Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Württembergische Ränke.
schwunghafter Prolog den Fürsten feierte, der in wildverworrener Zeit hoch-
herzig seinem Volk die Hand reiche: "Noch steigen Götter auf die Erde
nieder." Um dem Glanze schwäbischer Freiheit einen wirksamen Hintergrund
zu geben, schilderte der Dichter auch die tiefe Finsterniß der preußischen
Zustände und sagte, mit Anspielung auf Görres:

Das ist der Fluch des unglücksel'gen Lands,
Wo Freiheit und Gesetz darniederliegt,
Und die noch jüngst des Landes Retter hießen
Sich flüchten müssen an des Fremden Heerd.

So feierte ein deutscher Stamm einen Fürsten, der soeben die Russen
auf seine deutschen Bundesgenossen zu hetzen versucht hatte; des gemein-
samen Vaterlands gedachte Niemand mehr in dem Rausche württembergischer
Freiheitsbegeisterung. Seit der Deutsche Bund sich dem Volke entfremdet
hatte, erhob der Partikularismus wieder frech sein Haupt. In Ulm trat
eine große Anzahl württembergischer Offiziere unter der Führung des
Generals Hügel zusammen und sendete dem Könige eine von rheinbünd-
lerischem Größenwahnsinn überströmende Adresse.*) Die Bittsteller verherr-
lichten zunächst ihre "von dem Geiste der Wahrheit gezeugte, von der Liebe
des Rechts empfangene" Verfassung und ergingen sich sodann in wüthenden
Schimpfreden gegen jene "fremden Regierungen, welche das Glück des würt-
tembergischen Volkes mit Schmähsucht betrachten und sich in thörichtem
Wahne vermessen, den Württemberger vor eine fremde Inquisition in das
Ausland zu schleppen, um ihn dort nach unwürttembergischen Gesetzen zu
richten." Sie forderten schließlich -- noch deutlicher als einige Monate zuvor
die Liberalen der bairischen Kammer -- gradezu den Krieg gegen die beiden
Großmächte, "den rühmlichsten Kampf für die heiligsten Güter eines mün-
digen Volkes: das ganze Volk wird begeisterungsvoll unsere Reihen ver-
stärken!" Wie kindisch auch diese Prahlereien klangen, in Wien und Berlin
ward der Vorfall doch sehr ernst genommen; denn was sollte aus dem
deutschen Bundesheere werden, wenn jener zuchtlose politische Parteigeist,
der sich bereits im bairischen Heer mehrmals geäußert hatte, nun auch in
andere der kleinen napoleonischen Contingente hinüberdrang? Beide Groß-
mächte verlangten in Stuttgart strenges Einschreiten gegen die Unterzeichner
der Adresse. König Wilhelm gehorchte, aber die Strafen fielen so mild
aus, daß man seine wahre Meinung leicht errathen konnte. Eine solche
Politik, unwahr und widerspruchsvoll in jedem Worte, konnte den Triumph-
zug Oesterreichs wahrlich nicht aufhalten. --

Die Warschauer Reise König Wilhelms erschien um so thörichter, da
die russische Politik jenen Zustand rathloser Unsicherheit, dem sie seit dem
Frühjahr 1818 verfallen war, noch immer nicht überwunden hatte. Nessel-
rode zeigte sich nach wie vor als ergebener Schüler Metternichs, billigte

*) Zastrows Bericht, 17. Nov. 1819.

Württembergiſche Ränke.
ſchwunghafter Prolog den Fürſten feierte, der in wildverworrener Zeit hoch-
herzig ſeinem Volk die Hand reiche: „Noch ſteigen Götter auf die Erde
nieder.“ Um dem Glanze ſchwäbiſcher Freiheit einen wirkſamen Hintergrund
zu geben, ſchilderte der Dichter auch die tiefe Finſterniß der preußiſchen
Zuſtände und ſagte, mit Anſpielung auf Görres:

Das iſt der Fluch des unglückſel’gen Lands,
Wo Freiheit und Geſetz darniederliegt,
Und die noch jüngſt des Landes Retter hießen
Sich flüchten müſſen an des Fremden Heerd.

