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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
schießen. Da erst entschlossen sich die Reichsräthe, die Bewilligung der
zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon-
archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab-
schiede den Landtag schloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls,
wenn seine Bundespflichten dies erheischten, das Militärbudget überschreiten
werde. Der Versuch der Krone Baiern, dem deutschen Volke auf der
Bahn der Freiheit voranzuschreiten, war, wie das preußische Ministerium
nach München schrieb, "nicht eben sehr gut gerathen",*) kaum besser als
die ebenso pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römischen Stuhle.
Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm-
losen Biedermännern bestand, doch eine starke Neigung zum Ueberschreiten
der kaum erst verliehenen verfassungsmäßigen Rechte; auf Seiten der
Krone eine schimpfliche Schwäche, die heute schmeichlerisch um die Volks-
gunst buhlte, morgen demüthig den Beistand der Nachbarn gegen das
eigene Land anrief. --

Ein ungleich reicheres und bedeutsameres Schauspiel boten die Ver-
handlungen des ersten badischen Landtags. Im December 1818 war der
unglückliche Großherzog Karl von seinen Leiden erlöst worden. Ihm folgte
sein Oheim Großherzog Ludwig, ein schon ziemlich bejahrter Herr, hoch
in den Fünfzigen, der seine glücklichsten Jahre im fridericianischen Heere
verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei-
nischen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einst das berühmte
Bataillon Rhodich, das spätere erste Garderegiment, befehligt. Noch als
Souverän trug er mit Vorliebe die preußische Uniform, führte bei seinen
Truppen das preußische Reglement ein und bewarb sich sogleich um die
Verleihung eines preußischen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens
Beflissenheit bald zu theil ward;**) wenn bei der Garde eine Tresse oder
ein Knopf verändert wurde, so versäumte sein Gesandter in Berlin nie,
die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatischen Berichten beizulegen.
Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und
viele Jahre auf dem einsamen Schlosse zu Salem verbringen. Damals
hatte er den Werth höfischer Schmeicheleien kennen gelernt und sich mit
einer harten Menschenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der
Vergessenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum sogleich in strengere
Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparsamkeit in die zerfahrene Ver-
waltung; die neue Verfassung aber konnte dieser Mann der alten Schule
nur als eine lästige Fessel betrachten.

Da Reizenstein sich bald verstimmt in die gelehrte Muße nach Heidel-
berg zurückzog, so erlangte Berstett die entscheidende Stimme in der Re-
gierung, neben ihm der neue Finanzminister Fischer, ein guter Rechner

*) Ministerialschreiben an Zastrow, 7. August 1819.
**) Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſchießen. Da erſt entſchloſſen ſich die Reichsräthe, die Bewilligung der
zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon-
archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab-
ſchiede den Landtag ſchloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls,
wenn ſeine Bundespflichten dies erheiſchten, das Militärbudget überſchreiten
werde. Der Verſuch der Krone Baiern, dem deutſchen Volke auf der
Bahn der Freiheit voranzuſchreiten, war, wie das preußiſche Miniſterium
nach München ſchrieb, „nicht eben ſehr gut gerathen“,*) kaum beſſer als
die ebenſo pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römiſchen Stuhle.
Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm-
loſen Biedermännern beſtand, doch eine ſtarke Neigung zum Ueberſchreiten
der kaum erſt verliehenen verfaſſungsmäßigen Rechte; auf Seiten der
Krone eine ſchimpfliche Schwäche, die heute ſchmeichleriſch um die Volks-
gunſt buhlte, morgen demüthig den Beiſtand der Nachbarn gegen das
eigene Land anrief. —

Ein ungleich reicheres und bedeutſameres Schauſpiel boten die Ver-
handlungen des erſten badiſchen Landtags. Im December 1818 war der
unglückliche Großherzog Karl von ſeinen Leiden erlöſt worden. Ihm folgte
ſein Oheim Großherzog Ludwig, ein ſchon ziemlich bejahrter Herr, hoch
in den Fünfzigen, der ſeine glücklichſten Jahre im fridericianiſchen Heere
verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei-
niſchen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einſt das berühmte
Bataillon Rhodich, das ſpätere erſte Garderegiment, befehligt. Noch als
Souverän trug er mit Vorliebe die preußiſche Uniform, führte bei ſeinen
Truppen das preußiſche Reglement ein und bewarb ſich ſogleich um die
Verleihung eines preußiſchen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens
Befliſſenheit bald zu theil ward;**) wenn bei der Garde eine Treſſe oder
ein Knopf verändert wurde, ſo verſäumte ſein Geſandter in Berlin nie,
die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatiſchen Berichten beizulegen.
Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und
viele Jahre auf dem einſamen Schloſſe zu Salem verbringen. Damals
hatte er den Werth höfiſcher Schmeicheleien kennen gelernt und ſich mit
einer harten Menſchenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der
Vergeſſenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum ſogleich in ſtrengere
Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparſamkeit in die zerfahrene Ver-
waltung; die neue Verfaſſung aber konnte dieſer Mann der alten Schule
nur als eine läſtige Feſſel betrachten.

