Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
beigeführten Krise unzertrennlich verbunden sein würden." Der König
von Baiern wird demnach gebeten, sich über die Gesinnung seines Volkes
und seines Heeres klare Rechenschaft zu geben und vornehmlich zu erwägen,
ob ihm nicht die Verfassung selber ein Mittel biete zur Befestigung seines
Ansehens, z. B. die Auflösung der Kammer. Von dem Bundestage habe
er allerdings nichts zu fürchten, da der Art. 13 nur ganz im Allgemeinen
die Einführung einer ständischen Verfassung vorschreibe und Baiern doch
keinenfalls ganz ohne Landstände werden bleiben wollen.*)

Die preußische Antwort versprach also mit keinem Worte den Beistand,
welchen der bairische Hof erwartete, sie war ein rundes Nein in diplo-
matischer Form und ward auch in München als eine Ablehnung auf-
gefaßt. Einige Tage nachdem sie eingegangen meldete Zastrow, Graf Rech-
berg habe ihm mit tiefer Rührung gedankt, der beabsichtigte Staatsstreich
sei nunmehr aufgegeben, da die Kammer sich zu mäßigen beginne.**) In
der That hatte die Opposition unter der Hand Einiges von den Plänen des
Hofes erfahren -- die volle Wahrheit blieb ihr immer verborgen -- und sich
beeilt durch den beredten Mund ihres Genossen Häcker ihre Treue gegen
den Vater der Verfassung zu betheuern; die stürmischen Hochrufe, mit denen
die Kammer und die Gallerien diese pathetische Rede aufnahmen, thaten
dem Herzen Max Josephs wohl, und der Monarch, der soeben einen Staats-
streich geplant, spielte sofort wieder vergnüglich die Rolle des constitutionellen
Musterfürsten. Eben in diesen Tagen, da Preußens Warnungen den
bairischen Verfassungsbruch verhinderten, ward die schöne, zur Verherr-
lichung der Constitution geprägte Denkmünze fertig, und der König ließ
sie seinen getreuen Ständen feierlich überreichen, schenkte auch jeder Ge-
meinde des Königreichs ein Stück zur ewigen Erinnerung. Das ganze
Land frohlockte über die bairische Freiheit und schimpfte auf Preußen;
ohne Schmähungen gegen den Staat des Freiheitskrieges konnte ein libe-
rales Jubelfest schon nicht mehr gefeiert werden. Alle bairischen Blätter
verglichen ihren verfassungstreuen König wohlgefällig mit dem Despoten
in Berlin. Die Allgemeine Zeitung erzählte eine alberne Jagdgeschichte:
ein Haufe von fünfzehnhundert Bürgern sollte den Wagen König Friedrich
Wilhelms am Brandenburger Thore aufgehalten und unter dem drohenden
Rufe: "wir haben für das Vaterland geblutet", eine Verfassungspetition
überreicht hätten; die Landwehrmänner der Thorwache hätten sich geweigert
einzuschreiten.

Noch kräftiger äußerte sich das bairische Machtgefühl unter den Ab-
geordneten. Einige Mitglieder der Opposition übergaben dem Minister
Rechberg eine geheime Denkschrift, welche den König in seiner constitu-
tionellen Gesinnung bestärken sollte. Da hieß es, das aus der europäi-

*) Ministerialschreiben an Zastrow, 11. Mai 1819.
