stände-Verfassung, welche der Gesandte in Petersburg, Graf Bray, auf Metternichs Rath dem Münchener Hofe soeben empfohlen hatte.*)
Nunmehr fühlte sich der schwankende Max Joseph völlig beruhigt; er wußte jetzt, daß er mit dem preußischen Hofe Hand in Hand gehen konnte, ohne seinen Verfassungseid zu verletzen. Auch Wrede, der sich in seiner fahrigen Weise eine Zeit lang für die bairische Souveränität sehr besorgt gezeigt hatte, wurde durch ein schmeichelhaftes Handschreiben Metternichs bekehrt und betheuerte dem preußischen Gesandten seinen tiefen Abscheu gegen die liberalen Ansichten Lerchenfelds. Dieser selbst hatte Mühe sich auf seinem Posten zu behaupten, da sein demagogischer Brief an Wangen- heim dem Könige in die Hände gespielt wurde und den äußersten Zorn des Monarchen erregte.**) Die Demüthigung des Münchener Hofes war vollständig, und um den Sieg der beiden Großmächte auch für die Zu- kunft zu sichern, weigerte sich Rechberg nunmehr zu den Wiener Minister- conferenzen zu gehen. Er wollte in München bleiben, um den unberechen- baren König nicht aus den Augen zu lassen. In Wien sollte Zentner die bairische Krone vertreten, und Rechberg sagte mit feiner Menschen- kenntniß voraus, dieser des Liberalismus verdächtigte Bureaukrat werde als ein warmer Verehrer Metternichs von der Donau heimkehren.***)
Die Unredlichkeit des bairischen Hofes erschien immerhin noch achtungs- werth neben dem Verhalten der Krone Württembergs. König Wilhelm ließ schon am 1. Oktober die Karlsbader Beschlüsse ohne Vorbehalt veröffent- lichen und noch am selben Tage die Censur einführen; gleichwohl hatte er wenige Tage zuvor die neue Verfassung beschworen, welche die Preßfreiheit verhieß und auch sonst den Karlsbader Erklärungen des Ministers Wintzin- gerode vielfach widersprach. Mit gewundenen Versicherungen suchte man diese Zweizüngigkeit vor den beiden Großmächten zu entschuldigen. Nach Allem was geschehen, betheuerte Wintzingerode dem preußischen Gesandten, sei die Krone ihrem Volke einen Beweis des Vertrauens schuldig gewesen; dem Kaiser Franz aber, der ihn in einem eigenhändigen Briefe an die Karlsbader Zusagen gemahnt hatte, antwortete der König: wenn man ihm die Mittel dazu biete, so wolle er gern das übereilte Verfassungswerk wieder zurücknehmen.+) Als die Stadt Eßlingen sich in einer Bittschrift gegen die Karlsbader Beschlüsse aussprach, ertheilte Witzingerode dem Censor, welcher dies gefährliche Aktenstück durchgelassen hatte, einen scharfen Ver- weis. Derselbe Minister bereitete gleichzeitig einen diplomatischen Feldzug für die Wiener Conferenzen vor und ließ, um seinem Hofe einen Anhang unter den Kleinen zu werben, zunächst die Karlsbader Conferenzprotokolle,
ſtände-Verfaſſung, welche der Geſandte in Petersburg, Graf Bray, auf Metternichs Rath dem Münchener Hofe ſoeben empfohlen hatte.*)
Nunmehr fühlte ſich der ſchwankende Max Joſeph völlig beruhigt; er wußte jetzt, daß er mit dem preußiſchen Hofe Hand in Hand gehen konnte, ohne ſeinen Verfaſſungseid zu verletzen. Auch Wrede, der ſich in ſeiner fahrigen Weiſe eine Zeit lang für die bairiſche Souveränität ſehr beſorgt gezeigt hatte, wurde durch ein ſchmeichelhaftes Handſchreiben Metternichs bekehrt und betheuerte dem preußiſchen Geſandten ſeinen tiefen Abſcheu gegen die liberalen Anſichten Lerchenfelds. Dieſer ſelbſt hatte Mühe ſich auf ſeinem Poſten zu behaupten, da ſein demagogiſcher Brief an Wangen- heim dem Könige in die Hände geſpielt wurde und den äußerſten Zorn des Monarchen erregte.**) Die Demüthigung des Münchener Hofes war vollſtändig, und um den Sieg der beiden Großmächte auch für die Zu- kunft zu ſichern, weigerte ſich Rechberg nunmehr zu den Wiener Miniſter- conferenzen zu gehen. Er wollte in München bleiben, um den unberechen- baren König nicht aus den Augen zu laſſen. In Wien ſollte Zentner die bairiſche Krone vertreten, und Rechberg ſagte mit feiner Menſchen- kenntniß voraus, dieſer des Liberalismus verdächtigte Bureaukrat werde als ein warmer Verehrer Metternichs von der Donau heimkehren.***)
Die Unredlichkeit des bairiſchen Hofes erſchien immerhin noch achtungs- werth neben dem Verhalten der Krone Württembergs. König Wilhelm ließ ſchon am 1. Oktober die Karlsbader Beſchlüſſe ohne Vorbehalt veröffent- lichen und noch am ſelben Tage die Cenſur einführen; gleichwohl hatte er wenige Tage zuvor die neue Verfaſſung beſchworen, welche die Preßfreiheit verhieß und auch ſonſt den Karlsbader Erklärungen des Miniſters Wintzin- gerode vielfach widerſprach. Mit gewundenen Verſicherungen ſuchte man dieſe Zweizüngigkeit vor den beiden Großmächten zu entſchuldigen. Nach Allem was geſchehen, betheuerte Wintzingerode dem preußiſchen Geſandten, ſei die Krone ihrem Volke einen Beweis des Vertrauens ſchuldig geweſen; dem Kaiſer Franz aber, der ihn in einem eigenhändigen Briefe an die Karlsbader Zuſagen gemahnt hatte, antwortete der König: wenn man ihm die Mittel dazu biete, ſo wolle er gern das übereilte Verfaſſungswerk wieder zurücknehmen.†) Als die Stadt Eßlingen ſich in einer Bittſchrift gegen die Karlsbader Beſchlüſſe ausſprach, ertheilte Witzingerode dem Cenſor, welcher dies gefährliche Aktenſtück durchgelaſſen hatte, einen ſcharfen Ver- weis. Derſelbe Miniſter bereitete gleichzeitig einen diplomatiſchen Feldzug für die Wiener Conferenzen vor und ließ, um ſeinem Hofe einen Anhang unter den Kleinen zu werben, zunächſt die Karlsbader Conferenzprotokolle,
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Baiern unterwirft ſich.
