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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
rung war von vornherein entschlossen diese erprobte Hauptmünze, auf
Grund des Vierzehn-Thalerfußes, beizubehalten; schwerer war die Ent-
scheidung über die Stückelung des Thalers, da die wissenschaftlichen Vor-
züge des neufranzösischen Decimalsystems in den Kreisen der preußischen
Finanzwelt bereits zahlreiche Fürsprecher fanden. Zuletzt beschloß man
doch, den Thaler in dreißig Silbergroschen zu theilen, weil diese Zahl den
Monatstagen entsprach und der geringe Mann mithin nach seiner Mo-
natseinnahme sich leicht berechnen konnte, wie viel er an jedem Tage aus-
zugeben hatte; dieser Staat bedurfte eines sparsamen Volkes, wie er selber
jeden Groschen ängstlich zu Rathe hielt, und in der That hat die Silber-
groschenrechnung den haushälterischen Sinn unter den kleinen Leuten ge-
fördert. Für den neuen Silbergroschen wurde die Zwölftheilung des alten
Gutengroschens beibehalten, nicht blos wegen der bequemen Halbirung,
Drittelung und Viertelung, sondern vornehmlich weil man die Armen
nicht schädigen durfte, die ihre kleinen Einkäufe zumeist mit Dreiern be-
stritten.

Ein folgenreicher, von keinem der Zeitgenossen bemerkter Fehler der
neuen Steuergesetzgebung lag in den Vorschriften über die Gemeindeab-
gaben. Das Communalsteuerwesen war für Theorie und Praxis jener
Tage noch ein unbekanntes Gebiet, da die Kostspieligkeit der neuen Selbst-
verwaltung erst im Laufe der Jahre bemerkbar wurde. Stein's Städteord-
nung hatte den Communen in Steuersachen fast unbeschränkte Freiheit
gelassen; nur selten einmal, bei groben Mißgriffen, waren bisher die Auf-
sichtsbehörden dazwischengetreten. Jetzt bestimmte das neue Abgabengesetz
(§ 13), daß die Gemeinden mit Zustimmung der Bezirksregierungen Zu-
schläge zur Klassensteuer, sowie zur Mahl- und Schlachtsteuer ausschreiben
dürften, andere Abgaben jedoch nur, wenn sie bereits beständen oder der
König sie ausdrücklich genehmigte. Die Zuschläge zu jenen beiden Haupt-
steuern des Staates wurden also geradezu als Regel vorgeschrieben. Die
Regierungen verweigerten ihre Zustimmung niemals, da sie hofften, daß
die neuen Abgaben sich also am sichersten einbürgern würden. Die Ge-
meindebehörden, die großentheils aus Hausherren bestanden, folgten der
Einladung mit dem sicheren Instinkte der Klassenselbstsucht. Denn die
bequemen Zuschläge ersparten ihnen jedes weitere Nachdenken über eine
billige Vertheilung der Communalabgaben und lasteten unverhältnißmäßig
schwer auf den Miethern und Einliegern; die Grundbesitzer aber, denen
die Communalanstalten unmittelbar den größten Gewinn brachten, meinten
durch die hohe Staatsgrundsteuer bereits genugsam bedrückt zu sein. Da-
mit begann eine gefährliche Verbildung des Gemeindesteuerwesens: der
Staat verstopfte den Communen ihre natürliche Einnahmequelle, indem
er die Grundsteuer großentheils für sich nahm, und die Magistrate schoben
den schwersten Theil der Communallasten auf die Schultern der Unbe-
mittelten, die von den Leistungen der Gemeinden den geringsten Vortheil

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
rung war von vornherein entſchloſſen dieſe erprobte Hauptmünze, auf
Grund des Vierzehn-Thalerfußes, beizubehalten; ſchwerer war die Ent-
ſcheidung über die Stückelung des Thalers, da die wiſſenſchaftlichen Vor-
züge des neufranzöſiſchen Decimalſyſtems in den Kreiſen der preußiſchen
Finanzwelt bereits zahlreiche Fürſprecher fanden. Zuletzt beſchloß man
doch, den Thaler in dreißig Silbergroſchen zu theilen, weil dieſe Zahl den
Monatstagen entſprach und der geringe Mann mithin nach ſeiner Mo-
natseinnahme ſich leicht berechnen konnte, wie viel er an jedem Tage aus-
zugeben hatte; dieſer Staat bedurfte eines ſparſamen Volkes, wie er ſelber
jeden Groſchen ängſtlich zu Rathe hielt, und in der That hat die Silber-
groſchenrechnung den haushälteriſchen Sinn unter den kleinen Leuten ge-
fördert. Für den neuen Silbergroſchen wurde die Zwölftheilung des alten
Gutengroſchens beibehalten, nicht blos wegen der bequemen Halbirung,
Drittelung und Viertelung, ſondern vornehmlich weil man die Armen
nicht ſchädigen durfte, die ihre kleinen Einkäufe zumeiſt mit Dreiern be-
ſtritten.