So feierte ein deutſcher Stamm einen Fürſten, der ſoeben die Ruſſen
auf ſeine deutſchen Bundesgenoſſen zu hetzen verſucht hatte; des gemein-
ſamen Vaterlands gedachte Niemand mehr in dem Rauſche württembergiſcher
Freiheitsbegeiſterung. Seit der Deutſche Bund ſich dem Volke entfremdet
hatte, erhob der Partikularismus wieder frech ſein Haupt. In Ulm trat
eine große Anzahl württembergiſcher Offiziere unter der Führung des
Generals Hügel zuſammen und ſendete dem Könige eine von rheinbünd-
leriſchem Größenwahnſinn überſtrömende Adreſſe.*) Die Bittſteller verherr-
lichten zunächſt ihre „von dem Geiſte der Wahrheit gezeugte, von der Liebe
des Rechts empfangene“ Verfaſſung und ergingen ſich ſodann in wüthenden
Schimpfreden gegen jene „fremden Regierungen, welche das Glück des würt-
tembergiſchen Volkes mit Schmähſucht betrachten und ſich in thörichtem
Wahne vermeſſen, den Württemberger vor eine fremde Inquiſition in das
Ausland zu ſchleppen, um ihn dort nach unwürttembergiſchen Geſetzen zu
richten.“ Sie forderten ſchließlich — noch deutlicher als einige Monate zuvor
die Liberalen der bairiſchen Kammer — gradezu den Krieg gegen die beiden
Großmächte, „den rühmlichſten Kampf für die heiligſten Güter eines mün-
digen Volkes: das ganze Volk wird begeiſterungsvoll unſere Reihen ver-
ſtärken!“ Wie kindiſch auch dieſe Prahlereien klangen, in Wien und Berlin
ward der Vorfall doch ſehr ernſt genommen; denn was ſollte aus dem
deutſchen Bundesheere werden, wenn jener zuchtloſe politiſche Parteigeiſt,
der ſich bereits im bairiſchen Heer mehrmals geäußert hatte, nun auch in
andere der kleinen napoleoniſchen Contingente hinüberdrang? Beide Groß-
mächte verlangten in Stuttgart ſtrenges Einſchreiten gegen die Unterzeichner
der Adreſſe. König Wilhelm gehorchte, aber die Strafen fielen ſo mild
aus, daß man ſeine wahre Meinung leicht errathen konnte. Eine ſolche
Politik, unwahr und widerſpruchsvoll in jedem Worte, konnte den Triumph-
zug Oeſterreichs wahrlich nicht aufhalten. —

Die Warſchauer Reiſe König Wilhelms erſchien um ſo thörichter, da
die ruſſiſche Politik jenen Zuſtand rathloſer Unſicherheit, dem ſie ſeit dem
Frühjahr 1818 verfallen war, noch immer nicht überwunden hatte. Neſſel-
rode zeigte ſich nach wie vor als ergebener Schüler Metternichs, billigte

