Die Klassensteuer trugen nur sechs Siebentel der Bevölkerung. 132 Städte zahlten die einträglichere Mahl- und Schlachtsteuer, darunter alle großen Communen, aber auch einige verkommene polnische Judenstädtchen, wie Schneidemühl, die sich der Klassensteuer vielleicht ganz entzogen hätten; so ängstlich mußte der Finanzminister darüber wachen, daß ihm keine mögliche Einnahme entging! Auch diese Abgabe erregte lebhaften Wider- spruch; mancher bibelfeste Steuerzahler erinnerte den frommen König an jene Sprüche des Alten Testaments, welche die Besteuerung des Brotes verbieten. Indeß bemerkte man doch bald, daß ein Theil der Steuer durch die Erhöhung der Löhne von den Arbeitern abgewälzt wurde und die niederen Stände nicht so schwer darunter litten wie die herrschende Doktrin behauptete. Die neue Gewerbesteuer endlich ließ die kleinen, ohne Ge- hilfen arbeitenden Handwerker frei, doch sie bewirkte keineswegs, wie der ängstliche Ancillon befürchtet hatte, eine übermäßige Vermehrung der kleinen Geschäfte. Die Zustände des Kleingewerbs blieben vielmehr in diesen stillen Jahren der Entsagung fast unwandelbar, trotz der Gewerbefreiheit, trotz der gewaltigen Umwälzungen des politischen Lebens: um das Jahr 1830 arbeitete fast genau wie im Jahre 1800 ein Schneidermeister für etwa 240 Einwohner, ein Schuster für 200, und auf kaum zwei Hand- werksmeister kam ein Gehilfe, so daß jeder noch hoffen konnte selber Meister zu werden.
Zum Abschluß der Steuerreform wurden dann noch im Jahre 1822 einige Stempelabgaben eingeführt, darunter auch ein Zeitungsstempel, der freilich in einer Epoche politischer und wirthschaftlicher Ermattung nur einen sehr bescheidenen Ertrag bringen konnte. Selbst die Bücher pflegten aus der Hand des unglücklichen Besitzers von einem Entleiher zum andern zu wandern; vollends die Zeitungen las der gebildete Mann auf dem Casino oder in der Conditorei, und wer ein Uebriges thun wollte hielt sich ein Blatt mit einem Dutzend Nachbarn gemeinsam. Noch im Jahre 1835 wurden in ganz Preußen von inländischen Zeitungen und Zeit- schriften kaum 43,000 Exemplare verkauft, von nichtpreußischen etwa 3700, insgesammt weniger als heutzutage eine einzige große Zeitung abzusetzen vermag.
Diese Dürftigkeit aller Lebensverhältnisse übte auch ihren Einfluß auf das neue Münzgesetz, das von Hardenberg als eine unentbehrliche Er- gänzung der Finanzreform angesehen wurde und am 5. September 1821, namentlich durch Hoffmann's Verdienst, zu Stande kam. Gestützt auf die natürliche Macht seines großen Marktgebietes hatte der preußische Thaler schon längst weit über die Grenze des Staates hinaus seinen Siegeszug durch Deutschland angetreten, obgleich die Ostpreußen im täglichen Ver- kehr noch gern nach den gewohnten Gulden und Düttchen rechneten und die neuen Provinzen an ihrem alten Gelde mit jener Beharrlichkeit fest- hielten, welche sich nirgends zäher zeigt als im Münzwesen. Die Regie-
Klaſſenſteuer. Mahl- und Schlachtſteuer.
Die Klaſſenſteuer trugen nur ſechs Siebentel der Bevölkerung. 132 Städte zahlten die einträglichere Mahl- und Schlachtſteuer, darunter alle großen Communen, aber auch einige verkommene polniſche Judenſtädtchen, wie Schneidemühl, die ſich der Klaſſenſteuer vielleicht ganz entzogen hätten; ſo ängſtlich mußte der Finanzminiſter darüber wachen, daß ihm keine mögliche Einnahme entging! Auch dieſe Abgabe erregte lebhaften Wider- ſpruch; mancher bibelfeſte Steuerzahler erinnerte den frommen König an jene Sprüche des Alten Teſtaments, welche die Beſteuerung des Brotes verbieten. Indeß bemerkte man doch bald, daß ein Theil der Steuer durch die Erhöhung der Löhne von den Arbeitern abgewälzt wurde und die niederen Stände nicht ſo ſchwer darunter litten wie die herrſchende Doktrin behauptete. Die neue Gewerbeſteuer endlich ließ die kleinen, ohne Ge- hilfen arbeitenden Handwerker frei, doch ſie bewirkte keineswegs, wie der ängſtliche Ancillon befürchtet hatte, eine übermäßige Vermehrung der kleinen Geſchäfte. Die Zuſtände des Kleingewerbs blieben vielmehr in dieſen ſtillen Jahren der Entſagung faſt unwandelbar, trotz der Gewerbefreiheit, trotz der gewaltigen Umwälzungen des politiſchen Lebens: um das Jahr 1830 arbeitete faſt genau wie im Jahre 1800 ein Schneidermeiſter für etwa 240 Einwohner, ein Schuſter für 200, und auf kaum zwei Hand- werksmeiſter kam ein Gehilfe, ſo daß jeder noch hoffen konnte ſelber Meiſter zu werden.
