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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Schinkel in den gothischen Formen, die noch immer als die nationalen
galten, entworfen; nur in den Sculpturwerken, womit Rauch und Tieck
die Säule schmückten, entfaltete sich die Freiheit des neuen classischen
Stiles. Auf allen den Schlachtfeldern aber, wo Preußens Heere ge-
schlagen hatten, auf dem Windmühlenberge von Großbeeren wie auf dem
hohen Todtenhügel bei Plancenoit in der brabantischen Ebene errichtete
der verarmte Staat überall die nämliche kümmerliche gothische Spitzsäule
mit der Inschrift: "Die gefallenen Helden ehrt dankbar König und Vater-
land. Sie ruhen in Frieden." Schinkel wußte, daß die monumentale
Kunst ein Treibhausleben führt so lange das Alltagstreiben des Volkes
schmucklos und häßlich bleibt. Er sah mit Schmerz den nüchternen Ka-
sernenstil der Bürgerhäuser, den armseligen Hausrath der engen Zimmer.
Wie kläglich lag das deutsche Kunstgewerbe darnieder, das einst so rühm-
lich mit den Italienern gewetteifert hatte; zu jeder größeren künstlerischen
Unternehmung mußte man Arbeiter aus der Fremde herbeirufen, Stein-
metzen aus Carrara, Kupferstecher aus Mailand, Erzgießer aus Frank-
reich. Er aber fühlte sich stolz als der Apostel der Schönheit unter den
nordischen Völkern und gab daher, nachdem im Jahre 1821 das Berliner
Gewerbe-Institut gegründet war, im Verein mit dem genialen Techniker
Beuth die Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker heraus, eine Samm-
lung von Musterblättern für häusliches Geräth, die in unzähligen Nach-
bildungen allmählich bis in jede Werkstatt drangen und zuerst den For-
mensinn im deutschen Handwerk wieder erweckten, mochten immerhin ein-
zelne Muster dem malerisch gestimmten modernen Auge allzu kahl und
einfach erscheinen.

Unterdessen hatte Rauch in dem alten Markgrafenschlosse, dem Lager-
hause, seine Werkstatt aufgeschlagen und erzog dort, ein gestrenger Lehrer,
einen Stamm von treuen Schülern und geübten Kunsthandwerkern, also
daß die deutsche Kunst allmählich der fremden Hilfe entrathen lernte.
Wie er selber ohne wissenschaftliche Vorbildung erst durch das künstlerische
Schaffen selbst in die Welt der Ideen hineingewachsen war, so sah er
auch bei seinen Schülern allein auf das Können; tüchtige Klempner, Stein-
metzen, Holzschneider von sicherem Blick und geschickter Hand waren ihm
willkommener als junge Gelehrte. Vor jener Ueberbildung, die unsere
Dichter nicht selten auf Abwege führte, blieb die Bildnerkunst bewahrt.

Fest und sicher schritt Rauch in dem angehobenen Gange fort; die teu-
tonischen Träume beirrten ihn nie. Er fühlte sich eins mit dem preußischen
Staate und seinem Herrscherhause, und ihm wurde das seltene Glück, in
seinen Kunstwerken zugleich seine politischen Ideale, Alles was seinem Herzen
theuer war zu verkörpern. Welch ein Segen doch, daß die ganze Nation
sich endlich wieder gemeinsam eines großen Erfolges freuen durfte. Wäh-
rend früherhin nur die Landesherren zuweilen ein Denkmal errichtet hatten,
erwachte jetzt im Volke selber der Wunsch seine Helden zu ehren. Zuerst

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
Schinkel in den gothiſchen Formen, die noch immer als die nationalen
galten, entworfen; nur in den Sculpturwerken, womit Rauch und Tieck
die Säule ſchmückten, entfaltete ſich die Freiheit des neuen claſſiſchen
Stiles. Auf allen den Schlachtfeldern aber, wo Preußens Heere ge-
ſchlagen hatten, auf dem Windmühlenberge von Großbeeren wie auf dem
hohen Todtenhügel bei Plancenoit in der brabantiſchen Ebene errichtete
der verarmte Staat überall die nämliche kümmerliche gothiſche Spitzſäule
mit der Inſchrift: „Die gefallenen Helden ehrt dankbar König und Vater-
land. Sie ruhen in Frieden.“ Schinkel wußte, daß die monumentale
Kunſt ein Treibhausleben führt ſo lange das Alltagstreiben des Volkes
ſchmucklos und häßlich bleibt. Er ſah mit Schmerz den nüchternen Ka-
ſernenſtil der Bürgerhäuſer, den armſeligen Hausrath der engen Zimmer.
Wie kläglich lag das deutſche Kunſtgewerbe darnieder, das einſt ſo rühm-
lich mit den Italienern gewetteifert hatte; zu jeder größeren künſtleriſchen
Unternehmung mußte man Arbeiter aus der Fremde herbeirufen, Stein-
metzen aus Carrara, Kupferſtecher aus Mailand, Erzgießer aus Frank-
reich. Er aber fühlte ſich ſtolz als der Apoſtel der Schönheit unter den
nordiſchen Völkern und gab daher, nachdem im Jahre 1821 das Berliner
Gewerbe-Inſtitut gegründet war, im Verein mit dem genialen Techniker
Beuth die Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker heraus, eine Samm-
lung von Muſterblättern für häusliches Geräth, die in unzähligen Nach-
bildungen allmählich bis in jede Werkſtatt drangen und zuerſt den For-
menſinn im deutſchen Handwerk wieder erweckten, mochten immerhin ein-
zelne Muſter dem maleriſch geſtimmten modernen Auge allzu kahl und
einfach erſcheinen.