*) Zaſtrows Bericht, 17. Nov. 1819.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0599" n="585"/><fw place="top" type="header">Württembergi&#x017F;che Ränke.</fw><lb/>
&#x017F;chwunghafter Prolog den Für&#x017F;ten feierte, der in wildverworrener Zeit hoch-<lb/>
herzig &#x017F;einem Volk die Hand reiche: &#x201E;Noch &#x017F;teigen Götter auf die Erde<lb/>
nieder.&#x201C; Um dem Glanze &#x017F;chwäbi&#x017F;cher Freiheit einen wirk&#x017F;amen Hintergrund<lb/>
zu geben, &#x017F;childerte der Dichter auch die tiefe Fin&#x017F;terniß der preußi&#x017F;chen<lb/>
Zu&#x017F;tände und &#x017F;agte, mit An&#x017F;pielung auf Görres:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Das i&#x017F;t der Fluch des unglück&#x017F;el&#x2019;gen Lands,</l><lb/>
            <l>Wo Freiheit und Ge&#x017F;etz darniederliegt,</l><lb/>
            <l>Und die noch jüng&#x017F;t des Landes Retter hießen</l><lb/>
            <l>Sich flüchten mü&#x017F;&#x017F;en an des Fremden Heerd.</l>
          </lg><lb/>
          <p>So feierte ein deut&#x017F;cher Stamm einen Für&#x017F;ten, der &#x017F;oeben die Ru&#x017F;&#x017F;en<lb/>
auf &#x017F;eine deut&#x017F;chen Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en zu hetzen ver&#x017F;ucht hatte; des gemein-<lb/>
&#x017F;amen Vaterlands gedachte Niemand mehr in dem Rau&#x017F;che württembergi&#x017F;cher<lb/>
Freiheitsbegei&#x017F;terung. Seit der Deut&#x017F;che Bund &#x017F;ich dem Volke entfremdet<lb/>
hatte, erhob der Partikularismus wieder frech &#x017F;ein Haupt. In Ulm trat<lb/>
eine große Anzahl württembergi&#x017F;cher Offiziere unter der Führung des<lb/>
Generals Hügel zu&#x017F;ammen und &#x017F;endete dem Könige eine von rheinbünd-<lb/>
leri&#x017F;chem Größenwahn&#x017F;inn über&#x017F;trömende Adre&#x017F;&#x017F;e.<note place="foot" n="*)">Za&#x017F;trows Bericht, 17. Nov. 1819.</note> Die Bitt&#x017F;teller verherr-<lb/>
lichten zunäch&#x017F;t ihre &#x201E;von dem Gei&#x017F;te der Wahrheit gezeugte, von der Liebe<lb/>
des Rechts empfangene&#x201C; Verfa&#x017F;&#x017F;ung und ergingen &#x017F;ich &#x017F;odann in wüthenden<lb/>
Schimpfreden gegen jene &#x201E;fremden Regierungen, welche das Glück des würt-<lb/>
tembergi&#x017F;chen Volkes mit Schmäh&#x017F;ucht betrachten und &#x017F;ich in thörichtem<lb/>
Wahne verme&#x017F;&#x017F;en, den Württemberger vor eine fremde Inqui&#x017F;ition in das<lb/>
Ausland zu &#x017F;chleppen, um ihn dort nach unwürttembergi&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen zu<lb/>
richten.&#x201C; Sie forderten &#x017F;chließlich &#x2014; noch deutlicher als einige Monate zuvor<lb/>
die Liberalen der bairi&#x017F;chen Kammer &#x2014; gradezu den Krieg gegen die beiden<lb/>
Großmächte, &#x201E;den rühmlich&#x017F;ten Kampf für die heilig&#x017F;ten Güter eines mün-<lb/>
digen Volkes: das ganze Volk wird begei&#x017F;terungsvoll un&#x017F;ere Reihen ver-<lb/>
&#x017F;tärken!&#x201C; Wie kindi&#x017F;ch auch die&#x017F;e Prahlereien klangen, in Wien und Berlin<lb/>
ward der Vorfall doch &#x017F;ehr ern&#x017F;t genommen; denn was &#x017F;ollte aus dem<lb/>
deut&#x017F;chen Bundesheere werden, wenn jener zuchtlo&#x017F;e politi&#x017F;che Parteigei&#x017F;t,<lb/>
der &#x017F;ich bereits im bairi&#x017F;chen Heer mehrmals geäußert hatte, nun auch in<lb/>
andere der kleinen napoleoni&#x017F;chen Contingente hinüberdrang? Beide Groß-<lb/>
mächte verlangten in Stuttgart &#x017F;trenges Ein&#x017F;chreiten gegen die Unterzeichner<lb/>
der Adre&#x017F;&#x017F;e. König Wilhelm gehorchte, aber die Strafen fielen &#x017F;o mild<lb/>
aus, daß man &#x017F;eine wahre Meinung leicht errathen konnte. Eine &#x017F;olche<lb/>