**) Zastrows Bericht, 19. Mai 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
beigeführten Kriſe unzertrennlich verbunden ſein würden.“ Der König
von Baiern wird demnach gebeten, ſich über die Geſinnung ſeines Volkes
und ſeines Heeres klare Rechenſchaft zu geben und vornehmlich zu erwägen,
ob ihm nicht die Verfaſſung ſelber ein Mittel biete zur Befeſtigung ſeines
Anſehens, z. B. die Auflöſung der Kammer. Von dem Bundestage habe
er allerdings nichts zu fürchten, da der Art. 13 nur ganz im Allgemeinen
die Einführung einer ſtändiſchen Verfaſſung vorſchreibe und Baiern doch
keinenfalls ganz ohne Landſtände werden bleiben wollen.*)

Die preußiſche Antwort verſprach alſo mit keinem Worte den Beiſtand,
welchen der bairiſche Hof erwartete, ſie war ein rundes Nein in diplo-
matiſcher Form und ward auch in München als eine Ablehnung auf-
gefaßt. Einige Tage nachdem ſie eingegangen meldete Zaſtrow, Graf Rech-
berg habe ihm mit tiefer Rührung gedankt, der beabſichtigte Staatsſtreich
ſei nunmehr aufgegeben, da die Kammer ſich zu mäßigen beginne.**) In
der That hatte die Oppoſition unter der Hand Einiges von den Plänen des
Hofes erfahren — die volle Wahrheit blieb ihr immer verborgen — und ſich
beeilt durch den beredten Mund ihres Genoſſen Häcker ihre Treue gegen
den Vater der Verfaſſung zu betheuern; die ſtürmiſchen Hochrufe, mit denen
die Kammer und die Gallerien dieſe pathetiſche Rede aufnahmen, thaten
dem Herzen Max Joſephs wohl, und der Monarch, der ſoeben einen Staats-
ſtreich geplant, ſpielte ſofort wieder vergnüglich die Rolle des conſtitutionellen
Muſterfürſten. Eben in dieſen Tagen, da Preußens Warnungen den
bairiſchen Verfaſſungsbruch verhinderten, ward die ſchöne, zur Verherr-
lichung der Conſtitution geprägte Denkmünze fertig, und der König ließ
ſie ſeinen getreuen Ständen feierlich überreichen, ſchenkte auch jeder Ge-
meinde des Königreichs ein Stück zur ewigen Erinnerung. Das ganze
Land frohlockte über die bairiſche Freiheit und ſchimpfte auf Preußen;
ohne Schmähungen gegen den Staat des Freiheitskrieges konnte ein libe-
rales Jubelfeſt ſchon nicht mehr gefeiert werden. Alle bairiſchen Blätter
verglichen ihren verfaſſungstreuen König wohlgefällig mit dem Despoten
in Berlin. Die Allgemeine Zeitung erzählte eine alberne Jagdgeſchichte:
ein Haufe von fünfzehnhundert Bürgern ſollte den Wagen König Friedrich
Wilhelms am Brandenburger Thore aufgehalten und unter dem drohenden
Rufe: „wir haben für das Vaterland geblutet“, eine Verfaſſungspetition
überreicht hätten; die Landwehrmänner der Thorwache hätten ſich geweigert
einzuſchreiten.

Noch kräftiger äußerte ſich das bairiſche Machtgefühl unter den Ab-
geordneten. Einige Mitglieder der Oppoſition übergaben dem Miniſter
Rechberg eine geheime Denkſchrift, welche den König in ſeiner conſtitu-
tionellen Geſinnung beſtärken ſollte. Da hieß es, das aus der europäi-

*) Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 11. Mai 1819.
