Bei der Ausführung seiner Vorschläge im Einzelnen verrieth der Rathgeber ein Maß staatsrechtlicher Kenntnisse, welches jedem preußischen Auscultator im Referendar-Examen das Genick gebrochen hätte: er kannte weder die neue Provinzialeintheilung des preußischen Staates noch dessen althistorische Bestandtheile und hatte offenbar auch das Stu- dium der Landkarte nicht für standesgemäß gehalten. Daher erbaute er sich rein aus der Phantasie heraus sieben preußische Provinzen -- darunter die Marken Brandenburg mit Pommern und das Herzogthum West- phalen mit Berg; hinsichtlich der Provinzialverwaltung faßte er seine Weis- heit in dem einen Satze zusammen: "jede Provinz hat eine Obere und Untere verwaltende Behörde." Noch erstaunlicher fast war die Neuheit der politischen Erwägungen, mit denen er seine Vorschläge begründete. Selbst die strengen Altconservativen in Berlin verbargen sich doch nicht das eine handgreifliche Bedenken, das gegen die Provinzialstände sprach: acht oder zehn Provinziallandtage ohne das Gegengewicht eines Reichstags konnten, wenn sie allzu mächtig wurden, leicht die Einheit des Staates, vornehm- lich des Heeres gefährden; riefen doch die Polen schon längst nach einer Provinzialarmee für das Großherzogthum Posen. Metternich dagegen stellte die unglaubliche Behauptung auf, ein preußischer Reichstag werde die Armee in "sieben getrennte Volkshaufen" auflösen. Eine zweite Denkschrift empfahl sodann die Aufhebung der Burschenschaft, die gänz- liche Beseitigung der Turnerei -- dieser Eiterbeule, wie Gentz zu sagen pflegte -- endlich gemeinsame Anträge der beiden Großmächte am Bun- destage zur Beschränkung der Presse.
So arge Blößen sich die Verfassungsdenkschrift gab, ein geschickter diplomatischer Schachzug war sie doch. Metternich wußte, wie lebhaft der König für die Kriegstüchtigkeit seines Heeres besorgt war, und wieder- holte daher in seiner Arbeit mit feierlichem Nachdruck immer und immer die ernste, leider keineswegs grundlose Warnung: die liberale Partei hasse die stehenden Heere, sie werde nicht ruhen, bis der preußische Reichs- tag die Armee in eine Volksmiliz umgewandelt habe. Er gab sich der Hoffnung hin, daß seine Worte ihr Ziel nicht verfehlen würden. Har- denberg aber wähnte der Politik Metternichs eine Strecke weit folgen zu können um sich dann von ihr nach Gutdünken wieder zu trennen. Alles was sie nur wünschte wollte er der Hofburg bewilligen: strenge Maßregeln gegen die Turner, die Burschen, die Presse, selbst gegen die preußischen Beamten. Nur Eines sollte sie ihm nicht antasten: sein Verfassungswerk. Der greise Staatsmann ahnte nicht, daß er selber in Wien schon längst von den Einen zum alten Eisen geworfen, von den Anderen als Häupt- ling der preußischen Jakobiner verdächtigt wurde. Half er jetzt die Schleuße hinwegziehen vor den hoch aufgestauten Fluthen der Reaktion, dann konnten sie leicht auch ihn selbst und seine Verfassungspläne mit hinweg schwemmen.
II. 8. Der Aachener Congreß.
Bei der Ausführung ſeiner Vorſchläge im Einzelnen verrieth der Rathgeber ein Maß ſtaatsrechtlicher Kenntniſſe, welches jedem preußiſchen Auscultator im Referendar-Examen das Genick gebrochen hätte: er kannte weder die neue Provinzialeintheilung des preußiſchen Staates noch deſſen althiſtoriſche Beſtandtheile und hatte offenbar auch das Stu- dium der Landkarte nicht für ſtandesgemäß gehalten. Daher erbaute er ſich rein aus der Phantaſie heraus ſieben preußiſche Provinzen — darunter die Marken Brandenburg mit Pommern und das Herzogthum Weſt- phalen mit Berg; hinſichtlich der Provinzialverwaltung faßte er ſeine Weis- heit in dem einen Satze zuſammen: „jede Provinz hat eine Obere und Untere verwaltende Behörde.“ Noch erſtaunlicher faſt war die Neuheit der politiſchen Erwägungen, mit denen er ſeine Vorſchläge begründete. Selbſt die ſtrengen Altconſervativen in Berlin verbargen ſich doch nicht das eine handgreifliche Bedenken, das gegen die Provinzialſtände ſprach: acht oder zehn Provinziallandtage ohne das Gegengewicht eines Reichstags konnten, wenn ſie allzu mächtig wurden, leicht die Einheit des Staates, vornehm- lich des Heeres gefährden; riefen doch die Polen ſchon längſt nach einer Provinzialarmee für das Großherzogthum Poſen. Metternich dagegen ſtellte die unglaubliche Behauptung auf, ein preußiſcher Reichstag werde die Armee in „ſieben getrennte Volkshaufen“ auflöſen. Eine zweite Denkſchrift empfahl ſodann die Aufhebung der Burſchenſchaft, die gänz- liche Beſeitigung der Turnerei — dieſer Eiterbeule, wie Gentz zu ſagen pflegte — endlich gemeinſame Anträge der beiden Großmächte am Bun- destage zur Beſchränkung der Preſſe.