Politik, unwahr und wider&#x017F;pruchsvoll in jedem Worte, konnte den Triumph-<lb/>
zug Oe&#x017F;terreichs wahrlich nicht aufhalten. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die War&#x017F;chauer Rei&#x017F;e König Wilhelms er&#x017F;chien um &#x017F;o thörichter, da<lb/>
die ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Politik jenen Zu&#x017F;tand rathlo&#x017F;er Un&#x017F;icherheit, dem &#x017F;ie &#x017F;eit dem<lb/>
Frühjahr 1818 verfallen war, noch immer nicht überwunden hatte. Ne&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
rode zeigte &#x017F;ich nach wie vor als ergebener Schüler Metternichs, billigte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[585/0599] Württembergiſche Ränke. ſchwunghafter Prolog den Fürſten feierte, der in wildverworrener Zeit hoch- herzig ſeinem Volk die Hand reiche: „Noch ſteigen Götter auf die Erde nieder.“ Um dem Glanze ſchwäbiſcher Freiheit einen wirkſamen Hintergrund zu geben, ſchilderte der Dichter auch die tiefe Finſterniß der preußiſchen Zuſtände und ſagte, mit Anſpielung auf Görres: Das iſt der Fluch des unglückſel’gen Lands, Wo Freiheit und Geſetz darniederliegt, Und die noch jüngſt des Landes Retter hießen Sich flüchten müſſen an des Fremden Heerd. So feierte ein deutſcher Stamm einen Fürſten, der ſoeben die Ruſſen auf ſeine deutſchen Bundesgenoſſen zu hetzen verſucht hatte; des gemein- ſamen Vaterlands gedachte Niemand mehr in dem Rauſche württembergiſcher Freiheitsbegeiſterung. Seit der Deutſche Bund ſich dem Volke entfremdet hatte, erhob der Partikularismus wieder frech ſein Haupt. In Ulm trat eine große Anzahl württembergiſcher Offiziere unter der Führung des Generals Hügel zuſammen und ſendete dem Könige eine von rheinbünd- leriſchem Größenwahnſinn überſtrömende Adreſſe. *) Die Bittſteller verherr- lichten zunächſt ihre „von dem Geiſte der Wahrheit gezeugte, von der Liebe des Rechts empfangene“ Verfaſſung und ergingen ſich ſodann in wüthenden Schimpfreden gegen jene „fremden Regierungen, welche das Glück des würt- tembergiſchen Volkes mit Schmähſucht betrachten und ſich in thörichtem Wahne vermeſſen, den Württemberger vor eine fremde Inquiſition in das Ausland zu ſchleppen, um ihn dort nach unwürttembergiſchen Geſetzen zu richten.“ Sie forderten ſchließlich — noch deutlicher als einige Monate zuvor die Liberalen der bairiſchen Kammer — gradezu den Krieg gegen die beiden Großmächte, „den rühmlichſten Kampf für die heiligſten Güter eines mün- digen Volkes: das ganze Volk wird begeiſterungsvoll unſere Reihen ver- ſtärken!“ Wie kindiſch auch dieſe Prahlereien klangen, in Wien und Berlin ward der Vorfall doch ſehr ernſt genommen; denn was ſollte aus dem deutſchen Bundesheere werden, wenn jener zuchtloſe politiſche Parteigeiſt, der ſich bereits im bairiſchen Heer mehrmals geäußert hatte, nun auch in andere der kleinen napoleoniſchen Contingente hinüberdrang? Beide Groß- mächte verlangten in Stuttgart ſtrenges Einſchreiten gegen die Unterzeichner der Adreſſe. König Wilhelm gehorchte, aber die Strafen fielen ſo mild aus, daß man ſeine wahre Meinung leicht errathen konnte. Eine ſolche Politik, unwahr und widerſpruchsvoll in jedem Worte, konnte den Triumph- zug Oeſterreichs wahrlich nicht aufhalten. — Die Warſchauer Reiſe König Wilhelms erſchien um ſo thörichter, da die ruſſiſche Politik jenen Zuſtand rathloſer Unſicherheit, dem ſie ſeit dem Frühjahr 1818 verfallen war, noch immer nicht überwunden hatte. Neſſel- rode zeigte ſich nach wie vor als ergebener Schüler Metternichs, billigte *) Zaſtrows Bericht, 17. Nov. 1819.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/599
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/599>, abgerufen am 09.05.2024.