Zum Abſchluß der Steuerreform wurden dann noch im Jahre 1822 einige Stempelabgaben eingeführt, darunter auch ein Zeitungsſtempel, der freilich in einer Epoche politiſcher und wirthſchaftlicher Ermattung nur einen ſehr beſcheidenen Ertrag bringen konnte. Selbſt die Bücher pflegten aus der Hand des unglücklichen Beſitzers von einem Entleiher zum andern zu wandern; vollends die Zeitungen las der gebildete Mann auf dem Caſino oder in der Conditorei, und wer ein Uebriges thun wollte hielt ſich ein Blatt mit einem Dutzend Nachbarn gemeinſam. Noch im Jahre 1835 wurden in ganz Preußen von inländiſchen Zeitungen und Zeit- ſchriften kaum 43,000 Exemplare verkauft, von nichtpreußiſchen etwa 3700, insgeſammt weniger als heutzutage eine einzige große Zeitung abzuſetzen vermag.
Dieſe Dürftigkeit aller Lebensverhältniſſe übte auch ihren Einfluß auf das neue Münzgeſetz, das von Hardenberg als eine unentbehrliche Er- gänzung der Finanzreform angeſehen wurde und am 5. September 1821, namentlich durch Hoffmann’s Verdienſt, zu Stande kam. Geſtützt auf die natürliche Macht ſeines großen Marktgebietes hatte der preußiſche Thaler ſchon längſt weit über die Grenze des Staates hinaus ſeinen Siegeszug durch Deutſchland angetreten, obgleich die Oſtpreußen im täglichen Ver- kehr noch gern nach den gewohnten Gulden und Düttchen rechneten und die neuen Provinzen an ihrem alten Gelde mit jener Beharrlichkeit feſt- hielten, welche ſich nirgends zäher zeigt als im Münzweſen. Die Regie-
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Klaſſenſteuer. Mahl- und Schlachtſteuer.
Die Klaſſenſteuer trugen nur ſechs Siebentel der Bevölkerung. 132
Städte zahlten die einträglichere Mahl- und Schlachtſteuer, darunter alle
großen Communen, aber auch einige verkommene polniſche Judenſtädtchen,
wie Schneidemühl, die ſich der Klaſſenſteuer vielleicht ganz entzogen hätten;
ſo ängſtlich mußte der Finanzminiſter darüber wachen, daß ihm keine
mögliche Einnahme entging! Auch dieſe Abgabe erregte lebhaften Wider-
ſpruch; mancher bibelfeſte Steuerzahler erinnerte den frommen König an
jene Sprüche des Alten Teſtaments, welche die Beſteuerung des Brotes
verbieten. Indeß bemerkte man doch bald, daß ein Theil der Steuer durch
die Erhöhung der Löhne von den Arbeitern abgewälzt wurde und die
niederen Stände nicht ſo ſchwer darunter litten wie die herrſchende Doktrin
behauptete. Die neue Gewerbeſteuer endlich ließ die kleinen, ohne Ge-
hilfen arbeitenden Handwerker frei, doch ſie bewirkte keineswegs, wie der
ängſtliche Ancillon befürchtet hatte, eine übermäßige Vermehrung der kleinen
Geſchäfte. Die Zuſtände des Kleingewerbs blieben vielmehr in dieſen
ſtillen Jahren der Entſagung faſt unwandelbar, trotz der Gewerbefreiheit,
trotz der gewaltigen Umwälzungen des politiſchen Lebens: um das Jahr
1830 arbeitete faſt genau wie im Jahre 1800 ein Schneidermeiſter für
etwa 240 Einwohner, ein Schuſter für 200, und auf kaum zwei Hand-
werksmeiſter kam ein Gehilfe, ſo daß jeder noch hoffen konnte ſelber
Meiſter zu werden.
Zum Abſchluß der Steuerreform wurden dann noch im Jahre 1822
einige Stempelabgaben eingeführt, darunter auch ein Zeitungsſtempel, der
freilich in einer Epoche politiſcher und wirthſchaftlicher Ermattung nur
einen ſehr beſcheidenen Ertrag bringen konnte. Selbſt die Bücher pflegten
aus der Hand des unglücklichen Beſitzers von einem Entleiher zum andern
zu wandern; vollends die Zeitungen las der gebildete Mann auf dem
Caſino oder in der Conditorei, und wer ein Uebriges thun wollte hielt
ſich ein Blatt mit einem Dutzend Nachbarn gemeinſam. Noch im Jahre
1835 wurden in ganz Preußen von inländiſchen Zeitungen und Zeit-
ſchriften kaum 43,000 Exemplare verkauft, von nichtpreußiſchen etwa 3700,
insgeſammt weniger als heutzutage eine einzige große Zeitung abzuſetzen
vermag.
Dieſe Dürftigkeit aller Lebensverhältniſſe übte auch ihren Einfluß auf
das neue Münzgeſetz, das von Hardenberg als eine unentbehrliche Er-
gänzung der Finanzreform angeſehen wurde und am 5. September 1821,
namentlich durch Hoffmann’s Verdienſt, zu Stande kam. Geſtützt auf die
natürliche Macht ſeines großen Marktgebietes hatte der preußiſche Thaler
ſchon längſt weit über die Grenze des Staates hinaus ſeinen Siegeszug
durch Deutſchland angetreten, obgleich die Oſtpreußen im täglichen Ver-
kehr noch gern nach den gewohnten Gulden und Düttchen rechneten und
die neuen Provinzen an ihrem alten Gelde mit jener Beharrlichkeit feſt-
hielten, welche ſich nirgends zäher zeigt als im Münzweſen. Die Regie-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/111>, abgerufen am 05.12.2024.
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