tragische Schicksal beschieden war, sich selber und der Welt ein Räthsel zu bleiben, seine Zeit zu verkennen und von ihr verkannt zu werden, eine echt deutsche Natur, leider, der die Ueberfülle der Gedanken die Schnell- kraft des Entschlusses lähmte, ein Fürst, fähig die höchsten Erwartungen zu erregen und doch keiner ganz zu genügen.
Für seine wissenschaftliche Bildung war mit Umsicht gesorgt worden; Niebuhr hatte ihn in die Staatswissenschaft, Wolzogen in die Kriegsge- schichte eingeführt. Doch keiner seiner beiden Erzieher, weder der milde Theolog Delbrück noch späterhin der höfische Ancillon, hatte vermocht den eigenwilligen Sinn des Prinzen durch strenge Zucht zur Selbstbeherr- schung zu zwingen. Nicht als ob er den gemeinen Versuchungen der Höfe je erlegen wäre: er blieb sein Lebelang nicht nur sittenstreng, sondern auch innerlich rein, durch und durch ein Idealist, mit allen seinen Sinnen den ewigen Gütern des Lebens zugewendet. Was ihm fehlte war die Samm- lung des Geistes, die dem Reichbegabten am schwersten erreichbar, doch auch für ihn die Vorbedingung alles großen Schaffens bleibt. Wie ein Schmetterling flog sein Geist von Blume zu Blume über die weiten Auen des idealen Genusses. Nie war er glücklicher, als wenn ihn ein "gött- licher Sommernachtstraum" umfing, wenn er von Hellas träumte oder von der ewigen Stadt oder von der Einheit der allgemeinen evangelischen Kirche; dann malte er sich die Bilder seiner Sehnsucht in glühenden Farben aus, bis er Traum und Wirklichkeit kaum noch unterscheiden konnte. Als er zum ersten male nach Rom kam, fühlte er sich alsbald wie daheim: so leibhaftig hatte er die Amphitheater, die Obelisken und die Dome schon in seinen Träumen gesehen. Einem so vielseitigen, so unstet in die Weite schweifenden Geiste lag die Gefahr des Dilettantismus sehr nahe, und wie so viele Dichter der romantischen Schule mehr geistreiche Kenner waren als schöpferische Künstler, so fand auch dieser Staatsmann der Romantik seinen Beruf mehr im Anregen neuer Gedanken als im Ge- stalten und Vollbringen.
Die stärkste Kraft seiner Seele war das religiöse Gefühl. Wohl vertraut mit der Dogmatik und der Kirchengeschichte, beugte er sich in Demuth vor der christlichen Offenbarung. Ohne den persönlichen Verkehr mit seinem Herrn und Heiland schien ihm das Leben des Lebens nicht werth; wenn ihn die heilige Andacht durchschauerte, dann war es zu- weilen, als ob der Geist seines Lieblingsbuches, des Psalters aus ihm redete, und ein Klang von Davids Harfe tönte durch seine begeisterten Worte. Er hoffte auf die Zeit, da der christliche Glaube die weite Erde bezwingen und überall die eine Kirche herrschen würde, evangelisch, ohne sichtbares Oberhaupt, aber frei und weit genug um verschiedene Bekenntnisse zu ertragen; dann sollten die Bischöfe wieder alle auf ihren alten Sitzen thronen und auch das altbiblische Amt der Diakonen wieder aufleben. Nichts schien ihm hassenswürdiger als Gewissenszwang oder die Ver-
III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
tragiſche Schickſal beſchieden war, ſich ſelber und der Welt ein Räthſel zu bleiben, ſeine Zeit zu verkennen und von ihr verkannt zu werden, eine echt deutſche Natur, leider, der die Ueberfülle der Gedanken die Schnell- kraft des Entſchluſſes lähmte, ein Fürſt, fähig die höchſten Erwartungen zu erregen und doch keiner ganz zu genügen.
Für ſeine wiſſenſchaftliche Bildung war mit Umſicht geſorgt worden; Niebuhr hatte ihn in die Staatswiſſenſchaft, Wolzogen in die Kriegsge- ſchichte eingeführt. Doch keiner ſeiner beiden Erzieher, weder der milde Theolog Delbrück noch ſpäterhin der höfiſche Ancillon, hatte vermocht den eigenwilligen Sinn des Prinzen durch ſtrenge Zucht zur Selbſtbeherr- ſchung zu zwingen. Nicht als ob er den gemeinen Verſuchungen der Höfe je erlegen wäre: er blieb ſein Lebelang nicht nur ſittenſtreng, ſondern auch innerlich rein, durch und durch ein Idealiſt, mit allen ſeinen Sinnen den ewigen Gütern des Lebens zugewendet. Was ihm fehlte war die Samm- lung des Geiſtes, die dem Reichbegabten am ſchwerſten erreichbar, doch auch für ihn die Vorbedingung alles großen Schaffens bleibt. Wie ein Schmetterling flog ſein Geiſt von Blume zu Blume über die weiten Auen des idealen Genuſſes. Nie war er glücklicher, als wenn ihn ein „gött- licher Sommernachtstraum“ umfing, wenn er von Hellas träumte oder von der ewigen Stadt oder von der Einheit der allgemeinen evangeliſchen Kirche; dann malte er ſich die Bilder ſeiner Sehnſucht in glühenden Farben aus, bis er Traum und Wirklichkeit kaum noch unterſcheiden konnte. Als er zum erſten male nach Rom kam, fühlte er ſich alsbald wie daheim: ſo leibhaftig hatte er die Amphitheater, die Obelisken und die Dome ſchon in ſeinen Träumen geſehen. Einem ſo vielſeitigen, ſo unſtet in die Weite ſchweifenden Geiſte lag die Gefahr des Dilettantismus ſehr nahe, und wie ſo viele Dichter der romantiſchen Schule mehr geiſtreiche Kenner waren als ſchöpferiſche Künſtler, ſo fand auch dieſer Staatsmann der Romantik ſeinen Beruf mehr im Anregen neuer Gedanken als im Ge- ſtalten und Vollbringen.
