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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
eine zweite Kammer für die drei Stände, gegliedert in drei Bänke, die
für sich berathen und nur bei den Hauptabstimmungen sich vereinigen.
Um die Bedenken der Altständischen zu beschwichtigen, schlug er ferner
vor, daß sich die Provinziallandtage so nahe als möglich an die alten
Territorien anschließen sollten. "Mit administrativen Gegenständen --
so schloß er -- würde die allgemeine ständische Versammlung gar nichts
zu thun haben, sondern sich blos mit allgemeinen, ihr von Ew. K. Maj.
zugesandten Gesetzen und Sachen beschäftigen. Ihr von Höchstdenselben
ernannter Präsident hätte in allen Dingen die Initiative. Die Versamm-
lung wäre nicht öffentlich, nur die Resultate würden öffentlich bekannt ge-
macht. Rein militärische Angelegenheiten, Polizei und auswärtige Ange-
legenheiten gehören nicht für sie. Die königlichen Minister und Staats-
beamte könnten blos vor dem Throne Ew. K. Maj. angeklagt und zur
Verantwortung gezogen werden. So dürfte eine allgemeine reichsständische
Versammlung wohl Nutzen, aber auf keinen Fall Nachtheil bringen."
Eine Antwort auf dies Schreiben erfolgte vorläufig nicht, Friedrich Wil-
helm stand mit seinem Kanzler kaum noch im Verkehr. --

Je schweigsamer der König sich abschloß, um so stärker verspürte Har-
denberg den Einfluß des jungen Kronprinzen, der jetzt zum ersten male
in die Geschicke des Staates einzugreifen begann. Der natürliche, in
kräftigen Herrscherhäusern immer wiederkehrende Gegensatz von Fürst und
Thronfolger bewahrt die beharrende Macht der dynastischen Ueberlieferung
vor geistloser Erstarrung; ihm dankt die Monarchie die Kraft der Ver-
jüngung. Auf den Höhen des Lebens ist kein Amt so freudlos, so von
Versuchungen bedroht, wie die Stellung des Kronprinzen in einem mäch-
tigen Staate; nirgends wird der Geist des Widerspruchs stärker gereizt,
nirgends der nothwendige Unterschied der Generationen, die einander nie-
mals ganz verstehen können, schmerzlicher empfunden. Im Hause der
Hohenzollern war seit den Tagen Georg Wilhelms und des großen Kur-
fürsten noch nie ein Thronfolger mit dem Herrscher ganz eines Sinnes
gewesen; und wie weit erschien jetzt wieder der Abstand zwischen alter und
neuer Zeit: dort der unscheinbare nüchterne König, der trotz seiner innigen
Frömmigkeit doch mit seiner ganzen Weltanschauung in der Verstandes-
aufklärung des alten Jahrhunderts wurzelte, hier sprühend von Geist und
Witz der enthusiastische Jünger der Romantik.

Unter den ritterlichen Königssöhnen, deren "Lebensfülle, Muth und
Hoheit" der junge Heinrich Heine in seinen Berliner Briefen nicht genug
bewundern konnte, schien dieser älteste doch den Preis zu verdienen. Alle
Welt nannte ihn den geistreichsten Prinzen Europas, und sein Lehrer
Niebuhr hoffte, mit ihm werde eine schönere Zeit über Deutschland kommen
und die Vollendung alles dessen, was heute noch unfertig und unvoll-
kommen sei. Blendend, unwiderstehlich erschien er in der Unterhaltung,
zumal in diesen Jugendtagen, da er noch unverbittert, dankbar und em-

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
eine zweite Kammer für die drei Stände, gegliedert in drei Bänke, die
für ſich berathen und nur bei den Hauptabſtimmungen ſich vereinigen.
Um die Bedenken der Altſtändiſchen zu beſchwichtigen, ſchlug er ferner
vor, daß ſich die Provinziallandtage ſo nahe als möglich an die alten
Territorien anſchließen ſollten. „Mit adminiſtrativen Gegenſtänden —
ſo ſchloß er — würde die allgemeine ſtändiſche Verſammlung gar nichts
zu thun haben, ſondern ſich blos mit allgemeinen, ihr von Ew. K. Maj.
zugeſandten Geſetzen und Sachen beſchäftigen. Ihr von Höchſtdenſelben
ernannter Präſident hätte in allen Dingen die Initiative. Die Verſamm-
lung wäre nicht öffentlich, nur die Reſultate würden öffentlich bekannt ge-
macht. Rein militäriſche Angelegenheiten, Polizei und auswärtige Ange-
legenheiten gehören nicht für ſie. Die königlichen Miniſter und Staats-
beamte könnten blos vor dem Throne Ew. K. Maj. angeklagt und zur
Verantwortung gezogen werden. So dürfte eine allgemeine reichsſtändiſche
Verſammlung wohl Nutzen, aber auf keinen Fall Nachtheil bringen.“
Eine Antwort auf dies Schreiben erfolgte vorläufig nicht, Friedrich Wil-
helm ſtand mit ſeinem Kanzler kaum noch im Verkehr. —

