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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
deren Geheimhaltung angelobt war, für mehrere der ausgeschlossenen kleinen
Höfe abschreiben.

Mittlerweile suchte König Wilhelm auch noch das Einzige zu zerstören
was in dieser düstern Epoche unserer Geschichte erfreulich war, den Ein-
muth der deutschen Kronen gegenüber dem Auslande. Im Oktober ging
er nach Warschau, um seinen kaiserlichen Schwager gegen die beiden deut-
schen Großmächte aufzuwiegeln; Metternich aber befahl sofort dem Ge-
sandten Lebzeltern, sich ebenfalls in der polnischen Hauptstadt einzufinden.*)
Die Vorsicht war kaum nöthig. Czar Alexander empfing seinen Schwager
sehr kühl; dies Uebermaß der Falschheit ekelte ihn doch an, obwohl er
selber die krummen Wege nicht immer verschmähte. Er scheute sich nicht
vor den fremden Diplomaten offen auszusprechen: erst zweimal die Karls-
bader Beschlüsse förmlich annehmen, dann ihnen zuwiderhandeln und schließ-
lich noch meine Hilfe anrufen, das nenne ich ein schlechtes Handwerk (de
la mauvaise besogne);
den Feinen zu spielen ist immer die übelste Politik.**)
Der Württemberger mußte unverrichteter Dinge abziehen und versuchte dann
noch einmal bei einem Besuch in Karlsruhe, den badischen Hof zu einem
liberalen Sonderbunde zu verleiten; aber weder der Großherzog, noch der
hochconservative Berkheim, der ihm jetzt zur Seite stand, wollte sich auf
diese Zettelungen einlassen. Zur selben Zeit ließ König Wilhelm die bai-
rische Regierung dringend bitten, daß sie doch ja bei der Ausführung der
Karlsbader Beschlüsse keine unnützen Bedenklichkeiten zeigen möge; denn
nachdem er selber jene Beschlüsse ohne Vorbehalt bekannt gemacht, durfte
kein anderer deutscher Fürst liberaler scheinen als er.***)

Und diesen König, der so würdelos zwischen despotischen Neigungen
und liberalisirendem Ehrgeiz schwankte, pries sein treues Völkchen, in harm-
loser Unkenntniß, als den Hort und Halt germanischer Freiheit. "Nie
hat Württemberg eine ruhmwürdigere Stellung gehabt", schrieb Wangen-
heim glückselig, "und wird sie ganz begriffen und einsichtsvoll behauptet,
so gewinnt es eine innere Stärke, die jeder äußeren gewachsen bleibt."+)
Als König Wilhelm aus Warschau heimkehrte, erwarteten ihn die Bürger
Stuttgarts in hellen Haufen draußen am Thor, spannten ihm die Pferde
aus, zogen den Wagen selber vor das Schloß. Dort standen die Schul-
kinder und sangen "Nun danket Alle Gott!" Alles Volk stimmte mit ein,
ernste Männer vergossen Thränen der Rührung. Am Abend flammten
die Freudenfeuer auf den Bergen, und im Theater ward Uhlands Ernst
von Schwaben aufgeführt. Das Haus erdröhnte von Beifall, als ein

*) Weisung an Krusemark, 1. Okt. 1819.
**) Lebzelterns Bericht aus Warschau (in Krusemarks Bericht, Wien 8. Dec.), Blitters-
dorffs Bericht, Petersburg 7. Nov. 1819.
***) Berstett an Großherzog Ludwig, Wien 12. Dec.; Zastrows Bericht, München
6. Nov. 1819.
+) Wangenheim an Hartmann, 6. Nov. 1819.

II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
deren Geheimhaltung angelobt war, für mehrere der ausgeſchloſſenen kleinen
Höfe abſchreiben.

Mittlerweile ſuchte König Wilhelm auch noch das Einzige zu zerſtören
was in dieſer düſtern Epoche unſerer Geſchichte erfreulich war, den Ein-
muth der deutſchen Kronen gegenüber dem Auslande. Im Oktober ging
er nach Warſchau, um ſeinen kaiſerlichen Schwager gegen die beiden deut-
ſchen Großmächte aufzuwiegeln; Metternich aber befahl ſofort dem Ge-
ſandten Lebzeltern, ſich ebenfalls in der polniſchen Hauptſtadt einzufinden.*)
Die Vorſicht war kaum nöthig. Czar Alexander empfing ſeinen Schwager
ſehr kühl; dies Uebermaß der Falſchheit ekelte ihn doch an, obwohl er
ſelber die krummen Wege nicht immer verſchmähte. Er ſcheute ſich nicht
vor den fremden Diplomaten offen auszuſprechen: erſt zweimal die Karls-
bader Beſchlüſſe förmlich annehmen, dann ihnen zuwiderhandeln und ſchließ-
lich noch meine Hilfe anrufen, das nenne ich ein ſchlechtes Handwerk (de
la mauvaise besogne);
den Feinen zu ſpielen iſt immer die übelſte Politik.**)
Der Württemberger mußte unverrichteter Dinge abziehen und verſuchte dann
noch einmal bei einem Beſuch in Karlsruhe, den badiſchen Hof zu einem
liberalen Sonderbunde zu verleiten; aber weder der Großherzog, noch der
hochconſervative Berkheim, der ihm jetzt zur Seite ſtand, wollte ſich auf
dieſe Zettelungen einlaſſen. Zur ſelben Zeit ließ König Wilhelm die bai-
riſche Regierung dringend bitten, daß ſie doch ja bei der Ausführung der
Karlsbader Beſchlüſſe keine unnützen Bedenklichkeiten zeigen möge; denn
nachdem er ſelber jene Beſchlüſſe ohne Vorbehalt bekannt gemacht, durfte
kein anderer deutſcher Fürſt liberaler ſcheinen als er.***)

