Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Schinkel. Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußischeKünstler sein Leben lang mit der nothgedrungenen Sparsamkeit des Mon- archen und seiner Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum anlegen! -- sagte der König lächelnd, so oft der Unerschöpfliche wieder mit einem neuen Vorschlage herantrat. Kaum der zwanzigste Theil seiner kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge- kostet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schlosses, die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten. Statt des edlen Hausteins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er sich zumeist mit verputztem Backstein, statt des Erzes mit Zinkguß be- helfen. Gleichwohl genügte dieser armselige Bruchtheil seiner Entwürfe, neben den Werken der Schlüterschen Epoche, um der Baukunst Berlins für immer ihren Charakter aufzuprägen. Schinkel befreite sich bald von dem teutonischen Rausche der Kriegs- Seitdem stand Schinkel fest in der Gunst des Königs und übernahm Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 4
Schinkel. Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußiſcheKünſtler ſein Leben lang mit der nothgedrungenen Sparſamkeit des Mon- archen und ſeiner Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum anlegen! — ſagte der König lächelnd, ſo oft der Unerſchöpfliche wieder mit einem neuen Vorſchlage herantrat. Kaum der zwanzigſte Theil ſeiner kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge- koſtet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schloſſes, die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten. Statt des edlen Hauſteins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er ſich zumeiſt mit verputztem Backſtein, ſtatt des Erzes mit Zinkguß be- helfen. Gleichwohl genügte dieſer armſelige Bruchtheil ſeiner Entwürfe, neben den Werken der Schlüterſchen Epoche, um der Baukunſt Berlins für immer ihren Charakter aufzuprägen. Schinkel befreite ſich bald von dem teutoniſchen Rauſche der Kriegs- Seitdem ſtand Schinkel feſt in der Gunſt des Königs und übernahm Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 4
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Schinkel.
Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußiſche
Künſtler ſein Leben lang mit der nothgedrungenen Sparſamkeit des Mon-
archen und ſeiner Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum
anlegen! — ſagte der König lächelnd, ſo oft der Unerſchöpfliche wieder
mit einem neuen Vorſchlage herantrat. Kaum der zwanzigſte Theil ſeiner
kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge-
koſtet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schloſſes,
die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten.
Statt des edlen Hauſteins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er
ſich zumeiſt mit verputztem Backſtein, ſtatt des Erzes mit Zinkguß be-
helfen. Gleichwohl genügte dieſer armſelige Bruchtheil ſeiner Entwürfe,
neben den Werken der Schlüterſchen Epoche, um der Baukunſt Berlins
für immer ihren Charakter aufzuprägen.
Schinkel befreite ſich bald von dem teutoniſchen Rauſche der Kriegs-
jahre. Er erkannte, daß die vielgeſtaltige moderne Bildung ſich nicht auf
Einen Bauſtil beſchränken darf, und ließ die Kunſtformen des Mittel-
alters gelten, wo ſie durch Lage und Bedeutung des Bauwerks bedingt
ſchienen. Für ſeine eigenſten Ideale aber fand er jetzt den rechten Aus-
druck in einer neuen Form der Renaiſſance, die ſich enger als die Kunſt
des ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts an die Werke der Alten,
vornehmlich der Hellenen, anſchloß und doch immer verſtand dem Sinn
und Zweck moderner Bauten gerecht zu werden. Gleich an ſeinem erſten
größeren Werke, der neuen Hauptwache, ſprach die kriegeriſche Beſtimmung
des Gebäudes ſo mächtig und trutzig aus den ſtrengen, gedrungenen dori-
ſchen Formen, daß der Beſchauer den überaus beſcheidenen Umfang faſt
vergaß und ſich an Sanmichelis majeſtätiſche Feſtungswerke gemahnt fühlte.
Als bald darauf, im Jahre 1817, das Schauſpielhaus abbrannte und
das kargende Beamtenthum die Benutzung der alten Brandmauern für
den Neubau forderte, da wußte er wieder aus der Noth eine Tugend zu
machen; und bald erhob ſich zwiſchen den beiden prächtigen Kuppeln der
Gensdarmenkirchen über einer hohen Freitreppe ein feſtlich heiterer ioni-
ſcher Tempel, die Giebel und Treppenwangen mit reichem Bildnerwerk
geſchmückt — denn auf das Zuſammenwirken aller Künſte ging jeder
ſeiner Pläne aus — der ganze Bau ein getreues Bild dieſer geiſtig ſo
reichen, wirthſchaftlich ſo armen Epoche, genial im Entwurfe, aber in der
Ausführung vielfach eng und dürftig.
Seitdem ſtand Schinkel feſt in der Gunſt des Königs und übernahm
die Leitung alles künſtleriſchen Schaffens in Preußen, nur daß ihm die
leidige Geldnoth immer wieder die Fittiche ſeines Genius beſchnitt. In
ganz Norddeutſchland und bis nach Skandinavien hinüber gelangte ſeine
claſſiſche Richtung zur Herrſchaft. Die Pläne für den Berliner Dom
wurden aufgegeben, weil die Mittel fehlten. Statt deſſen entſtand das
ſchöne Siegesdenkmal auf dem Kreuzberge. Das Denkmal ſelbſt hatte
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 4
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