Als das verhängnißvolle Jahr 1819 anbrach, war die Wiener Hof- burg zum Vernichtungskampfe gegen die constitutionelle Bewegung fest entschlossen; "dieser schreckliche Kaiser Alexander", so schrieb Metternich seiner Gemahlin, stand jetzt nicht mehr im Wege. Ob ihr gelingen würde, den preußischen Staat und die kleinen Höfe mit sich fortzureißen, dies blieb bei der Trägheit des Bundestages und der unübersehbaren Man- nichfaltigkeit der deutschen Interessen noch sehr zweifelhaft. Die Liberalen thaten indessen das Ihre um die Pläne ihrer Feinde zu fördern. Der gesunde Sinn der Nation erlag einem jener Fieber-Anfälle galliger, Alles bekrittelnder Verdrießlichkeit, welche seitdem von Zeit zu Zeit regelmäßig, und immer zum Unheil für die gesunde Entwickelung unseres Staates, wieder- gekehrt sind. Ungeheuerliche Gerüchte liefen um und fanden allgemeinen Glauben, während doch noch Niemand einem Liberalen ein Haar ge- krümmt hatte. Die Presse erging sich in unheimlichen Schilderungen von der hoffnungslosen Knechtschaft Deutschlands und ward nicht müde, den Teufel der Reaktion so lange an die Wand zu malen, bis er leibhaftig erschien.
Aus jedem Nichts schöpfte die Kleinmeisterei der Tadler neuen Stoff für fanatische Anklagen: als zwei preußische Leutnants sich im Zorne zu Thätlichkeiten gegen einige Landwehrmänner hinreißen ließen, und der geringfügige Exceß nachher vor dem Kriegsgerichte die gebührende Strafe fand, da heulte die Isis: "O der Schande! Winkte uns nicht eine bessere Welt im Westen, wer wollte länger zaudern, stolz dem Bei- spiele Cato's zu folgen?" Wer nur irgend mit den Regierungen in Ver- bindung trat, ward als Verräther verdächtigt. Um Weihnachten 1818 wurde Steffens im tiefsten Geheimniß von dem Staatskanzler nach Berlin gerufen und dort vertraulich befragt, ob er etwas von politischen Umtrieben der Turnplätze wisse; er antwortete als ehrlicher Mann, seine Angriffe hätten nur den sittlichen Verirrungen der Turner, ihrem Ueber- muthe, ihrer Roheit, gegolten; politische Verschwörungspläne traue er
Neunter Abſchnitt. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
Als das verhängnißvolle Jahr 1819 anbrach, war die Wiener Hof- burg zum Vernichtungskampfe gegen die conſtitutionelle Bewegung feſt entſchloſſen; „dieſer ſchreckliche Kaiſer Alexander“, ſo ſchrieb Metternich ſeiner Gemahlin, ſtand jetzt nicht mehr im Wege. Ob ihr gelingen würde, den preußiſchen Staat und die kleinen Höfe mit ſich fortzureißen, dies blieb bei der Trägheit des Bundestages und der unüberſehbaren Man- nichfaltigkeit der deutſchen Intereſſen noch ſehr zweifelhaft. Die Liberalen thaten indeſſen das Ihre um die Pläne ihrer Feinde zu fördern. Der geſunde Sinn der Nation erlag einem jener Fieber-Anfälle galliger, Alles bekrittelnder Verdrießlichkeit, welche ſeitdem von Zeit zu Zeit regelmäßig, und immer zum Unheil für die geſunde Entwickelung unſeres Staates, wieder- gekehrt ſind. Ungeheuerliche Gerüchte liefen um und fanden allgemeinen Glauben, während doch noch Niemand einem Liberalen ein Haar ge- krümmt hatte. Die Preſſe erging ſich in unheimlichen Schilderungen von der hoffnungsloſen Knechtſchaft Deutſchlands und ward nicht müde, den Teufel der Reaktion ſo lange an die Wand zu malen, bis er leibhaftig erſchien.