So arge Blößen ſich die Verfaſſungsdenkſchrift gab, ein geſchickter diplomatiſcher Schachzug war ſie doch. Metternich wußte, wie lebhaft der König für die Kriegstüchtigkeit ſeines Heeres beſorgt war, und wieder- holte daher in ſeiner Arbeit mit feierlichem Nachdruck immer und immer die ernſte, leider keineswegs grundloſe Warnung: die liberale Partei haſſe die ſtehenden Heere, ſie werde nicht ruhen, bis der preußiſche Reichs- tag die Armee in eine Volksmiliz umgewandelt habe. Er gab ſich der Hoffnung hin, daß ſeine Worte ihr Ziel nicht verfehlen würden. Har- denberg aber wähnte der Politik Metternichs eine Strecke weit folgen zu können um ſich dann von ihr nach Gutdünken wieder zu trennen. Alles was ſie nur wünſchte wollte er der Hofburg bewilligen: ſtrenge Maßregeln gegen die Turner, die Burſchen, die Preſſe, ſelbſt gegen die preußiſchen Beamten. Nur Eines ſollte ſie ihm nicht antaſten: ſein Verfaſſungswerk. Der greiſe Staatsmann ahnte nicht, daß er ſelber in Wien ſchon längſt von den Einen zum alten Eiſen geworfen, von den Anderen als Häupt- ling der preußiſchen Jakobiner verdächtigt wurde. Half er jetzt die Schleuße hinwegziehen vor den hoch aufgeſtauten Fluthen der Reaktion, dann konnten ſie leicht auch ihn ſelbſt und ſeine Verfaſſungspläne mit hinweg ſchwemmen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0504"n="490"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 8. Der Aachener Congreß.</fw><lb/><p>Bei der Ausführung ſeiner Vorſchläge im Einzelnen verrieth der<lb/>
Rathgeber ein Maß ſtaatsrechtlicher Kenntniſſe, welches jedem preußiſchen<lb/>
Auscultator im Referendar-Examen das Genick gebrochen hätte: er<lb/>
kannte weder die neue Provinzialeintheilung des preußiſchen Staates<lb/>
noch deſſen althiſtoriſche Beſtandtheile und hatte offenbar auch das Stu-<lb/>
dium der Landkarte nicht für ſtandesgemäß gehalten. Daher erbaute er<lb/>ſich rein aus der Phantaſie heraus ſieben preußiſche Provinzen — darunter<lb/>
die Marken Brandenburg mit Pommern und das Herzogthum Weſt-<lb/>
phalen mit Berg; hinſichtlich der Provinzialverwaltung faßte er ſeine Weis-<lb/>
heit in dem einen Satze zuſammen: „jede Provinz hat eine Obere und<lb/>
Untere verwaltende Behörde.“ Noch erſtaunlicher faſt war die Neuheit der<lb/>
politiſchen Erwägungen, mit denen er ſeine Vorſchläge begründete. Selbſt<lb/>
die ſtrengen Altconſervativen in Berlin verbargen ſich doch nicht das eine<lb/>
handgreifliche Bedenken, das gegen die Provinzialſtände ſprach: acht oder<lb/>
zehn Provinziallandtage ohne das Gegengewicht eines Reichstags konnten,<lb/>
wenn ſie allzu mächtig wurden, leicht die Einheit des Staates, vornehm-<lb/>
lich des Heeres gefährden; riefen doch die Polen ſchon längſt nach einer<lb/>
Provinzialarmee für das Großherzogthum Poſen. Metternich dagegen<lb/>ſtellte die unglaubliche Behauptung auf, ein preußiſcher Reichstag werde<lb/>
die Armee in „ſieben getrennte Volkshaufen“ auflöſen. Eine zweite<lb/>
Denkſchrift empfahl ſodann die Aufhebung der Burſchenſchaft, die gänz-<lb/>
liche Beſeitigung der Turnerei — dieſer Eiterbeule, wie Gentz zu ſagen<lb/>
pflegte — endlich gemeinſame Anträge der beiden Großmächte am Bun-<lb/>
destage zur Beſchränkung der Preſſe.</p><lb/><p>So arge Blößen ſich die Verfaſſungsdenkſchrift gab, ein geſchickter<lb/>
diplomatiſcher Schachzug war ſie doch. Metternich wußte, wie lebhaft<lb/>
der König für die Kriegstüchtigkeit ſeines Heeres beſorgt war, und wieder-<lb/>
holte daher in ſeiner Arbeit mit feierlichem Nachdruck immer und immer<lb/>
die ernſte, leider keineswegs grundloſe Warnung: die liberale Partei<lb/>
haſſe die ſtehenden Heere, ſie werde nicht ruhen, bis der preußiſche Reichs-<lb/>
tag die Armee in eine Volksmiliz umgewandelt habe. Er gab ſich der<lb/>
Hoffnung hin, daß ſeine Worte ihr Ziel nicht verfehlen würden. Har-<lb/>
denberg aber wähnte der Politik Metternichs eine Strecke weit folgen zu<lb/>
können um ſich dann von ihr nach Gutdünken wieder zu trennen. Alles<lb/>
was ſie nur wünſchte wollte er der Hofburg bewilligen: ſtrenge Maßregeln<lb/>
gegen die Turner, die Burſchen, die Preſſe, ſelbſt gegen die preußiſchen<lb/>
Beamten. Nur Eines ſollte ſie ihm nicht antaſten: ſein Verfaſſungswerk.<lb/>
Der greiſe Staatsmann ahnte nicht, daß er ſelber in Wien ſchon längſt<lb/>
von den Einen zum alten Eiſen geworfen, von den Anderen als Häupt-<lb/>
ling der preußiſchen Jakobiner verdächtigt wurde. Half er jetzt die Schleuße<lb/>
hinwegziehen vor den hoch aufgeſtauten Fluthen der Reaktion, dann konnten<lb/>ſie leicht auch ihn ſelbſt und ſeine Verfaſſungspläne mit hinweg ſchwemmen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[490/0504]
