Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt.
daß die geheime Polizei "in dem was sie gethan hat das Licht nicht scheuen
müsse". Dazwischen hinein dann einige ganz unbestimmte Klagen über
"das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundsätze" und manche völlig
ungerechte oder gradezu frivole Beschwerden. So ward im Voraus der
Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: "neue Auflagen,
die sehr bedenklich sind, sollten vermieden werden." So ward der König
gebeten die Verfassung nicht ohne den Rath des Staatsministeriums dem
Lande zu verleihen; und doch gehörten sämmtliche Minister zu der großen
Verfassungscommission vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen
kleinen Ausschusses selbstverständlich noch vorgelegt werden sollten.*)

Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand,
unvermeidlich den Rücktritt des Staatskanzlers herbeiführen, obgleich von
allen Ministern wohl nur Humboldt selbst diese Wirkung beabsichtigte.
Da Hardenberg kein Fachministerium mehr bekleidete und wegen seiner
Taubheit den Vorsitz im Staatsministerium schlechterdings nicht führen
konnte, so wurde er durch Humboldts Vorschläge jeder Macht beraubt,
und an die Stelle der bestehenden Einheit, deren schwere Gebrechen sich
allerdings nicht verkennen ließen, trat ein vielköpfiges collegialisches Re-
giment ohne Willen, ohne Leitung. Wer konnte einen solchen Wechsel
wünschen nach allen den kläglichen Beweisen von Zwietracht und Rath-
losigkeit, welche dies Ministerium in den letzten Monaten gegeben? Auch
dieser neueste Bericht war, obgleich er selbst das Gegentheil behauptete,
erst nach lebhaftem Streite zu Stande gekommen.

Hardenberg setzte sich sofort zur Wehr. Er versicherte nochmals, daß
er gern bereit sei, auf den Befehl des Königs sich "mit dem dankbarsten
Herzen in die Einsamkeit zurückzuziehen", und bat den Monarchen, "dem
Ministerium alle von ihm gewünschte Selbständigkeit zu geben", auch die
Einsendung der Ministerial-Protokolle zu genehmigen; aber dem Staats-
kanzler müsse der regelmäßige Vortrag bei dem Monarchen verbleiben,
"nach den mir zuzusendenden Berichten der Minister." Sichtlich gereizt
wies er sodann darauf hin, wie der Bericht alles Uebrige leicht abfertige
und die Beschränkung der Macht des Staatskanzlers als "die einzige
Panacee" betrachte. Die Auflegung neuer Steuern erklärte er für "unver-
meidlich und nothwendig zum Besten des Staates". Mehrmals warf er
den Ministern vor, daß sie "die Verirrungen des Zeitgeistes, die Gefahr
einer künftigen Generation von Revolutionsmännern" viel zu leicht nähmen;
und mit Entrüstung nahm er sich schließlich seines Freundes Wittgenstein
an, "welcher in den sieben Jahren wo er die geheime Polizei leitete keinen
Schritt gethan, den ich nicht genau weiß."

Das Zerwürfniß zwischen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen-

*) Bericht des Staatsministeriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen
des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819.
38*

Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt.
daß die geheime Polizei „in dem was ſie gethan hat das Licht nicht ſcheuen
müſſe“. Dazwiſchen hinein dann einige ganz unbeſtimmte Klagen über
„das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundſätze“ und manche völlig
ungerechte oder gradezu frivole Beſchwerden. So ward im Voraus der
Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: „neue Auflagen,
die ſehr bedenklich ſind, ſollten vermieden werden.“ So ward der König
gebeten die Verfaſſung nicht ohne den Rath des Staatsminiſteriums dem
Lande zu verleihen; und doch gehörten ſämmtliche Miniſter zu der großen
Verfaſſungscommiſſion vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen
kleinen Ausſchuſſes ſelbſtverſtändlich noch vorgelegt werden ſollten.*)

Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand,
unvermeidlich den Rücktritt des Staatskanzlers herbeiführen, obgleich von
allen Miniſtern wohl nur Humboldt ſelbſt dieſe Wirkung beabſichtigte.
Da Hardenberg kein Fachminiſterium mehr bekleidete und wegen ſeiner
Taubheit den Vorſitz im Staatsminiſterium ſchlechterdings nicht führen
konnte, ſo wurde er durch Humboldts Vorſchläge jeder Macht beraubt,
und an die Stelle der beſtehenden Einheit, deren ſchwere Gebrechen ſich
allerdings nicht verkennen ließen, trat ein vielköpfiges collegialiſches Re-
giment ohne Willen, ohne Leitung. Wer konnte einen ſolchen Wechſel
wünſchen nach allen den kläglichen Beweiſen von Zwietracht und Rath-
loſigkeit, welche dies Miniſterium in den letzten Monaten gegeben? Auch
dieſer neueſte Bericht war, obgleich er ſelbſt das Gegentheil behauptete,
erſt nach lebhaftem Streite zu Stande gekommen.

