Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt. daß die geheime Polizei "in dem was sie gethan hat das Licht nicht scheuenmüsse". Dazwischen hinein dann einige ganz unbestimmte Klagen über "das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundsätze" und manche völlig ungerechte oder gradezu frivole Beschwerden. So ward im Voraus der Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: "neue Auflagen, die sehr bedenklich sind, sollten vermieden werden." So ward der König gebeten die Verfassung nicht ohne den Rath des Staatsministeriums dem Lande zu verleihen; und doch gehörten sämmtliche Minister zu der großen Verfassungscommission vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen kleinen Ausschusses selbstverständlich noch vorgelegt werden sollten.*) Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand, Hardenberg setzte sich sofort zur Wehr. Er versicherte nochmals, daß Das Zerwürfniß zwischen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen- *) Bericht des Staatsministeriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819. 38*
Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt. daß die geheime Polizei „in dem was ſie gethan hat das Licht nicht ſcheuenmüſſe“. Dazwiſchen hinein dann einige ganz unbeſtimmte Klagen über „das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundſätze“ und manche völlig ungerechte oder gradezu frivole Beſchwerden. So ward im Voraus der Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: „neue Auflagen, die ſehr bedenklich ſind, ſollten vermieden werden.“ So ward der König gebeten die Verfaſſung nicht ohne den Rath des Staatsminiſteriums dem Lande zu verleihen; und doch gehörten ſämmtliche Miniſter zu der großen Verfaſſungscommiſſion vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen kleinen Ausſchuſſes ſelbſtverſtändlich noch vorgelegt werden ſollten.*) Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand, Hardenberg ſetzte ſich ſofort zur Wehr. Er verſicherte nochmals, daß Das Zerwürfniß zwiſchen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen- *) Bericht des Staatsminiſteriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819. 38*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0609" n="595"/><fw place="top" type="header">Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt.</fw><lb/> daß die geheime Polizei „in dem was ſie gethan hat das Licht nicht ſcheuen<lb/> müſſe“. Dazwiſchen hinein dann einige ganz unbeſtimmte Klagen über<lb/> „das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundſätze“ und manche völlig<lb/> ungerechte oder gradezu frivole Beſchwerden. So ward im Voraus der<lb/> Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: „neue Auflagen,<lb/> die ſehr bedenklich ſind, ſollten vermieden werden.“ So ward der König<lb/> gebeten die Verfaſſung nicht ohne den Rath des Staatsminiſteriums dem<lb/> Lande zu verleihen; und doch gehörten ſämmtliche Miniſter zu der großen<lb/> Verfaſſungscommiſſion vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen<lb/> kleinen Ausſchuſſes ſelbſtverſtändlich noch vorgelegt werden ſollten.<note place="foot" n="*)">Bericht des Staatsminiſteriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen<lb/> des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819.</note></p><lb/> <p>Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand,<lb/> unvermeidlich den Rücktritt des Staatskanzlers herbeiführen, obgleich von<lb/> allen Miniſtern wohl nur Humboldt ſelbſt dieſe Wirkung beabſichtigte.<lb/> Da Hardenberg kein Fachminiſterium mehr bekleidete und wegen ſeiner<lb/> Taubheit den Vorſitz im Staatsminiſterium ſchlechterdings nicht führen<lb/> konnte, ſo wurde er durch Humboldts Vorſchläge jeder Macht beraubt,<lb/> und an die Stelle der beſtehenden Einheit, deren ſchwere Gebrechen ſich<lb/> allerdings nicht verkennen ließen, trat ein vielköpfiges collegialiſches Re-<lb/> giment ohne Willen, ohne Leitung. Wer konnte einen ſolchen Wechſel<lb/> wünſchen nach allen den kläglichen Beweiſen von Zwietracht und Rath-<lb/> loſigkeit, welche dies Miniſterium in den letzten Monaten gegeben? Auch<lb/> dieſer neueſte Bericht war, obgleich er ſelbſt das Gegentheil behauptete,<lb/> erſt nach lebhaftem Streite zu Stande gekommen.</p><lb/> <p>Hardenberg ſetzte ſich ſofort zur Wehr. Er verſicherte nochmals, daß<lb/> er gern bereit ſei, auf den Befehl des Königs ſich „mit dem dankbarſten<lb/> Herzen in die Einſamkeit zurückzuziehen“, und bat den Monarchen, „dem<lb/> Miniſterium alle von ihm gewünſchte Selbſtändigkeit zu geben“, auch die<lb/> Einſendung der Miniſterial-Protokolle zu genehmigen; aber dem Staats-<lb/> kanzler müſſe der regelmäßige Vortrag bei dem Monarchen verbleiben,<lb/> „nach den mir zuzuſendenden Berichten der Miniſter.“ Sichtlich gereizt<lb/> wies er ſodann darauf hin, wie der Bericht alles Uebrige leicht abfertige<lb/> und die Beſchränkung der Macht des Staatskanzlers als „die einzige<lb/> Panacee“ betrachte. Die Auflegung neuer Steuern erklärte er für „unver-<lb/> meidlich und nothwendig zum Beſten des Staates“. Mehrmals warf er<lb/> den Miniſtern vor, daß ſie „die Verirrungen des Zeitgeiſtes, die Gefahr<lb/> einer künftigen Generation von Revolutionsmännern“ viel zu leicht nähmen;<lb/> und mit Entrüſtung nahm er ſich ſchließlich ſeines Freundes Wittgenſtein<lb/> an, „welcher in den ſieben Jahren wo er die geheime Polizei leitete keinen<lb/> Schritt gethan, den ich nicht genau weiß.“</p><lb/> <p>Das Zerwürfniß zwiſchen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">38*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [595/0609]
Humboldts Kampf gegen das Staatskanzleramt.