ſtände-Verfaſſung, welche der Geſandte in Petersburg, Graf Bray, auf
Metternichs Rath dem Münchener Hofe ſoeben empfohlen hatte. *)
Nunmehr fühlte ſich der ſchwankende Max Joſeph völlig beruhigt; er
wußte jetzt, daß er mit dem preußiſchen Hofe Hand in Hand gehen konnte,
ohne ſeinen Verfaſſungseid zu verletzen. Auch Wrede, der ſich in ſeiner
fahrigen Weiſe eine Zeit lang für die bairiſche Souveränität ſehr beſorgt
gezeigt hatte, wurde durch ein ſchmeichelhaftes Handſchreiben Metternichs
bekehrt und betheuerte dem preußiſchen Geſandten ſeinen tiefen Abſcheu
gegen die liberalen Anſichten Lerchenfelds. Dieſer ſelbſt hatte Mühe ſich
auf ſeinem Poſten zu behaupten, da ſein demagogiſcher Brief an Wangen-
heim dem Könige in die Hände geſpielt wurde und den äußerſten Zorn
des Monarchen erregte. **) Die Demüthigung des Münchener Hofes war
vollſtändig, und um den Sieg der beiden Großmächte auch für die Zu-
kunft zu ſichern, weigerte ſich Rechberg nunmehr zu den Wiener Miniſter-
conferenzen zu gehen. Er wollte in München bleiben, um den unberechen-
baren König nicht aus den Augen zu laſſen. In Wien ſollte Zentner
die bairiſche Krone vertreten, und Rechberg ſagte mit feiner Menſchen-
kenntniß voraus, dieſer des Liberalismus verdächtigte Bureaukrat werde
als ein warmer Verehrer Metternichs von der Donau heimkehren. ***)
Die Unredlichkeit des bairiſchen Hofes erſchien immerhin noch achtungs-
werth neben dem Verhalten der Krone Württembergs. König Wilhelm
ließ ſchon am 1. Oktober die Karlsbader Beſchlüſſe ohne Vorbehalt veröffent-
lichen und noch am ſelben Tage die Cenſur einführen; gleichwohl hatte er
wenige Tage zuvor die neue Verfaſſung beſchworen, welche die Preßfreiheit
verhieß und auch ſonſt den Karlsbader Erklärungen des Miniſters Wintzin-
gerode vielfach widerſprach. Mit gewundenen Verſicherungen ſuchte man
dieſe Zweizüngigkeit vor den beiden Großmächten zu entſchuldigen. Nach
Allem was geſchehen, betheuerte Wintzingerode dem preußiſchen Geſandten,
ſei die Krone ihrem Volke einen Beweis des Vertrauens ſchuldig geweſen;
dem Kaiſer Franz aber, der ihn in einem eigenhändigen Briefe an die
Karlsbader Zuſagen gemahnt hatte, antwortete der König: wenn man ihm
die Mittel dazu biete, ſo wolle er gern das übereilte Verfaſſungswerk wieder
zurücknehmen. †) Als die Stadt Eßlingen ſich in einer Bittſchrift gegen
die Karlsbader Beſchlüſſe ausſprach, ertheilte Witzingerode dem Cenſor,
welcher dies gefährliche Aktenſtück durchgelaſſen hatte, einen ſcharfen Ver-
weis. Derſelbe Miniſter bereitete gleichzeitig einen diplomatiſchen Feldzug
für die Wiener Conferenzen vor und ließ, um ſeinem Hofe einen Anhang
unter den Kleinen zu werben, zunächſt die Karlsbader Conferenzprotokolle,
*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 25. Okt. 1819.
**) Zaſtrows Berichte, 23. Dec. 1819, 9. Januar 1820.
***) Zaſtrows Bericht, 27. Okt. 1819.
†) Küſters Bericht, Stuttgart 12. Okt.; Kruſemarks Berichte, Wien 22. Sept.,
2. Okt. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/597>, abgerufen am 22.11.2024.
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