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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Max Josephs Staatsstreichspläne.
Volksrepräsentation den Muth einflößen konnte, da anzufangen, wo an-
dere ihresgleichen zu endigen pflegen." Noch sei mit Hilfe der Reichs-
räthe entschiedenes Einschreiten gegen die Abgeordneten möglich, aber "was
heute noch durch kräftige Maßregeln gerettet werden dürfte, wird vielleicht
in wenigen Wochen unwiederbringlich verloren sein."

Kaum minder besorgt sah König Max Joseph selber die Lage an. Er
brütete bereits über verzweifelten Plänen und berieth sich mit seinen
Ministern, ob nicht die Aufhebung der Verfassung nothwendig sei, "weil
sie den gehofften Zweck nicht erfüllt habe." Am 30. März überraschte
Graf Rechberg den preußischen Gesandten durch eine vertrauliche Mit-
theilung über diese geheimen Pläne. Der Minister fügte hinzu, sein
Hof fürchte nur, durch eine Verletzung des Art. 13 mit dem Bundestage
in Streit zu gerathen, und schloß mit der förmlichen Bitte: der König
von Preußen möge durch sein Ministerium vertraulich mittheilen lassen,
"was S. M. der König von Allerhöchstdemselben zu erwarten haben
würden, wenn Sie Sich in der unangenehmen Nothwendigkeit befinden
sollten, den erwähnten Gewaltschritt zu thun." Gleichzeitig sprach Baiern
auch dem k. k. Hofe seine Reue aus wegen des übereilten Verfassungs-
werkes, erklärte sich bereit, "mit Eifer die Repressivmaßregeln anzunehmen,
welche Oesterreich und Preußen ihm vorschlagen möchten."*)

Die Versuchung für König Friedrich Wilhelm war groß, doch er be-
stand sie ehrenhaft. Er nahm die Frage in reifliche Erwägung, ließ
mehrere Wochen verstreichen und am 11. Mai durch ein Ministerial-
schreiben antworten: "Wären wir in dem Falle gewesen, unsere Ansicht
in dem Augenblicke auszusprechen, wo der König von Baiern den Ent-
schluß gefaßt hatte, die Verfassung einzuführen, so würden wir, wie viel
Gutes und wohl Ueberlegtes auch in dieser Verfassungsurkunde enthalten
ist, doch Zweifel und Bedenken mancherlei Art offen zu bekennen uns
zur Pflicht gemacht haben. Jetzt aber -- fuhr Bernstorff mit unverkenn-
barer Ironie fort -- handelt es sich um Fragen ganz anderer Natur.
Erwägen wir, daß der König von Baiern, bei Einführung dieser Con-
stitution, solche nicht nur als eine seinem Volke gewährte und ausgezeich-
nete, aus seiner freien Huld hervorgegangene Wohlthat geltend gemacht,
sondern auch den gegründeten oder vermeintlichen Anspruch der Nation
auf eine solche Verfassung ausdrücklich anzuerkennen nicht gescheut hat,
und daß die Ständeversammlung ihrerseits die neue Verfassung nicht nur
in demselben Sinne angenommen und sich, besonders was die Rechte
der Nation betrifft, denen gehuldigt zu haben dem König als Hauptver-
dienst angerechnet wird, so bestimmt als kühn ausgesprochen hat -- so
können wir die großen und drohenden Gefahren nicht verkennen, welche
mit der durch die eigenmächtige Aufhebung der Verfassungsurkunde her-

*) Zastrows Bericht, 30. März; Krusemarks Bericht, 16. April 1819.

Max Joſephs Staatsſtreichspläne.
Volksrepräſentation den Muth einflößen konnte, da anzufangen, wo an-
dere ihresgleichen zu endigen pflegen.“ Noch ſei mit Hilfe der Reichs-
räthe entſchiedenes Einſchreiten gegen die Abgeordneten möglich, aber „was
heute noch durch kräftige Maßregeln gerettet werden dürfte, wird vielleicht
in wenigen Wochen unwiederbringlich verloren ſein.“

Kaum minder beſorgt ſah König Max Joſeph ſelber die Lage an. Er
brütete bereits über verzweifelten Plänen und berieth ſich mit ſeinen
Miniſtern, ob nicht die Aufhebung der Verfaſſung nothwendig ſei, „weil
ſie den gehofften Zweck nicht erfüllt habe.“ Am 30. März überraſchte
Graf Rechberg den preußiſchen Geſandten durch eine vertrauliche Mit-
theilung über dieſe geheimen Pläne. Der Miniſter fügte hinzu, ſein
Hof fürchte nur, durch eine Verletzung des Art. 13 mit dem Bundestage
in Streit zu gerathen, und ſchloß mit der förmlichen Bitte: der König
von Preußen möge durch ſein Miniſterium vertraulich mittheilen laſſen,
„was S. M. der König von Allerhöchſtdemſelben zu erwarten haben
würden, wenn Sie Sich in der unangenehmen Nothwendigkeit befinden
ſollten, den erwähnten Gewaltſchritt zu thun.“ Gleichzeitig ſprach Baiern
auch dem k. k. Hofe ſeine Reue aus wegen des übereilten Verfaſſungs-
werkes, erklärte ſich bereit, „mit Eifer die Repreſſivmaßregeln anzunehmen,
welche Oeſterreich und Preußen ihm vorſchlagen möchten.“*)