daß die geheime Polizei „in dem was ſie gethan hat das Licht nicht ſcheuen
müſſe“. Dazwiſchen hinein dann einige ganz unbeſtimmte Klagen über
„das Schwankende der Haupt-Verwaltungsgrundſätze“ und manche völlig
ungerechte oder gradezu frivole Beſchwerden. So ward im Voraus der
Stab gebrochen über die unumgängliche Steuerreform: „neue Auflagen,
die ſehr bedenklich ſind, ſollten vermieden werden.“ So ward der König
gebeten die Verfaſſung nicht ohne den Rath des Staatsminiſteriums dem
Lande zu verleihen; und doch gehörten ſämmtliche Miniſter zu der großen
Verfaſſungscommiſſion vom Jahre 1817, welcher die Entwürfe des neuen
kleinen Ausſchuſſes ſelbſtverſtändlich noch vorgelegt werden ſollten. *)
Der Bericht mußte, falls er die Genehmigung des Monarchen fand,
unvermeidlich den Rücktritt des Staatskanzlers herbeiführen, obgleich von
allen Miniſtern wohl nur Humboldt ſelbſt dieſe Wirkung beabſichtigte.
Da Hardenberg kein Fachminiſterium mehr bekleidete und wegen ſeiner
Taubheit den Vorſitz im Staatsminiſterium ſchlechterdings nicht führen
konnte, ſo wurde er durch Humboldts Vorſchläge jeder Macht beraubt,
und an die Stelle der beſtehenden Einheit, deren ſchwere Gebrechen ſich
allerdings nicht verkennen ließen, trat ein vielköpfiges collegialiſches Re-
giment ohne Willen, ohne Leitung. Wer konnte einen ſolchen Wechſel
wünſchen nach allen den kläglichen Beweiſen von Zwietracht und Rath-
loſigkeit, welche dies Miniſterium in den letzten Monaten gegeben? Auch
dieſer neueſte Bericht war, obgleich er ſelbſt das Gegentheil behauptete,
erſt nach lebhaftem Streite zu Stande gekommen.
Hardenberg ſetzte ſich ſofort zur Wehr. Er verſicherte nochmals, daß
er gern bereit ſei, auf den Befehl des Königs ſich „mit dem dankbarſten
Herzen in die Einſamkeit zurückzuziehen“, und bat den Monarchen, „dem
Miniſterium alle von ihm gewünſchte Selbſtändigkeit zu geben“, auch die
Einſendung der Miniſterial-Protokolle zu genehmigen; aber dem Staats-
kanzler müſſe der regelmäßige Vortrag bei dem Monarchen verbleiben,
„nach den mir zuzuſendenden Berichten der Miniſter.“ Sichtlich gereizt
wies er ſodann darauf hin, wie der Bericht alles Uebrige leicht abfertige
und die Beſchränkung der Macht des Staatskanzlers als „die einzige
Panacee“ betrachte. Die Auflegung neuer Steuern erklärte er für „unver-
meidlich und nothwendig zum Beſten des Staates“. Mehrmals warf er
den Miniſtern vor, daß ſie „die Verirrungen des Zeitgeiſtes, die Gefahr
einer künftigen Generation von Revolutionsmännern“ viel zu leicht nähmen;
und mit Entrüſtung nahm er ſich ſchließlich ſeines Freundes Wittgenſtein
an, „welcher in den ſieben Jahren wo er die geheime Polizei leitete keinen
Schritt gethan, den ich nicht genau weiß.“
Das Zerwürfniß zwiſchen den beiden Nebenbuhlern war jetzt offen-
*) Bericht des Staatsminiſteriums an den König 26. Aug., mit Randbemerkungen
des Staatskanzlers vom 10. Sept. 1819.
38*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |