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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
aus allen Landestheilen des Staates schlossen sich an; York stiftete die
schweren Zinnen über Meisters Morgenhellem Gemach, Stein hing sein
Wappenschild an einem Pfeiler des oberen Burggangs auf. Bald prang-
ten an den bunten Fenstern die Bilder aus Preußens alter und neuer
Geschichte; denn grade in diesen Jahren erwachte die alte Kunst der Glas-
malerei, die mit so vielen anderen Segnungen der Cultur in den Stür-
men des dreißigjährigen Krieges untergegangen war, wieder zu frischem
Leben. Da standen unter dem schwarzundweißen Banner der Ritter vom
deutschen Hause und der Landwehrmann des Befreiungskrieges; die Gym-
nasien des tapferen Grenzlandes schenkten ein Fenster mit Davids Schwert
und Harfe und der Inschrift: wer kein Krieger ist soll auch kein Hirte
sein! Alle Herzensgeheimnisse des romantischen Geschlechts traten bei
diesen Spenden an den Tag; wie fühlten die Deutschen sich glücklich, daß
sie wieder ein Recht hatten den Helden ihrer großen Vorzeit frei ins Ge-
sicht zu sehen. Alles jubelte, als der junge Kronprinz in den mächtigen
Hallen der alten Burg ein Festmahl hielt und nach seiner enthusiastischen
Weise den Trinkspruch ausbrachte: "Alles Große und Würdige erstehe
wie dieser Bau!"

Gleichwohl vermochte die gothische Richtung in der Kunst ebenso wenig
die Oberhand zu erlangen wie die schwäbischen Dichter in der Poesie.
Die Ideen Winckelmanns und Goethes behaupteten noch ihre Macht, nir-
gends kräftiger als in Berlin. Hier standen noch die besten Werke der
deutschen Spätrenaissance, das Schloß, das Zeughaus und Schlüters
Kurfürstenstandbild, die Denkmäler einer classisch gebildeten und doch na-
tionalen Kunstweise, verständlicher für das moderne Gefühl als die Bauten
des Mittelalters. Hier in dem Mittelpunkte einer großen, aber jungen
Geschichte mußte die Rückkehr zu den Bauformen des vierzehnten Jahr-
hunderts als willkürliche Künstelei erscheinen. Und jetzt erst begann man
mit den echten Werken der Hellenen vertraut zu werden. Winckelmann
hatte einst fast nur die römischen Nachbildungen der griechischen Kunst
kennen gelernt und noch gar nicht bemerkt, welchen weiten Weg das Alter-
thum von den dorischen Zeiten und den goldenen Tagen des Perikles
bis herab zu der Epoche der hadrianischen Nachblüthe durchlaufen hatte.
Seit dem Anfang des neuen Jahrhunderts wurde der Boden Griechen-
lands selbst durchforscht; die Elginschen Marmorwerke wanderten nach
London, die Aegineten im Jahre 1816 nach München. Mit der Erkennt-
niß wuchs die Bewunderung für die Antike. Zugleich trat in Rom jener
nachgeborene Hellene auf, der wie kein anderer moderner Mensch in der
classischen Formenwelt lebte und nur durch ein räthselhaftes Spiel des
Schicksals in diese neuen Jahrhunderte verschlagen schien. Eine starke
germanische Ader lag doch in Thorwaldsens mächtiger Natur. Den Deut-
schen sprach seine Kunst unmittelbar zum Herzen, sie zählten den Islän-
der halb zu den Ihren; hatte er doch an dem Nachlaß des Deutschen

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
aus allen Landestheilen des Staates ſchloſſen ſich an; York ſtiftete die
ſchweren Zinnen über Meiſters Morgenhellem Gemach, Stein hing ſein
Wappenſchild an einem Pfeiler des oberen Burggangs auf. Bald prang-
ten an den bunten Fenſtern die Bilder aus Preußens alter und neuer
Geſchichte; denn grade in dieſen Jahren erwachte die alte Kunſt der Glas-
malerei, die mit ſo vielen anderen Segnungen der Cultur in den Stür-
men des dreißigjährigen Krieges untergegangen war, wieder zu friſchem
Leben. Da ſtanden unter dem ſchwarzundweißen Banner der Ritter vom
deutſchen Hauſe und der Landwehrmann des Befreiungskrieges; die Gym-
naſien des tapferen Grenzlandes ſchenkten ein Fenſter mit Davids Schwert
und Harfe und der Inſchrift: wer kein Krieger iſt ſoll auch kein Hirte
ſein! Alle Herzensgeheimniſſe des romantiſchen Geſchlechts traten bei
dieſen Spenden an den Tag; wie fühlten die Deutſchen ſich glücklich, daß
ſie wieder ein Recht hatten den Helden ihrer großen Vorzeit frei ins Ge-
ſicht zu ſehen. Alles jubelte, als der junge Kronprinz in den mächtigen
Hallen der alten Burg ein Feſtmahl hielt und nach ſeiner enthuſiaſtiſchen
Weiſe den Trinkſpruch ausbrachte: „Alles Große und Würdige erſtehe
wie dieſer Bau!“