Hardenberg ſetzte ſich ſofort zur Wehr. Er verſicherte nochmals, daß
er gern bereit ſei, auf den Befehl des Königs ſich „mit dem dankbarſten
Herzen in die Einſamkeit zurückzuziehen“, und bat den Monarchen, „dem
Miniſterium alle von ihm gewünſchte Selbſtändigkeit zu geben“, auch die
Einſendung der Miniſterial-Protokolle zu genehmigen; aber dem Staats-
kanzler müſſe der regelmäßige Vortrag bei dem Monarchen verbleiben,
„nach den mir zuzuſendenden Berichten der Miniſter.“ Sichtlich gereizt
wies er ſodann darauf hin, wie der Bericht alles Uebrige leicht abfertige
und die Beſchränkung der Macht des Staatskanzlers als „die einzige
Panacee“ betrachte. Die Auflegung neuer Steuern erklärte er für „unver-
meidlich und nothwendig zum Beſten des Staates“. Mehrmals warf er
den Miniſtern vor, daß ſie „die Verirrungen des Zeitgeiſtes, die Gefahr
einer künftigen Generation von Revolutionsmännern“ viel zu leicht nähmen;
und mit Entrüſtung nahm er ſich ſchließlich ſeines Freundes Wittgenſtein
an, „welcher in den ſieben Jahren wo er die geheime Polizei leitete keinen
Schritt gethan, den ich nicht genau weiß.“