**) Zaſtrows Bericht, 19. Mai 1819.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0520" n="506"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 9. Die Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e.</fw><lb/>
beigeführten Kri&#x017F;e unzertrennlich verbunden &#x017F;ein würden.&#x201C; Der König<lb/>
von Baiern wird demnach gebeten, &#x017F;ich über die Ge&#x017F;innung &#x017F;eines Volkes<lb/>
und &#x017F;eines Heeres klare Rechen&#x017F;chaft zu geben und vornehmlich zu erwägen,<lb/>
ob ihm nicht die Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;elber ein Mittel biete zur Befe&#x017F;tigung &#x017F;eines<lb/>
An&#x017F;ehens, z. B. die Auflö&#x017F;ung der Kammer. Von dem Bundestage habe<lb/>
er allerdings nichts zu fürchten, da der Art. 13 nur ganz im Allgemeinen<lb/>
die Einführung einer &#x017F;tändi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung vor&#x017F;chreibe und Baiern doch<lb/>
keinenfalls ganz ohne Land&#x017F;tände werden bleiben wollen.<note place="foot" n="*)">Mini&#x017F;terial&#x017F;chreiben an Za&#x017F;trow, 11. Mai 1819.</note></p><lb/>
          <p>Die preußi&#x017F;che Antwort ver&#x017F;prach al&#x017F;o mit keinem Worte den Bei&#x017F;tand,<lb/>
welchen der bairi&#x017F;che Hof erwartete, &#x017F;ie war ein rundes Nein in diplo-<lb/>
mati&#x017F;cher Form und ward auch in München als eine Ablehnung auf-<lb/>
gefaßt. Einige Tage nachdem &#x017F;ie eingegangen meldete Za&#x017F;trow, Graf Rech-<lb/>
berg habe ihm mit tiefer Rührung gedankt, der beab&#x017F;ichtigte Staats&#x017F;treich<lb/>
&#x017F;ei nunmehr aufgegeben, da die Kammer &#x017F;ich zu mäßigen beginne.<note place="foot" n="**)">Za&#x017F;trows Bericht, 19. Mai 1819.</note> In<lb/>
der That hatte die Oppo&#x017F;ition unter der Hand Einiges von den Plänen des<lb/>
Hofes erfahren &#x2014; die volle Wahrheit blieb ihr immer verborgen &#x2014; und &#x017F;ich<lb/>
beeilt durch den beredten Mund ihres Geno&#x017F;&#x017F;en Häcker ihre Treue gegen<lb/>
den Vater der Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu betheuern; die &#x017F;türmi&#x017F;chen Hochrufe, mit denen<lb/>
die Kammer und die Gallerien die&#x017F;e patheti&#x017F;che Rede aufnahmen, thaten<lb/>
dem Herzen Max Jo&#x017F;ephs wohl, und der Monarch, der &#x017F;oeben einen Staats-<lb/>
&#x017F;treich geplant, &#x017F;pielte &#x017F;ofort wieder vergnüglich die Rolle des con&#x017F;titutionellen<lb/>
Mu&#x017F;terfür&#x017F;ten. Eben in die&#x017F;en Tagen, da Preußens Warnungen den<lb/>
bairi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ungsbruch verhinderten, ward die &#x017F;chöne, zur Verherr-<lb/>
lichung der Con&#x017F;titution geprägte Denkmünze fertig, und der König ließ<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;einen getreuen Ständen feierlich überreichen, &#x017F;chenkte auch jeder Ge-<lb/>
meinde des Königreichs ein Stück zur ewigen Erinnerung. Das ganze<lb/>
Land frohlockte über die bairi&#x017F;che Freiheit und &#x017F;chimpfte auf Preußen;<lb/>
ohne Schmähungen gegen den Staat des Freiheitskrieges konnte ein libe-<lb/>
rales Jubelfe&#x017F;t &#x017F;chon nicht mehr gefeiert werden. Alle bairi&#x017F;chen Blätter<lb/>
verglichen ihren verfa&#x017F;&#x017F;ungstreuen König wohlgefällig mit dem Despoten<lb/>
in Berlin. Die Allgemeine Zeitung erzählte eine alberne Jagdge&#x017F;chichte:<lb/>
ein Haufe von fünfzehnhundert Bürgern &#x017F;ollte den Wagen König Friedrich<lb/>
Wilhelms am Brandenburger Thore aufgehalten und unter dem drohenden<lb/>
Rufe: &#x201E;wir haben für das Vaterland geblutet&#x201C;, eine Verfa&#x017F;&#x017F;ungspetition<lb/>