Je ſchweigſamer der König ſich abſchloß, um ſo ſtärker verſpürte Har-
denberg den Einfluß des jungen Kronprinzen, der jetzt zum erſten male
in die Geſchicke des Staates einzugreifen begann. Der natürliche, in
kräftigen Herrſcherhäuſern immer wiederkehrende Gegenſatz von Fürſt und
Thronfolger bewahrt die beharrende Macht der dynaſtiſchen Ueberlieferung
vor geiſtloſer Erſtarrung; ihm dankt die Monarchie die Kraft der Ver-
jüngung. Auf den Höhen des Lebens iſt kein Amt ſo freudlos, ſo von
Verſuchungen bedroht, wie die Stellung des Kronprinzen in einem mäch-
tigen Staate; nirgends wird der Geiſt des Widerſpruchs ſtärker gereizt,
nirgends der nothwendige Unterſchied der Generationen, die einander nie-
mals ganz verſtehen können, ſchmerzlicher empfunden. Im Hauſe der
Hohenzollern war ſeit den Tagen Georg Wilhelms und des großen Kur-
fürſten noch nie ein Thronfolger mit dem Herrſcher ganz eines Sinnes
geweſen; und wie weit erſchien jetzt wieder der Abſtand zwiſchen alter und
neuer Zeit: dort der unſcheinbare nüchterne König, der trotz ſeiner innigen
Frömmigkeit doch mit ſeiner ganzen Weltanſchauung in der Verſtandes-
aufklärung des alten Jahrhunderts wurzelte, hier ſprühend von Geiſt und
Witz der enthuſiaſtiſche Jünger der Romantik.

Unter den ritterlichen Königsſöhnen, deren „Lebensfülle, Muth und
Hoheit“ der junge Heinrich Heine in ſeinen Berliner Briefen nicht genug
bewundern konnte, ſchien dieſer älteſte doch den Preis zu verdienen. Alle
Welt nannte ihn den geiſtreichſten Prinzen Europas, und ſein Lehrer
Niebuhr hoffte, mit ihm werde eine ſchönere Zeit über Deutſchland kommen
und die Vollendung alles deſſen, was heute noch unfertig und unvoll-
kommen ſei. Blendend, unwiderſtehlich erſchien er in der Unterhaltung,
zumal in dieſen Jugendtagen, da er noch unverbittert, dankbar und em-

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[118/0134] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. eine zweite Kammer für die drei Stände, gegliedert in drei Bänke, die für ſich berathen und nur bei den Hauptabſtimmungen ſich vereinigen. Um die Bedenken der Altſtändiſchen zu beſchwichtigen, ſchlug er ferner vor, daß ſich die Provinziallandtage ſo nahe als möglich an die alten Territorien anſchließen ſollten. „Mit adminiſtrativen Gegenſtänden — ſo ſchloß er — würde die allgemeine ſtändiſche Verſammlung gar nichts zu thun haben, ſondern ſich blos mit allgemeinen, ihr von Ew. K. Maj. zugeſandten Geſetzen und Sachen beſchäftigen. Ihr von Höchſtdenſelben ernannter Präſident hätte in allen Dingen die Initiative. Die Verſamm- lung wäre nicht öffentlich, nur die Reſultate würden öffentlich bekannt ge- macht. Rein militäriſche Angelegenheiten, Polizei und auswärtige Ange- legenheiten gehören nicht für ſie. Die königlichen Miniſter und Staats- beamte könnten blos vor dem Throne Ew. K. Maj. angeklagt und zur Verantwortung gezogen werden. So dürfte eine allgemeine reichsſtändiſche Verſammlung wohl Nutzen, aber auf keinen Fall Nachtheil bringen.“ Eine Antwort auf dies Schreiben erfolgte vorläufig nicht, Friedrich Wil- helm ſtand mit ſeinem Kanzler kaum noch im Verkehr. — Je ſchweigſamer der König ſich abſchloß, um ſo ſtärker verſpürte Har- denberg den Einfluß des jungen Kronprinzen, der jetzt zum erſten male in die Geſchicke des Staates einzugreifen begann. Der natürliche, in kräftigen Herrſcherhäuſern immer wiederkehrende Gegenſatz von Fürſt und Thronfolger bewahrt die beharrende Macht der dynaſtiſchen Ueberlieferung vor geiſtloſer Erſtarrung; ihm dankt die Monarchie die Kraft der Ver- jüngung. Auf den Höhen des Lebens iſt kein Amt ſo freudlos, ſo von Verſuchungen bedroht, wie die Stellung des Kronprinzen in einem mäch- tigen Staate; nirgends wird der Geiſt des Widerſpruchs ſtärker gereizt, nirgends der nothwendige Unterſchied der Generationen, die einander nie- mals ganz verſtehen können, ſchmerzlicher empfunden. Im Hauſe der Hohenzollern war ſeit den Tagen Georg Wilhelms und des großen Kur- fürſten noch nie ein Thronfolger mit dem Herrſcher ganz eines Sinnes geweſen; und wie weit erſchien jetzt wieder der Abſtand zwiſchen alter und neuer Zeit: dort der unſcheinbare nüchterne König, der trotz ſeiner innigen Frömmigkeit doch mit ſeiner ganzen Weltanſchauung in der Verſtandes- aufklärung des alten Jahrhunderts wurzelte, hier ſprühend von Geiſt und Witz der enthuſiaſtiſche Jünger der Romantik. Unter den ritterlichen Königsſöhnen, deren „Lebensfülle, Muth und Hoheit“ der junge Heinrich Heine in ſeinen Berliner Briefen nicht genug bewundern konnte, ſchien dieſer älteſte doch den Preis zu verdienen. Alle Welt nannte ihn den geiſtreichſten Prinzen Europas, und ſein Lehrer Niebuhr hoffte, mit ihm werde eine ſchönere Zeit über Deutſchland kommen und die Vollendung alles deſſen, was heute noch unfertig und unvoll- kommen ſei. Blendend, unwiderſtehlich erſchien er in der Unterhaltung, zumal in dieſen Jugendtagen, da er noch unverbittert, dankbar und em-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/134>, abgerufen am 27.04.2024.