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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verfassungspläne.
ob man an einem Königsworte drehen und deuteln dürfe? Und wie
konnte eine Großmacht mit gesetzlich geschlossener Staatsschuld der unbe-
rechenbaren Zukunft sicher entgegengehen? In ruhiger Zeit mochte ihr
Credit sich halten; brachen wieder Stürme herein, dann war, nach so be-
stimmten öffentlichen Verheißungen, keine Anleihe mehr möglich ohne
Reichsstände. Ein gefährlicher Angriff der Landstände wider die Einheit
des Staates stand jetzt schwerlich mehr zu befürchten, da die Krone diese
letzten fünf Jahre ihrer Vollgewalt weislich benutzt hatte um fast auf
allen Gebieten der Gesetzgebung eine Reform durchzusetzen, die nur ein
diktatorischer Wille vollenden konnte. Die Heeresverfassung war nunmehr
gesichert, desgleichen die Eintheilung der Provinzen und die neuen Formen
ihrer Verwaltung, das System der Abgaben und Zölle, das Staatsschul-
denwesen und der Unterhalt für das königliche Haus; auch von den Ver-
handlungen über die Rechte der katholischen Kirche, welche Niebuhr in
Rom führte, sah Hardenberg mit seinem feinen diplomatischen Blicke vor-
voraus, daß sie bald ein leidliches Ergebniß bringen würden, obwohl der
schwarzsichtige Gesandte beständig das Schlimmste fürchtete.*) Kam dies
Werk noch unter Dach, wurde auch die Gemeinde- und Kreis-Ordnung
nach Hardenberg's Plan durch die Krone allein neu gestaltet und endlich
auch die Verfassung selbst allein durch den König verliehen, dann waren
in den nächsten Jahren schwere politische Kämpfe kaum zu erwarten.

Nach menschlichem Ermessen ging Preußen zunächst einer jener stillen
Epochen entgegen, welche sich nach den großen Zeiten der Reform überall
einstellen. Sein erster Landtag, dem ja nur berathende Befugnisse zu-
stehen sollten, hätte vermuthlich ein unscheinbares Dasein geführt und sich
begnügen müssen einzelne Mißgriffe der neuen Reformgesetze zu rügen und
zu verbessern; so konnte er vielleicht eine stille Lehrzeit durchlaufen, wie
sie diesem unerfahrenen Volke gerade noth that, Ostpreußen und Rhein-
länder, Märker und Westphalen in gemeinsamer nüchterner Arbeit an ein-
ander gewöhnen, aus dem verbissenen Partikularismus der Stände und
der Provinzen allmählich eine kräftige Staatsgesinnung herausbilden und
durch sein Dasein schon die verstimmte öffentliche Meinung in Deutsch-
land beschwichtigen. In solchem Lichte sah der Staatskanzler die nächste
Zukunft Preußens. Wer darf heute mit Sicherheit sagen, ob die Dinge
wirklich so harmlos verlaufen, ob die abstrakten, staatsfeindlichen Gedanken
des neufranzösischen Liberalismus nicht auch in den preußischen Landtag
eingedrungen wären? Eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht doch dafür, daß
Hardenberg das Rechte traf. Was den süddeutschen Staaten leidlich ge-
lang war für Preußen nicht unmöglich; ein preußischer Landtag zur rechten
Zeit berufen konnte der Krone die Schmach des Jahres 1848 ersparen.

Auch der König schien des langen Zauderns müde. Nachdem er

*) Hardenberg's Tagebuch, 19. Dec. 1820.
7*

Verfaſſungspläne.
ob man an einem Königsworte drehen und deuteln dürfe? Und wie
konnte eine Großmacht mit geſetzlich geſchloſſener Staatsſchuld der unbe-
rechenbaren Zukunft ſicher entgegengehen? In ruhiger Zeit mochte ihr
Credit ſich halten; brachen wieder Stürme herein, dann war, nach ſo be-
ſtimmten öffentlichen Verheißungen, keine Anleihe mehr möglich ohne
Reichsſtände. Ein gefährlicher Angriff der Landſtände wider die Einheit
des Staates ſtand jetzt ſchwerlich mehr zu befürchten, da die Krone dieſe
letzten fünf Jahre ihrer Vollgewalt weislich benutzt hatte um faſt auf
allen Gebieten der Geſetzgebung eine Reform durchzuſetzen, die nur ein
diktatoriſcher Wille vollenden konnte. Die Heeresverfaſſung war nunmehr
geſichert, desgleichen die Eintheilung der Provinzen und die neuen Formen
ihrer Verwaltung, das Syſtem der Abgaben und Zölle, das Staatsſchul-
denweſen und der Unterhalt für das königliche Haus; auch von den Ver-
handlungen über die Rechte der katholiſchen Kirche, welche Niebuhr in
Rom führte, ſah Hardenberg mit ſeinem feinen diplomatiſchen Blicke vor-
voraus, daß ſie bald ein leidliches Ergebniß bringen würden, obwohl der
ſchwarzſichtige Geſandte beſtändig das Schlimmſte fürchtete.*) Kam dies
Werk noch unter Dach, wurde auch die Gemeinde- und Kreis-Ordnung
nach Hardenberg’s Plan durch die Krone allein neu geſtaltet und endlich
auch die Verfaſſung ſelbſt allein durch den König verliehen, dann waren
in den nächſten Jahren ſchwere politiſche Kämpfe kaum zu erwarten.

Nach menſchlichem Ermeſſen ging Preußen zunächſt einer jener ſtillen
Epochen entgegen, welche ſich nach den großen Zeiten der Reform überall
einſtellen. Sein erſter Landtag, dem ja nur berathende Befugniſſe zu-
ſtehen ſollten, hätte vermuthlich ein unſcheinbares Daſein geführt und ſich
begnügen müſſen einzelne Mißgriffe der neuen Reformgeſetze zu rügen und
zu verbeſſern; ſo konnte er vielleicht eine ſtille Lehrzeit durchlaufen, wie
ſie dieſem unerfahrenen Volke gerade noth that, Oſtpreußen und Rhein-
länder, Märker und Weſtphalen in gemeinſamer nüchterner Arbeit an ein-
ander gewöhnen, aus dem verbiſſenen Partikularismus der Stände und
der Provinzen allmählich eine kräftige Staatsgeſinnung herausbilden und
durch ſein Daſein ſchon die verſtimmte öffentliche Meinung in Deutſch-
land beſchwichtigen. In ſolchem Lichte ſah der Staatskanzler die nächſte
Zukunft Preußens. Wer darf heute mit Sicherheit ſagen, ob die Dinge
wirklich ſo harmlos verlaufen, ob die abſtrakten, ſtaatsfeindlichen Gedanken
des neufranzöſiſchen Liberalismus nicht auch in den preußiſchen Landtag
eingedrungen wären? Eine hohe Wahrſcheinlichkeit ſpricht doch dafür, daß
Hardenberg das Rechte traf. Was den ſüddeutſchen Staaten leidlich ge-
lang war für Preußen nicht unmöglich; ein preußiſcher Landtag zur rechten
Zeit berufen konnte der Krone die Schmach des Jahres 1848 erſparen.

Auch der König ſchien des langen Zauderns müde. Nachdem er

*) Hardenberg’s Tagebuch, 19. Dec. 1820.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/115>, abgerufen am 27.04.2024.