Das Zerwürfniß zwiſchen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen-

*) Bericht des Staatsminiſteriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen
des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819.
38*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0609" n="595"/><fw place="top" type="header">Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt.</fw><lb/>
daß die geheime Polizei &#x201E;in dem was &#x017F;ie gethan hat das Licht nicht &#x017F;cheuen<lb/>&#x017F;&#x017F;e&#x201C;. Dazwi&#x017F;chen hinein dann einige ganz unbe&#x017F;timmte Klagen über<lb/>
&#x201E;das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrund&#x017F;ätze&#x201C; und manche völlig<lb/>
ungerechte oder gradezu frivole Be&#x017F;chwerden. So ward im Voraus der<lb/>
Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: &#x201E;neue Auflagen,<lb/>
die &#x017F;ehr bedenklich &#x017F;ind, &#x017F;ollten vermieden werden.&#x201C; So ward der König<lb/>
gebeten die Verfa&#x017F;&#x017F;ung nicht ohne den Rath des Staatsmini&#x017F;teriums dem<lb/>
Lande zu verleihen; und doch gehörten &#x017F;ämmtliche Mini&#x017F;ter zu der großen<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ungscommi&#x017F;&#x017F;ion vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen<lb/>
kleinen Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich noch vorgelegt werden &#x017F;ollten.<note place="foot" n="*)">Bericht des Staatsmini&#x017F;teriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen<lb/>
des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819.</note></p><lb/>
          <p>Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand,<lb/>
unvermeidlich den Rücktritt des Staatskanzlers herbeiführen, obgleich von<lb/>
allen Mini&#x017F;tern wohl nur Humboldt &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;e Wirkung beab&#x017F;ichtigte.<lb/>
Da Hardenberg kein Fachmini&#x017F;terium mehr bekleidete und wegen &#x017F;einer<lb/>
Taubheit den Vor&#x017F;itz im Staatsmini&#x017F;terium &#x017F;chlechterdings nicht führen<lb/>
konnte, &#x017F;o wurde er durch Humboldts Vor&#x017F;chläge jeder Macht beraubt,<lb/>
und an die Stelle der be&#x017F;tehenden Einheit, deren &#x017F;chwere Gebrechen &#x017F;ich<lb/>
allerdings nicht verkennen ließen, trat ein vielköpfiges collegiali&#x017F;ches Re-<lb/>
giment ohne Willen, ohne Leitung. Wer konnte einen &#x017F;olchen Wech&#x017F;el<lb/>
wün&#x017F;chen nach allen den kläglichen Bewei&#x017F;en von Zwietracht und Rath-<lb/>
lo&#x017F;igkeit, welche dies Mini&#x017F;terium in den letzten Monaten gegeben? Auch<lb/>
die&#x017F;er neue&#x017F;te Bericht war, obgleich er &#x017F;elb&#x017F;t das Gegentheil behauptete,<lb/>
er&#x017F;t nach lebhaftem Streite zu Stande gekommen.</p><lb/>
          <p>Hardenberg &#x017F;etzte &#x017F;ich &#x017F;ofort zur Wehr. Er ver&#x017F;icherte nochmals, daß<lb/>
er gern bereit &#x017F;ei, auf den Befehl des Königs &#x017F;ich &#x201E;mit dem dankbar&#x017F;ten<lb/>
Herzen in die Ein&#x017F;amkeit zurückzuziehen&#x201C;, und bat den Monarchen, &#x201E;dem<lb/>
Mini&#x017F;terium alle von ihm gewün&#x017F;chte Selb&#x017F;tändigkeit zu geben&#x201C;, auch die<lb/>
Ein&#x017F;endung der Mini&#x017F;terial-Protokolle zu genehmigen; aber dem Staats-<lb/>
kanzler mü&#x017F;&#x017F;e der regelmäßige Vortrag bei dem Monarchen verbleiben,<lb/>
&#x201E;nach den mir zuzu&#x017F;endenden Berichten der Mini&#x017F;ter.&#x201C; Sichtlich gereizt<lb/>
wies er &#x017F;odann darauf hin, wie der Bericht alles Uebrige leicht abfertige<lb/>
und die Be&#x017F;chränkung der Macht des Staatskanzlers als &#x201E;die einzige<lb/>
Panacee&#x201C; betrachte. Die Auflegung neuer Steuern erklärte er für &#x201E;unver-<lb/>
meidlich und nothwendig zum Be&#x017F;ten des Staates&#x201C;. Mehrmals warf er<lb/>
den Mini&#x017F;tern vor, daß &#x017F;ie &#x201E;die Verirrungen des Zeitgei&#x017F;tes, die Gefahr<lb/>
einer künftigen Generation von Revolutionsmännern&#x201C; viel zu leicht nähmen;<lb/>
und mit Entrü&#x017F;tung nahm er &#x017F;ich &#x017F;chließlich &#x017F;eines Freundes Wittgen&#x017F;tein<lb/>
an, &#x201E;welcher in den &#x017F;ieben Jahren wo er die geheime Polizei leitete keinen<lb/>
Schritt gethan, den ich nicht genau weiß.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Zerwürfniß zwi&#x017F;chen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">38*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[595/0609] Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt. daß die geheime Polizei „in dem was ſie gethan hat das Licht nicht ſcheuen müſſe“. Dazwiſchen hinein dann einige ganz unbeſtimmte Klagen über „das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundſätze“ und manche völlig ungerechte oder gradezu frivole Beſchwerden. So ward im Voraus der Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: „neue Auflagen, die ſehr bedenklich ſind, ſollten vermieden werden.“ So ward der König gebeten die Verfaſſung nicht ohne den Rath des Staatsminiſteriums dem Lande zu verleihen; und doch gehörten ſämmtliche Miniſter zu der großen Verfaſſungscommiſſion vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen kleinen Ausſchuſſes ſelbſtverſtändlich noch vorgelegt werden ſollten. *) Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand, unvermeidlich den Rücktritt des Staatskanzlers herbeiführen, obgleich von allen Miniſtern wohl nur Humboldt ſelbſt dieſe Wirkung beabſichtigte. Da Hardenberg kein Fachminiſterium mehr bekleidete und wegen ſeiner Taubheit den Vorſitz im Staatsminiſterium ſchlechterdings nicht führen konnte, ſo wurde er durch Humboldts Vorſchläge jeder Macht beraubt, und an die Stelle der beſtehenden Einheit, deren ſchwere Gebrechen ſich allerdings nicht verkennen ließen, trat ein vielköpfiges collegialiſches Re- giment ohne Willen, ohne Leitung. Wer konnte einen ſolchen Wechſel wünſchen nach allen den kläglichen Beweiſen von Zwietracht und Rath- loſigkeit, welche dies Miniſterium in den letzten Monaten gegeben? Auch dieſer neueſte Bericht war, obgleich er ſelbſt das Gegentheil behauptete, erſt nach lebhaftem Streite zu Stande gekommen. Hardenberg ſetzte ſich ſofort zur Wehr. Er verſicherte nochmals, daß er gern bereit ſei, auf den Befehl des Königs ſich „mit dem dankbarſten Herzen in die Einſamkeit zurückzuziehen“, und bat den Monarchen, „dem Miniſterium alle von ihm gewünſchte Selbſtändigkeit zu geben“, auch die Einſendung der Miniſterial-Protokolle zu genehmigen; aber dem Staats- kanzler müſſe der regelmäßige Vortrag bei dem Monarchen verbleiben, „nach den mir zuzuſendenden Berichten der Miniſter.“ Sichtlich gereizt wies er ſodann darauf hin, wie der Bericht alles Uebrige leicht abfertige und die Beſchränkung der Macht des Staatskanzlers als „die einzige Panacee“ betrachte. Die Auflegung neuer Steuern erklärte er für „unver- meidlich und nothwendig zum Beſten des Staates“. Mehrmals warf er den Miniſtern vor, daß ſie „die Verirrungen des Zeitgeiſtes, die Gefahr einer künftigen Generation von Revolutionsmännern“ viel zu leicht nähmen; und mit Entrüſtung nahm er ſich ſchließlich ſeines Freundes Wittgenſtein an, „welcher in den ſieben Jahren wo er die geheime Polizei leitete keinen Schritt gethan, den ich nicht genau weiß.“ Das Zerwürfniß zwiſchen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen- *) Bericht des Staatsminiſteriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819. 38*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/609
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/609>, abgerufen am 09.05.2024.