II. 8. Der Aachener Congreß.
Bei der Ausführung ſeiner Vorſchläge im Einzelnen verrieth der
Rathgeber ein Maß ſtaatsrechtlicher Kenntniſſe, welches jedem preußiſchen
Auscultator im Referendar-Examen das Genick gebrochen hätte: er
kannte weder die neue Provinzialeintheilung des preußiſchen Staates
noch deſſen althiſtoriſche Beſtandtheile und hatte offenbar auch das Stu-
dium der Landkarte nicht für ſtandesgemäß gehalten. Daher erbaute er
ſich rein aus der Phantaſie heraus ſieben preußiſche Provinzen — darunter
die Marken Brandenburg mit Pommern und das Herzogthum Weſt-
phalen mit Berg; hinſichtlich der Provinzialverwaltung faßte er ſeine Weis-
heit in dem einen Satze zuſammen: „jede Provinz hat eine Obere und
Untere verwaltende Behörde.“ Noch erſtaunlicher faſt war die Neuheit der
politiſchen Erwägungen, mit denen er ſeine Vorſchläge begründete. Selbſt
die ſtrengen Altconſervativen in Berlin verbargen ſich doch nicht das eine
handgreifliche Bedenken, das gegen die Provinzialſtände ſprach: acht oder
zehn Provinziallandtage ohne das Gegengewicht eines Reichstags konnten,
wenn ſie allzu mächtig wurden, leicht die Einheit des Staates, vornehm-
lich des Heeres gefährden; riefen doch die Polen ſchon längſt nach einer
Provinzialarmee für das Großherzogthum Poſen. Metternich dagegen
ſtellte die unglaubliche Behauptung auf, ein preußiſcher Reichstag werde
die Armee in „ſieben getrennte Volkshaufen“ auflöſen. Eine zweite
Denkſchrift empfahl ſodann die Aufhebung der Burſchenſchaft, die gänz-
liche Beſeitigung der Turnerei — dieſer Eiterbeule, wie Gentz zu ſagen
pflegte — endlich gemeinſame Anträge der beiden Großmächte am Bun-
destage zur Beſchränkung der Preſſe.
So arge Blößen ſich die Verfaſſungsdenkſchrift gab, ein geſchickter
diplomatiſcher Schachzug war ſie doch. Metternich wußte, wie lebhaft
der König für die Kriegstüchtigkeit ſeines Heeres beſorgt war, und wieder-
holte daher in ſeiner Arbeit mit feierlichem Nachdruck immer und immer
die ernſte, leider keineswegs grundloſe Warnung: die liberale Partei
haſſe die ſtehenden Heere, ſie werde nicht ruhen, bis der preußiſche Reichs-
tag die Armee in eine Volksmiliz umgewandelt habe. Er gab ſich der
Hoffnung hin, daß ſeine Worte ihr Ziel nicht verfehlen würden. Har-
denberg aber wähnte der Politik Metternichs eine Strecke weit folgen zu
können um ſich dann von ihr nach Gutdünken wieder zu trennen. Alles
was ſie nur wünſchte wollte er der Hofburg bewilligen: ſtrenge Maßregeln
gegen die Turner, die Burſchen, die Preſſe, ſelbſt gegen die preußiſchen
Beamten. Nur Eines ſollte ſie ihm nicht antaſten: ſein Verfaſſungswerk.
Der greiſe Staatsmann ahnte nicht, daß er ſelber in Wien ſchon längſt
von den Einen zum alten Eiſen geworfen, von den Anderen als Häupt-
ling der preußiſchen Jakobiner verdächtigt wurde. Half er jetzt die Schleuße
hinwegziehen vor den hoch aufgeſtauten Fluthen der Reaktion, dann konnten
ſie leicht auch ihn ſelbſt und ſeine Verfaſſungspläne mit hinweg ſchwemmen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/504>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.