Die Verſuchung für König Friedrich Wilhelm war groß, doch er be-
ſtand ſie ehrenhaft. Er nahm die Frage in reifliche Erwägung, ließ
mehrere Wochen verſtreichen und am 11. Mai durch ein Miniſterial-
ſchreiben antworten: „Wären wir in dem Falle geweſen, unſere Anſicht
in dem Augenblicke auszuſprechen, wo der König von Baiern den Ent-
ſchluß gefaßt hatte, die Verfaſſung einzuführen, ſo würden wir, wie viel
Gutes und wohl Ueberlegtes auch in dieſer Verfaſſungsurkunde enthalten
iſt, doch Zweifel und Bedenken mancherlei Art offen zu bekennen uns
zur Pflicht gemacht haben. Jetzt aber — fuhr Bernſtorff mit unverkenn-
barer Ironie fort — handelt es ſich um Fragen ganz anderer Natur.
Erwägen wir, daß der König von Baiern, bei Einführung dieſer Con-
ſtitution, ſolche nicht nur als eine ſeinem Volke gewährte und ausgezeich-
nete, aus ſeiner freien Huld hervorgegangene Wohlthat geltend gemacht,
ſondern auch den gegründeten oder vermeintlichen Anſpruch der Nation
auf eine ſolche Verfaſſung ausdrücklich anzuerkennen nicht geſcheut hat,
und daß die Ständeverſammlung ihrerſeits die neue Verfaſſung nicht nur
in demſelben Sinne angenommen und ſich, beſonders was die Rechte
der Nation betrifft, denen gehuldigt zu haben dem König als Hauptver-
dienſt angerechnet wird, ſo beſtimmt als kühn ausgeſprochen hat — ſo
können wir die großen und drohenden Gefahren nicht verkennen, welche
mit der durch die eigenmächtige Aufhebung der Verfaſſungsurkunde her-

*) Zaſtrows Bericht, 30. März; Kruſemarks Bericht, 16. April 1819.
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[505/0519] Max Joſephs Staatsſtreichspläne. Volksrepräſentation den Muth einflößen konnte, da anzufangen, wo an- dere ihresgleichen zu endigen pflegen.“ Noch ſei mit Hilfe der Reichs- räthe entſchiedenes Einſchreiten gegen die Abgeordneten möglich, aber „was heute noch durch kräftige Maßregeln gerettet werden dürfte, wird vielleicht in wenigen Wochen unwiederbringlich verloren ſein.“ Kaum minder beſorgt ſah König Max Joſeph ſelber die Lage an. Er brütete bereits über verzweifelten Plänen und berieth ſich mit ſeinen Miniſtern, ob nicht die Aufhebung der Verfaſſung nothwendig ſei, „weil ſie den gehofften Zweck nicht erfüllt habe.“ Am 30. März überraſchte Graf Rechberg den preußiſchen Geſandten durch eine vertrauliche Mit- theilung über dieſe geheimen Pläne. Der Miniſter fügte hinzu, ſein Hof fürchte nur, durch eine Verletzung des Art. 13 mit dem Bundestage in Streit zu gerathen, und ſchloß mit der förmlichen Bitte: der König von Preußen möge durch ſein Miniſterium vertraulich mittheilen laſſen, „was S. M. der König von Allerhöchſtdemſelben zu erwarten haben würden, wenn Sie Sich in der unangenehmen Nothwendigkeit befinden ſollten, den erwähnten Gewaltſchritt zu thun.“ Gleichzeitig ſprach Baiern auch dem k. k. Hofe ſeine Reue aus wegen des übereilten Verfaſſungs- werkes, erklärte ſich bereit, „mit Eifer die Repreſſivmaßregeln anzunehmen, welche Oeſterreich und Preußen ihm vorſchlagen möchten.“ *) Die Verſuchung für König Friedrich Wilhelm war groß, doch er be- ſtand ſie ehrenhaft. Er nahm die Frage in reifliche Erwägung, ließ mehrere Wochen verſtreichen und am 11. Mai durch ein Miniſterial- ſchreiben antworten: „Wären wir in dem Falle geweſen, unſere Anſicht in dem Augenblicke auszuſprechen, wo der König von Baiern den Ent- ſchluß gefaßt hatte, die Verfaſſung einzuführen, ſo würden wir, wie viel Gutes und wohl Ueberlegtes auch in dieſer Verfaſſungsurkunde enthalten iſt, doch Zweifel und Bedenken mancherlei Art offen zu bekennen uns zur Pflicht gemacht haben. Jetzt aber — fuhr Bernſtorff mit unverkenn- barer Ironie fort — handelt es ſich um Fragen ganz anderer Natur. Erwägen wir, daß der König von Baiern, bei Einführung dieſer Con- ſtitution, ſolche nicht nur als eine ſeinem Volke gewährte und ausgezeich- nete, aus ſeiner freien Huld hervorgegangene Wohlthat geltend gemacht, ſondern auch den gegründeten oder vermeintlichen Anſpruch der Nation auf eine ſolche Verfaſſung ausdrücklich anzuerkennen nicht geſcheut hat, und daß die Ständeverſammlung ihrerſeits die neue Verfaſſung nicht nur in demſelben Sinne angenommen und ſich, beſonders was die Rechte der Nation betrifft, denen gehuldigt zu haben dem König als Hauptver- dienſt angerechnet wird, ſo beſtimmt als kühn ausgeſprochen hat — ſo können wir die großen und drohenden Gefahren nicht verkennen, welche mit der durch die eigenmächtige Aufhebung der Verfaſſungsurkunde her- *) Zaſtrows Bericht, 30. März; Kruſemarks Bericht, 16. April 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/519>, abgerufen am 09.05.2024.