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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Gothik.
den weiten Abstand zwischen dem Kennen und dem Können. Wo ihm
unter seinen Verehrern schöpferische Begabung begegnete, da thaute er
auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelssohn-Bartholdy
entgegen und freute sich mit den glücklichen Eltern des schönen Vereines
von feiner Bildung und echtem Talent. --

Als die Dichtung schon in den Herbst eintrat, begann für die bil-
denden Künste erst die Zeit der Blüthe. So lange die Begeisterung der
Kriegsjahre anhielt wurde die gothische Kunst allgemein als die wahr-
haft deutsche gepriesen. Die Jugend schien sich für immer von den antiken
Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieterisch: "man soll an
keiner deutschen Wand mehr Heidenbilder sehn!" Viele der Freiwilligen
aus dem Osten lernten auf den Märschen am Rhein zuerst den Formen-
reichthum unserer Vorzeit kennen; sie meinten in diesen alten Domen die
allein giltigen Musterbilder für die vaterländische Kunst zu finden und
bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs
überall der nämliche "altdeutsche" Stil begegnete. Wenn sie zu dem alten
Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor-
schauten, dann dachten sie mit ihrem ritterlichen Sänger: "daß das Werk
verschoben bis die rechten Meister nah'n!" Der Kronprinz fühlte sich
ganz überwältigt von dem Anblick der majestätischen Ruine; auf seinen
Betrieb wurde Schinkel nach Köln gesendet und erklärte in seinem Gut-
achten: einen solchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden.

Von dieser Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm
berührt, als er nach dem ersten Pariser Frieden beschloß, das Gedächtniß
der deutschen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutschen Do-
mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von
allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeisterschloß, die von der Roheit
der Polen und dem prosaischen Kaltsinn des fridericianischen Beamtenthums
so schändlich verstümmelte Marienburg müsse in ihrer alten Pracht wieder
aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das
sich so gern rühmte die anderen Deutschen zum heiligen Kampfe erweckt
zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußischen Provinzial-
stolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies schönste welt-
liche Bauwerk unseres Mittelalters zu einem preußischen Westminster zu
erheben, woran Jeder aus dem Volke seinen Antheil nähme. Der König
übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwischenwände, die ein phili-
sterhaftes Geschlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen
zusammen; über den schlanken Pfeilern der Remter erhoben sich wieder
leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothischen Ge-
wölbe. Die Ausschmückung des Ordensschlosses überließ man der Nation.
Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte selber einen
Theil des Bauwerks künstlerisch ausstatten. Der Adel, die Städte, die
Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geschenken, Patrioten

Die Gothik.
den weiten Abſtand zwiſchen dem Kennen und dem Können. Wo ihm
unter ſeinen Verehrern ſchöpferiſche Begabung begegnete, da thaute er
auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelsſohn-Bartholdy
entgegen und freute ſich mit den glücklichen Eltern des ſchönen Vereines
von feiner Bildung und echtem Talent. —

Als die Dichtung ſchon in den Herbſt eintrat, begann für die bil-
denden Künſte erſt die Zeit der Blüthe. So lange die Begeiſterung der
Kriegsjahre anhielt wurde die gothiſche Kunſt allgemein als die wahr-
haft deutſche geprieſen. Die Jugend ſchien ſich für immer von den antiken
Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieteriſch: „man ſoll an
keiner deutſchen Wand mehr Heidenbilder ſehn!“ Viele der Freiwilligen
aus dem Oſten lernten auf den Märſchen am Rhein zuerſt den Formen-
reichthum unſerer Vorzeit kennen; ſie meinten in dieſen alten Domen die
allein giltigen Muſterbilder für die vaterländiſche Kunſt zu finden und
bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs
überall der nämliche „altdeutſche“ Stil begegnete. Wenn ſie zu dem alten
Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor-
ſchauten, dann dachten ſie mit ihrem ritterlichen Sänger: „daß das Werk
verſchoben bis die rechten Meiſter nah’n!“ Der Kronprinz fühlte ſich
ganz überwältigt von dem Anblick der majeſtätiſchen Ruine; auf ſeinen
Betrieb wurde Schinkel nach Köln geſendet und erklärte in ſeinem Gut-
achten: einen ſolchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden.

