Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. ihnen keineswegs zu. Aber kaum war sein Besuch bei dem Staatskanzlerruchbar geworden, so sah er sich von den Turngenossen mit wüthenden Vorwürfen überhäuft und ohne daß man ihn nur angehört hätte aus den Kreisen der Patrioten ausgeschlossen; sein tagelang konnte er den Makel dieses ungerechten Verdachts nicht mehr ganz von sich abwaschen, selbst mit seinem alten Freunde Schleiermacher kam er nie wieder auf guten Fuß. So drängte sich ein finsteres, grund- und zielloses Miß- trauen trennend zwischen dies Volk und diese Krone, die soeben erst in ritterlicher Treue gemeinsam einen heiligen Kampf durchgefochten; ein neuer Krieg hätte mit seinem frischen Windzuge die Wolken des Unmuths leicht zertheilen können, in der dicken Luft der trägen Friedenstage nahm die Verdrossenheit mit jedem Tage zu. Mittlerweile hatte der Staatskanzler schon den ersten Schritt gethan Die Ordre schilderte sodann, wie der persönliche und der Partei- II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. ihnen keineswegs zu. Aber kaum war ſein Beſuch bei dem Staatskanzlerruchbar geworden, ſo ſah er ſich von den Turngenoſſen mit wüthenden Vorwürfen überhäuft und ohne daß man ihn nur angehört hätte aus den Kreiſen der Patrioten ausgeſchloſſen; ſein tagelang konnte er den Makel dieſes ungerechten Verdachts nicht mehr ganz von ſich abwaſchen, ſelbſt mit ſeinem alten Freunde Schleiermacher kam er nie wieder auf guten Fuß. So drängte ſich ein finſteres, grund- und zielloſes Miß- trauen trennend zwiſchen dies Volk und dieſe Krone, die ſoeben erſt in ritterlicher Treue gemeinſam einen heiligen Kampf durchgefochten; ein neuer Krieg hätte mit ſeinem friſchen Windzuge die Wolken des Unmuths leicht zertheilen können, in der dicken Luft der trägen Friedenstage nahm die Verdroſſenheit mit jedem Tage zu. Mittlerweile hatte der Staatskanzler ſchon den erſten Schritt gethan Die Ordre ſchilderte ſodann, wie der perſönliche und der Partei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0506" n="492"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.</fw><lb/> ihnen keineswegs zu. Aber kaum war ſein Beſuch bei dem Staatskanzler<lb/> ruchbar geworden, ſo ſah er ſich von den Turngenoſſen mit wüthenden<lb/> Vorwürfen überhäuft und ohne daß man ihn nur angehört hätte aus<lb/> den Kreiſen der Patrioten ausgeſchloſſen; ſein tagelang konnte er den<lb/> Makel dieſes ungerechten Verdachts nicht mehr ganz von ſich abwaſchen,<lb/> ſelbſt mit ſeinem alten Freunde Schleiermacher kam er nie wieder auf<lb/> guten Fuß. 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Bisher, ſo erklärte der König, habe er ſich immer<lb/> auf die ſo vorzüglich bewährte Treue und Hingebung ſeiner Nation ver-<lb/> laſſen; jetzt aber erfordere ſeine Regentenpflicht „kräftige Maßregeln zu<lb/> ergreifen“ wider den Geiſt der Unruhe, der durch die lange politiſche<lb/> Spannung der Kriegsjahre erweckt, noch immer fortwirke und ſich in<lb/> maßoſer Unzufriedenheit, im „leidenſchaftlichen Verfolgen unbeſtimmter<lb/> Ziele“ äußere.</p><lb/> <p>Die Ordre ſchilderte ſodann, wie der perſönliche und der Partei-<lb/> ſtreit unter den Beamten überhandgenommen habe, das wegwerfende Ab-<lb/> ſprechen über den Dienſt, ſelbſt mit Verletzung des Amtsgeheimniſſes<lb/> immer häufiger werde — ein wohlberechtigter Vorwurf, denn Jedermann<lb/> wußte, daß viele der Zeitungsartikel, welche die Gebrechen des preußiſchen<lb/> Staates mit leidenſchaftlicher Uebertreibung beſprachen, aus der Feder<lb/> preußiſcher Beamten herrührten. „Das Miniſterium weiß, fuhr der<lb/> König fort, daß meine Abſicht iſt, eine angemeſſene ſtändiſche Verfaſſung<lb/> zu geben;“ dazu gehört aber, „daß die Verwaltung Achtung genieße.