Und dieſen König, der ſo würdelos zwiſchen despotiſchen Neigungen
und liberaliſirendem Ehrgeiz ſchwankte, pries ſein treues Völkchen, in harm-
loſer Unkenntniß, als den Hort und Halt germaniſcher Freiheit. „Nie
hat Württemberg eine ruhmwürdigere Stellung gehabt“, ſchrieb Wangen-
heim glückſelig, „und wird ſie ganz begriffen und einſichtsvoll behauptet,
ſo gewinnt es eine innere Stärke, die jeder äußeren gewachſen bleibt.“†)
Als König Wilhelm aus Warſchau heimkehrte, erwarteten ihn die Bürger
Stuttgarts in hellen Haufen draußen am Thor, ſpannten ihm die Pferde
aus, zogen den Wagen ſelber vor das Schloß. Dort ſtanden die Schul-
kinder und ſangen „Nun danket Alle Gott!“ Alles Volk ſtimmte mit ein,
ernſte Männer vergoſſen Thränen der Rührung. Am Abend flammten
die Freudenfeuer auf den Bergen, und im Theater ward Uhlands Ernſt
von Schwaben aufgeführt. Das Haus erdröhnte von Beifall, als ein

*) Weiſung an Kruſemark, 1. Okt. 1819.
**) Lebzelterns Bericht aus Warſchau (in Kruſemarks Bericht, Wien 8. Dec.), Blitters-
dorffs Bericht, Petersburg 7. Nov. 1819.
***) Berſtett an Großherzog Ludwig, Wien 12. Dec.; Zaſtrows Bericht, München
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†) Wangenheim an Hartmann, 6. Nov. 1819.
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[584/0598] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. deren Geheimhaltung angelobt war, für mehrere der ausgeſchloſſenen kleinen Höfe abſchreiben. Mittlerweile ſuchte König Wilhelm auch noch das Einzige zu zerſtören was in dieſer düſtern Epoche unſerer Geſchichte erfreulich war, den Ein- muth der deutſchen Kronen gegenüber dem Auslande. Im Oktober ging er nach Warſchau, um ſeinen kaiſerlichen Schwager gegen die beiden deut- ſchen Großmächte aufzuwiegeln; Metternich aber befahl ſofort dem Ge- ſandten Lebzeltern, ſich ebenfalls in der polniſchen Hauptſtadt einzufinden. *) Die Vorſicht war kaum nöthig. Czar Alexander empfing ſeinen Schwager ſehr kühl; dies Uebermaß der Falſchheit ekelte ihn doch an, obwohl er ſelber die krummen Wege nicht immer verſchmähte. Er ſcheute ſich nicht vor den fremden Diplomaten offen auszuſprechen: erſt zweimal die Karls- bader Beſchlüſſe förmlich annehmen, dann ihnen zuwiderhandeln und ſchließ- lich noch meine Hilfe anrufen, das nenne ich ein ſchlechtes Handwerk (de la mauvaise besogne); den Feinen zu ſpielen iſt immer die übelſte Politik. **) Der Württemberger mußte unverrichteter Dinge abziehen und verſuchte dann noch einmal bei einem Beſuch in Karlsruhe, den badiſchen Hof zu einem liberalen Sonderbunde zu verleiten; aber weder der Großherzog, noch der hochconſervative Berkheim, der ihm jetzt zur Seite ſtand, wollte ſich auf dieſe Zettelungen einlaſſen. Zur ſelben Zeit ließ König Wilhelm die bai- riſche Regierung dringend bitten, daß ſie doch ja bei der Ausführung der Karlsbader Beſchlüſſe keine unnützen Bedenklichkeiten zeigen möge; denn nachdem er ſelber jene Beſchlüſſe ohne Vorbehalt bekannt gemacht, durfte kein anderer deutſcher Fürſt liberaler ſcheinen als er. ***) Und dieſen König, der ſo würdelos zwiſchen despotiſchen Neigungen und liberaliſirendem Ehrgeiz ſchwankte, pries ſein treues Völkchen, in harm- loſer Unkenntniß, als den Hort und Halt germaniſcher Freiheit. „Nie hat Württemberg eine ruhmwürdigere Stellung gehabt“, ſchrieb Wangen- heim glückſelig, „und wird ſie ganz begriffen und einſichtsvoll behauptet, ſo gewinnt es eine innere Stärke, die jeder äußeren gewachſen bleibt.“ †) Als König Wilhelm aus Warſchau heimkehrte, erwarteten ihn die Bürger Stuttgarts in hellen Haufen draußen am Thor, ſpannten ihm die Pferde aus, zogen den Wagen ſelber vor das Schloß. Dort ſtanden die Schul- kinder und ſangen „Nun danket Alle Gott!“ Alles Volk ſtimmte mit ein, ernſte Männer vergoſſen Thränen der Rührung. Am Abend flammten die Freudenfeuer auf den Bergen, und im Theater ward Uhlands Ernſt von Schwaben aufgeführt. Das Haus erdröhnte von Beifall, als ein *) Weiſung an Kruſemark, 1. Okt. 1819. **) Lebzelterns Bericht aus Warſchau (in Kruſemarks Bericht, Wien 8. Dec.), Blitters- dorffs Bericht, Petersburg 7. Nov. 1819. ***) Berſtett an Großherzog Ludwig, Wien 12. Dec.; Zaſtrows Bericht, München 6. Nov. 1819. †) Wangenheim an Hartmann, 6. Nov. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/598>, abgerufen am 22.11.2024.