Von dieſer Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm
berührt, als er nach dem erſten Pariſer Frieden beſchloß, das Gedächtniß
der deutſchen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutſchen Do-
mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von
allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeiſterſchloß, die von der Roheit
der Polen und dem proſaiſchen Kaltſinn des fridericianiſchen Beamtenthums
ſo ſchändlich verſtümmelte Marienburg müſſe in ihrer alten Pracht wieder
aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das
ſich ſo gern rühmte die anderen Deutſchen zum heiligen Kampfe erweckt
zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußiſchen Provinzial-
ſtolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies ſchönſte welt-
liche Bauwerk unſeres Mittelalters zu einem preußiſchen Weſtminſter zu
erheben, woran Jeder aus dem Volke ſeinen Antheil nähme. Der König
übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwiſchenwände, die ein phili-
ſterhaftes Geſchlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen
zuſammen; über den ſchlanken Pfeilern der Remter erhoben ſich wieder
leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothiſchen Ge-
wölbe. Die Ausſchmückung des Ordensſchloſſes überließ man der Nation.
Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte ſelber einen
Theil des Bauwerks künſtleriſch ausſtatten. Der Adel, die Städte, die
Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geſchenken, Patrioten

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[45/0059] Die Gothik. den weiten Abſtand zwiſchen dem Kennen und dem Können. Wo ihm unter ſeinen Verehrern ſchöpferiſche Begabung begegnete, da thaute er auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelsſohn-Bartholdy entgegen und freute ſich mit den glücklichen Eltern des ſchönen Vereines von feiner Bildung und echtem Talent. — Als die Dichtung ſchon in den Herbſt eintrat, begann für die bil- denden Künſte erſt die Zeit der Blüthe. So lange die Begeiſterung der Kriegsjahre anhielt wurde die gothiſche Kunſt allgemein als die wahr- haft deutſche geprieſen. Die Jugend ſchien ſich für immer von den antiken Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieteriſch: „man ſoll an keiner deutſchen Wand mehr Heidenbilder ſehn!“ Viele der Freiwilligen aus dem Oſten lernten auf den Märſchen am Rhein zuerſt den Formen- reichthum unſerer Vorzeit kennen; ſie meinten in dieſen alten Domen die allein giltigen Muſterbilder für die vaterländiſche Kunſt zu finden und bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs überall der nämliche „altdeutſche“ Stil begegnete. Wenn ſie zu dem alten Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor- ſchauten, dann dachten ſie mit ihrem ritterlichen Sänger: „daß das Werk verſchoben bis die rechten Meiſter nah’n!“ Der Kronprinz fühlte ſich ganz überwältigt von dem Anblick der majeſtätiſchen Ruine; auf ſeinen Betrieb wurde Schinkel nach Köln geſendet und erklärte in ſeinem Gut- achten: einen ſolchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden. Von dieſer Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm berührt, als er nach dem erſten Pariſer Frieden beſchloß, das Gedächtniß der deutſchen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutſchen Do- mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeiſterſchloß, die von der Roheit der Polen und dem proſaiſchen Kaltſinn des fridericianiſchen Beamtenthums ſo ſchändlich verſtümmelte Marienburg müſſe in ihrer alten Pracht wieder aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das ſich ſo gern rühmte die anderen Deutſchen zum heiligen Kampfe erweckt zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußiſchen Provinzial- ſtolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies ſchönſte welt- liche Bauwerk unſeres Mittelalters zu einem preußiſchen Weſtminſter zu erheben, woran Jeder aus dem Volke ſeinen Antheil nähme. Der König übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwiſchenwände, die ein phili- ſterhaftes Geſchlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen zuſammen; über den ſchlanken Pfeilern der Remter erhoben ſich wieder leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothiſchen Ge- wölbe. Die Ausſchmückung des Ordensſchloſſes überließ man der Nation. Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte ſelber einen Theil des Bauwerks künſtleriſch ausſtatten. Der Adel, die Städte, die Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geſchenken, Patrioten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/59>, abgerufen am 27.04.2024.