Aus jedem Nichts ſchöpfte die Kleinmeiſterei der Tadler neuen Stoff für fanatiſche Anklagen: als zwei preußiſche Leutnants ſich im Zorne zu Thätlichkeiten gegen einige Landwehrmänner hinreißen ließen, und der geringfügige Exceß nachher vor dem Kriegsgerichte die gebührende Strafe fand, da heulte die Iſis: „O der Schande! Winkte uns nicht eine beſſere Welt im Weſten, wer wollte länger zaudern, ſtolz dem Bei- ſpiele Cato’s zu folgen?“ Wer nur irgend mit den Regierungen in Ver- bindung trat, ward als Verräther verdächtigt. Um Weihnachten 1818 wurde Steffens im tiefſten Geheimniß von dem Staatskanzler nach Berlin gerufen und dort vertraulich befragt, ob er etwas von politiſchen Umtrieben der Turnplätze wiſſe; er antwortete als ehrlicher Mann, ſeine Angriffe hätten nur den ſittlichen Verirrungen der Turner, ihrem Ueber- muthe, ihrer Roheit, gegolten; politiſche Verſchwörungspläne traue er
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Neunter Abſchnitt.
Die Karlsbader Beſchlüſſe.
Als das verhängnißvolle Jahr 1819 anbrach, war die Wiener Hof-
burg zum Vernichtungskampfe gegen die conſtitutionelle Bewegung feſt
entſchloſſen; „dieſer ſchreckliche Kaiſer Alexander“, ſo ſchrieb Metternich
ſeiner Gemahlin, ſtand jetzt nicht mehr im Wege. Ob ihr gelingen
würde, den preußiſchen Staat und die kleinen Höfe mit ſich fortzureißen,
dies blieb bei der Trägheit des Bundestages und der unüberſehbaren Man-
nichfaltigkeit der deutſchen Intereſſen noch ſehr zweifelhaft. Die Liberalen
thaten indeſſen das Ihre um die Pläne ihrer Feinde zu fördern. Der
geſunde Sinn der Nation erlag einem jener Fieber-Anfälle galliger, Alles
bekrittelnder Verdrießlichkeit, welche ſeitdem von Zeit zu Zeit regelmäßig, und
immer zum Unheil für die geſunde Entwickelung unſeres Staates, wieder-
gekehrt ſind. Ungeheuerliche Gerüchte liefen um und fanden allgemeinen
Glauben, während doch noch Niemand einem Liberalen ein Haar ge-
krümmt hatte. Die Preſſe erging ſich in unheimlichen Schilderungen von
der hoffnungsloſen Knechtſchaft Deutſchlands und ward nicht müde, den
Teufel der Reaktion ſo lange an die Wand zu malen, bis er leibhaftig
erſchien.
Aus jedem Nichts ſchöpfte die Kleinmeiſterei der Tadler neuen
Stoff für fanatiſche Anklagen: als zwei preußiſche Leutnants ſich im
Zorne zu Thätlichkeiten gegen einige Landwehrmänner hinreißen ließen,
und der geringfügige Exceß nachher vor dem Kriegsgerichte die gebührende
Strafe fand, da heulte die Iſis: „O der Schande! Winkte uns nicht
eine beſſere Welt im Weſten, wer wollte länger zaudern, ſtolz dem Bei-
ſpiele Cato’s zu folgen?“ Wer nur irgend mit den Regierungen in Ver-
bindung trat, ward als Verräther verdächtigt. Um Weihnachten 1818
wurde Steffens im tiefſten Geheimniß von dem Staatskanzler nach
Berlin gerufen und dort vertraulich befragt, ob er etwas von politiſchen
Umtrieben der Turnplätze wiſſe; er antwortete als ehrlicher Mann, ſeine
Angriffe hätten nur den ſittlichen Verirrungen der Turner, ihrem Ueber-
muthe, ihrer Roheit, gegolten; politiſche Verſchwörungspläne traue er
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. [491]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/505>, abgerufen am 22.11.2024.
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