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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Großherzog Ludwig von Baden.
und harter Bureaukrat. Eine kurze Zeit lang suchte der König von
Württemberg die Freundschaft seines neuen Nachbarn zu gewinnen; doch
nach einer geheimen Zusammenkunft zu Schwetzingen (April 1819) trennten
sich die beiden Fürsten tief verstimmt.*) Der alte Soldat in Karlsruhe
wollte von den Hirngespinnsten der liberalen Triaspolitik nichts hören und
bemühte sich um das Wohlwollen der Ostmächte, deren Mißtrauen seinem
Staate so schwer geschadet hatte. Er dachte dabei zunächst an sein ge-
liebtes Preußen, während Berstett sich mehr zu Oesterreich neigte; Beide
aber, der Souverän wie der Minister, blickten mit dankbarer Verehrung
auf Rußland, das ihnen der Geschäftsträger Blittersdorff beharrlich als
den natürlichen Schwerpunkt für das unruhige Europa anpries, und
hörten gern auf die Rathschläge Anstetts in Frankfurt, der nach und
nach einen großen Einfluß am Karlsruher Hofe erlangte.**) Im Hause
führte der Großherzog das Leben eines wüsten Junggesellen; ein guter
Kopf, aber ohne Sinn für edle Bildung hatte er sich früh geschmacklosen
Ausschweifungen ergeben. Als allbereiter Helfer stand ihm bei seinen
kleinen Abenteuern wie bei den politischen Verhandlungen der Major Hen-
nenhofer zur Seite, der Ueberall und Nirgends der Salons, der sich durch
cynischen Witz und einschmeichelnde Gewandtheit vom Feldjäger zum mili-
tärischen Diplomaten aufgeschwungen hatte, ein mit allen Hunden ge-
hetzter Mensch, dem es nicht darauf ankam in amtlichen Aktenstücken
Citate aus Tristram Shandy anzubringen, mit Jedermann bekannt, in
alle Geheimnisse eingeweiht, trotz seiner abschreckenden Häßlichkeit als Ver-
mittler und Zwischenträger immer willkommen. Durch die Schuld dieses
neuen Hofes wurde die ehrbare Stadt Karl Friedrichs auf lange Zeit
hinaus neben München die sittenloseste der deutschen Residenzen.

Nicht ohne Selbstüberwindung entschloß sich der Großherzog, auf den
22. April seine Landstände zu berufen. Ein kleines Land wie das meine, so
äußerte er oft, bedarf einer patriarchalischen Regierung; indeß getröstete er
sich der Hoffnung, daß der Landtag sich mit der unscheinbaren Rolle eines
Familienraths begnügen und nichts unternehmen werde "was über unsere
Sphäre hinaus liegt".***) Bei dem Festmahle, das er nach der Eröffnung
des Landtags den Abgeordneten gab, erhob er einen großen Pokal voll
alten Markgräflerweines, trank auf das Wohl seiner getreuen Stände
und ließ dann den Humpen nach altem Brauche im Kreise herumgehen.
Die Volksvertreter selber faßten ihre Aufgabe mit nichten so bescheiden
auf wie der Landesherr; sie waren schon auf der Reise von dem hoff-
nungsseligen Volke überall mit fürstlichen Ehren, mit Triumphbogen und
rauschenden Festen begrüßt worden und empfingen von der gemüthlichen

*) Varnhagens Berichte, 19., 21. April 1819.
**) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 5. Jan. 1819 ff.
***) Berstett an Kapodistrias, 10. Dec. 1819.

Großherzog Ludwig von Baden.
und harter Bureaukrat. Eine kurze Zeit lang ſuchte der König von
Württemberg die Freundſchaft ſeines neuen Nachbarn zu gewinnen; doch
nach einer geheimen Zuſammenkunft zu Schwetzingen (April 1819) trennten
ſich die beiden Fürſten tief verſtimmt.*) Der alte Soldat in Karlsruhe
wollte von den Hirngeſpinnſten der liberalen Triaspolitik nichts hören und
bemühte ſich um das Wohlwollen der Oſtmächte, deren Mißtrauen ſeinem
Staate ſo ſchwer geſchadet hatte. Er dachte dabei zunächſt an ſein ge-
liebtes Preußen, während Berſtett ſich mehr zu Oeſterreich neigte; Beide
aber, der Souverän wie der Miniſter, blickten mit dankbarer Verehrung
auf Rußland, das ihnen der Geſchäftsträger Blittersdorff beharrlich als
den natürlichen Schwerpunkt für das unruhige Europa anpries, und
hörten gern auf die Rathſchläge Anſtetts in Frankfurt, der nach und
nach einen großen Einfluß am Karlsruher Hofe erlangte.**) Im Hauſe
führte der Großherzog das Leben eines wüſten Junggeſellen; ein guter
Kopf, aber ohne Sinn für edle Bildung hatte er ſich früh geſchmackloſen
Ausſchweifungen ergeben. Als allbereiter Helfer ſtand ihm bei ſeinen
kleinen Abenteuern wie bei den politiſchen Verhandlungen der Major Hen-
nenhofer zur Seite, der Ueberall und Nirgends der Salons, der ſich durch
cyniſchen Witz und einſchmeichelnde Gewandtheit vom Feldjäger zum mili-
täriſchen Diplomaten aufgeſchwungen hatte, ein mit allen Hunden ge-
hetzter Menſch, dem es nicht darauf ankam in amtlichen Aktenſtücken
Citate aus Triſtram Shandy anzubringen, mit Jedermann bekannt, in
alle Geheimniſſe eingeweiht, trotz ſeiner abſchreckenden Häßlichkeit als Ver-
mittler und Zwiſchenträger immer willkommen. Durch die Schuld dieſes
neuen Hofes wurde die ehrbare Stadt Karl Friedrichs auf lange Zeit
hinaus neben München die ſittenloſeſte der deutſchen Reſidenzen.