Die ſtärkſte Kraft ſeiner Seele war das religiöſe Gefühl. Wohl vertraut mit der Dogmatik und der Kirchengeſchichte, beugte er ſich in Demuth vor der chriſtlichen Offenbarung. Ohne den perſönlichen Verkehr mit ſeinem Herrn und Heiland ſchien ihm das Leben des Lebens nicht werth; wenn ihn die heilige Andacht durchſchauerte, dann war es zu- weilen, als ob der Geiſt ſeines Lieblingsbuches, des Pſalters aus ihm redete, und ein Klang von Davids Harfe tönte durch ſeine begeiſterten Worte. Er hoffte auf die Zeit, da der chriſtliche Glaube die weite Erde bezwingen und überall die eine Kirche herrſchen würde, evangeliſch, ohne ſichtbares Oberhaupt, aber frei und weit genug um verſchiedene Bekenntniſſe zu ertragen; dann ſollten die Biſchöfe wieder alle auf ihren alten Sitzen thronen und auch das altbibliſche Amt der Diakonen wieder aufleben. Nichts ſchien ihm haſſenswürdiger als Gewiſſenszwang oder die Ver-
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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
tragiſche Schickſal beſchieden war, ſich ſelber und der Welt ein Räthſel
zu bleiben, ſeine Zeit zu verkennen und von ihr verkannt zu werden, eine
echt deutſche Natur, leider, der die Ueberfülle der Gedanken die Schnell-
kraft des Entſchluſſes lähmte, ein Fürſt, fähig die höchſten Erwartungen
zu erregen und doch keiner ganz zu genügen.
Für ſeine wiſſenſchaftliche Bildung war mit Umſicht geſorgt worden;
Niebuhr hatte ihn in die Staatswiſſenſchaft, Wolzogen in die Kriegsge-
ſchichte eingeführt. Doch keiner ſeiner beiden Erzieher, weder der milde
Theolog Delbrück noch ſpäterhin der höfiſche Ancillon, hatte vermocht den
eigenwilligen Sinn des Prinzen durch ſtrenge Zucht zur Selbſtbeherr-
ſchung zu zwingen. Nicht als ob er den gemeinen Verſuchungen der Höfe
je erlegen wäre: er blieb ſein Lebelang nicht nur ſittenſtreng, ſondern auch
innerlich rein, durch und durch ein Idealiſt, mit allen ſeinen Sinnen den
ewigen Gütern des Lebens zugewendet. Was ihm fehlte war die Samm-
lung des Geiſtes, die dem Reichbegabten am ſchwerſten erreichbar, doch
auch für ihn die Vorbedingung alles großen Schaffens bleibt. Wie ein
Schmetterling flog ſein Geiſt von Blume zu Blume über die weiten Auen
des idealen Genuſſes. Nie war er glücklicher, als wenn ihn ein „gött-
licher Sommernachtstraum“ umfing, wenn er von Hellas träumte oder
von der ewigen Stadt oder von der Einheit der allgemeinen evangeliſchen
Kirche; dann malte er ſich die Bilder ſeiner Sehnſucht in glühenden Farben
aus, bis er Traum und Wirklichkeit kaum noch unterſcheiden konnte. Als
er zum erſten male nach Rom kam, fühlte er ſich alsbald wie daheim: ſo
leibhaftig hatte er die Amphitheater, die Obelisken und die Dome ſchon
in ſeinen Träumen geſehen. Einem ſo vielſeitigen, ſo unſtet in die Weite
ſchweifenden Geiſte lag die Gefahr des Dilettantismus ſehr nahe, und
wie ſo viele Dichter der romantiſchen Schule mehr geiſtreiche Kenner
waren als ſchöpferiſche Künſtler, ſo fand auch dieſer Staatsmann der
Romantik ſeinen Beruf mehr im Anregen neuer Gedanken als im Ge-
ſtalten und Vollbringen.
Die ſtärkſte Kraft ſeiner Seele war das religiöſe Gefühl. Wohl
vertraut mit der Dogmatik und der Kirchengeſchichte, beugte er ſich in
Demuth vor der chriſtlichen Offenbarung. Ohne den perſönlichen Verkehr
mit ſeinem Herrn und Heiland ſchien ihm das Leben des Lebens nicht
werth; wenn ihn die heilige Andacht durchſchauerte, dann war es zu-
weilen, als ob der Geiſt ſeines Lieblingsbuches, des Pſalters aus ihm
redete, und ein Klang von Davids Harfe tönte durch ſeine begeiſterten
Worte. Er hoffte auf die Zeit, da der chriſtliche Glaube die weite Erde
bezwingen und überall die eine Kirche herrſchen würde, evangeliſch, ohne
ſichtbares Oberhaupt, aber frei und weit genug um verſchiedene Bekenntniſſe
zu ertragen; dann ſollten die Biſchöfe wieder alle auf ihren alten Sitzen
thronen und auch das altbibliſche Amt der Diakonen wieder aufleben.
Nichts ſchien ihm haſſenswürdiger als Gewiſſenszwang oder die Ver-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/136>, abgerufen am 29.11.2024.
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