Ein folgenreicher, von keinem der Zeitgenoſſen bemerkter Fehler der
neuen Steuergeſetzgebung lag in den Vorſchriften über die Gemeindeab-
gaben. Das Communalſteuerweſen war für Theorie und Praxis jener
Tage noch ein unbekanntes Gebiet, da die Koſtſpieligkeit der neuen Selbſt-
verwaltung erſt im Laufe der Jahre bemerkbar wurde. Stein’s Städteord-
nung hatte den Communen in Steuerſachen faſt unbeſchränkte Freiheit
gelaſſen; nur ſelten einmal, bei groben Mißgriffen, waren bisher die Auf-
ſichtsbehörden dazwiſchengetreten. Jetzt beſtimmte das neue Abgabengeſetz
(§ 13), daß die Gemeinden mit Zuſtimmung der Bezirksregierungen Zu-
ſchläge zur Klaſſenſteuer, ſowie zur Mahl- und Schlachtſteuer ausſchreiben
dürften, andere Abgaben jedoch nur, wenn ſie bereits beſtänden oder der
König ſie ausdrücklich genehmigte. Die Zuſchläge zu jenen beiden Haupt-
ſteuern des Staates wurden alſo geradezu als Regel vorgeſchrieben. Die
Regierungen verweigerten ihre Zuſtimmung niemals, da ſie hofften, daß
die neuen Abgaben ſich alſo am ſicherſten einbürgern würden. Die Ge-
meindebehörden, die großentheils aus Hausherren beſtanden, folgten der
Einladung mit dem ſicheren Inſtinkte der Klaſſenſelbſtſucht. Denn die
bequemen Zuſchläge erſparten ihnen jedes weitere Nachdenken über eine
billige Vertheilung der Communalabgaben und laſteten unverhältnißmäßig
ſchwer auf den Miethern und Einliegern; die Grundbeſitzer aber, denen
die Communalanſtalten unmittelbar den größten Gewinn brachten, meinten
durch die hohe Staatsgrundſteuer bereits genugſam bedrückt zu ſein. Da-
mit begann eine gefährliche Verbildung des Gemeindeſteuerweſens: der
Staat verſtopfte den Communen ihre natürliche Einnahmequelle, indem
er die Grundſteuer großentheils für ſich nahm, und die Magiſtrate ſchoben
den ſchwerſten Theil der Communallaſten auf die Schultern der Unbe-
mittelten, die von den Leiſtungen der Gemeinden den geringſten Vortheil

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[96/0112] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. rung war von vornherein entſchloſſen dieſe erprobte Hauptmünze, auf Grund des Vierzehn-Thalerfußes, beizubehalten; ſchwerer war die Ent- ſcheidung über die Stückelung des Thalers, da die wiſſenſchaftlichen Vor- züge des neufranzöſiſchen Decimalſyſtems in den Kreiſen der preußiſchen Finanzwelt bereits zahlreiche Fürſprecher fanden. Zuletzt beſchloß man doch, den Thaler in dreißig Silbergroſchen zu theilen, weil dieſe Zahl den Monatstagen entſprach und der geringe Mann mithin nach ſeiner Mo- natseinnahme ſich leicht berechnen konnte, wie viel er an jedem Tage aus- zugeben hatte; dieſer Staat bedurfte eines ſparſamen Volkes, wie er ſelber jeden Groſchen ängſtlich zu Rathe hielt, und in der That hat die Silber- groſchenrechnung den haushälteriſchen Sinn unter den kleinen Leuten ge- fördert. Für den neuen Silbergroſchen wurde die Zwölftheilung des alten Gutengroſchens beibehalten, nicht blos wegen der bequemen Halbirung, Drittelung und Viertelung, ſondern vornehmlich weil man die Armen nicht ſchädigen durfte, die ihre kleinen Einkäufe zumeiſt mit Dreiern be- ſtritten. Ein folgenreicher, von keinem der Zeitgenoſſen bemerkter Fehler der neuen Steuergeſetzgebung lag in den Vorſchriften über die Gemeindeab- gaben. Das Communalſteuerweſen war für Theorie und Praxis jener Tage noch ein unbekanntes Gebiet, da die Koſtſpieligkeit der neuen Selbſt- verwaltung erſt im Laufe der Jahre bemerkbar wurde. Stein’s Städteord- nung hatte den Communen in Steuerſachen faſt unbeſchränkte Freiheit gelaſſen; nur ſelten einmal, bei groben Mißgriffen, waren bisher die Auf- ſichtsbehörden dazwiſchengetreten. Jetzt beſtimmte das neue Abgabengeſetz (§ 13), daß die Gemeinden mit Zuſtimmung der Bezirksregierungen Zu- ſchläge zur Klaſſenſteuer, ſowie zur Mahl- und Schlachtſteuer ausſchreiben dürften, andere Abgaben jedoch nur, wenn ſie bereits beſtänden oder der König ſie ausdrücklich genehmigte. Die Zuſchläge zu jenen beiden Haupt- ſteuern des Staates wurden alſo geradezu als Regel vorgeſchrieben. Die Regierungen verweigerten ihre Zuſtimmung niemals, da ſie hofften, daß die neuen Abgaben ſich alſo am ſicherſten einbürgern würden. Die Ge- meindebehörden, die großentheils aus Hausherren beſtanden, folgten der Einladung mit dem ſicheren Inſtinkte der Klaſſenſelbſtſucht. Denn die bequemen Zuſchläge erſparten ihnen jedes weitere Nachdenken über eine billige Vertheilung der Communalabgaben und laſteten unverhältnißmäßig ſchwer auf den Miethern und Einliegern; die Grundbeſitzer aber, denen die Communalanſtalten unmittelbar den größten Gewinn brachten, meinten durch die hohe Staatsgrundſteuer bereits genugſam bedrückt zu ſein. Da- mit begann eine gefährliche Verbildung des Gemeindeſteuerweſens: der Staat verſtopfte den Communen ihre natürliche Einnahmequelle, indem er die Grundſteuer großentheils für ſich nahm, und die Magiſtrate ſchoben den ſchwerſten Theil der Communallaſten auf die Schultern der Unbe- mittelten, die von den Leiſtungen der Gemeinden den geringſten Vortheil

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/112>, abgerufen am 27.04.2024.