“<lb/> Auch das Miniſterium ſelbſt trage einige Schuld; der Miniſterrath ver-<lb/> ſammle ſich zu ſelten, der Geſchäftsgang werde ſchleppend, „ein Mini-<lb/> ſterium muß in den Hauptgrundſätzen einig ſein.“ Darauf wendet ſich<lb/> die Ordre zu der falſchen Richtung der öffentlichen Erziehung, welche die<lb/> Jugend zu früh zur Theilnahme am öffentlichen Leben veranlaſſe. „Alles<lb/> was ſonſt nur Unfug junger Leute war, trägt jetzt das Gepräge der<lb/> Sucht in die Welthändel einzugreifen, an ſich.“ Der König fordert<lb/> demnach ſtrengere Ueberwachung des Unterrichtsweſens, ſorgſame Aus-<lb/> wahl der Lehrer für die Univerſitäten; der Turnunterricht ſoll mit den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [492/0506]
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ihnen keineswegs zu. Aber kaum war ſein Beſuch bei dem Staatskanzler
ruchbar geworden, ſo ſah er ſich von den Turngenoſſen mit wüthenden
Vorwürfen überhäuft und ohne daß man ihn nur angehört hätte aus
den Kreiſen der Patrioten ausgeſchloſſen; ſein tagelang konnte er den
Makel dieſes ungerechten Verdachts nicht mehr ganz von ſich abwaſchen,
ſelbſt mit ſeinem alten Freunde Schleiermacher kam er nie wieder auf
guten Fuß. So drängte ſich ein finſteres, grund- und zielloſes Miß-
trauen trennend zwiſchen dies Volk und dieſe Krone, die ſoeben erſt in
ritterlicher Treue gemeinſam einen heiligen Kampf durchgefochten; ein
neuer Krieg hätte mit ſeinem friſchen Windzuge die Wolken des Unmuths
leicht zertheilen können, in der dicken Luft der trägen Friedenstage nahm die
Verdroſſenheit mit jedem Tage zu.
Mittlerweile hatte der Staatskanzler ſchon den erſten Schritt gethan
um die Verſprechungen einzulöſen, die er in Aachen ſeinem zweifelhaften
öſterreichiſchen Freunde gegeben. Am 11. Januar 1819 überraſchte Har-
denberg das Staatsminiſterium durch die Zuſendung einer königlichen
Cabinetsordre, eines umfänglichen Aktenſtücks, das auf neunzehn Folio-
ſeiten die wohlwollenden Abſichten des Monarchen, aber auch ſeine ſchweren
Beſorgniſſe darlegte. Bisher, ſo erklärte der König, habe er ſich immer
auf die ſo vorzüglich bewährte Treue und Hingebung ſeiner Nation ver-
laſſen; jetzt aber erfordere ſeine Regentenpflicht „kräftige Maßregeln zu
ergreifen“ wider den Geiſt der Unruhe, der durch die lange politiſche
Spannung der Kriegsjahre erweckt, noch immer fortwirke und ſich in
maßoſer Unzufriedenheit, im „leidenſchaftlichen Verfolgen unbeſtimmter
Ziele“ äußere.
Die Ordre ſchilderte ſodann, wie der perſönliche und der Partei-
ſtreit unter den Beamten überhandgenommen habe, das wegwerfende Ab-
ſprechen über den Dienſt, ſelbſt mit Verletzung des Amtsgeheimniſſes
immer häufiger werde — ein wohlberechtigter Vorwurf, denn Jedermann
wußte, daß viele der Zeitungsartikel, welche die Gebrechen des preußiſchen
Staates mit leidenſchaftlicher Uebertreibung beſprachen, aus der Feder
preußiſcher Beamten herrührten. „Das Miniſterium weiß, fuhr der
König fort, daß meine Abſicht iſt, eine angemeſſene ſtändiſche Verfaſſung
zu geben;“ dazu gehört aber, „daß die Verwaltung Achtung genieße.“
Auch das Miniſterium ſelbſt trage einige Schuld; der Miniſterrath ver-
ſammle ſich zu ſelten, der Geſchäftsgang werde ſchleppend, „ein Mini-
ſterium muß in den Hauptgrundſätzen einig ſein.“ Darauf wendet ſich
die Ordre zu der falſchen Richtung der öffentlichen Erziehung, welche die
Jugend zu früh zur Theilnahme am öffentlichen Leben veranlaſſe. „Alles
was ſonſt nur Unfug junger Leute war, trägt jetzt das Gepräge der
Sucht in die Welthändel einzugreifen, an ſich.“ Der König fordert
demnach ſtrengere Ueberwachung des Unterrichtsweſens, ſorgſame Aus-
wahl der Lehrer für die Univerſitäten; der Turnunterricht ſoll mit den
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