überreicht hätten; die Landwehrmänner der Thorwache hätten &#x017F;ich geweigert<lb/>
einzu&#x017F;chreiten.</p><lb/>
          <p>Noch kräftiger äußerte &#x017F;ich das bairi&#x017F;che Machtgefühl unter den Ab-<lb/>
geordneten. Einige Mitglieder der Oppo&#x017F;ition übergaben dem Mini&#x017F;ter<lb/>
Rechberg eine geheime Denk&#x017F;chrift, welche den König in &#x017F;einer con&#x017F;titu-<lb/>
tionellen Ge&#x017F;innung be&#x017F;tärken &#x017F;ollte. Da hieß es, das aus der europäi-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[506/0520] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. beigeführten Kriſe unzertrennlich verbunden ſein würden.“ Der König von Baiern wird demnach gebeten, ſich über die Geſinnung ſeines Volkes und ſeines Heeres klare Rechenſchaft zu geben und vornehmlich zu erwägen, ob ihm nicht die Verfaſſung ſelber ein Mittel biete zur Befeſtigung ſeines Anſehens, z. B. die Auflöſung der Kammer. Von dem Bundestage habe er allerdings nichts zu fürchten, da der Art. 13 nur ganz im Allgemeinen die Einführung einer ſtändiſchen Verfaſſung vorſchreibe und Baiern doch keinenfalls ganz ohne Landſtände werden bleiben wollen. *) Die preußiſche Antwort verſprach alſo mit keinem Worte den Beiſtand, welchen der bairiſche Hof erwartete, ſie war ein rundes Nein in diplo- matiſcher Form und ward auch in München als eine Ablehnung auf- gefaßt. Einige Tage nachdem ſie eingegangen meldete Zaſtrow, Graf Rech- berg habe ihm mit tiefer Rührung gedankt, der beabſichtigte Staatsſtreich ſei nunmehr aufgegeben, da die Kammer ſich zu mäßigen beginne. **) In der That hatte die Oppoſition unter der Hand Einiges von den Plänen des Hofes erfahren — die volle Wahrheit blieb ihr immer verborgen — und ſich beeilt durch den beredten Mund ihres Genoſſen Häcker ihre Treue gegen den Vater der Verfaſſung zu betheuern; die ſtürmiſchen Hochrufe, mit denen die Kammer und die Gallerien dieſe pathetiſche Rede aufnahmen, thaten dem Herzen Max Joſephs wohl, und der Monarch, der ſoeben einen Staats- ſtreich geplant, ſpielte ſofort wieder vergnüglich die Rolle des conſtitutionellen Muſterfürſten. Eben in dieſen Tagen, da Preußens Warnungen den bairiſchen Verfaſſungsbruch verhinderten, ward die ſchöne, zur Verherr- lichung der Conſtitution geprägte Denkmünze fertig, und der König ließ ſie ſeinen getreuen Ständen feierlich überreichen, ſchenkte auch jeder Ge- meinde des Königreichs ein Stück zur ewigen Erinnerung. Das ganze Land frohlockte über die bairiſche Freiheit und ſchimpfte auf Preußen; ohne Schmähungen gegen den Staat des Freiheitskrieges konnte ein libe- rales Jubelfeſt ſchon nicht mehr gefeiert werden. Alle bairiſchen Blätter verglichen ihren verfaſſungstreuen König wohlgefällig mit dem Despoten in Berlin. Die Allgemeine Zeitung erzählte eine alberne Jagdgeſchichte: ein Haufe von fünfzehnhundert Bürgern ſollte den Wagen König Friedrich Wilhelms am Brandenburger Thore aufgehalten und unter dem drohenden Rufe: „wir haben für das Vaterland geblutet“, eine Verfaſſungspetition überreicht hätten; die Landwehrmänner der Thorwache hätten ſich geweigert einzuſchreiten. Noch kräftiger äußerte ſich das bairiſche Machtgefühl unter den Ab- geordneten. Einige Mitglieder der Oppoſition übergaben dem Miniſter Rechberg eine geheime Denkſchrift, welche den König in ſeiner conſtitu- tionellen Geſinnung beſtärken ſollte. Da hieß es, das aus der europäi- *) Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 11. Mai 1819. **) Zaſtrows Bericht, 19. Mai 1819.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/520
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/520>, abgerufen am 09.05.2024.