Unterdeſſen hatte Rauch in dem alten Markgrafenſchloſſe, dem Lager-
hauſe, ſeine Werkſtatt aufgeſchlagen und erzog dort, ein geſtrenger Lehrer,
einen Stamm von treuen Schülern und geübten Kunſthandwerkern, alſo
daß die deutſche Kunſt allmählich der fremden Hilfe entrathen lernte.
Wie er ſelber ohne wiſſenſchaftliche Vorbildung erſt durch das künſtleriſche
Schaffen ſelbſt in die Welt der Ideen hineingewachſen war, ſo ſah er
auch bei ſeinen Schülern allein auf das Können; tüchtige Klempner, Stein-
metzen, Holzſchneider von ſicherem Blick und geſchickter Hand waren ihm
willkommener als junge Gelehrte. Vor jener Ueberbildung, die unſere
Dichter nicht ſelten auf Abwege führte, blieb die Bildnerkunſt bewahrt.

Feſt und ſicher ſchritt Rauch in dem angehobenen Gange fort; die teu-
toniſchen Träume beirrten ihn nie. Er fühlte ſich eins mit dem preußiſchen
Staate und ſeinem Herrſcherhauſe, und ihm wurde das ſeltene Glück, in
ſeinen Kunſtwerken zugleich ſeine politiſchen Ideale, Alles was ſeinem Herzen
theuer war zu verkörpern. Welch ein Segen doch, daß die ganze Nation
ſich endlich wieder gemeinſam eines großen Erfolges freuen durfte. Wäh-
rend früherhin nur die Landesherren zuweilen ein Denkmal errichtet hatten,
erwachte jetzt im Volke ſelber der Wunſch ſeine Helden zu ehren. Zuerſt

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[50/0064] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. Schinkel in den gothiſchen Formen, die noch immer als die nationalen galten, entworfen; nur in den Sculpturwerken, womit Rauch und Tieck die Säule ſchmückten, entfaltete ſich die Freiheit des neuen claſſiſchen Stiles. Auf allen den Schlachtfeldern aber, wo Preußens Heere ge- ſchlagen hatten, auf dem Windmühlenberge von Großbeeren wie auf dem hohen Todtenhügel bei Plancenoit in der brabantiſchen Ebene errichtete der verarmte Staat überall die nämliche kümmerliche gothiſche Spitzſäule mit der Inſchrift: „Die gefallenen Helden ehrt dankbar König und Vater- land. Sie ruhen in Frieden.“ Schinkel wußte, daß die monumentale Kunſt ein Treibhausleben führt ſo lange das Alltagstreiben des Volkes ſchmucklos und häßlich bleibt. Er ſah mit Schmerz den nüchternen Ka- ſernenſtil der Bürgerhäuſer, den armſeligen Hausrath der engen Zimmer. Wie kläglich lag das deutſche Kunſtgewerbe darnieder, das einſt ſo rühm- lich mit den Italienern gewetteifert hatte; zu jeder größeren künſtleriſchen Unternehmung mußte man Arbeiter aus der Fremde herbeirufen, Stein- metzen aus Carrara, Kupferſtecher aus Mailand, Erzgießer aus Frank- reich. Er aber fühlte ſich ſtolz als der Apoſtel der Schönheit unter den nordiſchen Völkern und gab daher, nachdem im Jahre 1821 das Berliner Gewerbe-Inſtitut gegründet war, im Verein mit dem genialen Techniker Beuth die Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker heraus, eine Samm- lung von Muſterblättern für häusliches Geräth, die in unzähligen Nach- bildungen allmählich bis in jede Werkſtatt drangen und zuerſt den For- menſinn im deutſchen Handwerk wieder erweckten, mochten immerhin ein- zelne Muſter dem maleriſch geſtimmten modernen Auge allzu kahl und einfach erſcheinen. Unterdeſſen hatte Rauch in dem alten Markgrafenſchloſſe, dem Lager- hauſe, ſeine Werkſtatt aufgeſchlagen und erzog dort, ein geſtrenger Lehrer, einen Stamm von treuen Schülern und geübten Kunſthandwerkern, alſo daß die deutſche Kunſt allmählich der fremden Hilfe entrathen lernte. Wie er ſelber ohne wiſſenſchaftliche Vorbildung erſt durch das künſtleriſche Schaffen ſelbſt in die Welt der Ideen hineingewachſen war, ſo ſah er auch bei ſeinen Schülern allein auf das Können; tüchtige Klempner, Stein- metzen, Holzſchneider von ſicherem Blick und geſchickter Hand waren ihm willkommener als junge Gelehrte. Vor jener Ueberbildung, die unſere Dichter nicht ſelten auf Abwege führte, blieb die Bildnerkunſt bewahrt. Feſt und ſicher ſchritt Rauch in dem angehobenen Gange fort; die teu- toniſchen Träume beirrten ihn nie. Er fühlte ſich eins mit dem preußiſchen Staate und ſeinem Herrſcherhauſe, und ihm wurde das ſeltene Glück, in ſeinen Kunſtwerken zugleich ſeine politiſchen Ideale, Alles was ſeinem Herzen theuer war zu verkörpern. Welch ein Segen doch, daß die ganze Nation ſich endlich wieder gemeinſam eines großen Erfolges freuen durfte. Wäh- rend früherhin nur die Landesherren zuweilen ein Denkmal errichtet hatten, erwachte jetzt im Volke ſelber der Wunſch ſeine Helden zu ehren. Zuerſt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/64>, abgerufen am 27.11.2024.