Da Reizenſtein ſich bald verſtimmt in die gelehrte Muße nach Heidel-
berg zurückzog, ſo erlangte Berſtett die entſcheidende Stimme in der Re-
gierung, neben ihm der neue Finanzminiſter Fiſcher, ein guter Rechner

*) Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 7. Auguſt 1819.
**) Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.
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[508/0522] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. ſchießen. Da erſt entſchloſſen ſich die Reichsräthe, die Bewilligung der zweiten Kammer auf 7 Mill. zu erhöhen. Auch dies genügte dem Mon- archen noch nicht, und als er am 16. Juli mit einem halb ungnädigen Ab- ſchiede den Landtag ſchloß, kündigte er unbefangen an, daß er nöthigenfalls, wenn ſeine Bundespflichten dies erheiſchten, das Militärbudget überſchreiten werde. Der Verſuch der Krone Baiern, dem deutſchen Volke auf der Bahn der Freiheit voranzuſchreiten, war, wie das preußiſche Miniſterium nach München ſchrieb, „nicht eben ſehr gut gerathen“, *) kaum beſſer als die ebenſo pomphaft angekündigte Verhandlung mit dem römiſchen Stuhle. Auf Seiten der Abgeordneten, obgleich die große Mehrzahl aus harm- loſen Biedermännern beſtand, doch eine ſtarke Neigung zum Ueberſchreiten der kaum erſt verliehenen verfaſſungsmäßigen Rechte; auf Seiten der Krone eine ſchimpfliche Schwäche, die heute ſchmeichleriſch um die Volks- gunſt buhlte, morgen demüthig den Beiſtand der Nachbarn gegen das eigene Land anrief. — Ein ungleich reicheres und bedeutſameres Schauſpiel boten die Ver- handlungen des erſten badiſchen Landtags. Im December 1818 war der unglückliche Großherzog Karl von ſeinen Leiden erlöſt worden. Ihm folgte ſein Oheim Großherzog Ludwig, ein ſchon ziemlich bejahrter Herr, hoch in den Fünfzigen, der ſeine glücklichſten Jahre im fridericianiſchen Heere verbracht hatte. Er lebte und webte noch in den Erinnerungen der rhei- niſchen Feldzüge und erzählte mit Stolz, daß er einſt das berühmte Bataillon Rhodich, das ſpätere erſte Garderegiment, befehligt. Noch als Souverän trug er mit Vorliebe die preußiſche Uniform, führte bei ſeinen Truppen das preußiſche Reglement ein und bewarb ſich ſogleich um die Verleihung eines preußiſchen Regiments, die ihm auch durch Varnhagens Befliſſenheit bald zu theil ward; **) wenn bei der Garde eine Treſſe oder ein Knopf verändert wurde, ſo verſäumte ſein Geſandter in Berlin nie, die Modelle der neuen Zierrathen den diplomatiſchen Berichten beizulegen. Zur Zeit des Rheinbunds mußte er Napoleons Ungnade erfahren und viele Jahre auf dem einſamen Schloſſe zu Salem verbringen. Damals hatte er den Werth höfiſcher Schmeicheleien kennen gelernt und ſich mit einer harten Menſchenverachtung erfüllt. Als er jetzt wieder aus der Vergeſſenheit hervortrat, nahm er das Beamtenthum ſogleich in ſtrengere Zucht, brachte etwas Ordnung und Sparſamkeit in die zerfahrene Ver- waltung; die neue Verfaſſung aber konnte dieſer Mann der alten Schule nur als eine läſtige Feſſel betrachten. Da Reizenſtein ſich bald verſtimmt in die gelehrte Muße nach Heidel- berg zurückzog, ſo erlangte Berſtett die entſcheidende Stimme in der Re- gierung, neben ihm der neue Finanzminiſter Fiſcher, ein guter Rechner *) Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 7. Auguſt 1819. **) Varnhagens Berichte, 16. Dec. 1818, 4. April 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/522>, abgerufen am 22.11.2024.