schießen. Da erst entschlossen sich die Reichsräthe, die Bewilligung der zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon- archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab- schiede den Landtag schloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls, wenn seine Bundespflichten dies erheischten, das Militärbudget überschreiten werde. Der Versuch der Krone Baiern, dem deutschen Volke auf der Bahn der Freiheit voranzuschreiten, war, wie das preußische Ministerium nach München schrieb, "nicht eben sehr gut gerathen",*) kaum besser als die ebenso pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römischen Stuhle. Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm- losen Biedermännern bestand, doch eine starke Neigung zum Ueberschreiten der kaum erst verliehenen verfassungsmäßigen Rechte; auf Seiten der Krone eine schimpfliche Schwäche, die heute schmeichlerisch um die Volks- gunst buhlte, morgen demüthig den Beistand der Nachbarn gegen das eigene Land anrief. --
Ein ungleich reicheres und bedeutsameres Schauspiel boten die Ver- handlungen des ersten badischen Landtags. Im December 1818 war der unglückliche Großherzog Karl von seinen Leiden erlöst worden. Ihm folgte sein Oheim Großherzog Ludwig, ein schon ziemlich bejahrter Herr, hoch in den Fünfzigen, der seine glücklichsten Jahre im fridericianischen Heere verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei- nischen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einst das berühmte Bataillon Rhodich, das spätere erste Garderegiment, befehligt. Noch als Souverän trug er mit Vorliebe die preußische Uniform, führte bei seinen Truppen das preußische Reglement ein und bewarb sich sogleich um die Verleihung eines preußischen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens Beflissenheit bald zu theil ward;**) wenn bei der Garde eine Tresse oder ein Knopf verändert wurde, so versäumte sein Gesandter in Berlin nie, die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatischen Berichten beizulegen. Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und viele Jahre auf dem einsamen Schlosse zu Salem verbringen. Damals hatte er den Werth höfischer Schmeicheleien kennen gelernt und sich mit einer harten Menschenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der Vergessenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum sogleich in strengere Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparsamkeit in die zerfahrene Ver- waltung; die neue Verfassung aber konnte dieser Mann der alten Schule nur als eine lästige Fessel betrachten.
Da Reizenstein sich bald verstimmt in die gelehrte Muße nach Heidel- berg zurückzog, so erlangte Berstett die entscheidende Stimme in der Re- gierung, neben ihm der neue Finanzminister Fischer, ein guter Rechner
*) Ministerialschreiben an Zastrow, 7. August 1819.
**) Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſchießen. Da erſt entſchloſſen ſich die Reichsräthe, die Bewilligung der zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon- archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab- ſchiede den Landtag ſchloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls, wenn ſeine Bundespflichten dies erheiſchten, das Militärbudget überſchreiten werde. Der Verſuch der Krone Baiern, dem deutſchen Volke auf der Bahn der Freiheit voranzuſchreiten, war, wie das preußiſche Miniſterium nach München ſchrieb, „nicht eben ſehr gut gerathen“,*) kaum beſſer als die ebenſo pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römiſchen Stuhle. Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm- loſen Biedermännern beſtand, doch eine ſtarke Neigung zum Ueberſchreiten der kaum erſt verliehenen verfaſſungsmäßigen Rechte; auf Seiten der Krone eine ſchimpfliche Schwäche, die heute ſchmeichleriſch um die Volks- gunſt buhlte, morgen demüthig den Beiſtand der Nachbarn gegen das eigene Land anrief. —
Ein ungleich reicheres und bedeutſameres Schauſpiel boten die Ver- handlungen des erſten badiſchen Landtags. Im December 1818 war der unglückliche Großherzog Karl von ſeinen Leiden erlöſt worden. Ihm folgte ſein Oheim Großherzog Ludwig, ein ſchon ziemlich bejahrter Herr, hoch in den Fünfzigen, der ſeine glücklichſten Jahre im fridericianiſchen Heere verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei- niſchen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einſt das berühmte Bataillon Rhodich, das ſpätere erſte Garderegiment, befehligt. Noch als Souverän trug er mit Vorliebe die preußiſche Uniform, führte bei ſeinen Truppen das preußiſche Reglement ein und bewarb ſich ſogleich um die Verleihung eines preußiſchen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens Befliſſenheit bald zu theil ward;**) wenn bei der Garde eine Treſſe oder ein Knopf verändert wurde, ſo verſäumte ſein Geſandter in Berlin nie, die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatiſchen Berichten beizulegen. Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und viele Jahre auf dem einſamen Schloſſe zu Salem verbringen. Damals hatte er den Werth höfiſcher Schmeicheleien kennen gelernt und ſich mit einer harten Menſchenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der Vergeſſenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum ſogleich in ſtrengere Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparſamkeit in die zerfahrene Ver- waltung; die neue Verfaſſung aber konnte dieſer Mann der alten Schule nur als eine läſtige Feſſel betrachten.
Da Reizenſtein ſich bald verſtimmt in die gelehrte Muße nach Heidel- berg zurückzog, ſo erlangte Berſtett die entſcheidende Stimme in der Re- gierung, neben ihm der neue Finanzminiſter Fiſcher, ein guter Rechner
*) Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 7. Auguſt 1819.
**) Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0522"n="508"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.</fw><lb/>ſchießen. Da erſt entſchloſſen ſich die Reichsräthe, die Bewilligung der<lb/>
zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon-<lb/>
archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab-<lb/>ſchiede den Landtag ſchloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls,<lb/>
wenn ſeine Bundespflichten dies erheiſchten, das Militärbudget überſchreiten<lb/>
werde. Der Verſuch der Krone Baiern, dem deutſchen Volke auf der<lb/>
Bahn der Freiheit voranzuſchreiten, war, wie das preußiſche Miniſterium<lb/>
nach München ſchrieb, „nicht eben ſehr gut gerathen“,<noteplace="foot"n="*)">Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 7. Auguſt 1819.</note> kaum beſſer als<lb/>
die ebenſo pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römiſchen Stuhle.<lb/>
Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm-<lb/>
loſen Biedermännern beſtand, doch eine ſtarke Neigung zum Ueberſchreiten<lb/>
der kaum erſt verliehenen verfaſſungsmäßigen Rechte; auf Seiten der<lb/>
Krone eine ſchimpfliche Schwäche, die heute ſchmeichleriſch um die Volks-<lb/>
gunſt buhlte, morgen demüthig den Beiſtand der Nachbarn gegen das<lb/>
eigene Land anrief. —</p><lb/><p>Ein ungleich reicheres und bedeutſameres Schauſpiel boten die Ver-<lb/>
handlungen des erſten badiſchen Landtags. Im December 1818 war der<lb/>
unglückliche Großherzog Karl von ſeinen Leiden erlöſt worden. Ihm folgte<lb/>ſein Oheim Großherzog Ludwig, ein ſchon ziemlich bejahrter Herr, hoch<lb/>
in den Fünfzigen, der ſeine glücklichſten Jahre im fridericianiſchen Heere<lb/>
verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei-<lb/>
niſchen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einſt das berühmte<lb/>
Bataillon Rhodich, das ſpätere erſte Garderegiment, befehligt. Noch als<lb/>
Souverän trug er mit Vorliebe die preußiſche Uniform, führte bei ſeinen<lb/>
Truppen das preußiſche Reglement ein und bewarb ſich ſogleich um die<lb/>
Verleihung eines preußiſchen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens<lb/>
Befliſſenheit bald zu theil ward;<noteplace="foot"n="**)">Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.</note> wenn bei der Garde eine Treſſe oder<lb/>
ein Knopf verändert wurde, ſo verſäumte ſein Geſandter in Berlin nie,<lb/>
die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatiſchen Berichten beizulegen.<lb/>
Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und<lb/>
viele Jahre auf dem einſamen Schloſſe zu Salem verbringen. Damals<lb/>
hatte er den Werth höfiſcher Schmeicheleien kennen gelernt und ſich mit<lb/>
einer harten Menſchenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der<lb/>
Vergeſſenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum ſogleich in ſtrengere<lb/>
Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparſamkeit in die zerfahrene Ver-<lb/>
waltung; die neue Verfaſſung aber konnte dieſer Mann der alten Schule<lb/>
nur als eine läſtige Feſſel betrachten.</p><lb/><p>Da Reizenſtein ſich bald verſtimmt in die gelehrte Muße nach Heidel-<lb/>
berg zurückzog, ſo erlangte Berſtett die entſcheidende Stimme in der Re-<lb/>
gierung, neben ihm der neue Finanzminiſter Fiſcher, ein guter Rechner<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[508/0522]
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſchießen. Da erſt entſchloſſen ſich die Reichsräthe, die Bewilligung der
zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon-
archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab-
ſchiede den Landtag ſchloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls,
wenn ſeine Bundespflichten dies erheiſchten, das Militärbudget überſchreiten
werde. Der Verſuch der Krone Baiern, dem deutſchen Volke auf der
Bahn der Freiheit voranzuſchreiten, war, wie das preußiſche Miniſterium
nach München ſchrieb, „nicht eben ſehr gut gerathen“, *) kaum beſſer als
die ebenſo pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römiſchen Stuhle.
Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm-
loſen Biedermännern beſtand, doch eine ſtarke Neigung zum Ueberſchreiten
der kaum erſt verliehenen verfaſſungsmäßigen Rechte; auf Seiten der
Krone eine ſchimpfliche Schwäche, die heute ſchmeichleriſch um die Volks-
gunſt buhlte, morgen demüthig den Beiſtand der Nachbarn gegen das
eigene Land anrief. —
Ein ungleich reicheres und bedeutſameres Schauſpiel boten die Ver-
handlungen des erſten badiſchen Landtags. Im December 1818 war der
unglückliche Großherzog Karl von ſeinen Leiden erlöſt worden. Ihm folgte
ſein Oheim Großherzog Ludwig, ein ſchon ziemlich bejahrter Herr, hoch
in den Fünfzigen, der ſeine glücklichſten Jahre im fridericianiſchen Heere
verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei-
niſchen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einſt das berühmte
Bataillon Rhodich, das ſpätere erſte Garderegiment, befehligt. Noch als
Souverän trug er mit Vorliebe die preußiſche Uniform, führte bei ſeinen
Truppen das preußiſche Reglement ein und bewarb ſich ſogleich um die
Verleihung eines preußiſchen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens
Befliſſenheit bald zu theil ward; **) wenn bei der Garde eine Treſſe oder
ein Knopf verändert wurde, ſo verſäumte ſein Geſandter in Berlin nie,
die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatiſchen Berichten beizulegen.
Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und
viele Jahre auf dem einſamen Schloſſe zu Salem verbringen. Damals
hatte er den Werth höfiſcher Schmeicheleien kennen gelernt und ſich mit
einer harten Menſchenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der
Vergeſſenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum ſogleich in ſtrengere
Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparſamkeit in die zerfahrene Ver-
waltung; die neue Verfaſſung aber konnte dieſer Mann der alten Schule
nur als eine läſtige Feſſel betrachten.
Da Reizenſtein ſich bald verſtimmt in die gelehrte Muße nach Heidel-
berg zurückzog, ſo erlangte Berſtett die entſcheidende Stimme in der Re-
gierung, neben ihm der neue Finanzminiſter Fiſcher, ein guter Rechner
*) Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 7. Auguſt 1819.
**) Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/522>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.