Nicht ohne Selbſtüberwindung entſchloß ſich der Großherzog, auf den
22. April ſeine Landſtände zu berufen. Ein kleines Land wie das meine, ſo
äußerte er oft, bedarf einer patriarchaliſchen Regierung; indeß getröſtete er
ſich der Hoffnung, daß der Landtag ſich mit der unſcheinbaren Rolle eines
Familienraths begnügen und nichts unternehmen werde „was über unſere
Sphäre hinaus liegt“.***) Bei dem Feſtmahle, das er nach der Eröffnung
des Landtags den Abgeordneten gab, erhob er einen großen Pokal voll
alten Markgräflerweines, trank auf das Wohl ſeiner getreuen Stände
und ließ dann den Humpen nach altem Brauche im Kreiſe herumgehen.
Die Volksvertreter ſelber faßten ihre Aufgabe mit nichten ſo beſcheiden
auf wie der Landesherr; ſie waren ſchon auf der Reiſe von dem hoff-
nungsſeligen Volke überall mit fürſtlichen Ehren, mit Triumphbogen und
rauſchenden Feſten begrüßt worden und empfingen von der gemüthlichen

*) Varnhagens Berichte, 19., 21. April 1819.
**) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 5. Jan. 1819 ff.
***) Berſtett an Kapodiſtrias, 10. Dec. 1819.
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[509/0523] Großherzog Ludwig von Baden. und harter Bureaukrat. Eine kurze Zeit lang ſuchte der König von Württemberg die Freundſchaft ſeines neuen Nachbarn zu gewinnen; doch nach einer geheimen Zuſammenkunft zu Schwetzingen (April 1819) trennten ſich die beiden Fürſten tief verſtimmt. *) Der alte Soldat in Karlsruhe wollte von den Hirngeſpinnſten der liberalen Triaspolitik nichts hören und bemühte ſich um das Wohlwollen der Oſtmächte, deren Mißtrauen ſeinem Staate ſo ſchwer geſchadet hatte. Er dachte dabei zunächſt an ſein ge- liebtes Preußen, während Berſtett ſich mehr zu Oeſterreich neigte; Beide aber, der Souverän wie der Miniſter, blickten mit dankbarer Verehrung auf Rußland, das ihnen der Geſchäftsträger Blittersdorff beharrlich als den natürlichen Schwerpunkt für das unruhige Europa anpries, und hörten gern auf die Rathſchläge Anſtetts in Frankfurt, der nach und nach einen großen Einfluß am Karlsruher Hofe erlangte. **) Im Hauſe führte der Großherzog das Leben eines wüſten Junggeſellen; ein guter Kopf, aber ohne Sinn für edle Bildung hatte er ſich früh geſchmackloſen Ausſchweifungen ergeben. Als allbereiter Helfer ſtand ihm bei ſeinen kleinen Abenteuern wie bei den politiſchen Verhandlungen der Major Hen- nenhofer zur Seite, der Ueberall und Nirgends der Salons, der ſich durch cyniſchen Witz und einſchmeichelnde Gewandtheit vom Feldjäger zum mili- täriſchen Diplomaten aufgeſchwungen hatte, ein mit allen Hunden ge- hetzter Menſch, dem es nicht darauf ankam in amtlichen Aktenſtücken Citate aus Triſtram Shandy anzubringen, mit Jedermann bekannt, in alle Geheimniſſe eingeweiht, trotz ſeiner abſchreckenden Häßlichkeit als Ver- mittler und Zwiſchenträger immer willkommen. Durch die Schuld dieſes neuen Hofes wurde die ehrbare Stadt Karl Friedrichs auf lange Zeit hinaus neben München die ſittenloſeſte der deutſchen Reſidenzen. Nicht ohne Selbſtüberwindung entſchloß ſich der Großherzog, auf den 22. April ſeine Landſtände zu berufen. Ein kleines Land wie das meine, ſo äußerte er oft, bedarf einer patriarchaliſchen Regierung; indeß getröſtete er ſich der Hoffnung, daß der Landtag ſich mit der unſcheinbaren Rolle eines Familienraths begnügen und nichts unternehmen werde „was über unſere Sphäre hinaus liegt“. ***) Bei dem Feſtmahle, das er nach der Eröffnung des Landtags den Abgeordneten gab, erhob er einen großen Pokal voll alten Markgräflerweines, trank auf das Wohl ſeiner getreuen Stände und ließ dann den Humpen nach altem Brauche im Kreiſe herumgehen. Die Volksvertreter ſelber faßten ihre Aufgabe mit nichten ſo beſcheiden auf wie der Landesherr; ſie waren ſchon auf der Reiſe von dem hoff- nungsſeligen Volke überall mit fürſtlichen Ehren, mit Triumphbogen und rauſchenden Feſten begrüßt worden und empfingen von der gemüthlichen *) Varnhagens Berichte, 19., 21. April 1819. **) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 5. Jan. 1819 ff. ***) Berſtett an Kapodiſtrias, 10. Dec. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/523>, abgerufen am 22.11.2024.