
Männer dämoniſch anzog, das urſprüngliche ſchöpferiſche Vermögen und
damit das Geheimniß aller Menſchengröße, die innere Einheit. In der
reichen Fülle ſeiner Gaben war keine von wahrhaft genialer Mächtigkeit,
keine welche die anderen alle beherrſcht und dem ganzen Leben eine gerade
Bahn gewieſen hätte. Nicht wie ein Erzbild, aus vielen Metallen in
eines verſchmolzen, erſcheint ſein Charakter in dem Spiegel der Geſchichte,
ſondern wie ein kunſtvoll zuſammengefügtes Moſaikgemälde. Darin lag
die Herrſchergröße der Hohenzollern ſeit dem großen Kurfürſten, daß ſie
alle, die großen wie die kleinen, einfache Menſchen waren, die in dem
Wirrwarr der deutſchen Dinge ein klar erkanntes Ziel mit zäher Aus-
dauer verfolgten: — denn auch in Friedrichs des Großen zwiegetheiltem
Geiſte war doch der deutſche Staatsmann unvergleichlich ſtärker als der
franzöſiſche Schöngeiſt. Jetzt zum erſten male erſchien auch in dieſem
Fürſtenhauſe ein widerſpruchsvoller problematiſcher Charakter, dem das

*) Nach Graf Gröben’s Aufzeichnungen (1824).
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[119/0135] Kronprinz Friedrich Wilhelm. pfänglich Alles in ſich aufnahm was nur die Erde an Schönem und Gutem trug; kein Gebiet des Wiſſens war ihm fremd, alle Höhen und Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geiſtvoll, immer eigenthümlich. Wenn er in öffentlicher Verſammlung ſprach, dann be- zauberte er Alles, ein geborener Redner, durch den Wohllaut ſeiner hellen Stimme, durch den Schwung ſeiner Gedanken und den Adel einer form- vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte ſich im bitteren Sarkasmus ebenſo frei wie im harmloſen Spaße, und ſchon damals pflegten die Ber- liner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen zu- zuſchreiben. Bei den Sommerfeſten auf der Pfaueninſel konnte er noch ganz ſo unbändig, in kindlichem Frohſinn mit den Geſchwiſtern tollen und toben wie einſt da er ſich in dem kleinen Garten zu Memel mit dem jungen Argelander gerauft hatte. Vor Fremden zeigte er ein ſtarkes per- ſönliches Selbſtgefühl, ein lebendiges Bewußtſein ſeiner königlichen Würde, weiche Naturen wie Steffens fühlten ſich ganz bewältigt von der kühnen Sicherheit ſeines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgeſtimmten Seele ſein Herz erſchloß, dann rauſchten ihm die Bekenntniſſe von den Lippen, ein mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Begeiſterung. Wie jubelte Bunſen über den Reichthum dieſes „königlichen und kindlichen Ge- müths“, da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein durch Italien gereiſt war. Als Graf Gröben, der neu ernannte Generalſtabschef des Kronprinzen, ſeinen Dienſt antrat, ſetzte ſich der Prinz mit ihm an einem ſchönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen, und als man früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das Geſpräch noch nicht einen Augenblick geſtockt, und der neue Begleiter war ſeinem jungen Herrn für das ganze Leben gewonnen. *) Und doch mangelte dieſem glänzenden Geiſte, der ſo viele bedeutende Männer dämoniſch anzog, das urſprüngliche ſchöpferiſche Vermögen und damit das Geheimniß aller Menſchengröße, die innere Einheit. In der reichen Fülle ſeiner Gaben war keine von wahrhaft genialer Mächtigkeit, keine welche die anderen alle beherrſcht und dem ganzen Leben eine gerade Bahn gewieſen hätte. Nicht wie ein Erzbild, aus vielen Metallen in eines verſchmolzen, erſcheint ſein Charakter in dem Spiegel der Geſchichte, ſondern wie ein kunſtvoll zuſammengefügtes Moſaikgemälde. Darin lag die Herrſchergröße der Hohenzollern ſeit dem großen Kurfürſten, daß ſie alle, die großen wie die kleinen, einfache Menſchen waren, die in dem Wirrwarr der deutſchen Dinge ein klar erkanntes Ziel mit zäher Aus- dauer verfolgten: — denn auch in Friedrichs des Großen zwiegetheiltem Geiſte war doch der deutſche Staatsmann unvergleichlich ſtärker als der franzöſiſche Schöngeiſt. Jetzt zum erſten male erſchien auch in dieſem Fürſtenhauſe ein widerſpruchsvoller problematiſcher Charakter, dem das *) Nach Graf Gröben’s Aufzeichnungen (1824).

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/135>, abgerufen am 28.04.2024.