Gleichwohl vermochte die gothiſche Richtung in der Kunſt ebenſo wenig
die Oberhand zu erlangen wie die ſchwäbiſchen Dichter in der Poeſie.
Die Ideen Winckelmanns und Goethes behaupteten noch ihre Macht, nir-
gends kräftiger als in Berlin. Hier ſtanden noch die beſten Werke der
deutſchen Spätrenaiſſance, das Schloß, das Zeughaus und Schlüters
Kurfürſtenſtandbild, die Denkmäler einer claſſiſch gebildeten und doch na-
tionalen Kunſtweiſe, verſtändlicher für das moderne Gefühl als die Bauten
des Mittelalters. Hier in dem Mittelpunkte einer großen, aber jungen
Geſchichte mußte die Rückkehr zu den Bauformen des vierzehnten Jahr-
hunderts als willkürliche Künſtelei erſcheinen. Und jetzt erſt begann man
mit den echten Werken der Hellenen vertraut zu werden. Winckelmann
hatte einſt faſt nur die römiſchen Nachbildungen der griechiſchen Kunſt
kennen gelernt und noch gar nicht bemerkt, welchen weiten Weg das Alter-
thum von den doriſchen Zeiten und den goldenen Tagen des Perikles
bis herab zu der Epoche der hadrianiſchen Nachblüthe durchlaufen hatte.
Seit dem Anfang des neuen Jahrhunderts wurde der Boden Griechen-
lands ſelbſt durchforſcht; die Elginſchen Marmorwerke wanderten nach
London, die Aegineten im Jahre 1816 nach München. Mit der Erkennt-
niß wuchs die Bewunderung für die Antike. Zugleich trat in Rom jener
nachgeborene Hellene auf, der wie kein anderer moderner Menſch in der
claſſiſchen Formenwelt lebte und nur durch ein räthſelhaftes Spiel des
Schickſals in dieſe neuen Jahrhunderte verſchlagen ſchien. Eine ſtarke
germaniſche Ader lag doch in Thorwaldſens mächtiger Natur. Den Deut-
ſchen ſprach ſeine Kunſt unmittelbar zum Herzen, ſie zählten den Islän-
der halb zu den Ihren; hatte er doch an dem Nachlaß des Deutſchen

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[46/0060] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. aus allen Landestheilen des Staates ſchloſſen ſich an; York ſtiftete die ſchweren Zinnen über Meiſters Morgenhellem Gemach, Stein hing ſein Wappenſchild an einem Pfeiler des oberen Burggangs auf. Bald prang- ten an den bunten Fenſtern die Bilder aus Preußens alter und neuer Geſchichte; denn grade in dieſen Jahren erwachte die alte Kunſt der Glas- malerei, die mit ſo vielen anderen Segnungen der Cultur in den Stür- men des dreißigjährigen Krieges untergegangen war, wieder zu friſchem Leben. Da ſtanden unter dem ſchwarzundweißen Banner der Ritter vom deutſchen Hauſe und der Landwehrmann des Befreiungskrieges; die Gym- naſien des tapferen Grenzlandes ſchenkten ein Fenſter mit Davids Schwert und Harfe und der Inſchrift: wer kein Krieger iſt ſoll auch kein Hirte ſein! Alle Herzensgeheimniſſe des romantiſchen Geſchlechts traten bei dieſen Spenden an den Tag; wie fühlten die Deutſchen ſich glücklich, daß ſie wieder ein Recht hatten den Helden ihrer großen Vorzeit frei ins Ge- ſicht zu ſehen. Alles jubelte, als der junge Kronprinz in den mächtigen Hallen der alten Burg ein Feſtmahl hielt und nach ſeiner enthuſiaſtiſchen Weiſe den Trinkſpruch ausbrachte: „Alles Große und Würdige erſtehe wie dieſer Bau!“ Gleichwohl vermochte die gothiſche Richtung in der Kunſt ebenſo wenig die Oberhand zu erlangen wie die ſchwäbiſchen Dichter in der Poeſie. Die Ideen Winckelmanns und Goethes behaupteten noch ihre Macht, nir- gends kräftiger als in Berlin. Hier ſtanden noch die beſten Werke der deutſchen Spätrenaiſſance, das Schloß, das Zeughaus und Schlüters Kurfürſtenſtandbild, die Denkmäler einer claſſiſch gebildeten und doch na- tionalen Kunſtweiſe, verſtändlicher für das moderne Gefühl als die Bauten des Mittelalters. Hier in dem Mittelpunkte einer großen, aber jungen Geſchichte mußte die Rückkehr zu den Bauformen des vierzehnten Jahr- hunderts als willkürliche Künſtelei erſcheinen. Und jetzt erſt begann man mit den echten Werken der Hellenen vertraut zu werden. Winckelmann hatte einſt faſt nur die römiſchen Nachbildungen der griechiſchen Kunſt kennen gelernt und noch gar nicht bemerkt, welchen weiten Weg das Alter- thum von den doriſchen Zeiten und den goldenen Tagen des Perikles bis herab zu der Epoche der hadrianiſchen Nachblüthe durchlaufen hatte. Seit dem Anfang des neuen Jahrhunderts wurde der Boden Griechen- lands ſelbſt durchforſcht; die Elginſchen Marmorwerke wanderten nach London, die Aegineten im Jahre 1816 nach München. Mit der Erkennt- niß wuchs die Bewunderung für die Antike. Zugleich trat in Rom jener nachgeborene Hellene auf, der wie kein anderer moderner Menſch in der claſſiſchen Formenwelt lebte und nur durch ein räthſelhaftes Spiel des Schickſals in dieſe neuen Jahrhunderte verſchlagen ſchien. Eine ſtarke germaniſche Ader lag doch in Thorwaldſens mächtiger Natur. Den Deut- ſchen ſprach ſeine Kunſt unmittelbar zum Herzen, ſie zählten den Islän- der halb zu den Ihren; hatte er doch an dem Nachlaß des Deutſchen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/60>, abgerufen am 27.04.2024.